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10. Januar 2018 |
Thomas Vorwerk für satt.org | ||||||||
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Originaltitel: L'amant double, Frankreich / Belgien 2017, Buch: François Ozon, Mitarbeit: Philippe Piazzo, Lit. Vorlage: Joyce Carol Oates, Kamera: Manuel Dacosse, Schnitt: Laure Gardette, Musik: Philippe Rombi, Kostüme: Pascaline Chavanne, Production Design: Sylvie Olivé, Art Direction: Lilith Bekmezian, Set Decoration: Julien Tesseraud, mit Marine Vacth (Chloé Fortin), Jérémie Renier (Paul Meyer / Louis Delord), Jacqueline Bisset (Mme Schenker, Chloés Mutter), Myriam Boyer (Nachbarin Rose), Dominique Reymond (Gynäkologin Dr Agnès Wexler), Fanny Sage (Sandra Schenker), Jean-Édouard Bodziak (junger Psychoanalyst), Antoine de La Morinerie, Jean-Paul Muel (weitere Psychoanalysten), 107 Min., Kinostart: 18. Januar 2018
Die positivste Meldung zum Film gleich zu Beginn: L'amant double hat mich sehr neugierig gemacht auf ein Buch (Lives of the Twins), das Joyce Carol Oates einst unter Pseudonym (Rosamond Smith) schrieb. Leider ist es so, dass ich mir gut vorstellen kann, wie dieses Buch funktionieren könnte (es wird kurz vor Cronenbergs Dead Ringers und Jamie Delanos Hellblazer #40 sogar stilprägend die damalige Zeit repräsentiert haben), während der Film so altmodisch wie blöd daherkommt. Leider wurde das bestellte Buch nicht rechtzeitig geliefert, dass ich auch nur einen Blick hineinwerfen konnte (es wird vermutlich dieser Tage bei meinen Eltern im Briefkasten landen, bei denen es so um Neujahr ankommen sollte, aber bis 3.1. noch nicht zu sehen war) - und so wird der interessanteste Teil dieser Filmkritik, der Vergleich mit dem Buch, auch fast komplett ausfallen.
Nur so viel noch zu Joyce Carol Oates: Ich habe ausreichend viele Bücher von ihr gelesen, um mir ungefähr vorzustellen, wie gelungen die im Film vermurkste Story bei ihr sein könnte. Gerade die psychologische Natur der Geschichte und die Möglichkeit einer unverlässlichen Erzählerin erinnern mich an mehrere Bücher Oates', nicht zuletzt auch The Accursed und Black Girl / White Girl. Doch wo Oates in ihrer gesamten Karriere immer wagemutig ihren eigenen Weg beschritt, wirkt bei Ozon alles gezielt provokativ, aber ansonsten eher ziellos. Und ich wette einiges, dass die Szene mit dem Analverkehr von Ozon ergänzt wurde. Und das nicht, weil ich Oates so etwas nicht zutraue (sie schrieb immerhin so umstrittene Bücher wie Zombie oder Rape: A Love Story), sondern einfach, weil sie zur psychologisch ausgeklügelten Handlung nicht wirklich etwas beiträgt.
Kurzer Inhaltsabriss: Die trotz früherer Modeljobs mit geringem Selbstbewusstsein versehene Chloé (Marine Vacth aus Jeune & jolie) leidet unter Bauchschmerzen und träumt von einer Zwillingsschwester. Bei einer gynäkologischen Untersuchung blendet man von einer provokanten Detailaufnahme zu ihrem Auge über. Nach einem Besuch beim Psychiater Paul (Jérémie Renier), der sie fast nur quatschen ließ, offenbart sie ihm bei der zweiten Sitzung, dass die Bauchschmerzen weg sein, sie von ihm geträumt habe und ferner im Traum schwanger wurde. Durch Splitscreen-Einsatz werden die Köpfe der Figuren so drapiert, als seien ihre Körper bereits miteinander intim. »Wenn sie mich so ansehen, habe ich das Gefühl zu existieren.« Wegen zumindest rudimentär vorhandenem Berufsethos gibt Paul Chloé als Patientin auf (»Ich habe Empfindungen, die eine Therapie unmöglich machen«) - und zieht stattdessen mit ihr zusammen.
Er arbeitet jetzt in einem Krankenhaus, sie übernimmt einen Job als Museumswärterin (um die Geschichte mit seltsamen Exponaten visuell unterfüttern zu können). Dabei sieht es fast so aus, als sei sie das Ausstellungsstück des Museums. Die Veränderung von einer weiblichen Autorin zu einem männlichen Regisseur macht aus einer weiblichen Fantasie ein männliche Voyeurismus-Kiste, während Chloé einen Doppelgänger Pauls (Jérémie Renier jetzt als Louis) entdeckt, der ebenfalls als Psychoanalytiker arbeitet (Paul bestreitet vorerst, einen Bruder zu haben) und mit dem sehr schnell eine Affäre mit noch deutlicheren dominant-devoten Rollen beginnt (Zitat aus der ersten Sitzung: »Nächstes Mal sehen wir, ob sie interessant sind oder nur ein Miststück...«).
Chloés Träume werden jetzt zu einer Mischung aus Wunsch und Horrorvision: Sie gerät in einen Sex-Dreier mit den Zwillingsbrüdern, entwickelt sich dabei zum siamesischen Zwilling in der Mitte. Wie die Nachbarin von Paul und Chloé hat auch Louis einen Schildplattkater, die es fast nur als Zwillinge gibt - »einzigartige monströse Kreaturen«. Auch bei Menschen ist es möglich, dass sie im Erwachsenenalter entdecken, dass sie den Fötus eines Zwillingsgeschwisters in sich tragen.
Inmitten jeder Menge von talking heads, die bevorzugt von Zwillingskram quatschen (der Mitte der 1980er noch hochinteressant geklungen hätte), versucht Ozon mit Splitscreens und Spiegeln eine visuelle Entsprechung zu finden, man versteht auch, dass die museale Kunst eher einer Projektion Chloés entspricht, aber Ozon hat für psychologischen Horror nicht wirklich ein Händchen, die absurde Geschichte zieht sich und wird immer surrealer, während die Identifikation mit Chloé leider so gar nicht funktionieren will (ich bin mir ziemlich sicher, dass man im Buch viel deutlicher spüren würde, dass letztlich sehr viel ihrem Kopf entstammt, was in der Verfilmung alles penibel visualisiert werden muss - diese sphärische Alptraumatmo wirkt hier nur wie pittoresk behauptet).
Und leider wird es im letzten Viertel des Films nicht mehr alptraumhafter, sondern immer lächerlicher und ärgerlicher. Wie gesagt, ich hätte gern das Buch gelesen, vielleicht ist die Oates-Vorlage ja auch ein Riesenschmarrn, den man auch nicht über die fast schon historische Herkunft retten kann. Fest steht aber: der Ozonfilm ist eine ziemlich peinliche Männerversion einer Frauengeschichte. Ozon wird bemerkt haben, welchen Problemen er sich stellt (beispielsweise macht es einen komplett anderen Eindruck, ob eine weibliche Erzählerin oder Romanfigur ihre Bauchschmerzen beschreibt oder eine allzu gutaussehende Schauspielerin davon berichtet - und von niemandem wirklich ernst genommen wird), aber es gelang ihm trotz einiger Anstrengungen einfach nicht, einen stimmigen und irgendwie relevant erscheinenden Film daraus zu schaffen.
USA 2017, Buch: Woody Allen, Kamera: Vittorio Storaro, Schnitt: Alisa Lepselter, Kostüme: Suzy Benzinger, Production Design: Santo Loquasto, Art Direction: Miguel López-Castillo, Set Decoration: Regina Graves, mit Kate Winslet (Ginny), Juno Temple (Carolina), Jim Belushi (Humpty), Justin Timberlake (Mickey), Max Casella (Ryan), Jack Gore (Richie), David Krumholtz (Jake), 101 Min., Kinostart: 11. Januar 2018
Oh, Woody Allen! Wie schwörten wir einst auf Dich als intellektuelle Speerspitze, die außerdem mit unterhaltsamen jüdischen Humor unser Leben bereicherte. In seinem mittlerweile 48. Film merkt man davon nahezu nichts mehr.
Was früher für einen einzelnen, angeblich autobiographischen Gag genutzt wurde (»Wir lebten unter einer Achterbahn«), wird jetzt zu einer teuren Rekonstruktion Coney Islands in den 1950ern ausgewalzt, wo ein Möchtegernschriftsteller (Justin Timberlake) eine Geschichte erzählt, die wirkt wie eine tolpatschige Mischung aus Tennessee Williams und Hendrik Ibsen - aber ohne die tragische Tiefe von Crimes and Misdemeanors oder wenigstens den spielerischen Umgang mit Tragödienklischees wie in Mighty Aphrodite.
Der misslungenste aller Woody-Allen-Filme (und davon gab es in den letzten 10-15 Jahren einige) erzählt mit schwelgerischen visuals (zu denen ich noch kommen werde) von durchweg dummen und unsympathischen Figuren (Erzähler Mickey nennt sie »larger than life characters«), über die sich die Inszenierung auf verachtenswürdige Weise lustig macht.
Da haben wir die bei einem Jahrmarktjob dahindarbende Ginny (kompletter Vorname: Virginia!), die von ihrer Jugend und einem damals angestrebten Schauspielerjob träumt. Man muss Kate Winslet einen gewissen Mut attestieren, aber vergleichbare Rollen hat sie schon in einigen überzeugenderen Filmen gespielt. Offenbar gibt es immer noch den Schauspielerwunsch, zumindest mal in einem Woody-Allen-Film mitgespielt zu haben - und wenn er noch ein paar etwas teurere Produktionen in den Sand setzt, ist damit vielleicht bald Schluss.
Ihr zur Seite steht James Belushi als übergewichtiger Gatte mit dauerhaft dreckigem und / oder durchlöchertem Unterhemd, der selbst den nostalgisch verklärten Danny Aiello aus The Purple Rose of Cairo fast attraktiv erscheinen lässt. Ein Patriarch ohne den geringsten clue, mit Namen »Humpty«! Wie soll man den Sitcom-Darsteller, der früher als Leinwandpartner eines Hundes und kleiner Bruder, der nie dem Schatten John Belushis entwachsen konnte, bekannt wurde, ernst nehmen?
Immerhin ist er noch vergleichsweise besser ausgestaltet als sein halbwüchsiger Sohn, der wie ein Abklatsch früherer Knaben, die die jugendliche Version einer Woody-Leinwandpersona darboten (damals immer an der Hornbrille zu erkennen), natürlich zum Psychiater abgeordert wird, um etwas gegen seine pyromanische Neigung zu tun. Was dann zu einem perfiden Witz führt, den sich jedermann an zwei Fingern abzählen kann - und der zu allem Übel auch noch fast so schlecht inszeniert ist wie die Stelle, wo ein Polizist besagten Knaben beim Zündeln entdeckt und ihm sofort etwas zuschreit, damit er ausreichend Zeit hat, zu entkommen.
In Schwung soll die Geschichte kommen, als Humptys (nicht Ginnys) Tochter »Carolina«, ein 26jähriges Gangsterliebchen, das jetzt vom Mob verfolgt wird (Juno Temple, bei der man zumindest nachvollziehen kann, warum sie sich auf so einen Film einlässt), beim Vater unterschlüpfen will - und trotz einiger semifamiliärer Annäherungsversuche ist es dann so, dass sich (kein Spoiler-Alert, weil keine Überrraschung) der gutaussehende Bademeister Mickey (Justin Timberlake, der Möchtegern-Schriftsteller und Erzähler), der gerade eine Affäre mit Virginia hat, sich nun für den »jüngeren Bundesstaat« zu entscheiden droht.
Locker bis selbstüberschätzt rotzig werden diese Figuren hingeschmissen und sollen eine Geschichte von tragischer Tragweite ergeben, wirken aber wie Witzfiguren, die aus der Erinnerung Hamlet aufführen wollen. Wenn man Herrn Allen zu irgendeinem Zeitpunkt glauben würde, dass er sich im geringsten für die Seelennöte von Aushilfskellnerinnen interessieren würde, wäre vielleicht noch was zu retten gewesen. Doch er rearrangiert gewisse Versatzstücke (»It's a role, it's not me. I'm just playing the thankless role of a waitress!«) konstruiert eine Handlung, die bis auf die aufgeblasene Erzählerklammer von einem Vierjährigen im Sandkasten skizziert werden könnte - und hier und da lässt er Überbleibsel seines Humors durchscheinen. Was aber noch peinlicher gerät als alles andere. Hier etwa ein Beispiel für die (ironisch (gähn) gebrochene) Schreibe des Aushilfs-Mitch-Buchanan: »When she wasn't breaking dishes or customer's hearts«. Da kann man sich kaum dazu hinreißen, so etwas mitzuschreiben, weil es alles so lapidar ist. Der vielleicht dümmste (und nebenbei natürlich frauenfeindliche) Gag des Films ist es, wenn »Humpty« sich mit seinen Anglerfreunden unterhält, der eine erwähnt, dass er Tochter Carolina mit einem Soldaten sah, der nächste sah sie mit einem Matrosen und ein Dritter zieht daraus das Fazit »She's a very patriotic girl!« (mal ganz abgesehen davon, dass ein sailor nicht wirklich etwas mit Patriotismus zu tun haben muss - zumindest nicht zehn Jahre nach dem Krieg).
Aufgrund meines gastronomischen Backgrounds habe ich mich auch sehr über die Szene geärgert, wo man nebenbei den Kellnerinnenalltag abbildete und Kate Winslet bei geringem Kundenaufkommen einen mit leeren Flaschen und Gläsern vollgemüllten Tresen »aufhübscht«, indem sie zwischen den Gläsern etwas wischt.
So viel zu Woody. Hinsetzen, Versetzung fällt aus. Aber es gab noch einen in den Film involvierten älteren Herrn, der mich fast noch mehr erzürnte. Vittorio Storaro, einst dreifacher Oscargewinner u.a. als Director of Photography von Apocalypse Now, der mit Allen schon beim Vorgänger Café Society zusammenarbeitete, hat laut Presseheft tolle Ideen für die Farbskala und die Coney-Island-Gemälde eines gewissen Reginald Marsh gehabt. Aber was mir im Film auffiel, war, dass es so wirkt, als sei zu jedem Zeitpunkt (hin und wieder sieht man auch Uhren und weiß ungefähr die Jahreszeit) golden twilight. In einer der ersten Szenen mit Virginia und Carolina werden die Frisuren beider Frauen von Gegenlicht zum Leuchten gebracht - auch, wenn dies unmissverständlich klar macht, dass der Film auf einem Planeten mit zwei Sonnen spielen muss, denn sie stehen sich dabei gegenüber. Der Storaro haut während des Films auf die Scheiße, dass es unerträglich wird. Mehrfach gibt es Zwielicht-Szenen, in denen innerhalb von etwa anderthalb Minuten die gesamte (offensichtlich künstliche) Beleuchtung ein gesamtes Spektrum durchlebt, und während die Mädels immer superhübsch ins Licht gesetzt werden, tapert James Belushi einen Großteil des Films durchs Bild, als hänge direkt über seiner Stirn eine kleine Regenwolke, die ihn jeweils in Schatten hüllt. Es ist mir ja bekannt, dass Filmbilder hübscher sind als die Realität - aber wenn sie in ihrer künstlichen Murks-Ästhetik von der Story ablenken (die ohnehin kaum das Interesse fokussieren kann), dann tut es irgendwann richtig weh.
Ich würde übrigens lieber ein Making-Of zu bestimmten Szenen sehen (wie viel war Kulisse, wo fängt die Green Screen an) als den eigentlichen Film. Nicht zuletzt, weil ich den technologischen Aufwand nicht von Woody-Allen-Filmen kenne und ohnehin annehme, dass die Erschaffung des Coney-Island-Settings (besonders angeberisch in den Anfangsszenen, die aber auch das Interessanteste am Film waren) mehr oder weniger unabhängig vom Regisseur entstand. Aber angesichts der verpuffenden Story, die erzählt wird, war das auch verschenkt.
USA 2017, Originaltitel: Score, Buch: Matt Schrader, Kamera: Chrystal Chavarria, Jeff Cohn, Alex Miskei, Matthew Scheller, Matt Schrader, Schnitt: Kenny Holmes, Matt Schrader, Nate Gold, Musik: Ryan Taubert, mit Hans Zimmer, Danny Elfman, John Williams, Trent Reznor, James Cameron, Howard Shore, Alexandre Desplat, Harry Gregson-Williams, Steve Jablonsky, Thomas Newman, Patrick Doyle, Brian Tyler, Bear McCreary, Rachel Portman, Christophe Beck, John Debney, Buck Sanders, Tyler Bates, Leonard Maltin, Randy Newman, Quincy Jones, Junkie XL, 93 Min., Kinostart: 4. Januar 2018
Noch so ein Hassfilm. Aber ich will es sich langsam entwickeln lassen, wie sich mein Zorn bildete.
Klimperklänge, eine etwas desolate Landschaft, Einblendung: Malibu. Filmkomponist Marco Beltrami über ein vergammelndes (disintegrating) Piano in The Homesman und wie er darum kämpfte, einen bestimmten Sound zu finden. Was ihm dann tatsächlich mit starkem Bergwind gelingt, der über Klaviersaiten streicht (ob das nur arrangiert ist, ist einerlei).
Dann kommt Leonard Maltin (den ich in Filmschnipseln nie ernst nehmen kann) und spricht über die »emotion lotion«, ich glaube, es war dann der allgemeine Sprecher des Films, der einleitend ausführt »Great film music can elevate« - dazu sieht man Sylvester Stallone bei der bekannten Philadelphia-Montage (»even Rocky had a montage«) und unter der hier als beispielhaft aufgeblasenen Macke hört man den alles klärenden Frauengesang »getting strong now«.
Das war der erste Moment, wo ich mich ein wenig verschaukelt fühlte, aber nun beginnt ein kleiner historischer Exkurs und von der Stummfilmbegleitung der Lumière-Brüder (La sortie des usines Lumière) über Buster Keatons The General (Museumsstück: Wurlitzer Kinoorgel) kommt man schnell zu King Kong, bei dem die stop-motion-Einstellungen wohl nachvollziehbarer Weise erst durch den Soundtrack von Max Steiner nicht mehr stupid, sondern frightening wirkten.
Als zweites Work-in-Progress-Beispiel schaut man nun ins Tonstudio, während Gary Marshall erzählt, was ihm musikmäßig bei Mother's Day vorschwebte, und dadurch, dass bei Stellungnahmen von Filmkomponisten immer drei oder vier dazugehörige Filmtitel eingeblendet wurden, wusste ich auch, dass die Zielgruppe dieser Doku weniger aus Filmfreunden als aus Nichtswissern besteht - oder man vielleicht einfach davon ausging, war bei imdb jeweils als bekannteste Arbeiten eines Künstlers angeben wird. Mir wäre jedenfalls bei Mychael Danna nicht als erstes Life of Pi und Little Miss Sunshine eingefallen.
Zu diesem Zeitpunkt des Films war für mich am Interessantesten, wie einige der Filmschaffende sich hier inszeniert haben. So sitzt Hanz Zimmer zwischen teuren E-Gitarren und einem Foto von Astronauten (ich bin schlichtweg zu uninteressiert, um jetzt zu recherchieren, was der naheliegende, zu seinem Werk passende Grund dafür sein könnte - im Zweifelsfall vielleicht Interstellar), während James Cameron vor einem mehrere Meter großen Modell der Titanic steht.
Zwischendurch wieder work in progress: Rachel Portman arbeitet an Race, den Filmemachern ist wohl selbst aufgefallen, dass die aktuelle Filmauswahl etwas schwach ist und man setzt zwischendurch Christophe Beck und Frozen ein, was für mich irgendwie im Nachhinein rekonstruiert wirkt (aber ich bin jetzt auch zu faul, die konkreten Entstehungsdaten miteinander zu vergleichen, weil die Dokumentaristen letztlich eh behaupten werden, dass sie sechs Jahre an dem Film gearbeitet haben.
Über Close Encounters of the Third Kind wird ein motive erklärt, und mit ein paar Ausschnitten aus Lord of the Rings, mit einer unterschiedlich instrumentierten Melodie, wird das nochmal »bewiesen«. Die Herangehensweise ist eher so kindergartenmäßig, und aus acht bis neun Stunden Material (Extended Versionen nicht mitgezählt) Szenen herauszusuchen, wo ein Filmthema wiederholt wird, wirkt auf mich auch etwas luschig.
A Streetcar named Desire (1951) wird als »erster Jazz-Soundtrack« zu einem historischen Fixpunkt erklärt, Miles Davis und Ascenseur pour l'é chafaud (1957) aber mit keiner Silbe erwähnt, was für mich klar macht, dass es hier vor allem um US-amerikanische Filmmusik geht. Da wo ich bei Mychael Danna auf Atom Egoyan gekommen wäre oder Michael Nyman und Philip Glass erwartet hätte, geht es eher um Rugrats, Spongebob oder die Minions.
Der Big-Band-Sound von James Bond ist wichtig, oder dass Barack Obama mal während seines Wahlkampfs ein patriotisches Thema aus Remember the Titans verwendet hat. Alles Mainstream, bloß keine Kunst. Erfolgsgeschichten statt Filmgeschichte. Die Trommeln aus Mad Max: Fury Road werden ganz schnöde am computerunterstützten Klavier eingespielt, was viele Komponisten vereint: »We want goosebumps!« - so suggeriert zumindest eine Montage, in der das Wort für Gänsehaut mehrfach wiederholt wird.
Dann wird es ein wenig lächerlich, weil eine Psychologin einige Prinzipien erklärt (Schokolade / Sex) und man entschied, dazu wenig einsichtige CGI-Animationen zu zeigen. Hauptsache flashy.
Interessant ist, dass hin und wieder die Originalaufnahmen der benutzten Instrumente (also vom Dokumentar-Team) pixelig wirken, während die Filmausschnitte allesamt von der allerbesten Bildqualität sind. Gemeinsam mit einigen Ausflügen in exakt benannte Filmstudios legt das nahe, dass Studiogelder bei der Themenauswahl auch eine Rolle spielten. »Du willst unsere Mithilfe? Wir wollen Gratisreklame!«
Dass Jerry Goldsmith einst das Klavier zu The Apartment gespielt hat, hätte ich auch nicht gewusst. Nun landen wir im Bereich der Klassiker der Moderne. Das geht nicht ohne Jaws und Leonard Maltins Hinweis »It's impossible to think of Star Wars without thinking of John Williams' film music.« Dass Danny Elfman als Repräsentant von Pomusikern ein kleines Kapitel bekommt, ist in Ordnung und bereitet vor, dass Hans Zimmer (Ausschnitt aus Video killed the radio star!) nun auf den Olymp gehoben wird. »Now we're in the Hans Zimmer era!«. Zimmer soll die Filmorchester gerettet haben, weil seine Filmmusik klingt »like Led Zeppelin played by an orchestra«. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich glaube ich schon mehrfach bei meiner Sitznachbarin nach der noch verbleibenden Filmdauer erkundigt und so wusste ich, dass jetzt noch irgendwas, noch schrecklicheres kommen müsste.
Aber darauf war ich dennoch nicht vorbereitet. Nun gibt es ein Kapitel über Steve Jablonsky und die Transformers-Soundtracks - und als müsse man dem noch eines aufsetzen, fährt dann Brian Tyler in seinem Ferrari zum Multiplex um die Ecke, um zuzusehen, wie das Publikum auf die Musik im neuesten Fast and the Furious-Streifen reagiert. Wenn ihn jedoch einer erblickt (nicht erkennt, sondern sich darüber wundert, warum ein Kerl in die falsche Richtung glotzt), wird es ihm peinlich. Aber die ultimative Beichte haut er noch raus: Nach dem Film geht er öfters mal auf die Herrentoilette und wird meistens belohnt, weil irgendwer eine Melodie aus dem Film nachsummt.
Ich glaube, wenn ich mir einen Dokumentarfilm über Spezialeffekte angeschaut hätte, wäre ich auf die erschreckende Filmauswahl vorbereitet gewesen. Vielleicht bin ich auch ein ignoranter Snob, weil es vermutlich ausreichend Leute gibt, die unbedingt den Download mit dem aktuellen Transformers-Soundtrack brauchen, aber die Art und Weise, wie hier eine veritable Filmkunst durch die Filmauswahl für mich teilweise schon ein wenig in den Dreck gezogen wurde ... das war nicht weniger als ein Kulturschock. Wer im Kino durchweg nur Superhelden-Kram und Big-Budget-Sequels sieht, wird durch den Film womöglich sogar neugierig auf King Kong in Schwarzweiß werden (was eine tolle Sache ist), aber ich wurde während dieses Films immer schlechter gelaunt. Es war ein wenig, als wenn man einen Film über die Geschichte der Bundesrepublik sehen will und dann ein Drittel davon aus AfD-Propaganda besteht - nur weil die inzwischen teilweise 45% der Wähler auf sich vereinigen (Zukunftsvisionen sind nicht nur im Kino immer Horrorvisionen).
Deutschland / Slowakei 2017, Buch: Jan Speckenbach, Andreas Deinert, Kamera: Tilo Hauke, Schnitt: Jan Speckenbach, mit Johanna Wokalek (Nora), Hans-Jochen Wagner (Philip), Inga Birkenfeld (Monika), Andrea Szabová (Etela), Ondrej Koval (Tamás), Rubina Labusch (Lena), Georg Arms (Jonas), Ricky Watson (Damouré), Emil von Schönfels (Mika), 100 Min., Kinostart: 8. Februar 2018
Zwei Zitate aus dem Presseheft:
Ein analytischer Spielfilm über unsere Vorstellungen von Beziehung, Familie und Leben.
Was passiert mit Ibsens »Nora« nachdem sie ihr »Puppenheim« verlassen hat? Das ist eine der Frage[n,] denen Jan Speckenbach mit seinem Film nachgegangen ist.
So so, schon wieder Ibsen...
Auf den Erkenntnisstand, der einem mit diesen zwei Zitaten geliefert wird, muss man im eigentlichen Film erst mal kommen. Eine Frau (Johanna Wokalek) irrt durch Wien. Lauscht einem langweiligen Museumsführer. Schläft im Linienbus ein, überredet den Fahrer, dass sie eine halbe Stunde an der Endstation sitzen bleiben darf und schaut dann untätig zu, wie der Fahrer ausgeraubt wird. Obwohl sie Zeugin ist, verschwindet sie. Titeleinblendung: FREIHEIT.
Dann sehen wir einen weißen Spitalbesucher über dem Bett eines schwarzen Komapatienten wachen. Die Wokalak wird im Supermarkt angegraben und ereifert sich etwas später darüber, wie schön der Schwanz eines Sexualpartners ist. Erst nach und nach wird klar, dass der Typ, der in Berlin den jugendlichen Schläger verteidigen soll, der einen Flüchtling (what else) ins Krankenhaus brachte (Zwischengedanke: des Knaben Freiheit ist ein Thema), der Mann einer verschwundenen Frau ist, die nun unter falschem Namen in der Slowakei landet und dort ein neues Leben aufbaut.
Dieses »hintergründige Drama« (Presseheft) plätschert so vor sich hin. Wenn die Wokalek (die hier tatsächlich »Nora« heißt) irgendwann aus einem Fluss trinkt, muss man sich daran erinnern, dass zu Beginn des Films ein Zwischentitel erklärte »Bevor die Verstorbenen wiedergeboren werden können, müssen die Seelen aus dem Fluss Lethe trinken, damit sie die Vergangenheit vergessen«. Wenn ganz zum Schluss am nächtlichen Horizont ein seltsames Gebilde zu erkennen ist, muss man sich an das Museum und Bruegels Turmbau zu Babel erinnern. Kunstkino für Anfänger.
Jan Speckenbach, dessen Regiedebüt Die Vermissten mir eigentlich ganz gut gefallen hatte (ich witterte großes Potential), ist aber zu selbstverliebt, aus seiner ganz nett klingenden Idee irgendwas zu machen. Stattdessen wird der Film zusammengeflickt von einer fragmentierten Rückblende aus dem einstigen Familienleben, in der wirklich alles bis aufs I-Tüpfelchen erklärt wird. Dazu prätentiöse Plansequenzen und Verweise auf das bisher nicht sehr umfangreiche Werk des Regisseurs. Wenn Nebenfiguren ins Kino gehen, schauen sie natürlich »Die Vermissten«, ein Filmtitel der keineswegs hinterfragt wird, weil er ja auch in der neuen Geschichte so hübsch passt. Und wenn überall geflügelte Ratten als Aufkleber auftauchen, sind die offenbar auch noch aus dem letzten Film liegengeblieben - ein bisschen viel Eierschaukeln für die Eingeweihten, wenn ich mich nach vier Jahren noch daran erinnern kann, während von diesem Film recht wenig übrig bleibt.
Im Presseheft wird dann auch noch Friedrich Rückerts Ich bin der Welt abhanden gekommen zitiert, das mit zum Hochkultur-Background des Films gehört, der sehr bewusst mit Gegenentwürfen gepaart wird (die neue beste Freundin in der Slowakei lässt sich auf »Messen« auf der Bühne pimpern, führt aber exakt dasselbe spießige Familienleben wie einst Nora, die dies dann nicht ertragen kann und zu einer neuen Welt aufzubrechen scheint). Aber wo sich in Die Vermissten die guten Ideen gewagt anfühlten und die weniger guten einfach toleriert wurden, wirkt hier alles wie für einen gut beobachteten Redakteur des kleinen Fernsehspiels (das ist jetzt nur ein beispielhaftes Szenario) zurechtgelegt, aber letztlich lapidar und blutlos.
Die ausgereifteste Idee des Films ist, dass man bei den Kindern von Nora und Philip tatsächlich merkt, dass sie inzwischen älter geworden sind, was den Unterschied zwischen Gegenwart und Flashback sehr hübsch herausarbeitet. Aber das ist nur so ein Nebenaspekt, der von dem ach so gewichtigen (und oft verunglückten) Rest einfach erdrückt wird. Im Presseheft sagt Speckenbach im Interview mal »Ich mochte die Idee, dass Nora durch ihren Weggang aus Philip einen Mann macht, den sie vielleicht gar nicht verlassen hätte.« Wenn ich diesen Gedanken durch die bloße Filmsichtung mal gehabt hätte, wäre ich froh gewesen. Aber es war alles so bleischwer und irgendwie blöd, dass ich nur die Zeit durchlitten habe - und gerade die Schlussszene war dann auch wie der letzte Sargnagel.
Klappe zu und nicht mehr drüber nachdenken. Wenn man mehr von mir erwartet, nur weil ich mich Kritiker schimpfe, muss man während der anderthalb Stunden einfach auch mehr liefern.
Demnächst in Cinemania 177:
Rezensionen zu Alles Geld der Welt (Ridley Scott), The Death of Stalin (Armando Iannucci) und anderen, noch zu sichtenden Filmen.
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