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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




31. Dezember 2018
Thomas Vorwerk
für satt.org


Cinemania-Logo 195:
Sinneswandel



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  Drei Gesichter (Jafar Panahi)

Drei Gesichter
(Jafar Panahi)

Originaltitel: Se rokh, Dt. Titel: Drei Gesichter, Iran 2018, Buch: Jafar Panahi, Nader Saeivar, Kamera: Amin Jafari, Schnitt: Mastaneh Mohajer, Panah Panahi, Production Design: Leila Naghdi Pari, mit Behnaz Jafari (Behnaz), Jafar Panahi (Jafar), Marziyeh Rezaei (Marziyeh), Maedeh Erteghaei (Maedeh), Narges Delaram (Mutter), 100 Min., Kinostart: 26. Dezember 2018

Bei einem Film von Jafar Panahi muss man jeweils das Hintergrundwissen über die besonderen Arbeitsumstände des Regisseurs mit ins Kino bringen, denn sie werden pausenlos im Film thematisiert. Über Panahi wurde 2010 wegen seine kritischen Stellungnahmen ein zwanzigjähriges Berufsverbot ausgesprochen. Er dreht aber tapfer weiter, entweder in seiner Wohnung (This is not a Film) oder mit einer fest eingebauten Autokamera (Taxi Teheran) und wird seitdem weitaus mehr beachtet und mit Filmpreisen bedacht als zuvor.

Se rokh ist in diesem Jahrzehnt eindeutig sein »normal« aussehendster Film, ein Road Movie, das in Panahis Heimat gedreht wurde, in drei Dörfern, wo man ihn mit Stillschweigen unterstützte. Es ist kaum möglich, die Umstandsbedingungen vom eigentlichen Film zu trennen, man schleppt sie als Zuschauer wie Altschulden mit ins Kino - und dieses Spiel funktioniert für unterschiedliche Zuschauer unterschiedlich gut.

In Cannes wurde er dieses Jahr mit dem Drehbuchpreis ausgezeichnet, doch ungeachtet seiner Leistung teile ich den Enthusiasmus der Welt nicht uneingeschränkt.

Der Film beginnt mit einem Handyvideo, auf dem eine junge Frau davon berichtet, dass sie trotz Zulassung nicht auf die Schauspielschule gehen darf. Sie bittet ihre prominente, aber ihr nicht persönlich bekannte Kollegin Behnaz Jafari (im Film spielen fast alle Darsteller sich selbst, Panahi gehört mittlerweile ähnlich wie Michael Moore zum Stammpersonal auch vor der Kamera) durch Weiterleitung des Videos, sich für das Mädchen einzusetzen. »Danke, dass sie sich das Video bis zum Ende angeschaut haben« tönt es aus dem Smartphone, doch die durchaus professionell wirkende Videobotschaft endet damit, dass sich Marziyeh, so heißt die verhinderte Jungschauspielerin, sich erhängt.

Behnaz zieht ihren guten Freund Jafar Panahi mit in die Geschichte und man beratschlagt, ob das Video echt sei. War da nicht ein Schnitt, als der sich aufnehmenden jungen Frau das Aufnahmegerät beim Selbstmord aus der Hand fällt? Gemeinsam macht man sich auf, das Mädchen - tot oder lebendig - zu finden und der Geschichte auf den Grund zu gehen. Klingt wie eine großartige Storyidee, ganz zugeschnitten auf Panahis Arbeitsbedingungen.

Da das Handyvideo zu Beginn des Films im Hochformat das mittlere Drittel der Kinoleinwand einnahm, entwickelte ich schnell die Theorie, dass sich passend zum Filmtitel vielleicht »Drei Gesichter« »nebeneinander gesellen könnten«, doch die eigentliche Bedeutung des Filmtitels (ich hatte eine Theorie, die aber knapp vorbei schrappte) bezieht sich auf die Gesichter von drei Schauspielerinnen (im Iran ohne hin kein angesehener Beruf) in unterschiedlichen Phasen ihrer »Karriere«. Die dritte Frau mit Namen Sharzad lebt zurückgezogen am Ortsrand eines der Dörfer, man sieht sie höchstens mal als Silhouette im Fenster eines Hauses, das offensichtlich nur dafür gebaut wurde, dass das Fenster wie das Äquivalent einer Kinoleinwand eingesetzt werden kann. Was schon extrem meta ist und spätestens hier den durchaus gegebenen Realitätsrahmen des Films sprengt.

Schon zuvor tauchte ein Bruder der vermissten Marzieh auf, eine ziemlich idiotische Figur, die vor allem herum wütet und dabei so wirkt, als hätte sie keine eigenen Motivationen für das gezeigte Verhalten, sondern nur fürs Drehbuch einen (blöden) Standpunkt präsentiert. Sorry, aber für mich ist das nicht der Stoff, für den man Drehbuchpreise raushaut. Die Handlung mäandert zu sehr in der Landschaft herum, vieles (wie eine zerbrochene Autoscheibe) sieht man schon von weitem herannahen, und auch des Ende des Films zeigt zwar Potential, ist aber zu sehr auf einen Effekt hin inszeniert, der dann im Endeffekt eher verpufft.

Zugegeben, der Film hat auch mehrere tolle Momente, wenn etwa die Mutter des Regisseurs besorgt anruft: »Alle erzählen, Du bist unterwegs um einen Film zu drehen«, Panahi sie aber beruhigt: »Nein, Mama, das ist nur ein Gerücht. Ich drehe keinen Film, Du musst Dir keine Sorgen machen. Wenn ich einen Film drehe, bist Du die Erste, die es erfährt.« Die Dinge auf mehreren Ebenen funktionieren, doch wenn der Film sich nur in Symbolismen und Allegorien ergeht, die der eigentlichen Handlung nicht weiterhelfen, ist Se rokh viel mehr umständlich bemühtes Kunstkino als ein Film, der etwas über die iranische Gesellschaft erzählt.


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  Ben is back (Peter Hedges)

Ben is back
(Peter Hedges)

USA 2018, Buch: Peter Hedges, Kamera: Stuart Dryburgh, Schnitt: Ian Blume, Musik: Dickon Hinchliffe, Kostüme: Melissa Toth, Production Design: Ford Wheeler, Art Direction: Andy Eklund, mit Julia Roberts (Holly Burns), Lucas Hedges (Ben Burns), Courtney B. Vance (Neal Beeby), Kathryn Newton (Ivy Burns), Rachel Bay Jones (Beth Conyers), David Zaldivar (Spencer »Spider« Webbs), Alexandra Park (Cara K), Michael Esper (Clayton), Tim Guinee (Phil), Myra Lucretia Taylor (Sally), Kristin Griffith (Mrs. Crane), Jack Davidson (Dr. Crane), Mia Fowler (Lacey Burns-Beeby), Jakari Fraser (Liam Burns-Beeby), Cameron Roberts (James Lamson), Jeff Auer (Maggie's Dad), Henry Stram (Mr. Richman), Gamze Ceylan (Pharmacist), Michelle Hedges (Carole H.), 103 Min., Kinostart: 10. Januar 2019

Knaben mit Oscarnominierungen

Peter Hedges wurde (zumindest mir) als Drehbuchautor bekannt (er adaptierte seinen eigenen Debütroman What's eating Gilbert Grape?, für dessen Verfilmung durch Lasse Hallström einst Leonardo DiCaprio seine erste Oscarnominierung erhielt). Während Hedges weiterhin als Autor in diversen Kapazitäten arbeitet (oscarnominiert für About a Boy), legt er jetzt auch seine vierte Regiearbeit vor (nur der Abstand zwischen den Filmen nimmt leicht zu). Alle seine Filme drehen sich um Familien, und die ersten drei Filme fand ich auch durchweg gelungen, zum hierzulande nur im Heimkino gestarteten The Odd Life of Timothy Green habe ich eine besondere Beziehung.

Schon in Dan in Real Life, einem Vehikel rund um Steve Carell, der 2007 nach zwei Staffeln The Office auch im Kino Fuß fassen wollte, spielte Hedges' Sohn Lucas als pre-teen eine kleine Rolle in Papas Film, bis zu seiner ersten Oscar-Nominierung in Manchester by the Sea musste er aber noch etwas warten.

2018 konnte man den Lucas in Lady Bird oder Three Billboards outside Ebbing, Missouri bestaunen, mit der Rolle als drogenabhängigem Ben war er indessen etwas überfordert. Es ist nicht so, dass der Film nur durch Lucas Hedges scheitert, die ambitionierte Story eckt an mehreren Stellen an.

Dass Julia Roberts Bens Mutter spielt, die um ihren Sohn kämpft, hat mich weder zu einem Kinobesuch bewegt noch davon abgehalten. Mir ging es um Peter Hedges, der mich zuvor nie enttäuscht hatte. Doch schon früh fiel mir auf, dass die problematische Familienzusammenführung zu einem anstehenden Feiertag (das Weihnachtsthema wird vom deutschen Kinostart komplett verschenkt) mich erstaunlich stark an Hedges' Regiedebüt Pieces of April erinnerte, der mich mit seinen bescheidenen Mitteln einst sehr anrührte (erstaunliches Detail am Rande: in drei von vier Hedges-Regiearbeiten geht es um eine Familie Burns, im anderen Film heißt man Green). Die Geschichte von Ben is back wirkt gut gemeint, aber man macht zu viele Anstrengungen, die Elternteil-Kind-Drogengeschichte über unterschiedliche Genreanleihen für ein großes Publikum emotional ansprechend zu gestalten. Unter anderem kämpft man nicht nur um das Leben von Ben, auch der Familienhund wird von einem Drogendealer entführt und muss gerettet werden, was zu etwas aufgeplusterter Dramatik führt.

Ich sah Ben is back zu einem früheren Zeitpunkt als zwei andere US-Filme zum selben Thema, Diane und Beautiful Boy, die beide weitaus mehr aus der Prämisse machen (Diane geht auch weit über dieses Thema hinaus). Irgendwann im Ben-Film meinte ich zu meiner Sitznachbarin, wer jetzt wohl in der Geschichte sterben müsse, damit ich mich noch irgendwie mit dem bis auf einige Schlenker sehr vorhersehbaren Film anfreunden könne.

Ich verrate natürlich nichts über den body count oder ob Sohn und / oder Hund gerettet werden konnten, kann aber aus meiner Sicht attestieren, dass der Film nicht gerettet wurde. Gerade die späten Szenen lassen die anfänglichen Ideen oder den komplexen Aufbau der Familien-Synergien noch vergleichsweise glänzen.

Timothée Chalamet aus Beautiful Boy spielte übrigens wie Lucas Hedges in Lady Bird mit. Chalamet wurde bekanntlich für Call me by your Name oscarnominiert, diesen Schlenker, der so gut wie nichts zum besprochenen Film beiträgt, wollte ich noch unterbringen.

Fazit: Wer nicht ein Riesen-Julia-Roberts-Fan ist oder ein Auge auf die hier trotz doofer Rolle durchaus kompetente Newcomerin Kathryn Newton geworfen hat, sollte lieber zu Beautiful Boy gehen, da spielt übrigens der mittlerweile auch in ernsten Rollen etablierte und für Foxcatcher oscarnominerte Steve Carell den Vater, der um seinen Junkie-Sohn kämpft. (Diane läuft nur am 1. und 14. Januar im American Independent Film Fest Unknown Pleasures #10 in Berlin.)

Kritiken zu den beiden anderen (besseren) Filmen sehr bald an dieser Stelle...


Nachtrag: Den geneigten Lesenden wird nicht entgangen sein, dass ich diesmal regelrecht Achten um den Film herum schreibe. Habe leider meine Notizen verloren, die ich wegen vergessenem Notizblock auf zwei Aldi-Bons kritzelte, von denen einer noch irgendwo in meiner Wohnung liegen müsste. Deshalb diesmal ein weniger detaillierter Blick auf den Film und stattdessen mal eine eigenwillige Herangehensweise. That's why I like to work for decades (without payment) for satt.org where I can pretty much do whatever I fucking like. Manchmal ist so ein Text sogar interessanter als eine eingehende Filmbetrachtung.


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  Mary Shelley (Haifaa Al Mansour)

Mary Shelley
(Haifaa Al Mansour)

UK / Luxemburg / USA 2017, Buch: Emma Jensen, Haifaa Al-Mansour, Kamera: David Ungaro, Schnitt: Alex Mackie, Musik: Amelia Warner, Kostüme: Caroline Koener, Production Design: Paki Smith, Supervising Art Director: Nigel Pollock, mit Elle Fanning (Mary Shelley), Douglas Booth (Percy Shelley), Bel Powley (Claire Clairmont), Tom Sturridge (Lord Byron), Ben Hardy (John Polidori), Stephen Dillane William Godwin), Joanne Froggart (Mary Jane Clairmont), Derek Riddell (William Baxter), Maisie Williams (Isabel Baxter),Hugh O'Conor (Samuel Taylor Coleridge), Stuart Graham (Publisher), Ciara Charteris (Harriet Shelley), Jack Hickey (Thomas Hogg), Sarah Lamesch (Eliza), Nathan Vos (Young Percy Shelley), Chloe Vos (Lathe Shelley), 120 Min., Kinostart: 27. Dezember 2018

  Colette (Wash Westmoreland)

Colette
(Wash Westmoreland)

UK / USA 2018, Buch: Richard Glatzer, Wash Westmoreland, Rebecca D. Lenkiewicz (Story: Richrd Glatzer), Kamera: Giles Nuttgens, Schnitt: Lucia Zucchetti, Musik: Thomas Adàs, Kostüme: Andrea Flesch, Production Design: Michael Carlin, Supervising Art Director: Katja Soltes, mit Keira Knightley (Colette), Dominic West (Willy), Fiona Shaw (Sido), Robert Pugh (Jules), Sloan Thompson (Matilde), Arabella Weir (Mme. de Caillavet), Máté Haumann (Count Muffat), Ray Panthaki (Veber), Al Weaver (Schwob), Virág Bárány (Lotte Kinceler), Dickie Beau (Wague), Janine Harouni (Jeanne de Caillavet), Jake Graf (Gaston de Caillavet), Julian Wadham (Ollendorff), Polina Litvak (Lily), Dorcas Coppin (Young Claudine), Caroline Boulton (Flossy),111 Min., Kinostart: 3. Januar 2019

Der #MeToo-Backlash

Wie sich zum Jahreswechsel drei Filme mit quasi exakt der selben Geschichte in die Kinos drängen, um um die Gunst der Zuschauer zu buhlen, das ist schon beeindruckend. Die #MeToo-Debatte scheint mir hieran nicht unschuldig, auch wenn ich (als ausgebildeter Wissenschaftler und nur Hobby-Journalist) nicht verschweigen will, dass Mary Shelley schon im September 2017 auf dem Filmfestival in Toronto lief (das deutsche Filmplakat lügt!) und Richard Glatzer, der die Story zu Colette ersann (er war früher der Lebenspartner von Regisseur Wash Westmoreland, zusammen stemmten sie den ziemlich großartigen Still Alice) im März 2015 verstarb, während die ganze #MeToo-Kiste mit tatkräftiger Unterstützung von Harvey Weinstein erst (so sagt Wikipedia) Mitte Oktober 2017 hochkochte.

Der dritte Film, von dem ich an dieser Stelle nicht direkt reden möchte (und ich kann meine LeserInnen auch nur anregen, keine Recherche anzustreben), basiert sogar auf einem Roman von 2003. Doch das geballte Auftreten dieser Filme ist so extrem, dass man diesen Trend einfach thematisch aufgreifen muss, selbst, wenn ich gerade selbst ausgeführt habe, dass Gevatter Zufall auch ein wenig sein Händchen im Spiel hatte.

Mary Shelley, die Autorin von Frankenstein; Or: The Modern Prometheus (veröffentlicht am 1.1. 1818, den zweihundertsten Geburtstag hat somit zumindest der deutsche Verleih fast verschlafen) hat im nach ihr benannten Film das selbe Problem wie ihre französische Kollegin Sidonie-Gabrielle Colette, deren bekanntestes Werk wohl die Novelle Gigi (1944) ist, bekannt durch die Verfilmung mit Leslie Caron (Oscar als Bester Film für das Jahr 1958). Es gab auch eine weniger bekannte französische Filmfassung von 1949 und Audrey Hepburn spielte Gigi auf dem Broadway. Das war 1951, im Jahr von The Lavender Hill Mob (eine Ealing-Komödie um Eiffelturm-Modelle, in der Hepburn eine kleine Rolle spielte), und Hepburns Theatererfolg bescherte ihr den Stardurchbruch in Roman Holiday (1953), sie war damit sogar die historisch erste Schauspielerin, die für die selbe Rolle einen Oscar, einen Golden Globe und einen BAFTA Award abgriff. But I digress.

Mary Shelley und Colette sind in den Titelrollen jeweils mit bekannten und erprobten Schauspielerinnen besetzt. Elle Fanning mag ich eigentlich, aber in der Schmonzetten-Rolle als Mary Shelley hat sie mich genervt wie nie zuvor. Da überzeugte sie mich selbst als Sechsjährige in The Door in the Floor weitaus mehr. Mit Keira Knightley habe ich eine lange Hassliebe (ohne den Liebesteil). Bend it like Beckham war okay, in Pride & Prejudice war sie schon eine mittelschwere Fehlbesetzung, und nach dem zweiten Pirates-of-the-Caribbean-Film (den ich generell schrecklich fand, wo mir Teil 1 durchaus zusagte), habe ich nicht nur nie wieder einen Film der Piratenserie um Johnny Depp gesehen, sondern auch Keira Knightley Hollywood-Karriere mit Inbrunst boykottiert. Bei Atonement (bin Ian-Mc-Ewan-Fan) wurde das noch durch eine PV in Synchronfassung motiviert, aber von 2007 bis 2015 habe ich keinen einzigen Film mit ihr im Kino gesehen (Never let me go, Atonement und Anna Karenina habe ich aber irgendwann auf DVD nachgeholt), erst bei Collateral Beauty bin ich schwach geworden (war ein bezahlter Auftrag, da prostituiere ich mich schon mal). Bei The Nutcracker and the Four Realms hatte ich irgendwie komplett verdrängt, dass sie mitspielt (hatte das Kino aber längst genervt verlassen, bevor sie ihren ersten Auftritt hatte), und bei Colette erwartete ich mir irgendwas vom Regisseur und brauchte auch noch gesichtete Filme, die ich fürs Januar-Heft von Applaus anbieten konnte.

Wenn man jahrelang etwas nicht isst, was man früher verabscheute, kann es sein, dass es einem dann bei einem späteren Versuch durchaus mundet. Bei Keira Knightley war es jedoch andersherum. Ich wusste schon gar nicht mehr, wie schrecklich ich sie finden kann. Gleich zu Beginn gibt es eine Szene, wo Colette eine Katze beobachtet und lächelt. Wenn man kein Riesen-Katzenhasser ist, braucht man dafür keine oscarreifen Schauspielfähigkeiten. Aber Frau Knightley hat es geschafft, dass ich ihr nicht einmal dieses Lächeln abnahm. Für mich war das keine Reaktion auf die Katze (die tatsächlich direkt neben ihr in der Szene befindlich war und nicht etwa durch die Montage nachträglich eingebaut wurde), sondern ein abgespultes, jahrelang trainiertes Lächeln, das vom Drehbuch gefordert wurde.

Ich gebe zu, das ist nicht fair und bringt den Film in eine schlechte Ausgangsposition - aber der Streifen war auch einfach nicht gut.

Bei meinem ganzen Geschwafel habe ich noch gar nicht erwähnt, worin eigentlich die Ähnlichkeit der Filme besteht, und was sie mit dem Kampf für Frauenrechte zu tun hat. Sowohl Colette als auch Mary heiraten in der Anfangsphase ihrer Biopics einen Schriftsteller, der in unterschiedlicher Weise auch die Gattin zur Schriftstellerei führt - und beide Male wird das Werk (Frankenstein bzw. der einstige Überraschungserfolg Claudine, der sich zu einer vierteiligen Buchreihe ausweitete) unter dem Namen der etablierten männlichen Autoren veröffentlicht, was dann über kurz oder lang zum Aufbegehren der talentierten Damen führt.

Die Standard-Geschichte verläuft jetzt wie folgt (übrigens auch in Film Nr. 3): der eitle Geck von Schreiberling offenbart charakterliche Schwächen (Fremdgehen, Rumhuren, Drogenaffinität, Verschuldung in variablen Kombinationen), während die über jeden Verdacht erhabene Frau im Hintergrund leidet, schreibt und / oder um ihre schriftstellerische Emanzipation kämpft.

Der spannendste Neben-Handlungsstrang bei Colette dreht sich um die sexuelle Umorientierung der Heldin, Bei Mary Shelley kenne ich mich etwas besser mit den Hintergründen aus (Anglistik-Studium, letztes oder vorletztes Jahr die Penguin Classics Deluxe Edition von Frankenstein mit einer Menge Bonus-Infomaterial gelesen) und einiges erschien mir reichlich seltsam (Dr. Polidori hat man etwa ganz gezielt für die Drehbuchziele zurechtgebogen). Aber an der Seite von Elle Fanning taucht hin und wieder Bel Powley (The Diary of a Teenage Girl, A Royal Night Out) als deren Stiefschwester auf, die wenigstens etwas Schwung in die angestaubte Schnöselparade bringt. Die aus Saudi-Arabien (!) stammende Regisseurin Haifaa Al-Mansour wurde für Das Mädchen Wadjda abgefeiert (ich kenne den Film nicht und enthalte mich eines Urteils), aber ihr internationales Debüt hat außer einiger Schauwerte und ansatzweise filmsprachlich interessanter Traumsequenzen wenig zu bieten. Dafür aber für meinen Geschmack viel zu viel Engelsgesang mit Klaviergeklimper und immer wieder Einstellungen vom Himmel (manchmal sogar mit Sternschnuppe), die wohl etwas von der Empfindsamkeit der Personen und dem damaligen Poesieverständnis herüberbringen sollen, aber leider größtenteils nur peinlich wirken.

Und auch bei Wash Westmoreland, der in Still Alice viel Verständnis für Subtilität und Nuancen zeigte, wundert man sich, mit welch ungelenken breiten Pinselstrichen er sein historisches Dichterinnen-Porträt vollendet, nicht zuletzt auch, was die queeren Themen angeht. Meine Empfehlung: beide Filme weiträumig umfahren und auf den dritten warten, den ich aber aus Spoilergründen nicht direkt bewerben möchte, weil hier die selben Themen etwas mehr für den Twist gegen Ende zurückgehalten werden. Aber hier funktioniert die Aufbereitung des literarischen Gender-Mächtekampfes wenigstens. Vielleicht auch, weil man sich ganz darauf konzentrieren kann und es nicht auch noch um Authentizität historischer Kostüme geht (die Geschichte ist beinahe zeitgenössisch), die sich in Colette und noch stärker in Mary Shelley irgendwie unangemessen in den Vordergrund drängen und das eigentliche Thema überschatten.


Demnächst in Cinemania 196 (American Dream Family):
Startaktuelle Rezensionen, vermutlich zu Fahrenheit 11/9 (Michael Moore), Generation Wealth (Lauren Greenfield), Plötzlich Familie (Sean Anders) und Womit haben wir das verdient? (Eva Spreitzhofer).