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30. Juni 2023
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Indiana Jones und das Rad des Schicksals (James Mangold)


Indiana Jones
und das
Rad des Schicksals
(James Mangold)

Originaltitel: Indiana Jones and the Dial of Destiny, USA 2023, Buch: Jez Butterworth, John-Henry Butterworth, David Koepp, James Mangold, Kamera: Phedon Papamichael, Schnitt: Andrew Buckland, Michael McCusker, Dirk Westervelt, Musik: John Williams, Kostüme: Joanna Johnston, Production Design: Adam Stockhausen, Supervising Art Director: Martin Foley, mit Harrison Ford (Prof. Dr. Henry »Indiana« Jones), Phoebe Waller-Bridge (Helena Shaw), Mads Mikkelsen (Dr. Jürgen Voller), Ethann Bergua-Isidore (Teddy), Boyd Holbrook (Klaber), Shaunette Renée Wilson (Agent Mason), John Rhys-Davies (Sallah), Toby Jones (Basil Shaw), Antonio Banderas (Renaldo), Karen Allen (Marion Ravenwood), Billy Postlethwaite (Prof. Donner), Olivier Richters (Hauke), Nasser Memarzia (Archimedes), Thomas Kretschmann (Colonel Weber), Alaa Safi (Rahim), Mark Killeen (Pontimus), Chase Brown (Larry / Beat Poet Guy), Guy Paul (Prof. Plimpton), Anthony Ingruber, Mike Massa (1944 Indiana Jones Doubles), 154 Min., Kinostart: 29. Juni 2023

Vor dem Film bastelte ich an einer Witzzeichnung herum. Ich schnappte mir Mr. Magoo, zog ihm ein Indiana-Jones-Kostüm (inkl. Fedora) an, und unter dem Titel-Logo »Fluch der verbummelten Lesehilfe« (in den nachempfundenen gelb-roten Lettern) und Captions wie »Er ist wieder da!« oder »In seinem achten Kinofilm!« näherte sich der alte Herr mit einem Rollator einem kleinen Garderobenschrank. Gleich darüber hing an einem Kleiderhaken die berühmte Peitsche, doch der Greis griff etwas tiefer in Richtung einer sich akustisch bemerkbar machenden Klapperschlange (ich habe keinen Schimmer, wie die da hingekommen ist). Ich hatte mich noch nicht entschieden, ob ich noch eine Denkblase ergänzen müsste im Sinne von »Die Peitsche macht seltsame Geräusche! Muss ich mal wieder ölen...«

Abgesehen von der ernüchternden Erkenntnis, dass von ca. 4-5 Probanden aus meinem Umfeld exakt keiner den Witz ohne lange Erklärungen verstand (am schlimmsten fand ich die Interpretation, dass der ältere Herr wohl Karl Malden aus Die Straßen von San Francisco sein soll), hatte ich nach Sichtung des Films einfach das Gefühl, der neue Indiana-Jones-Film habe mehr Respekt verdient. Regisseur James Mangold, der nach vier Spielberg-Streifen übernahm, ist zwar jünger als jener Regisseur, den man automatisch mit der Figur verbindet, hat aber mit seinen Filmen Copland und Logan schon umfassend bewiesen, dass ihm das Thema Alter (ja, da geht es bei einem mittlerweile 80jährigen Harrison Ford nicht drumherum) besonders liegt. Ich habe meine These nicht umfassend geprüft, aber nicht zuletzt aufgrund der gelungenen Umsetzung dieses thematischen Schwerpunkts dürfte es sich bei Indiana Jones and the Dial of Destiny wohl um den bisher gelungensten Schlussfilm einer bekannten Filmserie handeln. Oder mit anderen Worten: wer nur je das geringste Interesse an der Figur des abenteuerlichen Archäologen hatte, sollte diesen Film nicht verpassen.

Weil es mittlerweile technisch möglich ist, beginnt der Film mit einem vergleichsweise noch jungen Indiana Jones. Im Jahr 1944 muss er sich mal wieder mit Nazis herumschlagen, wobei er sich diesmal um den körperlich nicht in Topform befindlichen Gelehrten-Kollegen Basil Shaw (Toby Jones) kümmern muss, den er wie zuvor unzählige Weggefährten mehrfach vor einer erdrückenden Übermacht von deutschen Soldaten retten muss. Die Funktion dieser Einstiegszenen ist neben der Etablierung mindestens zweier wichtiger Figuren vor allem die Vorbereitung für einen Kontrast, den auch Zuschauer*Innen, die nie von »Indy« gehört haben, zwischen dem jungen Abenteurer und dem später im Jahr 1969 auftauchenden grauhaarigen Herrn ohne weiteres erkennen können.

Indiana Jones und das Rad des Schicksals (James Mangold)

© & ™ Lucasfilm Ltd. / Disney. All Rights Reserved.

Die Passage im Jahr 1944 entspricht sehr den bekannten Filmen 1 bis 4 und dem spielerischen Inszenierungsstil, wie ihn Steven Spielberg auch in seiner Tim und Struppi-Verfilmung demonstriert hat. Das hält einen im Kinosessel bei Laune, hat mich aber zunächst nicht verzückt. Langjährige Leser*Innen meiner Kritiken wissen, dass ich mich all zu sehr über Kleinigkeiten echauffiere, aber exemplarisch hier ein paar Punkte, die mich hier (wir sind immer noch 1944) gestört haben:

  • Die computergestützte Verjüngung von Harrison Ford gelingt ziemlich gut, nur wenn die Augen seiner Gollum-Version etwa dem direkten Licht einer Taschenlampe ausgesetzt sind, leidet die Illusion sehr. Ein wenig zusätzliche Arbeit an den vielleicht hundertfünfzig betroffenen Frames hätten Wunder wirken können.
  • Positiv aufgefallen sind mir die deutschen Dialoge, die sogar nicht durchgehend untertitelt sind, weil man begriffen hat, dass das Publikum gar nicht alles exakt verstehen muss, was sich die Nazischergen da so entgegenblaffen. Einige der Darsteller sind wie Thomas Kretschmann auch genuine Muttersprachler oder kommen dem zumindest sehr nah (Mads Mikkelsen hat ja auch schon mal mit Anno Saul gedreht und mich damals schon überzeugt). Aber immer, wenn in englischsprachigen Werken deutsch gesprochen wird (oder in Comics geschrieben), bin ich sehr aufmerksam und ärgere mich dann meistens, dass man nicht einfach einen Experten hat drüberschauen lassen. Wahrscheinlich hatte ja sogar Mel Gibson einst einen aramäischen Dialogcoach. Einmal gibt es einen Wortwitz, der sich auch nichtdeutschen Ohren erschließen soll. Mads Mikkelsen sagt mit Vehemenz, weil es die Ziele seiner Figur demonstriert, »Ich muss«, der andere schneidet ihm das Wort ab: »Sie mussen warten!« Close, but no cigar! Die andere blöde Stelle auf Deutsch bringt dann auch noch über den Untertitel die Erklärung mit: »the Führer's special relic« wurde dann offenbar schwach »zurückübersetzt« als »das spezielle Relikt des Führers« - da ist man jämmerlich einem false friend aufgesessen. »special« und »speziell« können zwar dasselbe bedeuten, aber man benutzt die Worte halt anders. Deshalb heißen special effects auch Spezialeffekte, bei special needs hingegen passt »speziell« ganz gut. Ende der Vorlesung.
  • An einer Stelle sieht man Indiana Jones mal über das Dach eines Zuges laufen. Ein Standard-Stunt im alten Hollywood, heutzutage kann ich nachvollziehen, dass man dafür nicht einen eigens erstellten, historisch möglichst akkuraten Zug über womöglich eigens verlegte Gleise rattern lässt, sondern auf den Rechner zurückgreift. Allerdings: wenn ein, meinetwegen auch physisch auf dem Höhepunkt befindlicher Mann über das Dach eines Zuges läuft (und der Zug bewegt sich schnell in die selbe Richtung, in die der Mann läuft), dann sollte man auch irgendwelche physikalischen Einwirkungen auf diesen Lauf erkennen. Was man hier versäumt hat.
  • Ein letzter, und unwichtigster kleiner Punkt: Später im Film springen zwei Personen vom Zug in einen darunter befindlichen Fluss. In einer Einstellung sieht man sie aus der Vogelperspektive hintereinander eintauchen, die Entfernung zwischen den beiden würde ich bei 15 Metern einschätzen. Wenn sie dann auftauchen, liegen vielleicht drei Meter zwischen ihnen. Ich kann verstehen, dass die zweite Einstellung extra hübsch kadriert wurde, und die Einstellung davor vielleicht auch mit Abstand zwischen den beiden besser wirkt, aber solche Dinge fallen mir einfach auf. Und leider nicht positiv.

Indiana Jones und das Rad des Schicksals (James Mangold)

© & ™ Lucasfilm Ltd. / Disney. All Rights Reserved.

Im Jahr 1969 fängt der Film dann quasi neu an, Harrison Ford wird gleich zu Beginn in seiner nicht gerade prächtigen Mietwohnung von »Magical Mystery Tour« von den Beatles geweckt, und ein grauhaariger Mann in einer verschlissenen Shorts schnappt sich seinen Baseballschläge, um bei den Nachbarn die Ruhestörung abzustellen. Nur, dass die selbe Szene mit Clint Eastwood vielleicht noch bedrohlich wirken würde. Es dauert nicht lang, bis Professor Jones (übrigens am Tag, an dem man ihn in den akademischen Ruhestand schicken will) in einer Bibliothek von drei Nazischergen überwältigt werden soll, und dem ersten die Faust ins Gesicht schlagen will. Früher hätte das geklappt, diesmal wird der Schlag abgefangen und die drei haben »Indy« so schnell im Griff wie drei eingespielte Pfleger einen Querulanten im Altersheim. Der Kontrast wird hier besonders betont, der alte Professor kommt zwar im Verlauf des Films fast wieder zu seiner alten Form, aber das Alter der Hauptfigur ist durchgehend präsent.

Ich springe in meiner sehr fragmentarischen Nacherzählung noch mal kurz zurück. Bei Professor Jones' letzter Vorlesung geht es natürlich um historische Details, die später im Film eine Rolle spielen werden, interessant finde ich aber die Einführung zweier Studentinnen, die von Anfang an sehr unterschiedlich wirken, und die in den nächsten zwanzig Minuten quasi auftreten wie die typischen unterschiedlichen Bond-Girls, die sich als good girl und bad girl. Nur hier ohne die sexuellen Untertöne und auch sehr verspielt in der Erkundung ihrer wahren Beweggründe.

Auf diese Art spielt man immer wieder mit Erwartungen und bereits bekannten Markenzeichen der Jones-Filme. So wie bei James Bond oder dem Terminator geht es natürlich in jedem Film aufs Neue um den Martini oder »Come with me if you want to live.« - und in dieser Hinsicht liefert Indy 5 alles, was man erwarten kann. Und zwar überzeugender als zuletzt beim Kristallschädel

Indiana Jones und das Rad des Schicksals (James Mangold)

© & ™ Lucasfilm Ltd. / Disney. All Rights Reserved.

Ein kleines Detail noch zur Vorlesung (der im Film, nicht meiner zur deutschen Sprache): An diesem Punkt des Film nutzt man noch jede Möglichkeit, den alten Herrn auf sanfte Weise der Lächerlichkeit preiszugeben, und wenn der Professor seinem Auditorium mit dem Wort »Anyone?« die Möglichkeit gibt, Wissen zu demonstrieren, dann hat mich das in nicht geringer Weise an die entsprechende Szene in Ferris Bueller's Day Off erinnert, auch wenn »Indy« das zumindest nicht zigmal wiederholt, während Gegenschnitte den lethargisch bis komatösen Zustand der Studierenden zeigen. Aber der Kern des Witzes ist vorhanden.

Ich will zwischendurch, bevor ich wieder zur Lobhudelei neige, noch ein paar Dinge loswerden, die mir nicht so gefallen haben. Ich war 1969 erst auf dem Weg zu meinem zweiten Geburtstag, aber die Art und Weise, wie man den Nostalgie-Faktor überbetont, entspricht zwar Spielbergs Herangehensweise, aber die drei Songs kurz hintereinander und die Cola-Flasche im klassischen Design waren zu viel des Guten. Interessant ist es, wie man die veränderte politische Situation im Film umsetzt. Diversität ist gegeben, der weibliche Gegenpart kann diesmal etwas mehr zur Geschichte beitragen, und wenn man den Rassismus der Nazis demonstrieren will, übernimmt man ausgerechnet eine Rhetorik, wie sie heutzutage als exemplarisch vorgeführt wird. Das (heutige) Publikum prägt den Film mit. Im gleichen Atemzug unterscheidet der Film aber auf altbewährte Weise zwischen Gut und Böse. Wie in einem Film aus den Achtzigern müssen die Bösen immer wieder unnötig harmlose Zivilisten töten, um ihre Gesinnung zu zeigen und den Protagonisten die in Indiana Jones-Filmen bewährte Rücksichtslosigkeit zu gestatten. Wenn man die alten Streifen heutzutage sieht (selbst in der schrecklich zensierten Nachmittagsfassung auf Sat1), so sieht man eine lausbübische Freude, wenn ein Gegenspieler ein böses Ende nimmt. Das hat man hier sehr zurückgenommen, man merkt an vielen Stellen des Films, dass es ein schwieriger Balance-Akt war. Es gibt zum Beispiel eine Stelle bei der Parade, wo man ganz gezielt weggelassen hat, was mit einem Taxifahrer passiert. Ich könnte wetten, da gab es anderthalb Einstellungen, die gedreht wurden oder zumindest noch in einer Drehbuchfassung auftauchten, und die es dann nicht in den Film geschafft haben. Stattdessen hat das Publikum nun die Wahl, über diesen Moment nachzudenken oder ihn zu ignorieren...

Indiana Jones und das Rad des Schicksals (James Mangold)

© & ™ Lucasfilm Ltd. / Disney. All Rights Reserved.

Über einige Momente im Film will ich absichtlich nichts erzählen, weil jeder sie selbst erfahren sollte. Mit der Parade sind wir vielleicht in der Mitte des Films, da folgt noch einiges. Indiana Jones bekommt aber Zeit, über sein Leben und seine Fehler zu reflektieren, sein gesamtes Leben, wie wir es in abenteuerlichen Bruchstücken aus vier Filmen und ggf. eine Fernsehserie kennen, wird wie eine schmackhafte Sauce (Achtung, Fachbegriff!) reduziert.

Und dabei findet Mangold zusammen mit seinen Co-Autoren den Weg, einerseits die früheren Filme noch zu übertrumpfen, andererseits aber die Filmfigur in eine (vergleichsweise) realistische, fast alltägliche Existenz zurückzuholen. Das funktioniert schon ziemlich großartig und wer wie ich diverse Spielberg-Film durchlitten hat, die manchmal einfach nicht zu einem Ende finden können, der wird diesen Film für seinen Schluss lieben. Mit mehr Respekt und Liebe kann man eine doch ziemlich veraltete Filmfigur nicht zu Grabe tragen.

Das meine ich übrigens im übertragenen Sinne, aber selbst, wenn dieser Film mehr einspielt als alle Cameron-Filme zusammen, wird man bei Disney hoffentlich intelligent genug sein, hier nicht in 5, 15 oder 25 Jahren irgendeinen blöden Reboot zu wagen. Meinetwegen eine Animationsserie für Kinder, aber ansonsten ist jetzt alles gesagt zu Dr. Jones.

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Meine weiteren Lieblingsszenen sind die mit dem Esel und die zweite mit dem Kühlschrankmagneten. Unbedingt erwähnen will ich aber noch Phoebe Waller-Bridge in der Rolle der Helena, deren Serie Fleabag ich wohl dringend mal nachholen sollte, und die nicht nur hier überzeugt, sondern schon in einem Lucasfilm mitspielte, denn sie spielte den interessanten Droid L3-37 an der Seite von Han Solo in Solo: A Star Wars Story. Und, was mich fast schon überfordert, sie war auch eine der Drehbuchautoren beim letzten James Bond.