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12. Oktober 2016
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Welcome to Norway (Rune Denstad Langlo)


Welcome to Norway
(Rune Denstad Langlo)

Norwegen 2016, Buch: Rune Denstad Langlo, Kamera: Philip Øgaard, Schnitt: Vidar Flataukan, Musik: Ola Kvernberg, Szenenbild: Eva Torsvall, mit Anders Baasmo Christiansen (Primus), Olivier Mukuta (Abedi), Slimane Dazi (Zoran), Henriette Steenstrup (Hanni), Renate Reinsve (Line), Nini Bakke Kristiansen (Oda), Elisar Sayegh (Mona), Fridtjov Såheim (Metal Kjell), 91 Min., Kinostart: 13. Oktober 2016

Womöglich ist das ein subjektiver Eindruck, aber während die Diskussion um die Willkommenskultur trotz Pegida- und AfD-Arschlöchern nicht totzukriegen ist, wird das Wort »Willkommen« in Filmen meines Erachtens nur noch ganz selten ohne Ironie oder Zynismus verwendet. Ich denke dabei nicht nur an Enchanted, wo Patrick Dempsey die aktuelle Gemütslage in seiner Film-Heimatstadt mit den Worten »Welcome to New York« zusammenfasst, was nur die reichlich naive Möchtegern-Märchenprinzessin Amy Adams als genuine Willkommensbotschaft zu deuten in der Lage ist. Auch an Philippe Liorets Welcome, wobei das Wort auf der Fußmatte offenbar komplett ausgedient hat. Erst gestern las ich, dass der Schriftsteller Carl Hiaasen vor seinem Schreibzimmer eine Fußmatte mit dem Wort »Leave« liegen hat, die ihm seine Frau geschenkt hat (und er ist ihr dankbar dafür).

Auch im neuen Film von Rune Denstad Langlo (Nord, Jag etter vind) wird das im Titel vorhandene Wort ironisch-zynisch gebraucht. Hauptfigur Primus (Anders Baasmo Christiansen, bekannt aus Nord und Kraftidioten) nutzt die Flüchtlingskrise, um sein heruntergewirtschaftetes Hotel in eine vermeintliche Goldquelle zu verwandeln: er nimmt Flüchtlinge dezidiert aus dem Grund auf, um sich zu bereichern und sie als wehrlose »Abstellgäste« zu missbrauchen, für die der Staat aufkommt. Dass er zudem mit Herzblut Rassist ist, braucht man fast nicht mehr zu erwähnen.

Welcome to Norway (Rune Denstad Langlo)

Verleih: Neue Visionen

Im Verlauf der Filmhandlung geht es nicht nur um nationale Prüfungsgremien wie den UDI, die sich vom »ordnungsgemäßen Zustand« des Hotels überzeugen (»Das WLAN ist nicht stabil!«), sondern vor allem um den Lernprozess, den Primus anhand mancher Flüchtlinge, die sich verblüffenderweise als Menschen offenbaren, durchmacht. Das klingt jetzt moralinsauer bis didaktisch, doch im Film wird dies nicht als plakative Umerziehung zum Gutmenschen durchgeführt, sondern teilweise mehr so am Rande, auf beinahe raffinierte, unterschwellige Art. Was aber nichts daran ändert, dass ca. 50% der Filmhandlung vorhersehbar ist - und 40% unglaubwürdig (inklusive Teilmengen).

Der knochentrockene Humor und die teilweise harte Gangart des Films entschuldigen teilweise für weniger gelungene Passagen, aber hier und da schlägt man auch über die Stränge - und man bekommt den Eindruck, dass der Regisseur sein Thema nur solange wirklich ernst nimmt, bis sich ihm eine Pointe offenbart, auf die er nicht verzichten mag.

Welcome to Norway (Rune Denstad Langlo)

Verleih: Neue Visionen

Sie gibt es langwierige Überlegungen, welche Minderheit wo im Hotel schlafen soll (die Buddhisten als Puffer zwischen den Hindus und Sunniten?), aber letztlich wird klar, dass die Flüchtlinge eine Religion eint: die Playstation!

Dass letztlich all jene Flüchtlinge, die eine größere Rolle im Film bekleiden, Englisch oder Norwegisch sprechen und recht nett sind, ist jetzt nicht die große Überraschung des Films. Wie hoch der Prozentsatz an Illegalen unter gerade diesen, dem Zuschauer ans Herz gewachsenen Figuren ist, ist indes ein narrativ wie pädagogisch cleverer Kniff.

Welcome to Norway (Rune Denstad Langlo)

Verleih: Neue Visionen

Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass einige der Nebenhandlungen nicht so stiefmütterlich behandelt worden wären. Gerade die weiblichen Bezugspersonen von Primus (Frau, Tochter und so was ähnliches wie eine Geliebte) kommen einigermaßen regelmäßig in kleinen Episoden ins Spiel, können sich aber als Figuren mit nachvollziehbaren Motivationen nicht wirklich durchsetzen. Hier und da hat man bei dem Film das Gefühl, dass er so holterdipolter ohne genauen Plan drauflos gedreht wurde wie Primus' typische »get rich quick«-Pläne, zu denen auch schon eine Schneemobil-Safari gehört haben soll. Was teilweise fast eine Stärke des Films sein könnte, denn der Regisseur hatte selbst mal in einem Flüchtlingsheim gedreht (eine Doku) und viele der Statisten und Kleindarsteller (und sogar der Darsteller des Abedi) sind selbst Flüchtlinge. Doch dieser »Entrepreneur«-Stil ist für einen Spielfilm mit solcher Aussagekraft und Emotionalität doch ein wenig ungeschliffen.