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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen





7. Juni 2009






italo.log
Die wöchentliche
Gedichtanthologie
aus Italien.

Herausgegeben
von Roberto Galaverni
und Theresia Prammer.
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110: Paolo Bertolani
109: Andrea Temporelli
108: Ermanno Krumm
107: Patrizia Cavalli (3)
106: Vivian Lamarque
105: Giancarlo Majorino
104: Toti Scialoja
103: Emilio Rentocchini
102: Eugenio Montale (4)
101: Maria Luisa Spaziani
100: Ignazio Buttita
099: Simone Cattaneo
098: Nanni Balestrini
097: Nino Pedretti
096: Marco Giovenale
095: Valentino Zeichen
094: Elio Pagliarani
093: Bartolo Cattafi
092: Luciano Cecchinel
091: Eugenio de Signoribus
090: Guido Ceronetti
089: Andrea Zanzotto (4)
088: Matteo Marchesini
087: Nicola Gardini
086: Attilio Bertolucci (2)
085: Flavio Santi
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078: Eugenio Montale (3)
077: Antonio Riccardi
076: Amelia Rosselli (2)
075: Nelo Risi
074: David Maria Turoldo
073: Pier Paolo Pasolini (3)
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064: Vittorio Sereni (2)
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058: Antonio Porta
057: Vincenzo Frungillo
056: Gianni D'Elia
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031: Piero Bigongiari
030: Andrea Zanzotto (2)
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028: Remo Pagnanelli
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007: Pier Paolo Pasolini
006: Fernando Bandini
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002: Franco Loi
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68:
Giorgio Orelli


Sinopien


                                                                 [...]
                                                                 während abseits die Demut der Besiegten
                                                                 [...]
                                                                 C. Rebora, Framm. XXXIV


Da ist einer, Marzio heißt er, glaube ich, 
der mich alle zwei drei Jahre einmal anspricht, wenn ich langsam
mit dem Fahrrad an ihm vorbeifahre. Er fragt mich dann, vom Gehsteig aus,
ob Dante verheiratet war und wie seine Frau geheißen hat.
„Gemma“, sage ich, „Gemma Donati“. „Ah ja, genau, Gemma“,
gibt er zurück, mit seinem Lächeln, „vielen Dank, verzeihen Sie.“
                                                                                        Einem andren,
älteren, begegne ich noch öfter; immer bin ich derjenige,
der zuerst grüßt, und dann denke ich: vielleicht erinnert er sich noch daran,
als er mir einmal, als ich wegmußte in einer stürmischen Regennacht,
um Medikamente zu besorgen, geholfen hat, mit seinen Eisen (zu dieser Unzeit!),
ein Rad zu richten, das der Regenschirm verwüstet hatte.
Ein dritter, fast schon hundertjährig, taub, hat die Gewohnheit,
kaum sieht er mich, zu schreien: „Heda, Bürschchen“, und an der Gebärde merkt man,
daß er mir am liebsten einen väterlichen Schlag auf die Schultern versetzte,
aber dann beläßt er es bei einem Lächeln oder ruft, ganz aufgeregt,
mir plötzlich zu: „Sehen Sie! Die Kamelie blüht immer als erste!“,
oder anderes, je nach der Jahreszeit.
                                                     Von anderen
würde ich auch gern sprechen, nun schon alle Sinopien
(jenseits der wilden Streiche der Pfirsich-, der Apfelbäume)
durchkreuzt von Jahrhundertfurchen.

(übertragen von Theresia Prammer)


Sinopie


                                                       [...]
                                                       mentre in disparte l’umiltà dei vinti...
                                                       [...]                                      
                                                       C. Rebora, Framm. XXXIV


Ce n’è uno, si chiama, credo, Marzio, 
ogni due o tre anni mi ferma che passo 
adagio, in bicicletta, dal marciapiede mi chiede
se Dante era sposato e come si chiamava sua moglie.
“Gemma”, dico, “Gemma Donati”. “Ah sì, sì, Gemma”, 
fa lui, con suo sorriso, “grazie, mi scusi”.
                                                               Un altro,
più vecchio, che incontro più spesso, son sempre io a salutarlo
per primo, e penso: forse si ricorda
d’avermi aiutato, una notte di pioggia e di vento ch’ero uscito
per medicine, a rimettermi in sesto con suoi ferri (a quell’ora!)
una ruota straziata dall’ombrello.
Un terzo, quasi centenario, sordo, per solito
se appena mi vede grida: “Uheilà, giovinotto”, e dal gesto si capisce
che mi darebbe, se potesse, una pacca paterna sulla spalla,
ma talora si limita a sorridermi, o, ad un tratto, eccitato
esclama: “Ha visto! La camelia è sempre la prima a fiorire”,
o altro, secondo la stagione.
                                          D’altri
pure vorrei parlare, che sono già tutti sinopie
(senza le belle beffe dei peschi dei meli)
traversate da crepe secolari.

(Aus: Sinopie, 1977)


Giorgio Orelli

Giorgio Orelli, Cousin des Schriftstellers Giovanni Orelli, wurde 1921 in Airolo geboren und studierte in Freiburg, unter anderem bei Gianfranco Contini. Nach seinem Studium zog er nach Bellinzona, wo er als Dozent für italienische Literatur tätig war. Giorgio Orelli gehört nicht nur zu den bekanntesten Tessiner Schriftstellern, er ist auch einer der bedeutendsten lebenden Vertreter der Generation der um 1920 geborenen italienischen Dichter der Nachkriegszeit (zu der auch Pier Paolo Pasolini und Andrea Zanzotto gehören). Seine wichtigsten Gedichtbände: Né bianco né viola (Lugano, 1944), Prima dell'anno nuovo (Bellinzona, 1952), Poesie (Mailand, 1953), Nel cerchio familiare (Mailand, 1960), L'ora del tempo (Mailand, 1962), Sinopie (Mailand, 1977), Spiracoli (Mailand, 1989) sowie Il collo dell'anitra (Turin, 2001). Auch als Prosaautor und Essayist (z.B. Accertamenti montaliani, Bologna, 1984) kann Orelli zahlreiche Publikationen aufweisen; als Übersetzer kam er vor allem durch seine Versionen Goethes ins Gespräch. Auf Deutsch erschienen die beiden Auswahlbände Rückspiel / Partita di ritorno (Zürich, 1998) sowie Sagt es den Amseln / Ditelo ai merli (Zürich, 2008), beide übersetzt von Christoph Ferber.



Kurt Oesterle anläßlich des Erscheinens von Rückspiel:

Vor dreißig Jahren galt der in Bellinzona lebende Poet als ein Verwegener, der zwar zum einen in der Nachfolge Chiesas stand, zum anderen aber dessen klassisches Literaturideal bekämpfte. Orelli versteht sich als Mann der Moderne, der bei den Italienern Ungaretti, Montale und Saba lernte, sich seine «lebensnotwendige Nahrung» aber auch «im Norden» holte, wie er in einem dieser Auswahl vorangestellten Gespräch mit Alice Vollenweider sagt. Herablassend als Tessiner Heimatdichter getätschelt zu werden, passiert ihm nicht mehr. (...) Und heute zählt die Kritik ihn zu der kleinen Handvoll erstklassiger Dichter im Land, wohlgemerkt: in Italien.
Als begabter Selbstdarsteller behauptet Orelli von sich, gut lesbar zu sein; ein Celan sei neben ihm unverständlich. Hartnäckig bewahrte er sich den Blick nach draußen. Sein Vers will sozusagen nie mit der Sprache einsam sein. Beim Schreiben arbeitet der Dichter an sich und seiner Wirklichkeit. Er treibt sich auf Sportplätzen herum, besteigt die Alpenberge und kennt sich auch auf TrimmdichPfaden aus. «VitaParcours», was für ein Fund für den Poeten, der ein LebensGleichnis, ein DaseinsInbild für die gehetzten, absturzgefährdeten Heutigen sucht. Hoher und weniger hoher Ton rücken bei Orelli eng zusammen, vor allem in profan erscheinenden Augenblicken, etwa im Supermarkt; dort kann er «mit dem Draht/ korb die Verkäuferinnen rammeln,/ um Augen wie Beeren zu ernten».
Zum Tessin hat er ein entspanntes Verhältnis. Es ist für ihn selbstverständliche Heimat und wird nüchtern gesehen. Chauvinismus oder auch nur auftrumpfende Bodenständigkeit liegen Orelli fern. Im Gespräch sagt er, daß die meisten Menschen – heute verwirrt vom Fortschrittsdenken – nicht mehr recht unterscheiden könnten, was man sinnvollerweise erneuern und was man bewahren solle. Wenn unter den Sprachminderheiten in der Schweiz das Deutsche auf dem Vormarsch sei und andere Sprachen zurückdränge, so bedeute das nicht, daß dort von einem Verfall der Werte gesprochen werden müsse. Die Tessiner Polenta aber, die echte aus drei Mehlsorten, sei durch nichts zu ersetzen. Purismus ist das keiner.
Viel eher spiegelt sich darin ein schweizerischrepublikanischer Vorsatz, den schon Gottfried Keller teilte: der, mit so wenig Ideologie wie möglich durchs Leben zu kommen. („Süddeutsche Zeitung“, 7. Oktober 1989)