Der phönizische Meisterstreich
(Wes Anderson)
Originaltitel: The Phoenician Scheme, USA / Deutschland 2025, Story: Wes Anderson, Roman Coppola, Buch: Wes Anderson, Kamera: Bruno Delbonnel, Schnitt: Barney Pilling, Andrew Weisblum, Musik: Alexandre Desplat, zusätzliche Musik: Igor Stravinsky, Ludwig van Beethoven, Johann Sebastian Bach, Modest Mussorgsky, Maurice Ravel u.a., Kostüme: Milena Canonero, Production Design: Adam Stockhausen, Art Direction: Mariana Vasconcellos, mit Benicio del Toro (Anatole "Zsa Zsa" Korda), Mia Threapleton (Liesl), Michael Cera (Prof. Bjorn), Benedict Cumberbatch (Uncle Nubar), Riz Ahmed (Prince Farouk), Tom Hanks (Leland), Bryan Cranston (Reagan), Richard Ayoade (Sergio), Mathieu Amalric (Marseille Bob), Truman Hanks (Administrative Secretary), Jeffrey Wright (Marty), Scarlett Johansson (Cousin Hilda), Hope Davis (Mother Superior), Charlotte Gainsbourg (1st Wife), Antonia Desplat (2nd Wife), Willem Dafoe (Knave), Bill Murray (God), F. Murray Abraham (Prophet), Johannes Krisch (Cardinal), Volker Zack (3rd Assassin), Karl Markovicz (Hermit), Rupert Friend (Excalibur), Mattia Moreno Leonidas (Young Anatole), Beatrice Campbell (Young Liesl), Edward Hyland, Kit Rakusen, Milo James, Ogden Dawson, Hector Bateman-Harden, Benjamin Lake, Gunes Taner, Gabriel Ryan, Momo Ramadan, Jonathan Wirtz (Anatole's Sons), 101 Min., Kinostart: 29. Mai 2025
Der erste Film, den ich von Regisseur Wes Anderson sah, war Rushmore. Das ist immer noch mein Lieblingsfilm von ihm. Man erkennt zwar bereits alle späteren Markenzeichen, aber der Film kann atmen und seine Geschichte erzählen. Die Vielzahl von Ideen spiegelt hier eher die Veranlagung der Hauptfigur Max Fischer (ein junger Jason Schwartzman) als die des Regisseurs. Oder zumindest versteckt Anderson es hier noch gut.
Andersons Debüt Bottle Rocket habe ich nie nachgeholt, aber alle seine späteren Filme habe ich gesehen, nur Asteroid City und seinen jüngsten Episodenfilm mit vier Roald-Dahl-Verfilmungen habe ich verpasst (letzterer hatte nur in drei europäischen Ländern einen Kinostart). Rein ästhetisch kann man sich an jedem seiner Filme laben, aber gerade im Nachhinein betrachtet sind seine besten Filme die, die auch eine überzeugende Geschichte erzählen. Erstaunlicherweise sind das für mich die mit auffallend jungen Protagonisten im Zentrum, also Rushmore und Moonrise Kingdom. Tiere sind rein jahresmäßig auch immer jünger, aber seine Animationsfilme will ich jetzt mal außen vor lassen.
Designtechnisch fällt auf, dass seine Vorlieben oft einem Film besonders deutlich den Stempel aufdrücken. So gibt es einen Film über einen Zug, über ein U-Boot und über ein Hotel, der über ein Magazin geht auch ein bisschen in die Richtung.

Courtesy of TPS Productions / Focus Features © 2025 All Rights Reserved.
Mit dem allseits beliebten The Royal Tenenbaums bin ich nie richtig warm geworden, was mit völlig übertriebenem Make-Up zusammenhängt, leider ein Trend, der sich bei der jungen Novizin Liesl im neuesten Anderson, The Phoenician Scheme, wiederholt. Im Verlauf des Films kommt sie immer weiter ab vom anfänglichen, "reinen" Bild dieser Figur, sie schminkt sich wie Madonna in einer Nonnentracht, trägt immer mehr Glitzer-Accessoires, und nebenbei erweitert sie ihr Portfolio an ausgetesteten Alkoholika, interessiert sich für Männer und erlebt Abenteuer mit ihrem (möglichen) Vater. Man könnte auch sagen, sie wird "weltlicher", hält dabei aber fest am nur geringfügig variierten Schauspielstil dieser Figur. (Jaja, nicht die Figur hat einen Schauspielstil, sondern ihre Darstellerin, geschenkt. Wer den Film gesehen hat, wird verstehen, was ich meine -> die Figur hat eine ganz klare Vorstellung, wie sie sich der Welt gegenüber präsentieren möchte, und das ist eine Art Wes-Anderson-Stempel, der gleichzeitig auch der Darstellerin aufgedrückt wird. Erfahrene Schauspieler und -innen können sich dabei dennoch mit einem persönlichen Stil hervortun, als Newcomer hat man da Probleme. Ich würde sogar sagen, dass die Figur des Max Fischer einst den jungen Darsteller Jason Schwartzman mehr prägte als umgedreht, aber ich muss zugeben, dass das großkotzig und vermessen daherkommt und ich über keinerlei spezielle Einsichten verfüge, die ein solches Urteil festigen können. Ich fand aber, das ist auf das gesamte Phänomen Anderson bezogen eine interessante Feststellung.)
Der vermeintliche Vater (Benicio del Toro als Anatole "Zsa Zsa" Korda) eignet sich noch schlechter als Identifikationsfigur, auch wenn er im Verlauf des Films menschlicher wird, aber der Entwicklungsbogen aller Figuren im Verlauf des Films ist nicht so umfassend, dass der Film über den Status einer amüsanten Nummernrevue hinauswachsen kann. Es sind halt Wes-Anderson-Figuren, die sich so verhalten, wie man es von ihnen erwartet. Oder nicht erwartet, was auch typisch Anderson ist. Gerade DarstellerInnen, auf die er immer wieder zurückgreift, dürfen immer neu Facetten entwickeln und präsentieren. Es bleiben aber typische Wes-Anderson-Facetten. Selbst, wenn mal neue Darsteller dazu kommen (wie hier Tom Hanks und Bryan Cranston als seltsames Duo), so kriegen sie - zack! - den Wes-Anderson-Stempel, den es sogar konkret im Film gibt.

Courtesy of TPS Productions / Focus Features © 2025 All Rights Reserved.
Das kann - wie gesagt - amüsant sein, aber manchmal wird es auch anstrengend. In diesem Fall gibt es zum Beispiel (Vorsicht, leichter Spoiler!) eine Art Showdown zwischen "Zsa Zsa" und seinem Halbbruder Nubar (Benedict Cumberbatch), der für mich den endgültigen Knackpunkt im Film darstellte. Zwar gab es bei diesem Kampf wunderbare kleine Details (das großartigste natürlich die eindeutig von vulkanischen Lirpas inspirierten Quasi-Tiffany-Stehlampen, mit denen die beiden sich kurzzeitig duellieren), aber - ob gewollt oder nicht - man distanziert sich emotional komplett vom Geschehen auf der Leinwand. Was nützt das Ganze hochironisch süffisant erdachte Brimborium mit unzähligen Designern und knapp unter zehn assistant directors, wenn selbst eine Nebenfigur bei South Park in der Lage ist, einen stärker emotional einzubinden?
Die junge Nonne, der Insektenforscher, Korda selbst, eine Art Mischung aus The Shadow und Charles Foster Kane, das übliche gute Dutzend an unterschiedlich vertrauten Gaststars -> alles Comic- oder Cartoon-Figuren, die wie Schachfiguren auf einem Snakes-and-Ladders-Spielfeld herumbugsiert werden (und als großer Fan von Comics und Cartoons schmerzt es mich sehr, das so deutlich negativ konnotiert zu formulieren).

Courtesy of Focus Features © 2025 All Rights Reserved.
Trotz vieler grenzgenialer Ideen (etwa die Erörterung, wie die Bibel bzw. Gott selbst zur Sklaverei steht, einen seltsamen Basketball-Wettbewerb, der vor allem dadurch im Gedächtnis bleibt, mit welcher anderen Szene er zusammenmontiert wurde, oder diversen Nahtoderfahrungen bzw. Träumen, die jeweils in Schwarzweiß den Grad an Absurdität nochmal nach oben schrauben) gelingt es The Phoenician Scheme nicht, als Film an sich zu überzeugen, es ist einfach eine weitere Ergänzung zum Anderson'schen Werk, in der man bekannte Trends wiedererkennen kann (die 1950er als prägendes Jahrzehnt, eine weitere Gruppe der Lost Boys, romantische Ideale wie in Stufen einer emotionalen Zeitlupe eingefroren).
Als wenn man einen Roman liest, der zu 60 Prozent aus Fußnoten zu früheren Romanen des Autors besteht. Und wenn man die ignoriert, bleibt eine Art Gerüst, das von Seite zu Seite zu unterhalten mag, aber wehe, es fragt einen danach, jemand worum es eigentlich ging. Zu diesem vermeintlichen Kern des Werkes hatte ich ja schon einige Umschreibungen geliefert, ich habe auch kein schlechtes Gewissen, dass keine besonders positiv klingende darunter war.

Courtesy of TPS Productions / Focus Features © 2025 All Rights Reserved.
Ich kann es auch so zusammenfassen: ich habe mittlerweile hinreichend Filme von Wes Anderson gesehen, und bin jetzt an den Punkt gelangt, wo ich mich fragen muss, ob die jeweils nächste Variation des bekannten Systems / Themas den Kinobesuch denn noch unbedingt bedingt. Da schaue ich mir lieber Rushmore zum zwölften Mal an (aktuell ist drei oder vier ein akkurater Wert, aber ich erlaube mir zu extrapolieren).
Noch ist meine Haltung zu Wes-Anderson-Filmen etwas besser als die zu Marvel-Verfilmungen (ein seltsamer Vergleich, aber für mich total schlüssig). Bei den immer wieder neuen Ergänzungen zum Marvel-Universum gibt es starke Qualitätsschwankungen aufgrund unterschiedlicher (und unterschiedlich geeigneter) Regisseure, aber dafür ist immer mal wieder eine mir aus den Comics bekannte Figur dabei, die mein Interesse hervorrufen könnte (für einen halbwegs alleinstehenden Film). Bei Wes Anderson ist es ja so, dass die Ankündigung des jeweils neuen Films eigentlich auch keine Informationen mit sich bringt, die einen Unterschied macht, warum ich diesen speziellen Film denn sehen muss. Irgendwelche besonders verlockenden Gaststars*? Noch mal eine Roald-Dahl-Verfilmung?
*Selbst, wenn ich mir Mühe gebe, die Konstellation von Schauspielern zusammenzustellen, die mich persönlich dazu verleiten würde, dass mir der nächste Wes Anderson mit drei handverlesenen Hauptdarstellern konkret unabdingbar erscheinen soll, versage ich. Eddie Marsan, Mark Ruffalo und Margaret Qualley wäre da ein spontan ganz interessantes Trio... aber mit einem anderen (komplett unspezifischen!) Regisseur fände ich das deutlich spannender (und jetzt rutsche ich langsam in den beleidigenden Bereich, aber nichts in der Mördergrube, die ich mein Herz nenne, rebelliert da auch nur ansatzweise...)
Zum von mir "verpassten" Asteroid City könnte ich heute aufgrund der mir damals zugekommenen Informationen reichlich wenig sagen (die vorherrschend Ausleuchtung war glaube ich etwas besonderes). Das Fatale ist: ich glaube, wenn ich den Film gesehen hätte, wäre die Situation nicht so sehr anders. The French Dispatch hat mir ja gefallen, aber abgesehen von ein paar der in meiner damaligen Kritik eingebauten Zitate ist davon auch nicht viel hängen geblieben. Und da gibt es halt unzählige andere Filme (die nicht einmal besonders gelungen sein müssen), wo das vergleichbare "Resultat" im Grunde deutlich besser ausfällt. Kann aber auch ein individueller "Sättigungsgrad" sein...
Im Grunde spricht es auch nicht für mich, dass ich solange gebraucht habe, um etwas zu erkennen, was sich eigentlich nach vier oder fünf Filmen schon relativ deutlich abzeichnete. Und ich glaube, selbst eingefleischte Fans des Regisseurs werden zu einem ähnlichen Fazit kommen.
Wer sich brav bis zum Schluss durch meinen Text gekämpft hat, der darf gerne noch auf diesen Link als versöhnliches Bonusgeschenk klicken!