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24. August 2016
Thomas Vorwerk
für satt.org


  El olivo - Der Olivenbaum (Icíar Bollaín)


El olivo - Der Olivenbaum
(Icíar Bollaín)

Originaltitel: El olivo, Spanien / Deutschland 2016, Buch: Paul Laverty, Kamera: Sergi Gallardo, Schnitt: Nacho Ruiz Capillas, Musik: Pascal Gaigne, mit Anna Castillo (Alma), Javier Gutíerrez (Alcachofa), Pep Ambròs (Rafa), Maunel Cucala (Ramón), Miguel Angel Aladren (Luis), Ines Ruiz (Alma, 8 Jahre), Carme Pla (Vanessa), Ana Mena (Sole), Maria Romero (Wiki), Paula Usero (Adelle), Janina Agnes Schröder (Sophie), Cris Blanco (Estrella), Paco Manzanedo (Nelson), Aina Requena (Almas Mutter), 98 Min., Kinostart: 25. August 2016

Paul Laverty, seit 1996 (Clara's Song) vor allem als Drehbuchautor für Ken Loach bekannt (Sweet Sixteen, Ae fond kiss, The Angels' Share, Jimmy's Hall usw.), hat ein besonderes Talent dafür, interessante Geschichten aufzuspüren und daraus Filmstoffe zu entwickeln. (Und wie Loach eine eindeutig linksgerichtete politische Haltung.) Auch mit der spanischen Regisseurin Icíar Bollaín konnte er dies bei der Zusammenarbeit zu También la lluvia schon beweisen.

El olivo indes ist in meinen Augen eher ein Beispiel dafür, dass man sich auch in eine (oder mehrere) reale Storys »verrennen« kann und ein wenig aus den Augen verliert, was jetzt im Kontext eines Films funktioniert - und wo auch die aufmerksame Bearbeitung eines Stoffes letztlich hinter dem angenommenen Potential zurückbleiben muss.

El olivo - Der Olivenbaum (Icíar Bollaín)

Bildmaterial: © José Haro / Piffl Medien

In einem zunächst eine Spur zu verschachtelt wirkenden Einstieg in (mindestens) zwei Zeitebenen wird die tiefe Freundschaft des achtjährigen Mädchens Alma zu ihrem manchmal etwas zerstreuten Großvater und einem riesigen (und 2000 Jahre alten) Olivenbaum, der über Generationen eine Einkunftsquelle der Familie darstellt, geschildert. Da es aber eine alte Drehbuch-Binsenweisheit ist, dass man eine Hauptfigur (auch, wenn es hier mehr um Anna Castillo, die andere Darstellerin der erwachsenen Alma geht) möglichst früh in einen Film einführen sollte, springt man zwischen den Zeitebenen her, was womöglich sogar die Entwicklung Almas zu einer selbstbestimmten energischen Frau unterstreicht, aber es dem zeitlichen Ablauf einiger anderer Veränderungen in der weiteren Familienstruktur und den Verhältnissen zwischen einzelnen Familienmitgliedern unnötig schwer macht, sich dem Publikum zu präsentieren.

Das soll jetzt gar nicht heißen, dass man riesige Probleme hat, den zunächst noch vielschichtigen Details der Familiensynergien zu folgen - man kommt nur nicht so recht hinein in den »Fluss des Films«, weil einige Zusammenhänge auch mit etwas Verspätung deutlich werden, und man irgendwie das Gefühl bekommt, man müsse jetzt besonders aufpassen, um nicht womöglich ein Puzzleteil aus den Augen zu verlieren und nicht an die richtige Stelle anzubringen.

El olivo - Der Olivenbaum (Icíar Bollaín)

Bildmaterial: © José Haro / Piffl Medien

Es dürfte augenfällig sein, dass ich mir keine besondere Mühe gebe, dieses Puzzle innerhalb einer Inhaltsangabe einfach mitzuliefern, denn ob ich es nun als besonders gelungen oder eher leicht gescheitert einschätze: jeder Zuschauer sollte selbst die Möglichkeit haben, diese back story so zusammenzubasteln, wie es die Filmemacher beabsichtigt haben.

Das Ding ist: auch, wenn der Film noch zu einem späteren Zeitpunkt in Flashbacks einige Infos nachliefert, so gibt es einfach einen deutlichen Bruch zwischen dem Einstieg des Films und dem späteren, größeren Teil, der - abgesehen von ein paar parallelen Handlungsfäden - eigentlich einem herkömmlichen Road Movie entspricht. Alma hat sich etwas in den Kopf gesetzt, bestimmte Leute helfen ihr oder auch nicht und man versucht nicht weniger, als den verkauften und umgesiedelten Olivenbaum aus der malerischen aber unnatürlichen Firmenlounge (eines Energiekonzerns!) im entfernten und exotischen Düsseldorf zu befreien.

Der Baum steht hierbei vor allem als Symbol, und das in mannigfaltiger Ausprägung. Er steht für die Liebe zum Opa, aber auch für Almas Kindheit, er personifiziert eine Art Verrat in der Familie, eine Abwendung von der Tradition, eine Rebellion gegen die nicht über bestimmte Vorwürfe erhabene Düsseldorfer Firma und letztlich natürlich ist das ganze auch eine Art Kampf gegen Windmühlen à la Don Quixote. Und nicht zuletzt sind da noch die Einzelschicksale der Protagonisten, die allesamt irgendwie mit dem Baum zusammenhängen.

El olivo - Der Olivenbaum (Icíar Bollaín)

Bildmaterial: © José Haro / Piffl Medien

Letztlich ist so ein Olivenbaum aber - unabhängig davon, altehrwürdig, erhaben, knorrig oder symbolisch er sein mag, nicht wirklich eine Figur, die aktiv oder auch nur emotional in der Geschichte eingreifen kann. Es gibt keinen Free-Willy-Moment, wo der Wal in die Freiheit springt und Lebensfreude und Optimismus versprüht wie die zischende Gischt - sondern nur einen »ausgeliehenen« Transportlaster, eine fixe Idee, eine (heutzutage unumgängliche) virale Auflehnung - und eine Rechtslage, die eigentlich kaum eindeutiger sein könnte.

Was den Film zwar nicht daran hindert, Einsichten und Charakterwandlungen zu entwickeln - aber als Zuschauer behält man eigentlich eine gewisse Distanz. Was auch irgendwie durch die etwas zu verschachtelte Intro noch verstärkt wird.

Ich hätte gern mehr Emotionen in die Personen investiert, die hier für einige Tage auf engstem Raum in einem LKW aufeinander hocken und nebenbei versuchen, über Dinge zu sprechen, die sie jahrelang ganz gezielt unterdrückt oder ignoriert haben.

Doch der Film soll vermutlich etwas ganz anderes erzählen: Die Lage eines durch den gescheiterten Wachstumsboom am Boden liegenden Spaniens. Durchgängig geht es im Film um die Underdogs, die wie Alma und der vermeintliche Titelheld gegen die mächtigen Konzerne oder die vom Menschen losgelösten Wirtschaftsentwicklungen ankämpfen. Das sieht man schon ganz zu Beginn des Films, wenn (vielleicht als eine Verstärkung der »Identifikation« mit der durch die Industrie geschröpfte Natur) flauschige kleine Küken in einer riesigen Hühnerfarm aufwachsen, und Alma unter anderem dafür zuständig ist, diejenigen leblosen Geschöpfe aufzusammeln, die »unter die Räder kamen« (an dieser Stelle höre ich quasi als mentalen Soundtrack den alten Song von Heaven 17, Crushed by the wheels of industry).

El olivo - Der Olivenbaum (Icíar Bollaín)

Bildmaterial: © José Haro / Piffl Medien

Inmitten mehrerer Gegensatzpaare des Films (gleich zu Beginn: alt und jung, hart und flauschig) funktioniert gerade der »märchenhafte Realismus« (Phrase aus dem Presseheft) nicht so recht. Das Märchen- und Parabelhafte ist stark überinszeniert. Die stellvertretende Rebellion gegenüber einer (kleineren) Freiheitsstatue wirkt aufgesetzt, Almas Gespräch in dem Ästen des Olivenbaums mag noch halbwegs der Entwicklung der Figur dienlich sein, aber man bleibt stecken zwischen Feelgood, märchenhafter Rebellion (immerhin ist der virale Aufschrei nicht ganz so deppert wie in La vache) und der Realität, die man glücklicherweise auch nicht einfach ausspart (dann wäre es noch viel schlimmer geworden, man sieht ja immerhin all die guten Ansätze von El olivo). Irgendwie wirkt dieser Film wie eines dieser Küken, von dem man sich bei bestem Willen nicht vorstellen kann, dass es einst ein stolzer Hahn wird. Sondern bestenfalls ein Goldbroiler, den es bei Lidl im Angebot gibt. Aber vielleicht ist ja auch schon diese Aussage - gepaart mit einem ganz netten Kinoabend - irgendwie ein Gewinn.

Anna Castillo, ihre Darstellung und nicht zuletzt auch das »Design« der Figur (Frisur, Kostüm, back story) war jedenfalls ein Element des Films, das weitaus stärker überzeugte als all das, für das Alma hier kämpft. All die knorrigen alten Bäume, die verkauft und prostituiert wurden und werden, mögen mir diese Einstellung verzeihen.