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06.06.2004 Lyrik.Log Die wöchentliche Gedichtanthologie (2003-2005). Herausgegeben von Ron Winkler. 99: Oswald Egger 98: Arne Rautenberg 97: Achim Wagner 96: Uljana Wolf 95: José F.A. Oliver 94: Maik Lippert 93: Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki 92: Kurt Drawert 91: Holger Benkel 90: Brigitte Fuchs 89: Uwe Tellkamp 88: Tobias Grüterich 87: Uwe Kolbe 86: Clemens Kuhnert 85: Gerhard Falkner 84: Franzobel 83: Wojciech Izaak Strugala 82: Lutz Rathenow 81: Iain Galbraith* 80: Nicolai Kobus 79: Jürgen Theobaldy 78: Rainer Stolz 77: Wilhelm Bartsch 76: Nico Bleutge 75: Mikael Vogel 74: Raphael Urweider 73: Eberhard Häfner 72: Andrej Glusgold 71: Joachim Sartorius 70: Björn Kuhligk 69: Christopher Edgar* 68: Crauss 67: Denise Duhamel 66: Richard Pietraß 65: Norbert Hummelt 64: Nikola Richter 63: Richard Dove 62: Volker Sielaff 61: Günter Kunert 60: Hendrik Rost 59: Lydia Daher 58: Thomas Böhme 57: Florian Voß 56: Franz Hodjak 55: Adrian Kasnitz 54: Marcel Beyer 53: Steffen Brenner* 52: Rotraud Sarker 51: Sabina Naef* 50: Morten Klintø* 49: Renatus Deckert 48: Roza Domascyna 47: Jan Wagner 46: Emma Lew 45: Gintaras Grajauskas 44: Matthias Göritz 43: Paulus Böhmer* 42: Birte Wolmeyer 41: Christian Lehnert 40: Daniela Danz 39: Hauke Hückstädt 38: Ilma Rakusa 37: Gerald Fiebig 36: Anna Hoffmann 35: René Hamann 34: Oskar Pastior* 33: Tom Schulz 32: Monika Rinck* 31: Mirko Bonné 30: Said 29: Daniela Seel 28: Olga Martynova » Internodium 27: Helwig Brunner* 26: Lutz Seiler 25: Ulf Stolterfoht 24: Nick Riemer 23: Elke Erb 22: William Stone 21: Daniel Falb 20: Raoul Schrott* 19: Ulrike Draesner* 18: Stan Lafleur 17: Silke Scheuermann 16: Jörg Schieke 15: Jan Volker Röhnert 14: Marion Poschmann* 13: Anne Beresford* 12: Lars-Arvid Brischke 11: Bert Papenfuß 10: Volker Braun 09: Cornelia Schmerle 08: Guy Helminger 07: Michael Hamburger* 06: Hartwig Mauritz 05: Jürgen Nendza 04: Maren Ruben 03: Frans Budé 02: Friederike Mayröcker* 01: Andreas Altmann* * mit Anmerkungen Die Rechte an den Texten liegen, soweit nicht anders gekennzeichnet, bei den jeweiligen Autoren. (Betrifft den Zeitpunkt der Veröffentlichung) |
Lyrik.Log 69Christopher EdgarDie Wolke der UngewißheitIst gar keine Wolke Sondern eine Wand so günstig angestrichen Daß sie eine Gasse von Bäumen scheint Manche glauben diesen Hohlweg Von jeder Seite zu erreichen Während ihn andere für den direkten Weg Zum Rest des Sommers halten, den ausgemusterten Ankerplatz Hinter dem spiralförmigen Kai Doch wir haben diese Wolke, du und ich, gesehen, gerade Als wir aufbrachen Martini über den Ungläubigen zu schütten War sie da, fünfzig Meilen südlich Tripolis Irgendwann in den späten 50ern, und hing über einem italienischen Restaurant An den Rand einer Senke gekauert Kellner in weißen Tuniken und pechschwarzem Haar brachten uns Cannelloni und Chianti, doch gleichzeitig brachten sie uns Weder Cannelloni noch Chianti Wir waren auf dem Meer wie immer in jener Zeit Auf einer Fähre ja der Dover Fähre Alle wuchteten sie Fetzen von Sägemehl über das ganze Deck Stets von der Wolke gefolgt Die Sonne kam heraus noch während es regnete Im Norden Leningrads ist die Straßenbahn zuende Wir waten durch schlammige Äcker zwischen Grausigen Plattenbauten in farbloser Landschaft Tag um Nacht, im Schneematsch pfeifend Werden Wälder aus dem Schlamm, hinter den Wäldern Gelangen wir schließlich ins kleine Pfahldorf auf der andren Hügelseite Schälborkendächer wie in dem Gedicht Mit einer kleinen orthodoxen Kirche, ein bißchen wie St. Cloud Aus der Entfernung kommt es mir wie Altes Rußland vor Wir treffen den Popen den ich sofort Mag. Gehen wie alte Freunde auseinander Haben ihn nie wieder gesehen Lustig wie die Gesichtsausdrücke von Vater und Sohn Taschendiebe in einer Juni-Rushhour der U-Bahn Von Mexiko-City dich plötzlich dazu bringen Ihnen die Hand zu schütteln »¡Que pasa?!« Sahen aus als hätten sie einen Geist erblickt So ein Gesicht muß ich gemacht haben, als ich im Traum Meinen Ausweis verlor. Ich war in Heathrow und legte meinen Mantel Auf dem bequemen – zu bequemen – Ständer vor den Duty-Free-Shops ab Die pakistanische Frau am Gate war sehr hilfsbereit Doch konnte mir nicht helfen Aus irgendeinem Grund interessierte ich mich nur dafür Welche Sprachen sie beherrschte In Wahrheit wollte ich sie bloß dazu bringen Urdu zu sagen, was sie auch tat. The Cloud of UnknowingIs not a cloud at all But a wall colored so efficiently It seems to be an alley of trees Some believe this cul de sac Can be approached from every angle While others consider it merely a frontage road To the remnants of summer, the disused Anchorage inside the spiral jetty But we have seen this cloud, you and I have Just before we set out to martinize the infidel It was there, fifty miles south of Tripoli Sometime in the late ‘50s, hovering above an Italian restaurant perched on the edge of a depression White-tunicked waiters with jet-black hair served us Cannelloni and Chianti yet at the same time did not Serve us cannelloni and Chianti We were at sea as we always were in those times On a ferry yes the dover ferry Everyone was heaving Patches of sawdust everywhere on deck Always followed by the cloud The sun came out but it was still raining North of Leningrad the tramline ends We trudge through acres of mud between Grim apartment blocks in a colorless landscape Day for night, whistling in the sleet The mud becomes woods, beyond the woods We finally reach the little wooden village on the far side of a hill Bent-bark roofs as in the poem With a little Orthodox church, a bit like St-Cloud From a distance this is Old Russia I think We meet the priest whom I like Immediately we parted as old friends Never saw him again Funny, like the facial expressions of the father and son Pickpocket team in the Mexico City subway June rush hour you all of a sudden turn to Shake their hands »¡Que pasa?!« They looked as if they had seen a ghost Probably like my own face when I lost my passport In a dream. I was in heathrow and hung my coat On the convenient too convenient rack outside the duty-free shops The Pakistani woman at the gate was very helpful But could not help me For some reason I was interested only In which languages she spoke The truth was all I wanted was for her To say Urdu, which she did. Christopher Edgar geboren 1961, lebt in New York City. 2003 erschien sein Gedichtband At Port Royal, dem das hier vorgestellte Gedicht mit freundlicher Genehmigung des Verlages (Adventures in Poetry, Brookline) entnommen ist. Ausgewählt und übersetzt von Jan Volker Röhnert.
John Ashbery schreibt über das Gedicht:
»Die Wolke der Ungewißheit« … verdankt den Titel einem mystischen englischen Traktat aus dem vierzehnten Jahrhundert. Dort ist die »Wolke« eine unglückliche, doch notwendige Trübung, durch die Gott zu seinen Getreuen ruft und die sie unverzüglich durchdringen müssen, um Ihn kennenzulernen. Hier [bei Edgar] ist die Wolke voll von Erdenorten wie der Sahara, dem »Alten Rußland«, und Heathrow Airport, die durcheinandergebracht sind wie die Teilchen eines globalen Puzzlespiels. Doch in der Verwirrung steckt ein Geheimnis. Kunst, Artefakte, Dinge und Menschen nehmen am Mensch- und Objektsein des jeweils anderen teil. Alles steht zueinander in gefühlvoller Beziehung, ist Teil einer umfassenden Ordnung. Edgars Gedichte sind anders als alles was ich je las: tief, wunderschön und frei heraus lustig.
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