Drive-Away Dolls
(Ethan Coen)
Originaltitel: Drive-Away Dolls, USA 2024, Buch: Tricia Cooke, Ethan Coen, Kamera: Ari Wegner, Schnitt: Tricia Cooke, Musik: Carter Burwell, Kostüme: Peggy A. Schnitzer, Production Design: Yong Ok Lee, Set Decoration: Nancy Haigh, mit Margaret Qualley (Jamie), Geraldine Viswanathan (Marian), Beanie Feldstein (Sergeant Suzanne 'Sukie' Shikleman), Joey Slotnick (Arliss), C J Wilson (Flint), Bill Camp (Curlie), Colman Domingo (The Chief), Pedro Pascal (Santos), Matt Damon (Senator Gary Channel), Gordon MacDonald (Cicero's Waiter), Connie Jackson (Aunt Ellis), Michael Counihan (Turkish Hotel Man), Samsara Yett (Young Marian), Jordan Zatawski (Young Gary), Annie Gonzalez (Carla), Sam Vartholomeos (Bart), Abby Hilden (Doreen), Haley Holmes / Fatima Barlow / Sam Mazzai / Briana Bui / Lisa Naso / Jayden Solovey / Liggera Edmonds-Allen (Soccer Girls), Miley Cyrus (Tiffany), Angela Boehm (Motorcycle Lesbian), Josh Flitter (Bellboy), 84 Min., Kinostart: 7. März 2024
Ich gebe mir immer Mühe, möglichst wenig über Filme zu wissen, die ich mir (meistens in Pressevorführungen) anschaue. Da ich mich schon einige Jahrzehnte mit Filmen beschäftige, reicht mir oft der Name des Regisseurs oder der Regisseurin für eine Entscheidung. So bei Ethan Coen, der gemeinsam mit seinem Bruder Joel vermutlich die beste Markierung für meine ganz persönliche Filmentwicklung, meine Generation ist. Seit Raising Arizona schaue ich mir die neuen Coen-Filme meist zum Kinostart an. Dadurch weiß ich auch, dass ich nicht alle ihrer Filme zur höchsten Filmkunst zählen kann oder will. Ähnlich wie Quentin Tarantino haben sie viele Nachahmer für ihren besonderen Stil inspiriert, und wenn's mal doof läuft, können die Coens (wie auch Tarantino) Filme drehen, die wir ein lascher Abklatsch ihrer besseren Werke wirken.
Dazu gehören etwa Burn after Reading oder Django Unchained (sorry, ich vermische hier Dinge, aber es soll zum Verständnis beitragen). Das sind Filme, die viele Fans haben, für mich aber trotz einiger guter Ideen Schwachpunkte darstellen. Tarantino ist meines Erachtens hier die Gewalt als Thema komplett außer Kontrolle geraten (nicht einmal mit einem ironischen Blick kann ich das gutheißen), und bei den Coens erkenne ich, dass sie viel Spaß mit einigen talentierten Darstellern bei den Dreharbeiten hatten, aber es fehlt mir die Anbindung zu den Figuren. Die Coens sind großartig darin, Figuren voller Makel so zu kreieren, dass man mit ihnen mitfühlt. Etwa William H. Macy als Jerry Lundegaard in Fargo: Ein schwacher Mensch mit falschen Ansichten und extrem dubiosen Entscheidungen. Man erlebt, wie er immer schlimmer in ein Schlamassel gerät, man weiß vielleicht auch, dass er kein Happy End verdient hat, aber man leidet auch mit ihm. Wie Donald Duck an dem Tag, wo ihm die Zunge in den Rührfix geriet.
In Burn after Reading fehlt mir eine solche Figur (und in Fargo gibt es ja noch reichlich andere interessante Figuren neben Jerry!). Die schlimmsten Coen-Filme sind die, in denen unsympathischen Figuren schlimme Dinge widerfahren, und die Emotionalität als Zuschauer (ich spreche hier nur für mich) bleibt irgendwo zwischen Fremdschämen und Schadenfreude stecken. Ich will nicht ausschließen, dass selbst das als Film funktionieren kann und mich mitreißt, aber es ist sehr selten der Fall. Und weil man Filme, die auf diese Art misslungen sind, leider viel zu oft sieht (glücklicherweise meist nicht von den Coens), habe ich da eine Antipathie entwickelt.
Foto: Wilson Webb © 2023 Focus Features LLC.
Als ich mir den Trailer zu Drive-Away Dolls anschaute (als Entscheidungshilfe, ob ich mir den Film anschauen sollte), ahnte ich, dass der Streifen in diese Richtung gehen kann. Die gefühlt einunddreißigste Version einer Geschichte um einen Koffer, der eine positive Wendung im Leben der Figuren verheißt, und bei den Coens ist dann das Beste, was den Figuren passieren kann, dass sie ohne große Schmerzen im letzten Drittel des Films schnell sterben und nicht noch unschuldige Familienmitglieder oder Freunde mit ins Verderben reißen. Siehe etwa Fargo, No Country for Old Men oder The Big Lebowski für unterschiedliche, aber zumindest gelungene Variationen des Koffer-Themas (selbst, wenn einmal nur dreckige Unterwäsche drin ist). Selbst in Tarantinos Pulp Fiction gibt es so einen Koffer, und ich sag's mal so: die 438. Version von Romeo and Juliet oder Terminator ist meist nicht mehr so interessant wie die vierte oder fünfte.
Drive-Away Dolls, den einige meiner Kritikerkollegen als »überflüssig« einschätzten, liefert tatsächlich entscheidende neue Impulse für das Koffer-Genre. Es verbietet sich meines Erachtens, selbst Leuten gegenüber, die kein wirkliches Interesse haben, sich den Film anzuschauen, die Geheimnisse um den Koffer herum zu erzählen. Man muss das selbst erleben, keine Nacherzählung kann dem sorgfältig geplanten Effekt gerecht werden. Denn bei mancher Punchline ist der Build-Up viel wichtiger als der eigentliche Gag.
Weil ich meine Zeilen nicht zählen muss, will ich das »kurz« ausführen. Gerade diese Woche (am 26. Februar war es) habe ich eine neue Folge der Seth-MacFarlane-Serie um den schlecht erzogenen sprechenden Teddybär Ted gesehen. Gerne würde ich alles wortgenau zitieren, aber ich habe mir nur die Punchline merken können. Ich kann aber den Build-Up hinreichend rekonstruieren. Hoffe ich zumindest. Ted ist an Halloween mit Blaire unterwegs, sie sind beide angetrunken und wollen nur möglichst schnell nach Hause (irgendwie eine Situation, die nicht so weit weg ist von der Handlung von Drive-Away Dolls). Zufällig treffen die beiden auf einen Literatur-Professor und Romanautor, den Blaire (rein intellektuell) sehr verehrt, und der aktuell einen Assistenz-Posten vergeben kann, für den Leute töten würden. Blaire und Ted landen bei dem Prof zuhause (Ted hat den starken Verdacht, dass er nur geil auf die junge Studentin ist), man trinkt Rotwein und fachsimpelt über Literatur (naja, zwei der drei). Blaire kann offenbar etwas Eindruck schinden, der Prof lässt sie ein brandneues Manuskript anlesen, Ted nervt das Ganze extrem. Dann passiert noch dies und das, was für die Stimmung wichtig ist, aber hier den Rahmen sprengen würde. Dann folgt eine Passage, wo der Professor ein hochintelligentes Zitat zum besten gibt. Ich habe vergessen von wem, sagen wir mal Kierkegaard oder Hannah Arendt. Blaire nimmt den intellektuellen »Aufschlag« an und sagt so was wie »Oder wie Thomas Pynchon in Gravity's Rainbow sagte: 'Jener, der von seiner...« - ihr kennt dieses Eiergeschaukel, es geht einfach darum, auf welch hohem Niveau sich dieses Geplänkel abspielt. Vielleicht sind bei den Zitaten auch wichtige Bezugspunkte eingebaut, es ging halt ruckzuck und man hat als Normalsterblicher kaum eine Chance, überhaupt mitzukommen. Und jetzt kommt Ted ins Spiel, der will es sich (angetrunken) natürlich nicht nehmen lassen, seinen Beitrag zur Diskussion zu liefern: »Oder wie Ernest Hemingway sagte: 'Hmm, mal schauen, wie so eine Flinte schmeckt...'«
Allein für diese zwei, drei Anklänge von Humoristen-Genialität je Episode kann man sich diese Serie anschauen, auch wenn da auch vieles eher so Mittelmaß ist.
Foto: Wilson Webb © 2023 Focus Features LLC.
Über den Koffer will ich also nicht mehr allzu viel sagen. Er leuchtet nicht gülden, aber wenn die beiden Hauptfiguren des Films, Jamie und Marian, zum ersten Mal reinschauen (und man natürlich nur ihre Reaktion sieht), kann man ein gewisses Interesse am Inhalt nicht unterdrücken.
Wie man ganz am Schluss des Films in der lange herausgezögerten Titel-Sequenz sehen kann, war der ursprünglich geplante Titel »Drive-Away Dykes« (sorry an die Leute, die das nachschlagen müssen, ich habe meine Phase als Nachhilfelehrer für Englisch hinter mir*). Weil aber abzusehen war, dass mit diesem Titel einige Kinobetreiber Probleme haben könnten, hat man den Titel entschärft. Ich find's sehr schade! Denn jedes mal, wenn ich den Filmtitel erwähnt habe, musste ich ihn quasi erklären, während die Grundidee hinter dem ganzen Film, die Co-Autorin Tricia Cooke vor einigen Jahren hatte, eigentlich selbsterklärend ist (wenn man Englisch kann). Und dem Film deutlich gerechter wird.
*(Na gut, ein bisschen helfe ich, weil ich das selbst erst durch den Film begriffen habe: mit »drive-away« bezeichnet man die Situation, wenn ein Auto durch einen Fahrer an einen anderen Ort zugestellt werden muss. Ich kenne das vor allem von fabrikneuen Wagen und glaube, in Deutschland nennt man das »Überführung«. In den USA sind die Entfernungen deutlich größer, die Auto-Verrücktheit noch schlimmer, und so hat sich das wohl zu einem konkreten und verbreiteten Berufsbild gemausert und betrifft offenbar auch alte Autos, die mitunter noch eine Fracht im Kofferraum haben. Wie verbreitet spezielle Kofferfahrten dabei sind, dazu habe ich mir nicht die neuesten Statistiken hervorgesucht.)
Tricia Cooke, die Ethan Coens Ehefrau ist (keine Ahnung, wie lange schon, aber sie war schon zu Zeiten von Barton Fink Schnittassistentin bei den Coens und begleitet sie zumindest kreativ Jahrzehnte lang), »identifiziert« sich laut Presseheft queer, und mir fehlt der Elan (well, it's a personal character trait, you don't have to pick on me!), da Recherchen zu bemühen und etwas zu hinterfragen oder zu bestärken. Mein ganz persönlicher Eindruck bei den Coens (und bis zu einem gewissen Grad nehme ich da die Tricia mal mit rein) ist, dass sie Respekt für die unterschiedlichsten Figuren haben, sich aber ungern durch Dinge wie political correctness irgendwie den Weg vorzeichnen lassen, den sie mit ihren Filmen beschreiten wollen.
Bevor ich also besonders viel zur Handlung des Films gesagt habe (ich bin mir auch nicht sicher, ob ich das noch nachliefern werde), will ich klarmachen, dass ich es nicht als meine Aufgabe sehe, festzumachen, wie korrekt oder unkorrekt dieser Film sein Quasi-Titelthema behandelt. Wer glaubt, darum ginge es, für den ist das nicht der richtige Film. Es gibt hier eine Menge Klischees über Lesben (Fußballspielerinnen, bestimmte »Kompensationen«) und ich finde auch, sie unterhalten sich für 1999 (da spielt der Film) deutlich zu sehr über Literatur von alten weißen Männern (»That was a great read. Like someone dragging day-old spaghetti across my tits.«). Aber dieser Film will unterhalten, und wenn ich mich nicht sehr irre, werden auch Lesben (oder, wie sie sich im Film mehrfach selbst bezeichnen, »gay lesbians«) Spaß daran haben.
Wer sich den ganzen Film lang darüber einen Kopf macht, ob ein (trotz aller Identifizierung) heterosexuelles Ehepaar solch einen Film »drehen darf«, der wird vermutlich auch Teds Hemingway-Witz als komplett unangemessen abweisen. Ich kann mich mit solchen Personen ohne Probleme zwanzig Minuten nach einem Film über entsprechende Themen unterhalten. Aber dann muss zumindest auch der Film passen, und wer hier nicht merkt, dass man hier nicht nur über Lesben lacht, sondern vor allem mit ihnen... der (oder natürlich auch die) interessiert sich halt nicht so für's Lachen wie ich.
Wie Armin Laschet sagen würde: »Isso.«
Dieser Text gerät etwas zu sehr über mich, aber zumindest Folgendes will gesagt sein: Ich habe es mir (trotz Baujahr 1967) angewöhnt, je nach Publikum meine Texte im Durchschnitt etwa zu 70 Prozent »unaufdringlich« zu gendern. Und ich habe ganz sicher (obwohl ich mich als nicht-praktizierenden Hetero definiere) mehr Bücher über Feminismus oder von Schwulen bzw. Lesben gelesen als gut 20 Prozent der Deutschen überhaupt an Büchern im Regal stehen haben (also die ohne niedliche Illustrationen für Vorschulkinder, Sprechblasen oder Fotos zu Rezepten). Aber ich mache mir nicht bei jedem rosa Delphin (ja, das schreibe ich old school!), den ich in einem Kinderkarussell sehe, Gedanken darüber, was das mit dem »ethical treatment of animals« zu tun hat. Ich kann mir auch alte Cartoons mit Speedy Gonzales oder Pepe le Pew voller Genuss anschauen, ohne in eine Wut-Tirade über kulturelle Aneignung zu verfallen. Leute, es lief viel Mist in früheren Zeiten (und wir haben immer noch reichlich Raum noch oben zum Optimieren oder die dringlichere Planetenrettung!), aber manchmal muss man auch die Kirche im Dorf lassen! Oder die Moschee! Oder am besten das konfessionsfreie Gemeindehaus! Wer überall nur rote Flaggen sieht und jedes Problemchen mindestens ausdiskutieren will, der (oder die) wird nie Spaziergänger-Tempo erreichen. Und wenn sich jetzt die Spaziergängerinnen und die lieben Leute, die sich nicht binär definieren (aber auch gern spazieren), bösartig übergangen fühlen, dann demonstriert das vor allem sehr schön das Spaßbremsen-Prinzip, das ich erklären wollte.
Foto: Wilson Webb © 2023 Focus Features LLC.
Neben dem innovativen handling der Koffer-Situation sticht Drive-Away Dykes vor allem dadurch hervor (und ist somit ganz sicher nicht »überflüssig«), dass man hier zwei Genres mischt, die eher selten aufeinander treffen. Zum einen handelt es sich hier um eine sehr typische Screwball Comedy, bei der das Paar mal nicht heteronormativ ausgerichtet ist. Weil für viele Kinozuschauer heutzutage die Filmgeschichte leider erst irgendwann um 1970 (oder gar 1990) zu beginnen scheint, und man mit Filmen in Schwarzweiß oder gar -schock!- ohne Ton kaum mehr Kontakt hat, muss ich kurz was zur Screwball Comedy sagen, die immer stärker mit der Romantic Comedy in einen Topf geschmissen wird...
Mir fiel dieser Definitions-Verlust zum ersten Mal im Zusammenhang mit dem hundertsten Geburtstag des Warner-Brothers-Studio auf, als man zur Feier ein paar Filmprogramme unters Volk warf, und ich schockiert war, dass man mit dem Begriff Screwball Comedy herumschmiss, als wenn man nur noch wüsste, dass in manchen Cartoons gern eine spitz zulaufende Schraube gefolgt von einem Baseball in Denkblasen oder ähnlichem gezeigt wurde, um so klarzustellen, dass eine Figur komplett wacky, durchgedreht oder »neben der Spur« ist. Solche Figuren gibt es auch in den klassischen (oder postklassischen) Filmen, die man zum Genre Screwball Comedy zählt. Dieses war vor allem in den 1930ern en vogue, und zu seinen bekanntesten Vertretern gehören Filme wie It happened one night (Oscar-Klassiker!), Bringing up Baby, My Man Godfrey, His Girl Friday oder The Awful Truth (alles persönliche Favoriten, die ich auch schon mal im Kino* gesehen habe). Zu den auffälligen Merkmalen gehören (und hier mache ich es mir mal leicht und zitiere das rororo-Filmlexikon von Liz-Anne Bawden / Wolfram Tichy, 1977 [Seite 587 in Band 2 meiner Ausgabe von 1983]):
»ein respektloser Humor, ein schneller Rhythmus und exzentrische Charaktere«
, wobei ich den außer Kontrolle geratenen Amerikanismus am Ende des Zitats vermieden hätte und »Figuren« geschrieben hätte.
*ja, natürlich war das im Arsenal - wozu die Frage?
Gänzlich für diese Kritik habe ich mal meine grauen Zellen angestrengt und drüber nachgedacht, wie man die Screwball Comedy und die RomCom unterscheiden kann. Zunächst mal gibt es eine größere Schnittmenge, das kann und will ich nicht leugnen. Die RomCom wirkt, als wäre sie der »weiter« gefasste Begriff, zwängt sich aber gerade heutzutage in ein engeres Korsett von bestimmten Regeln. Rückwirkend kann man beispielsweise schon Shakespeares Much Ado about Nothing (Viel Lärm um nichts für Leute, die alles auf Deutsch brauchen) als Romantic Comedy bezeichnen. Beim Drüber-Nachdenken ist mir aber aufgefallen, dass die Liebe (eines konkreten Paares) in der RomCom stark im Zentrum der Handlung steht, und alles andere im Dienst dieses Handlungselements steht. Das ist in der Screwball Comedy anders. Ein spektakulärer Kriminal-/Gerichtsfall in His Girl Friday, ein entlaufener Leopard namens »Baby« oder eine Handvoll verwechselte Koffer in What's Up, Doc kann für längere Passagen die durchaus vorhandene love story einfach mal in den Hintergrund drängen.
In der Romantic Comedy gibt es dafür bestimmte Handlungsmuster, die teilweise sklavisch durchgespielt werden. Das Paar muss aufeinander treffen, irgendein blödes Missverständnis scheint es im letzten Drittel zu trennen, und gerne muss dann (mindestens) eine Figur gegen Ende zum Bahnhof rennen, um alles (aka die Liebe) in letzter Sekunde zu retten. Das kann es alles auch in einer Screwball Comedy geben (na gut, das mit dem Bahnhof ist etwas übertrieben), aber die Gewichtung kommt mir anders vor.
Und natürlich gibt es auch RomComs, die so lahmarschig oder prüde sind, dass niemand die Frechheit besitzen sollte, sie Screwball Comedy zu nennen. Ich finde es etwas unfair, an dieser Stelle Doris Day und Rock Hudson ins Gespräch zu bringen (sie waren auch Opfer ihrer Zeit), aber leider sind sie schon sehr hilfreich, um dies zu illustrieren.
Ich könnte an diesem Punkt lang und schmutzig ausführen, wie respektlos der Humor in Drive-Away Dykes (sorry, der Titel ist einfach so viel besser!) ist, oder wie sehr Margaret Qualley dem Vorbild von Katherine Hepburn oder Barbra Streisand entspricht (und sie ist dabei auch noch so viel »schauspielintensiver« als in Once Upon a Time ... in Hollywood, wo sie mich bereits verzauberte), aber ich will ja auch noch auf die Elemente aus der hard-boiled crime novel zu sprechen kommen, die sich vor allem im Film Noir ins Medium Film drängte, aber auch darüber hinaus ohne die Inszenierungsmerkmale des Film Noir in die Filmgeschichte eingeschrieben hat. Hierbei denkt man zuerst an die Detektivgeschichten von Raymond Chandler oder Dashiell Hammett (übrigens zentrale Elemente in der Filmographie der Coens), aber es gibt auch wichtige Autoren wie James M. Cain (The Postman always rings twice, Double Indemnity), wo die »Auflösung« eines »Falls« nicht so wichtig ist wie bei den Geschichten, in deren Zentrum ein Ermittler steht.
Das passt irgendwie ganz hübsch zu meinen Screwball Comedy-Bestimmungsversuchen, und dass das flugs von mir definierte »Koffer-Genre« sich eigentlich auch ganz gut an What's Up, Doc schmiegt, ist jetzt nichts, was von mir auf clevere Weise herbeigeführt wurde, sondern was im ungebremsten (!) Rede- (oder Schreib-)Schwall irgendwie an die Oberfläche kam. Und mir gefällt es!
Foto: Wilson Webb © 2023 Focus Features LLC.
Eine ausführliche Inhaltsangabe braucht kein Mensch (»Woorum geht's denn in dem Film?« -- »Dass es ein fucking Film ist, aber das verstehst Du doch nicht...«), also komme ich noch zu Punkten, die ich betonen möchte.
Wiederkehrende psychedelische Passagen im Film scheinen zunächst nicht zum Zeitpunkt 1999 zu passen, sind aber im Nachhinein immens wichtig für die Handlung. Aufmerksam bleiben!
Fast noch auffälliger sind die Trickblenden (ausnahmsweise online recherchiert, Dank an die Kollegen bei kinofenster.de) zwischen manchen Szenen. Sowas wie zu Stummfilmzeiten die Irisblende oder bei Star Wars die Wischblenden. Nur noch etwas abgedrehter... Und dass Schnitt ein wichtiges Element bei den Coens (und Tricia Cooke) ist, sieht man auch bei zwei sehr charmanten (akustisch unterstützten) Schnittkanten, die jetzt nicht allein über Gelingen oder Versagen eines Films entscheiden können, aber für mich als echten Fan waren auch diese kleinen Momente bezeichnend, weil man die Zurückbesinnung auf die Wurzeln des Mediums heutzutage manchmal vermisst... Wer braucht noch einen aufmerksamen Blick auf Filmmontage oder die Screwball Comedy, wenn wir doch CGI, KI und Tiktok haben?
*Vornehm unterdrückte Kotzgeräusche*
Ziemlich großartig finde ich das dem Liebespaar diametral zugeordnete »Gauner«-Paar von Arliss und Flint (Joey Slotnick und C J Wilson), das sich auf die Suche nach dem verlorenen Koffer macht. Die arbeiten ähnlich schlecht zusammen wie Peter Stormare und Steve Buscemi in Fargo, und es ist dabei, mit ein wenig emotionaler Distanz, ein Vergnügen, sie zu beobachten (Sie erinnern mich zum einen an J.K. Simmonds und Paul Giamatti, zum andern an Philip Seymour Hoffman und Bill Murray (nur echt mit gebrochener Nase). Infamerweise sind die beiden theatererfahrenen Schauspieler nicht so bekannt wie sieben KollegInnen, die es alle mit Bild- und Namensnennung aufs Plakat geschafft haben, wobei bei Pedro Pascal eindeutig seine Mitwirkung in The Mandalorian ausschlaggebender war als seine nicht gerade riesige Rolle.
Gut finde ich es hingegen, dass Bill Camp es aufs Plakat geschafft hat. Der ist trotz einer beeindruckenden Filmographie ganz sicher kein household name im Reich der Filmfreunde, aber weil sich seine Rolle so schön in der Coen-Riege ähnlicher hinterwäldlerischer Kaufmänner, die ganz zufällig auf kriminelle Elemente treffen, einordnet. Ich denke dabei vor allem an Raising Arizona und die Luftballons mit komischen Formen sowie den Herrn, der sich in No Country for Old Men eine Szene ganz allein mit dem späteren Oscar-Gewinner Javier Bardem teilen darf.
Bei den beiden weiblichen Darstellern neben Margaret Qualley müsste ich auch nicht mit Lob geizen, finde es aber gerade am interessantesten, dass ich - als Typ, der vor Corona eindeutig zu oft im Kino saß - Beanie Feldstein schon aus Booksmart kenne. Und Geraldine Viswanathan (Grüße an Cary Grant und Ryan O'Neal!) aus Emo the Musical. Das war in meinem vorletzten Berlinale-Jahr 2017.
Und um zum Schluss noch mal den Bogen zu schließen zu jenem, was ich 28 Seiten zuvor ausgeführt habe: Drive-Away Dykes hat neben den durchaus innovativen Punkte im Gegensatz zu bestimmten weniger empfehlenswerten Filmen der Coens oder ihrer zahlreichen Epigonen den Vorteil, dass nicht 31 Personen am Straßenrand liegen bleiben (vergleiche Fargo, die Fernsehserie), man aber dennoch immer wieder überrascht wird, was hier passiert oder nicht passiert. Besonders habe ich hier eine Szene in Erinnerung, wo man ein bisschen darum fürchtet, dass eine Nebenfigur als Illustration, dass die Heldinnen in greifbarer Lebensgefahr schweben, »geopfert« werden könnte - und das Ganze wird dann ähnlich unerwartet und bemerkenswert aufgelöst wie das große Koffer-Geheimnis
Dieser Film war mir ein großes Vergnügen, und auch mein Text dazu war ein positives Erlebnis (sorry, wenn das nicht alle LeserInnen nachvollziehen werden können, ich danke aber allen, die sich bis hier durchgekämpft haben), das zwei recht schreckliche Tage in meinem Brotjob (normalerweise mag ich den sogar) sehr gut kompensieren konnte.
Kino kann schon schweinegeil sein. Mann muss ihm aber eine Chance geben!
Notwendigerweise ausgelagerter Absatz (Man hätte sonst den Faden verloren):
(In der Coen-Filmographie kann man übrigens Miller's Crossing, The Big Lebowski und The Man who wasn't there 1:1 Hammett, Chandler und Cain zuordnen. Und The Hudsucker Proxy ist nicht nur ein Lobgesang auf Frank Capra, sondern hat auch die deutliche Elemente aus Screwball Comedy und RomCom - ja, hier vermischt es sich doch etwas, aber zumindest ist es hilfreich, dass die love story hier auch nicht alles andere überschattet.)