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11. März 2020
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Der Spion von nebenan (Peter Segal)


Der Spion von nebenan
(Peter Segal)

Originaltitel: My Spy, USA 2020, Buch: Jon Hoeber, Erich Hoeber, Kamera: Larry Blanford, Schnitt: Jason Gourson, Musik: Dominic Lewis, mit Dave Bautista (Jason »JJ« Jones), Chloe Coleman (Sophie), Kristen Schaal (Roberta »Bobbi« Ulf), Parisa Fitz-Henley (Kate), Ken Jeong (David Kim), Greg Bryk (Viktor Marquez), Devere Rogers (Carlos), 101 Min., Kinostart: 12. März 2020

Ein entscheidender Punkt bei der Tätigkeit des Filmkritikers ist es, dass man sich in jedem Fall neu entscheiden muss. In den Neunzigern gab es einige Kollegen, die scheinbar eine persönliche Fehde mit dem aufkommenden bzw. inflationär überhandnehmenden »Fäkalhumor« hatten. Wenn man jetzt über die jahre nicht bemerkt, dass sich die Gesellschaft und mit ihr der Humor verändert, und nicht begreift, dass es auch Fälle gibt, in denen man aus diesem vermeintlichen Ausschlusskriterium für gute Filme auch gelungene Komödien machen kann, hat man meines Erachtens nichts in diesem Job zu suchen. Und wenn man dann beispielsweise die Farrelly-Brüder für sich entdeckt hat (There's something about Mary, Shallow Hal), dann aber nicht wahrnimmt, dass die auch nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen haben und zwischendurch auch mal ein paar Stinker abgeliefert haben, hat man ebenfalls nicht durchdrungen, dass über jeden Film ganz individual entschieden werden muss.

Warum ich diesen oberlehrerhaften Einstieg benutze? Es ist mir nicht entgangen, dass vieles, was ich in meinem Verriss zu Bloodshot benutzt habe, auch auf diesen Film zutrifft, aber das darf mich nicht davon abhalten, einmal meinen Unmut zu beschreiebn und einmal eine keinesweg innovative Komödie als durchaus unterhaltsam zu beschreiben.

Selbst, wenn ein nicht geringer Punkt bei meiner Entscheidung womöglich daran liegt, dass ich eine Schwäche für Dave Bautista (Guardians of the Galaxy) habe, während mich das Phänomen Vin Diesel eigentlich ziemlich kalt lässt.

Der Spion von nebenan (Peter Segal)

© Tobis Film GmbH

Beides sind typische Actionhelden, aber während Vin Diesel in seiner Filmauswahl wie auch bei seiner Darstellung voll auf gewisse Machoallüren baut, schafft es der Ex-Wrestler Bautista, in seinen Rollen immer auch eine deutliche Selbstironie einzubauen.

My Spy ist eine Familien-Actionkomödie, die deutlich auf dem scheinbaren Widerspruch des harten Actionhelden und des Familienmenschen aufbaut. Das kennt man ganz ähnlich aus Filmen wie Kindergarten Cop (mit Arnold Schwarzenegger) oder sogar mit Vin Diesel in The Pacifier. Letztgenannten Film habe ich nicht gesehen, was schade ist, weil ich das entweder zur Untermauerung meiner Thesen nützen könnte - oder vielleicht entdecken würde, dass ich in diesr Art von Film womöglich selbst Vin Diesel etwas abgewöhnen könnte. Was ich aber in diesem Absatz noch unbedingt loswerden will: den zweideutigen Titel, der sowohl einen Actionhelden umschreibt als auch einfach ein Wort für einen Schnuller ist, finde ich schon ziemlich groß. Auf Deutsch hieß der Film glaube ich »Der Babynator«, was vor allem davon zeugt, dass der deutsche Verleih damals typischen Action-Fans noch nicht zutraute, den gelungenen Gag zu verstehen. Wahrscheinlich hätte ich selbst den deutschen Zusatztitel »Der Schnulli-Nator« noch besser gefunden, weil er es wenigstens versucht, den Gag zu retten.

Der Spion von nebenan (Peter Segal)

© Tobis Film GmbH

Genug davon. My Spy hat als Regisseur den keineswegs verlässlichen Komödienspezialisten Peter Segal (50 First Dates, aber auch Get Smart, einen Teil der Naked Gun-Filme und das Remake zu Nutty Professor mit Eddie Murphy (was ich nicht gesehen habe, aber was für mich nicht nach großem Potential aussieht). Segals letzter Film war das Jennifer-Lopez-Vehikel Second Act (»deutscher« Titel: Manhattan Queen), vor dem mich einige Kollegen eingehend gewarnt haben.

Was Segal hier abliefert, wirkt wie eine Mischung aus Kindergarten Cop, der John Badham-Polizisten-Komödie Stakeout (mit Richard Dreyfuss und Emilio Estevez, lang ist's her...) oder, deutlich neuer, der Action-Romantic-Comedy This Means War, wo sich Chris Pine und Tom Hardy um Reese Witherspoon streiten.

In all diesen Filmen, die sich in ihrer Kernidee durchaus unterscheiden, geht es um unterschiedlich geschickt eingesetzte Action-Klischees, die jeweils mit Komödienelementen gepaart werden, die traditionell eher ein weibliches Publikum ansprechen. Diese klare Geschlechtertrennung gibt es heutzutage nicht mehr ganz so extrem, aber man könnte von Date-Movies für männliche Action-Fans sprechen, bei denen sich bestimmte Geschlechterklischees etwas entgegen kommen können.

Ein Standard in diesem sehr vereinzelt auftretenden Misch-Genre ist es, dass irgendwelche Cops oder Agenten sich quasi in den falschen Film verirren, aber gegen Ende dann ihren love interest und oder Kinder vor einem typischen Bösewicht (also beispielsweise Til Schweiger) retten dürfen. Und danach gibt es dann oft noch das typische RomCom-Ende, wo die Kerle die Lüge, auf der die Beziehung aufbaut eingestehen müssen - und weil sie ganz schmuck sind und der weiblichen Hauptfigur gerade das Leben gerettet haben, drückt diese mal ein Auge zu und nach dem Kino darf weitergeknutscht werden...

Der Spion von nebenan (Peter Segal)

© Tobis Film GmbH

In My Spy kann man ganze Szenen aus den genannten Filmen wiedererkennen, aber immerhin klappt die Chemie zwischen Bautista und seiner Stieftochter in spe (Chloe Coleman aus Big Little Lies), die ihn und seine Action-Klischees ganz hübsch aufmischt und ihn quasi erpresst, sie als Aushilfsdad zu bespaßen.

Dann gibt es natürlich die entzückende Mom (Parisa Fitz-Henley, die schon mal Meagan Markle spielte und hier den Rollennamen Kate bekam... Zufall?) und als Emilio-Estevez-Ersatz Kristen Schaal (The Last Man on Earth), die ein besonderes Potential dafür hat, gleichzeitig ein wenig zu nerven, aber dabei irgendwie charmant zu sein - und selbst noch aus humoristischen Rohrkrepierern einiges herauszuholen.

Außerdem zu den Guten gehört Ken Jeong, der als Koreaner im Kofferraum in den Hangover-Filmen bekannt wurde und der mich als bit player immer etwas amüsiert. Noch viel deutlicher als Kristen Schaal kann er aber auch mal ganz schön daneben liegen mit seinen überzogenen Darstellungen.

Der Spion von nebenan (Peter Segal)

© Tobis Film GmbH

Noch mal kurz zurück zu Stakeout, den ich in einer Phase meines Lebens vielleicht zu oft gesehen habe. Da geht es um zwei Polizisten, die die Exfrau eines gerade aus dem Knast entlassenen Verbrechers beschatten sollen, weil man glaubt, der könne wieder auftauchen. Dabei verschaut sich Richard Dreyfuss in Madeleine Stowe und verstößt gegen diverse Polizeivorschriften ... kann man alles ziemlich gut in My Spy wiedererkennen.

Die innovativste Idee des neuen Films wirkt auf mich ein wenig wie eine zeitgemäße Entsprechung eines zweiten Polizistenpärchens in Stakeout, mit denen Dreyfus und Esteves immer die Schichten wechseln, was zu vielen Frotzeleien und einigen hübschen Szenen führt, wenn Dreyfus in seiner Freizeit mit der observierten Frau anbändelt und weiß, dass er dabei nicht von den Kollegen erwischt werden darf (so ähnlich auch in This Means War wiederzuerkennen). Es wirkt so, als hätten die Drehbuchautoren von My Spy begriffen, dass sie in ihrem Film ein ähnliches zusätzliches Element benötigen, und immerhin schaffen sie es dabei, ein typisches Klischee aus vergleichbaren Filmen mal mit einer Abweichung etwas spannender zu machen.

Nicht bahnbrechend, aber offenbar waren meine Erwartungen und Ansprüche bei diesem Film auch nicht ganz so hoch. Ein weiteres Element, dass eigentlich hauptverantwortlich für meine Bezugnahme auf Bloodshot war, ist die etwas seltsame »Hommage« auf Actionfilme, wie ich sie eigentlich nicht mag. Diesmal weniger Michael Bay als diese ganze Bruckheimer-Suppe. Die große Unterschiedung ist aber, dass man da nicht einfach was übernimmt und sich dann später versucht rauszureden. Nein, ähnlich wie in Team America: World Police oder Hot Fuzz macht man sich mit bescheidenen Mitteln auch etwas über Action-Filme und ihre Fans lustig, und auch, wenn das mehr so auf dem Effekte-Level von Switch abläuft, fand ich auch dies fast charmant.

Belanglose Unterhaltung, aber mit dem Herzen am rechten Fleck und Darstellern, die das Ding rausreißen - letzteres könnte übrigens auch ein Beschreibung der gesamten Filmographie von Peter Segal sein...