Der Hochstapler
- Roofman
(Derek Cianfrance)
Originaltitel: Roofman, Kanada 2025, Buch: Derek Cianfrance, Kirt Gunn, Kamera: Andrij Parekh, Schnitt: Ron Patane, Jim Helton, Musik: Christopher Bear, Production Design: Inbal Weinberg, Kostüme: Erin Benach, mit Channing Tatum (Jeffrey Manchester), Kirsten Dunst (Leigh Wainscott), Peter Dinklage (Mitch), Melonie Diaz (Talena), LaKeith Stanfield (Steve), Juno Temple (Michelle), Lily Collias (Lindsay), Kennedy Maeve Mayer (Dee), Ben Mendelsohn (Pastor Ron Smith), Uzo Aduba (Eileen), Alissa Marie Pearson (Becky), Emory Cohen (Otis), Tony Revolori (Duane), 126 Min., Kinostart: 27. November 2025
Das Spannendste an Roofman ist, dass dieser Film in keine Standard-Schublade passt. Im Presseheft steht was von einer "charmanten Verbrecher-Komödie", aber weder ist die "Komödie" (trotz vieler witziger Passagen) das naheliegendste Genre, noch ist "Verbrecher" (oder gar "Hochstapler"...) die Umschreibung, die der Hauptfigur, einem Ex-Soldaten mit ausgeprägtem Familiensinn, halbwegs gerecht wird.
Ist eine Mutter, die für ihr hungerndes Kind einen Apfel stiehlt, eine Verbrecherin? Man könnte sie drauf hinweisen, dass Äpfel zwar gesund, aber nicht gerade kalorienreich sind. Die Tochter von Jeffrey Manchester (Channing Tatum, Magic Mike, Lucky Logan) ist nicht unterernährt oder sonst wie in Gefahr, Jeff hat nur nach einem suboptimal ausgewählten Geburtstagsgeschenk einen Masterplan entwickelt, wie er wieder zum Vorzeige-Papa in den Augen seiner Tochter werden kann.
(Wobei man als Zuschauer gar nicht das Gefühl hat, dass die erkennbare Enttäuschung über das Geschenk irgendwas an der Liebe zum Vater geändert hat. Das herzallerliebe Kind verteidigt sogar vor der Mutter, wie viel Mühe sich der Papa gemacht hat.)
Das Beste am deutschen Filmplakat ist die tagline: "Basierend auf wahren Begebenheiten. Und falschen Entscheidungen."

© Leonine Studios
Ein besonderes Talent, das Jeffrey schon in der Zeit in der Armee zeigte, war seine Auffassungsgabe: Kein Detail entgeht ihm, und wenn eine Information in einem späteren Kontext einen Vorteil offenbahrt, wird Jeff sie auch nutzen. So wird er auch zum "Roofman": ihm fällt auf, dass die besondere Architektur von Fast-Food-"Restaurants" mit ihren bevorzugten Flachdächern dazu führen, dass oft für Arbeiten an der Ventilation oder Klimaanlage Leitern bereit stehen, was den nächtlichen Einstieg sehr erleichtert. Und so kann er mit einer Serie von 45 Einbrüchen das nächste Geburtstagsfest beinahe zu einem kolossalen Triumph machen... wäre da nicht eine andere Eigenschaft: für einen richtigen "Verbrecher" ist Jeff schlichtweg viel zu nett.
Roofman wechselt immer mal wieder das Genre und macht das sehr charmant und unterhaltsam. Jeff würde seine Einbrüche verteidigen, weil es - Versicherung sei Dank! - keine wirklichen Opfer gibt. Er gab sich z.B. viel Mühe, niemanden zu traumatisieren. Aber das Rechtssystem funktioniert bei solch notorischen Wiederholungstätern nach anderen Kriterien. Und so wird aus einem Familienfilm ein Gefängnis-Film, bei dem Jeff noch mal beweisen kann, wie aufmerksam er die kleinen Details in den institutionellen Abläufen erkennen kann. Und zu seinem Vorteil nutzt.

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Durch umfassende Polizeiüberwachung seines Heims und die abweisende Haltung seiner Exfrau ("Jeff, is this you? If you call here again, I'm gonna call the cops!") verbietet es sich für Jeff, nach seiner Rückkehr in die Freiheit den Plan, ein Vorzeige-Daddy für seine Tochter zu werden, weiter zu verfolgen. Die Dramaturgie des Films (und / oder die realen Ereignisse, auf denen er basiert) machen jetzt nicht den Fehler, à la Sepp Herberger "nach der Familie ist vor der Familie" zu früh Kirsten Dunst Marie Antoinetteals love interest ins Spiel zu bringen. Jeff hat erst mal andere Prioritäten, denn als entflohener Sträfling braucht er eine Unterkunft. Und hier zeigt sich, dass der Filmtitel Roofman gut den Spagat zwischen den zwei Filmhälften schlägt. Denn erneut steigt Jeff bei einem 80er-Jahre-Kult-Betrieb ein, einem Großraum-Fachgeschäft für Spielzeug und andere Kinderträume.
Der Name tut hier nichts zur Sache.
Prägender als das Corporate Design dieser Kingsize-Ladenkette ist für den Film ein Darsteller, dessen Karriere ich seit Living in Oblivion mit Interesse verfolge. Peter Dinklage (The Station Agent, The Baxter, Game of Thrones) als Filialleiter Mitch hat großes Interesse am Umsatz des Betriebs - und kaum Interesse am menschlichen Umgang mit seinen Angestellten. Jeff, der wie einst der Inside Man unentdeckt im Betrieb wohnt (klingt unglaubwürdig, aber ist im Film kein großes Problem) zeigt zuerst Interesse an Leigh (Kirsten Dunst), als Mitch mal wieder Rücksicht auf die persönlichen Belange seiner Untergebenen als überflüssig erachtet (jeder Schauspieler will auch mal einen Fiesling spielen). Jeff greift hier ein, aber so, dass es niemandem auffällt.

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Die Love Story entwickelt sich erst mit zeitlichem Abstand, und das ist auch gut so, weil Roofman eben keine Liebeskomödie, keine Verbrecherkomödie und auch keine Familienkomödie ist, sondern nur Elemente davon beinhaltet, sich aber eigentlich um die Geschichte seiner Hauptfigur dreht, die öfters sehr unterhaltsam ist, aber schon durch die reale Vorlage ein echtes Problem hat, zu einem Happy End zu finden, weil die 45 Jahre Haftstrafe nicht mal eben erlassen werden, und die Geschichte vermutlich nicht veröffentlicht worden wäre, wenn Jeff noch incognito ein glückliches Leben führt. Sorry, wenn das jetzt als Spoiler aufgefasst wird - für mich ist die Abkehr von einer typischen Filmgeschichte eine der größten Stärken des Films.
Meine Nacherzählung des Films endet an dieser Stelle auch größtenteils. Wie Jeff Leigh und ihre zwei Töchter besser kennenlernt, und er seinen Trend zum Vorzeige-Daddy abermals etwas überzieht ("You don't have to give us so many things, we don't need them. We like you."), ist halt durch die Umstände nicht so eine Zuckerguss-Story, sondern man kann den unterschiedlichen emotionalen Höhen und Tiefs eines fast gewöhnlichen Lebens folgen. Was heutzutage in Filmen nicht mehr so oft passiert - und noch seltener so gut umgesetzt.

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An dieser Stelle könnte ich jetzt Drehbuch und Regie abfeiern (im Presseheft gibt es interessante Passagen über die jahrelangen Recherchen und Interviews mit den involvierten Personen), aber es gibt auch noch andere tolle Aspekte des Films. Nicht zuletzt die Besetzung. Selbst Kirsten Dunsts Rolle würde man nicht als Hauptrolle bezeichnen, aber die vielen kleinen Rollen, die zum Gelingen dieses Films beitragen, sind teilweise sogar ziemlich prominent besetzt. Jeffs bester Kumpel Steve wird von LaKeith Stanfield gespielt, der jüngst auch den Motorradfahrer in Die My Love spielte. An dessen Seite taucht eine Freundin namens Michelle auf, eine eher kleiner Rolle, in dessen Ausarbeitung Juno Temple (Far from the Madding Crowd, Maleficent) aber unverhältnismäßig viel Kreativität hat einfließen lassen.
Ein Geistlicher, dessen Schilderungen den Film auch sehr prägten (keine Angst, so religiös wird's nicht!), wird von Ben Mendelsohn (Rogue One: A Star Wars Story) gespielt, Jeffs erste Frau ist Melonie Diaz (Lords of Dogtown, Ne Kind Rewind). Wie Regisseur Derek Cianfrance (Blue Valentine) seinen Schauspielern die Möglichkeit gibt, in wenigen Szenen überzeugend wirkende Figuren entstehen zu lassen, trägt viel zur Authentizität dieser eigentlich komplett abgedrehten Geschichte bei.

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Der Tonfall des Films (auch, wenn ich ja diesen deutschen "Hochstapler"-Titel superdoof finde) hat mich irgendwie an Spielberg Catch me if you can erinnert, die Kernstory vom Leben in einem Spielzeug-Riesenladen gibt es auch in etwa als Spielberg-Film (auch, wenn ich Terminal nie gesehen habe). Oder halt mit ganz anderen Vorzeichen im bereits erwähnten Inside Man von Spike Lee. Nur ist Roofman einfach mehr down-to-earth, und man fühlt sich den Figuren näher (auch, wenn das manchmal weh tut).