Last Night in Soho
(Edgar Wright)
Originaltitel: Last Night in Soho, UK 2021, Buch: Edgar Wright, Krysty Wilson-Cairns, Kamera: Chung-hoon Chung, Schnitt: Paul Machliss, Musik: Steven Price, Kostüme: Odile Dicks-Mireaux, Production Design: Marcus Rowland, Supervising Art Director: Tim Blake, mit Thomasin McKenzie (Eloise), Anya Taylor-Joy (Sandie), Matt Smith (Jack), Michael Ajao (John), Diana Rigg (Ms Collins), Synnøve Karlsen (Jocasta), Rita Tushingham (Gran Peggy), Terence Stamp (Silver Haired Gentleman), Beth Singh (Cilla Black), Elizabeth Berrington (Ms Tobin), Colin Mace (Taxi Driver #1), Jessie Mai Li (Lara), Kassius Nelson (Cami), Rebecca Harrod (Ashley), Aimeé Cassettari (Eloise's Mother), 116 Min., Kinostart: 11. November 2021
Wenn ich von den Filmen ausgehe, die ich mit ihnen kenne, sind Thomasin McKenzie und Anya Taylor-Joy zwei junge Schauspielerinnen, wie sie kaum unterschiedlicher sein könnten. Die aus Neuseeland stammende Thomasin stellt in ihren beiden Filmen (Jojo Rabbit, Leave no Trace) eine ungekünstelte kaum geschminkte Überlebenskünstlerin da, während Anya (Emma.) dafür bekannt ist, bis zum geht nicht mehr aufgebrezelt zu sein, und einen überzogenen Manga-Blick kultiviert hat, mit dem sie eine dauerhafte Unterscheidung zwischen ihrer Figur und niederen Statisten in ihrem Umfeld zu betonen scheint. In Last Night in Soho demonstriert Edgar Wright, wie wenig notwendig ist, um die beiden fast zu Zwillingsschwestern zu machen: falsche Wimpern und zu viel Make-Up, eine blonde Perücke und einen ähnlichen Kleidungsstil - und selbst, wenn die eine verhuscht wie ein fliehendes Reh, unnahbar und leicht psychisch gestört erscheint, während die andere sich in fokussiertem Selbstbewusstsein übt (obwohl ihr dies nur begrenzt weiterhilft), werden sie hier wie Spiegelbilder inszeniert.
Eloise alias Ellie (McKenzie) ist eine heutzutage lebende angehende Modedesignerin, wobei man in den ersten ca. acht Minuten des Films, in denen sie in einem aus Zeitungsseiten geschnittenen Kleid durch das Haus ihrer Großmutter tanzt, denken könnte, sie lebe in den 1960ern. Ein Plakat von Breakfast at Tiffany's, ein größtenteils mit alten Schallplatten vollgestopfter Koffer für ihren Studienbeginn in London, erst, wenn sie in einem nicht-mehr-Sechziger-gerechten Zug fast futuristische Kopfhörer trägt und ein Smartphone ins Spiel kommt, begreift man, dass sie ein Kind unserer Zeit ist, auch wenn das Leben mit ihrer Großmutter sie wohl stark geprägt hat.
Nebenbei erfährt man auch, dass sie wohl öfter ihre früh gestorbene Mutter wie eine Erscheinung auftauchen sieht, was für den weiteren Verlauf der Handlung durchaus eine Rolle spielt. Darauf komme ich noch zurück.
Ellie kommt an in London, bemerkt, dass ihre Mitbewohnerin im Studentenheim sich gemeinsam mit deren besten Freundinnen über sie lustig macht, woraufhin Ellie sich eine Mietwohnung organisiert, die wieder voll in ihr Sechziger-Faible passt. Ihre Vermieterin wird übrigens von Diana Rigg in der letzten Rolle der vor kurzem verstorbenen einstigen Stilikone (Mrs. Emma Peel) gespielt.
© 2021 Focus Features, LLC. All rights reserved.
Während Ellie sich an der Hochschule zu beweisen trachtet (vor allem was die Bullyparade ihrer Ex-Mitbewohnerin Jocasta angeht) und unter anderem ein vielversprechender Verehrer aus dem selben Studienfach immer wieder ihre Nähe sucht, träumt sie des Nachts von den 1960ern. Fast wie eine Fernsehserie spinnt sich die Geschichte von Nacht zu Nacht weiter, sie erlebt die Abenteuer der mit Schauspielavancen nach London gekommenen Sandie (Taylor-Joy), wobei nicht nur die Geschichten selbst sich ähneln, sondern Edgar Wright, der ja in Filmen wie Scott Pilgrim vs. the World oder Baby Driver bewiesen hat, wie er mit viel Detailliebe, Timing und dem richtigen Soundtrack kaum eine filmerische Herausforderung scheut, ist hier für die gefühlt erste Hälfte des Films damit beschäftigt, Ellie quasi in die Rolle von Sandie schlüpfen zu lassen. Die eine betrachtet die andere aus Spiegeln heraus, wenn Doctor-Who-Darsteller Matt Smith in den Sechzigern mit Sandie tanzt, kann es passieren, dass sich seine Tanzpartnerinnen in einer (langen) Einstellung vier- bis fünfmal wechseln... die etwas angeberische Zurschaustellung von Wrights Möglichkeiten wird fast etwas nervend - nicht zuletzt, weil diese Sequenzen und Spielereien den restlichen Film zurückfallen lassen ... und man nicht recht weiß, was das Ganze soll.
Foto: Parisa Taghizadeh © 2021 Focus Features, LLC. All rights reserved.
In der Sechziger-Geschichte kommt es so, wie Ellies Oma sie immer gewarnt hat: London ist ein gefährliches Pflaster und Männern soll man nicht vertrauen. Sandies neuer Freund, der ihr ein Casting organisiert hat, lässt sie als leichtbeschürzte Tänzerin auftreten, eh sie sich im Separée um einzelne Herren kümmern soll. Übrigens mit all jenen Klischees, wie man sie aus Fernsehfilmen wie Nathalie auf dem Babystrich (oder so ähnlich) kennt. Und Ellie scheint immer mehr in diese Traumwelt abzurutschen. Oder vielleicht wäre die passendere Formulierung, dass die Traumwelt von ihr Besitz zu ergreifen trachtet. So gibt es mal eine Kussszene mit dem später nicht mehr so nett wirkenden Zuhälter und am nächsten Tag stellt Jocasta im Seminarraum fest: »How retro of you: a hickey!«
Als dann als dritte Sechziger-Ikone nach Diana Rigg und Rita Tushingham (Ellies Oma) noch Terence Stamp auftaucht und ab und zu mal böse in die Kamera funkelt, während Ellie im Traum erlebt, wie Matt Smith Sandie mit einem Messer angreift und ihr im (größtenteils modernen und realen) Leben plötzlich wie anhängliche Zombies Geister folgen, die wie Sandies zahlreiche Freier aussehen (nur mit unkenntlichen Gesichtern), erkennt man, dass Ellies »Gabe«, Geister zu sehen, ihr Leben in Gefahr bringen könnte. An diesem Punkt des Films angekommen, sah ich zwei naheliegende Verläufe des Films: entweder wird Ellie einen Kriminallfall in den Sechzigern auflösen oder ihr steht das Schicksal von Catherine Deneuve in Polanskis Repulsion bevor: sie verliert den klaren Blick, zwischen Trugbildern und Halluzinationen zu unterscheiden und wird irgendwen verletzen oder töten, während sie mit einem der Geister der Sechziger kämpft.
Foto: Parisa Taghizadeh © 2021 Focus Features, LLC. All rights reserved.
Das Schlimme daran: Es hat mich keinen Deut' interessiert, wie sich der Film weiter entwickeln wird. Weil die ganze Geschichte einfach so ein konstruierter Schmarrn ist, ein Vehikel für Edgar Wrights bevorzugte Inszenierungs-Spielchen, wobei man vor allem merkt, dass man keine Psycho-Thriller drehen sollte, wenn man sich nicht wirklich für Psychologie interessiert. Wright bündelt diverse Filmansätze (angeblich soll ihm Martin Scorsese noch ein paar passende Filme aus der Zeit eingesagt haben) und macht daraus einen Film, der vor allem davon lebt, die Zuschauenden immer wieder auf falsche Fährten zu locken. Wobei der Grusel-Effekt in Last Night in Soho schon erschreckend nichtexistent verpufft. Ab und zu den Geräuschpegel hochzureißen und Dutzendweise »Freier-Geister« auftauchen zu lassen, reicht einfach nicht.
Hier und da gibt es ein paar gute Ideen, das will ich nicht leugnen, aber wenn am Schluss alles aufgeklärt wird, passt alles zueinander, aber als Zuschauer fühlt man sich bösartig manipuliert. Vor allem angesichts dessen, was für eine nichtige Geschichte hinter dem ganzen Gedöns steckt. Das war noch deutlich enttäuschender als die überflüssige Splatter-Haftigkeit am Ende von Baby Driver.
Foto: Parisa Taghizadeh © 2021 Focus Features, LLC. All rights reserved.
Nach dem Film kann man tatsächlich auch mal darüber nachdenken, inwiefern Last Night in Soho auch ein Kommentar darauf ist, wie sich das Filmemachen verändert hat. Nicht rein technisch, sondern was die gesellschaftlichen Ansprüche angeht. Das Frauenbild von damals, die Diversität von heute. Wobei etwa die Diversität von Jocasta und ihren Freundinnen nicht das Geringste daran ändert, dass es sich hier um Klischeefiguren ohne irgendeine Spur von Eigenleben handelt. Und dass Ellies Freund John hier einfach nur der Alibi-Schwarze ist, der wenig mit den 2020ern zu tun hat, sondern einfach wie eine zeitgenössische Quote wirkt, die erfüllt werden muss.
Wo Edgar Wright in Baby Driver und Scott Pilgrim eine Art Meisterschaft betrieb, Songtitel um seine weiblichen Hauptfiguren Ramona und Debra hübsch und handlungstragend in die Filmhandlung einzubauen, ist diesmal der 1960er-Soundtrack mit beispielsweise »Puppet on a String«, »Downtown« oder - natürlich - »Eloise« nur ein Taschenspielertrick, der über die anderweitigen Mängel des Films hinwegtäuschen soll.