Anzeige:
Marc Degens: Verfhrung der Unschuldigen. Roman




10. September 2025
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Honey don't! (Ethan Coen)


Honey don't!
(Ethan Coen)

Originaltitel: Honey don't!, USA 2025, Buch: Ethan Coen, Tricia Cooke, Kamera: Ari Wegner, Schnitt: Tricia Cooke, Emily Denker, Supervising Sound Editor: Skip Livesay, Musik: Carter Burwell, Production Design: Stefan Dechant, Art Director: Julien Pougnier, Kostüme: Peggy Schnitzer, mit Margaret Qualley (Honey O'Donahue), Aubrey Plaza (M.G. Falcone), Chris Evans (Reverend Drew Devlin), Lera Abora (Cher), Charlie Day (Marty Metakawitch), Talia Ryder (Corinne / Honey's Niece), Jacnier (Hector), Gabby Beans (Spider / Honey's Assistant), Kristen Connoly (Heidi O'Donahue), Christian Antidormi (Colligan), Billy Eichner (Mr. Siegfried), Alexander Carstoiu (Mickie), Kale Browne (Honey's Father), Don Swayze (Gary / Piano Bar), Lena Hall (Elle / Piano Bar), Josh Pafchek (Chuggie), Kinna McInroe (Mrs. Novotny), Jude Atencio (Dizzy / Honey's Nephew), Gloria Sandoval (Abuela), Audrina Rosales (Wiener Girl), Kara Petersen (Mia Novotny), Layne Lazor (Brandi / Four Way Threesome), Grace Lord (Cara / Four Way Threesome), 90 Min., Kinostart: 11. September 2025

Mir gefällt Honey don't!, der neue Film von Ethan Coen und Tricia Cooke, ähnlich gut wie zuvor Drive-Away Dolls. Seltsamerweise bekommt der zweite Film einer geplanten Trilogie aber anderswo reichlich Gegenwind. Was die anderen für Gründe haben wollen, interessiert mich nur sehr eingeschränkt. Ich sag nur so viel: Nachdem ich mir den Trailer angeschaut hatte, war ich selbst argwöhnisch...

Die Coens und die Gewalt

Honey don't! (Ethan Coen)

Courtesy of Focus Features © 2025 Focus Features LLC. All rights reserved.

In den Filmen der Coen-Brüder spielt Gewalt eine unübersehbare Rolle. Selbst in den vergleichsweise leichten Komödien wie The Hudsucker Proxy, Intolerable Cruelty oder Hail Caesar! gibt es immer eine gewisse Fallhöhe, und die Gags bereiten immer etwas Schmerz.

Eine moralisch-ethische Unterscheidung kann man zwischen den Filmen ziehen, wo die Gewalt spürbare Konsequenzen hat und den Opfern immer auch Mitgefühl entgegengebracht wird. Und, auf der anderen Seite, jenen Filmen, wo die Filmfiguren mit satirischer Schärfe kaum Gnade widerfährt. Neben dem von Sam Raimi verfilmten frühen Coen-Drehbuch Crime Wave ist mein liebstes Beispiel hier immer Burn After Reading. Dies ist ein Film, in dem DarstellerInnen wie Frances McDormand oder Brad Pitt zwar nunanciert ihre Figuren zum Leben bringen, aber ihnen schlägt eine abschätzige Schadenfreude entgegen, und die Schicksalsschläge, die sie erleiden, sind eher Schenkelklopfer.

Das kommt auch in gelungeneren Filmen der Coens vor, aber vor allem gibt es halt Filme der Brüder, die bei unschuldigen Opfern am Rande einer Handlung durchaus Mitgefühl im Publikum erwecken. Die Frau im verunglückten Auto in Fargo oder Kelly MacDonald, die in No Country for Old Men den Weg eines dafür mit dem Oscar ausgezeichneten Schauspielkollegen kreuzt, solche Schicksal rühren uns an.

Honey don't! beginnt mit einer Szene, die auffallend dem Autounfall in Fargo ähnelt, nur kommt hier noch ein Punch dazu, und der Toten wird ein Ring entwendet. Schnöde Leichenschändung!

Lebend erleben wir diese Mia Novotny nie im Film, nur ihr Zimmer und zwei aussagekräftige Kleidungsstücke werden bei den Ermittlungen der Titelfigur Honey O'Donahue (Margaret Qualley) einen Einblick in das Leben der jungen Frau ermöglichen, ähnlich wie bei einigen Opfern in The Silence of the Lambs.

In Honey don't! gibt es gefühlt etwa acht Todesfälle (ich habe extra nicht genau nachgezählt, damit meine LeserInnen nicht im Kino irgendwann glauben "Einer fehlt noch!" oder "Das war der letzte!"), und man kann zwischen den Opfern und gewissen Kategorien unterscheiden. Man sieht nicht jeden Tod direkt vor der Kamera, manche werden für Gags missbraucht (haben sich das aber wie in den klassischen EC-Comics jeweils durch ihr Verhalten eingebrockt), und man kann auch ein bedauernswerter innocent bystander sein.

Es gibt aber auch eine kleine Handvoll regelrechter Duelle, wo jeweils ca. zwei Personen aufeinander treffen und sich jeweils entscheidet, wer den größeren Überlebenswillen hatte, wer heimtückischer vorging, wütender oder ruhiger war. Oder einfach besser gezielt hat. Eines dieser Duelle (jenes, das einige Zuschauer erzürnte) erinnerte mich an den Tod von Wolfgang Kieling in Torn Curtain, Hitchcocks Vorführstück dafür, dass es gar nicht so einfach ist, jemanden zu töten. Bei Honey don't! wird das nur noch exzessiver durchgespielt, und es ist eine Szene, in der wir den Schmerz beider Figuren (trotz mancher Cartoon-Gewalt) auf unangenehme Art miterleben.

Aber: das hat einen Sinn! Auch metaphorisch und als Katharsis. Wer das halt nicht von der gezeigten Gewalt trennen kann, der wird ein Problem damit haben. Genau wie bei der Stelle, wo der Tod des innocent bystanders zum Katalysator einer gewalttätigen Raserei wird, die abermals auch etwas cartoonhaftiges hat. Ich mache jetzt mal etwas gewagtes, weil ich einen Namen ins Spiel bringe. Denkt mal am Ende des Films an die vier großen Szenen der Figur Hector (wer nicht auf vier Szenen kommt, die Stelle, wo er die Wäsche abhängt, und die mich sehr an den crop duster in Hitchcocks North by Northwest erinnerte, habe ich mitgezählt). Die vier Szenen sind sehr unterschiedlich, aber in ihrer Abfolge sagen sie viel darüber aus, was in diesem Film für mich der springende Punkt war: Unterschiedliche Formen der Gewalt stehen für unterschiedliche Facetten des ganz normalen Lebens. Die wenigsten von uns werden Zeuge eines gewaltsamen Todes, aber die verschiedenen Gemütslagen von Hector und den Personen um ihn herum kann man größtenteils nachvollziehen.

Die Coens und hard-boiled detective fiction

Honey don't! (Ethan Coen)

Foto: Karen Kuehn © 2025 Focus Features LLC. All rights reserved.

In den USA gibt es die klassischen Detektivgeschichten um Autoren wie Raymond Chandler, Dashiell Hammett oder James M. Cain, die als Vorlagen vieler Filme der "Schwarzen Serie" (aka film noir) auch die Filmgeschichte bereicherten. Weniger die Filme als die Romane haben die Coen-Brüder sehr deutlich beeinflusst. Schon das Debüt Blood Simple erinnert dran, aber vor allem wirkt Miller's Crossing wie eine Variation auf Dashiell Hammetts Red Harvest, The Man who wasn't there ist klassischer Cain (durch die Schwarzweiß-Fotografie auch nah dran am Filmgenre), und The Big Lebowski hat zwar einen anderen Tonfall, aber der Dude ist ein parodistisch angehauchter Chandler-Detektiv wie Philip Marlowe in The Big Sleep oder Farewell, my Lovely: auf der Suche nach der Lösung seines Falls sticht er in ein Wespennest, das oft ein paar Nummern zu groß für ihn ist, erhält auch ein paar Blessuren, aber schafft es, seine Gegenspieler gegeneinander auszuspielen und nach und nach die Zusammenhänge zu erkennen. Wer jetzt einwirft, dass der Dude nur selten den Überblick zu behalten scheint: Das ist kein Unterschied zu Chandler-Romanen. Marlowe gibt fast nie preis, wie viel (oder wenig) er weiß, das ist seine Methode. Jeffrey Lebowski hat nur eine andere Außenwirkung.

"The dude abides" könnte eine Kurzzusammenfassung einiger Chandler-Romane sein, und Hammetts Sam Spade (The Maltese Falcon) arbeitet ähnlich.

Honey O'Donahue passt durchaus in dieses Schema. In Ermangelung von Indizien hört sie vorrangig auf ihr Bauchgefühl, lässt sich in der Kleinstadt treiben und sondert hier und da kernige one-liners ab. Sie arbeitet an zweieinhalb Fällen gleichzeitig, lässt sich nicht davon beirren, dass die ursprünglichen Aufträge eigentlich nicht mehr bestehen... und erkennt dabei Zusammenhänge, die ihr ein wenig weiterhelfen...

Left of Center: eine love story

Honey don't! (Ethan Coen)

Courtesy of Focus Features © 2025 Focus Features LLC. All rights reserved.

Während die bspw. von Humphrey Bogart personifizierten klassischen private dicks im Interesse des vorwiegend männlichen Zielpublikums so manches Techtelmechtel mit Gangsterliebchen, Buchverkäuferin oder durchgeknallter junger Erbin durchexerzieren, scheint Titelheldin Honey trotz eines Liebeslebens, das sich nicht nur in verschämten fade outs abspielt, offenbar an einer längeren Beziehung interessiert.

Die Frauen, die sie ansprechen, ähneln ihr selbst: unkonventionell und selbstbewusst, mit einer Spur Mysterium und damit interessant. "M.G. Falcone" (Aubrey Plaza), die bei der Polizei in der Asservatenkammer arbeitet, steht erst mal auf der selben Seite des Rechts, und beim ersten Date in einer vor allem von Polizisten frequentierten Bar sollten die beiden auffallen wie ein Fuchs und ein Wiesel in einem Hühnerstall - doch keiner außerhalb des Publikums scheint sie überhaupt wahrzunehmen, während eine zunächst nur zweideutig wirkende Unterhaltung eindeutig handgreiflich wird.

Später kommen zusätzliche Anknüpfungspunkte dazu. Die beiden verbindet eine schwere Kindheit mit einer problematischen Vaterfigur. Und diese Thematik findet auch Einzug in die übrige Handlung...

Das Böse: plakativ oder unterschwellig

oder: Unbelehrbare Männerfiguren

Honey don't! (Ethan Coen)

Foto: Karen Kuehn © 2025 Focus Features LLC. All rights reserved.

Reverend "Drew Devlin" (!), mit viel Spielfreude von "Captain America" Chris Evans dargeboten, ist wie eine feiste schwarze Spinne, die nur leichte Beute in ihr Netz einlädt. Eine Schurkenrolle, wie sie kaum eindeutiger sein könnte. Nach außen verheißt er seiner Gemeinde den einzigen Weg zum wahren Glauben, wobei er er aber schon in der Wortwahl klar andere Ziele verfolgt. Und hinter den Mauern des vermeintlichen Gotteshauses werden seine Schafe dann für andere Dienste eingesetzt.

Evans zeigt sich wie Charlie Day als betriebsblinder Ermittler (oberstes Bild) als selbstverliebter Vertreter seines Geschlechts: überdeutliche Hinweise Honeys darauf, dass sie nicht im Geringsten interessiert ist, werden aus unterschiedlichen Gründen persistent ignoriert.

Mein Eindruck davon, wie andere Personen (weniger positiv als ich) auf Honey don't! reagieren, kommt zu drei Teilgruppen:

  • Eine hat nicht begriffen, dass der Film ganz klar als lesbisches B-Movie umworben wird, und wirft dem Film (vorrangig) eben diese B-Movie-Merkmale vor. Als wenn man in eine leichte Shakespeare-Komödie geht und der vorwirft, dass man seine Königsdramen literarisch wertvoller findet.
  • Nur ein klein bisschen anders strukturiert sind jene, die sich an Sex und Gewalt stören, und darüber nicht wahrnehmen, dass dahinter durchaus Aussagen stehen.
  • Und dann (die vielleicht größte Gruppe) gibt es auch welche, die eine gewisse "Überraschung" im Film als nicht hinreichend angekündigt empfinden.
Hmm, ich glaube, diesen Punkt werde ich jetzt nicht ausgiebig sezieren...

Ich hatte meinen Spaß bei dem Film, nicht zuletzt auch, weil ich danach (wie man hoffentlich an meinem Text erkennen kann), noch etwas darüber nachgedacht habe.

Diverse Anknüpfungspunkte an frühere Filme der Coens oder das Werk von Quentin Tarantino ("That's a chopper!") haben mich nicht gestört, sondern amüsiert.

Und hier und da habe ich auch nicht weniger als Filmkunst entdeckt. Hector holt die Wäsche rein -> großes Kino!

Ich mache mir ja bei Filmen, zu denen ich was schreiben will, reichlich Notizen (die ich oft gar nicht für den Text nutze). Und manchmal auch kleine Skizzen. Weil ich es einfacher finde, als etwas in Worte zu fassen. Oder weil ich irgendwas bildlich festhalten will. Hier gab es eine Szene, die ich skizziert habe, weil sie mir die Magie des Filmemachens vor Augen führte: Honey überquert eine kleine Straße, in einer etwas größeren Einstellung, die man als leicht beengte Totale beschreiben könnte (sie geht auf die Kamera und uns zu). Da flitzt blitzschnell von unten links nach oben rechts ein kleiner Vogel durchs Bild. Manch Regisseur hätte die Szene vielleicht neu aufgenommen, aber diese winzige Facette der Realität hat einen gewissen Zauber, wie der Kojote in Collateral oder was weiß ich.

Ich will es nicht mein persönliches Gespür für Film* nennen (weil das auch einfach nicht stimmt), aber diese kleine Einstellung hat ein Geheimnis, das ca. 5 Minuten später zumindest für mich aufgeklärt wird. Und dieser irgendwie persönliche Moment macht auch den Unterschied zwischen einem positiven Filmerlebnis und einem leicht gelangweilten Rumnölen...

*Smilla's Sense of Snow ... anyone?

Nachtrag: Don't Believe the Trailer!

Ich bin mir nicht sicher, ob ich in diesem Text schon sechsmal darauf hingewiesen habe, dass Ethan und Tricia sich sehr für Schnitt interessieren, aber der Trailer des Films gibt Einblicke, die einen falschen Eindruck entstehen lassen könnten: Zum einen wird (it's America!) die Gewalt als Aspekt überbetont, während Sex kaum eine Rolle spielt

Irgendwie interessant ist aber auch, wie für den normalen Betrachter (der nicht alles mit Einzelbildschaltung untersucht) die Gewaltbilder so präsentiert werden, dass sie einen starken Eindruck hinterlassen, man aber nur einen sehr vagen Eindruck erhält, welche Figur G hier gerade Figur K einen verplättet. Das ist natürlich beabsichtigt und auch okay.

Aber andere Schnittentscheidungen entstellen auch die Filmhandlung in einer Art, die einen einerseits einen vagen Überblick über die Handlung vorgaukelt, wobei dieses irgendwie intuitive Wissen aber wenig mit dem eigentlichen Film zu tun hat. Ich möchte das aber nicht schon vor eurer Betrachtung des Films zu deutlich erklären (es geht um keine konkrete Falschinformation mit irgendeiner Absicht, sondern einfach um eine Verschleierung mit gleichzeitiger alternativer Kurzzusammenfassung). Wer sich für Film und Schnitt interessiert, kann sich ja mal den Trailer nach dem Film anschauen.

Durch den Einsatz von Dusty Springfields Spooky lohnt sich das ohnehin.