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3. Februar 2018
Thomas Vorwerk
für satt.org


  The Disaster Artist (James Franco)


The Disaster Artist
(James Franco)

USA 2017, Buch: Scott Neustadter, Michael H. Weber, Vorlage: Greg Sestero, Tom Bissell, Kamera: Brandon Trost, Schnitt: Stacey Schroeder, Musik: Dave Porter, mit Dave Franco (Greg Sestero), James Franco (Tommy Wiseau), Seth Rogen (Sandy Schklair), Alison Brie (Amber), Ari Graynor (Juliette Danielle), Josh Hutcherson (Philip Haldiman), Sharon Stone (Iris Burton), Jacki Weaver (Carolyn Minnott), Zac Efron (Dan Janjigian), Melanie Griffith (Jean Shelton), Bryan Cranston, J.J. Abrams, Kristen Bell, Zach Braff, Adam Scott, Judd Apatow, Lizzy Caplan (Themselves), 104 Min., Kinostart: 1. Februar 2018

Es gibt viele Filme über Dreharbeiten, weil das eine Welt ist, die den Filmemachern vertraut ist und dem Publikum gewisse Einblicke verspricht, die zumeist recht unterhaltsam sind. François Truffauts La nuit americaine oder Andreas Dresens Whisky mit Wodka fallen mir da als erstes ein, aber es gibt unzählige Beispiele, von Filmanfängern (Worst Case Scenario) bis hin zu versierten Regiemeistern, die gerne von vergangenen Epochen Hollywoods berichten (Sunset Boulevard, Hail, Caesar!).

Über Dreharbeiten tatsächlich existierender Filme gibt es indes vergleichsweise sehr wenige Filme. Meistens geht es dann eher um die Stars solcher Filme (Alfred Hitchcock, Marilyn Monroe) im Zusammenhang mit einem Biopic oder ähnlichem. Dabei entfernt man sich aber eher von der Realität, weil die Legende viel interessanter ist und man ja meistens irgendetwas über diese Personen erzählen will.

Der professionelle Nine-to-Five-Aspekt von Dreharbeiten spielt so gut wie nie eine wirkliche Rolle, stattdessen will man etwas Extravagantes zeigen (der Kamerakran bei Vincente Minelli) oder das Scheitern dokumentieren, kurzum: einen des Kinos würdigen Filmstoff präsentieren.

The Disaster Artist (James Franco)

Foto: Justina Mintz, courtesy of A24 and New Line Cinema, © Warner Bros. Entertainment Inc. & Ratpac-Dune Entertainment LLC

Schon der Titel The Disaster Artist klingt auch wieder nach Scheitern, aber das Interessanteste an dem Film ist, dass Erfolg und Scheitern sich nicht gegenseitig ausschließen müssen. Hier wird gezeigt, dass dies auch eine Ermessens- und Perspektiven-Frage ist.

Ein kurzer Überblick über die Eckdaten. Ein mysteriöser Regisseur namens Tommy Wiseau (James Franco), der über erstaunliche Geldmittel verfügte, drehte einst einen Film namens The Room, der sich mit Wiseaus etwas verschobenen Blick auf eine gescheiterte Beziehung befasste (so eine Art autobiographisches Melodrama). Leider hatte Wiseau kaum Erfahrungen oder Kenntnisse über das Filmbusiness, aber ganz genaue (oft absurde) Vorstellungen davon, die er aufgrund seiner Finanzen (und der Bereitschaft seiner Crew, sich für die Bezahlung einiges gefallen zu lassen) auch umsetzen konnte. Das Ergebnis war der »beste schlechte Film aller Zeiten«, der sein Publikum vor allem durch seine unfreiwillige Komik in den Bann zog (à la Plan 9 from Outer Space oder Attack of the Killer Tomatoes), aber durch die im Film verborgene, durchaus tragische Lovestory auch darüber hinaus. Über die Dreharbeiten dieses Films schrieb der früh im Projekt involvierte Greg Sestero (zusammen mit einem professionellen Schreiberling) ein Buch, aus dem die Autoren von (500) Days of Summer und The Fault in our Stars ein Drehbuch schufen, dass Franco jetzt mit seinem Bruder Dave (er spielt den vergleichsweise normalen Sestero) verfilmte.

The Disaster Artist (James Franco)

Foto: Justina Mintz, courtesy of A24 and New Line Cinema, © Warner Bros. Entertainment Inc. & Ratpac-Dune Entertainment LLC

Für sein Porträt des gewöhnungsbedürftigen Wiseau (er spricht unter anderem wie eine Art osteuropäischer Yoda) erhielt Franco bereits einen Golden Globe, für den Oscar ist er jedoch nicht einmal nominiert (offensichtlich können Journalisten mit der Darstellung mehr anfangen als Filmschaffende!). Es ist auch ziemlich spektakulär, wie es Franco als Regisseur und Darsteller schafft, Tommy Wiseau als Filmfigur einerseits der Lächerlichkeit preiszugeben (»Home Alone - that movie changed my life!«), der realen Person dahinter aber dennoch seine Würde zu erhalten.

Schon beim ersten Zusammentreffen von Wiseau und Sestero, als ersterer eine komplett überzogene Version von Tenessee Williams' A Streetcar named Desire darbietet, die letzteren sofort in seinen Bann zieht, kann man dennoch verstehen, dass Tommy für Greg durchaus eine Vorbildfunktion hat. Wenn man sich einen guten Schauspieler als so etwas wie einen wandlungsfähigen Dachs vorstellt, dann ist Sestero ein schüchternes Oppossum und Wiseau ein Löwe mit Sprachfehler, der den feinen Unterschied zwischen Marlon Brando und William Shatner irgendwie nicht wahrnimmt und somit den Ruf nach »Stella« eher so intoniert wie den aus komplett anderen Gründen ausgestoßenen Schrei »Khaaaaan!«. Aber die beiden Extreme ergänzen sich durchaus (das nenne ich meine »Mittelweg-These«) und Sestero kann von Wiseau einiges lernen, wenn dieser ihn beispielsweise dazu drängt, mitten in einem Diner mit unangemessen lauter Stimme einen Dialog zu proben.

(Ich bin mir übrigens der Ironie bewusst, dass William Shatner im Animationsfilm Over the Hedge ein Oppossum spricht. Für ein quod erat demonstrandem meiner Mittelweg-These reicht das aber noch nicht ganz.)

The Disaster Artist (James Franco)

Foto: Justina Mintz, courtesy of A24 and New Line Cinema, © Warner Bros. Entertainment Inc. & Ratpac-Dune Entertainment LLC

The Disaster Artist ist ein wenig, und das ist natürlich Methode, wie The Room: ungeheuer witzig auf der Grenze zum Fremdschämen - aber auch mit einem Herz, einer Seele, die dem Film seine Authentizität verleiht. Viele Pointen sind nicht nur so dahingesagt, sondern erzählen von der Natur des Menschen, von den Abgründen, die man auch ohne Hollywooderfahrung nachvollziehen kann.

Wenn Gregs Mutter etwa so gar nicht angetan ist von seinen Plänen und ihn (in seinem besten Interesse) warnt: »You don't just show up in L.A. and things happen [...] you have to be talented.«, dann realisiert sie einen Augenblick zu spät den Fehler ihrer Rhetorik und fügt entschuldigend »I didn't mean it like that...« hinzu.

Wie in Sesteros Buch ist der Humor der Absurdität in jedem Augenblick greifbar, doch er verleumdet nicht wie in einer gehässigen Sitcom, sondern hat einen tiefempfundenen, beinahe respektvollen Kern.

The Disaster Artist (James Franco)

Foto: Justina Mintz, courtesy of A24 and New Line Cinema, © Warner Bros. Entertainment Inc. & Ratpac-Dune Entertainment LLC

Dass Tommy Wiseau vom Typ her eher Schurken spielen sollte, aber sich (auch in seinem Privatleben) in der Heldenrolle sieht, ist ein wenig die Tragödie seines Lebens, die sich zur fehlenden Selbsteinschätzung à la Brandon / Shatner noch hinzugesellt.

In meinen Notizen habe ich noch unzählige wirklich gute Gags des Films festgehalten, aber der Humor ist ja wie gesagt nur die eine Seite. Wer nicht mit den beiden Hauptfiguren mitfühlt (oder zumindest mit Sestero!), wird vermutlich auch mit dem Humor alleine nicht so viel anfangen können und auch nie The Room sehen wollen, denn es geht hier nicht darum, einigen Losern bei der Arbeit zuzusehen - man muss begreifen, dass wir alle nicht so viel besser sind als Tommy. Und wir ihm insgeheim sogar seinen absurden Erfolg irgendwie neiden (abermals kommt die Mittelweg-These zum tragen).

Einen echten Kundenservice liefert The Disaster Artist dadurch, dass man zum Abspann nebeneinander die nachgefilmten Szenen aus dem gerade gesehenen Film sieht - und die entsprechenden Stellen aus The Room. Dadurch wird der Film auch ohne das geringste Vorwissen zum Vergnügen. Gibt einem aber auch einen Anreiz, die Werke von Wiseau und Sestero zusätzlich zu rezipieren - und dann The Disaster Artist sogar noch mal zu sehen. Aber für den Kultcharakter von The Room (der in ähnlichen Happenings wie bei The Rocky Horror Picture Show immer mal wieder überall auf der Welt gezeigt wird - oft mit Gastauftritt des Regisseurs und Hauptdarstellers) wird es nicht ganz reichen.