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25. Oktober 2017
Thomas Vorwerk
für satt.org


  God's Own Country (Francis Lee)


God's Own Country
(Francis Lee)

UK 2017, Buch: Francis Lee, Kamera: Joshua James Richards, Schnitt: Chris Wyatt, Musik: A Winged Victory for the Sullen, mit Josh O'Connor (Johnny Saxby), Alec Secareanu (Gheorghe Ionescu), Gemma Jones (Deirdre Saxby), Ian Hart (Martin Saxby), 104 Min., Kinostart: 26. Oktober 2017

In der Panorama-Sektion der diesjährigen Berlinale mit dem Leserjury der Zeitschrift »Männer« ausgezeichnet, ist God's Own Country wie der eine Woche später startende Lady Macbeth ein Beispiel für das (in beiden Fällen zu Recht!) verliehene Gütesiegel »Creative England«. Der schon zum Vorspann pfeifende Wind einer ländlichen Gegend evoziert erneut Wuthering Heights, doch diesmal ist die Geschichte zeitgenössisch, und wie in der Einstiegseinstellung langsam der Tag erwacht, geht es auch im Film um eine »Lichtwerdung«.

Doch zunächst muss das »Vorher« beschrieben werden, ehe das »Nachher« auch nur eine Chance bekommt. Hauptfigur John Saxby (Josh O'Connor aus The Riot Club) hustet und würgt sich erst mal die Seele aus dem Leib, und die Idee, dass er krank sein könnte, drängt sich auf. Dann kommt seine Mutter Deidre (Gemma Jones aus den Bridget-Jones-Filmen) hinzu und legt den nicht sehr herzlichen Tonfall fest: »Dad's been asking for you. And if you're thinking I'm cleaning your sick up again, you have another thing coming«.

God's Own Country (Francis Lee)

Foto: Salzgeber

John arbeitet in der kargen Landschaft Yorkshires am gerade so ein Überleben ermöglichenden Hof seiner Eltern, wobei sein auf Krücken angewiesener Vater (Ian Hart, am bekanntesten für seinen Professor Quirell in Harry Potter and the Philosopher's Stone) physisch stark eingeschränkt ist und man sich für die bevorstehende Saison der gebärenden Lämmer einen Hilfsarbeiter aus Rumänien besorgen muss, um mit der größtenteils Johnny niederdrückenden Arbeitslast überhaupt klarzukommen.

God's Own Country (Francis Lee)

Foto: Salzgeber

Gheorghe (Alec Secareanu) bekommt gleich eine Ladung der schroffen Feindseligkeit zu spüren, die den täglichen Umgang innerhalb der Familie bestimmt: »You're half Paki or some?« erkundigt sich Johnny, und nach einer Korrektur durch den Rumänen wird er als »Zigeuner« abgestempelt, was ihm auch nicht unbedingt besser gefällt.

Die meteorologische wie menschliche Wärme vermissen lassende Situation des Films erinnert an den holländischen Panorama-Beitrag Boven is het still von 2013 - inklusive der Coming-Out-Thematik in einer ungastlich wirkenden Gegend, in der das »hart zupacken« in zweierlei Hinsicht längst die Möglichkeit von Zärtlichkeit wie ein unliebsames Unkraut ausgetrieben hat.

God's Own Country (Francis Lee)

Foto: Salzgeber

Johnny weiß auf dem Hof anzupacken und als einziger Eskapismus vor seiner düsteren Zukunft lässt er sich abends im Pub vollaufen oder gönnt sich hin und wieder einen Quicky auf dem Herrenklo o.ä. Erst Gheorghe, der auch ohne Mitspracherecht von Schafskäseproduktion träumt oder mit Ideenreichtum ein schwächliches Lammbaby rettet, offenbart hier ein Happy-End à la Bauer sucht Frau. Doch dazu müsste Johnny erst mal über seinen Schatten springen. Und sich mit der aus seiner Sicht unnötigen Informationsvergabe seiner sexuellen Vorliebe gegenüber seinen Eltern konfrontieren.

God's Own Country (Francis Lee)

Foto: Salzgeber

Was anderswo als Leidenschaft gedeutet wird, das nähere Kennenlernen der jungen Bauern, als sie in einer Ruine übernachten müssen, wirkt hier eher wie ein Kampf, und auch der Schlaganfall des Vaters, der dazu führt, dass Gheorghe so oder so »gebraucht wird«, wirkt nicht eben wie ein rosiger Ausblick. Doch mit kleinen, subtilen Gesten verändert Gheorghe schließlich die ganze Familie im ergreifendsten Liebesfilm des Jahres. Es bleibt nur die Frage, ob das reicht, Johnny umzukrempeln, der bis zuletzt nicht in der Lage scheint, mal nicht mit seinen Gummistiefeln ins nächste Fettnäpfchen zu stapfen.