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30. Juni 2010
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Women without Men (R: Shirin Neshat)
Women without Men (R: Shirin Neshat)
Bildmaterial: Koch Media
Women without Men (R: Shirin Neshat)
Women without Men (R: Shirin Neshat)
Women without Men (R: Shirin Neshat)


Der Andere
(R: Richard Eyre)

Originaltitel: The Other Man, UK / USA 2008, Buch: Richard Eyre, Lit. Vorlage: Bernhard Schlink, Kamera: Haris Zambarloukos, Schnitt: Tariq Anwar, Musik: Stephen Warbeck, mit Liam Neeson (Peter), Antonio Banderas (Ralph), Laura Linney (Lisa), Romola Garai (Abigail), 88 Min., Kinostart: 1. Juli 2010

Nach Iris, Stage Beauty und Notes on a Scandal ist Richard Eyre der (unterschätzte) Meister der literarischen Themen und Literaturverfilmungen. Für The Other Man nahm er sich jedoch zur Abwechslung mal keinen angelsächsischen Literaturklassiker vor, sondern eine Kurzgeschichte von Bernhard Schlink, und der verspätete deutsche Kinostart wirkt so, als hätte erst der Erfolg von The Reader (nach Schlinks Roman) einen deutschen Verleih (Koch Media) dazu überredet, The Other Man eine Chance zu geben.

Das ist ein Glücksfall, denn dieser Film überzeugt durch seine Inszenierung, wie man es nur selten sieht.

Schon die allererste Einstellung des Films zeigt Laura Linney als Lisa, wie sie an Bord eines Bootes übermütig mit der Kamera flirtet, sie und den Fotografen nass spritzt. Mann sieht Standbilder, dazu das Klickgeräusch der Kamera, und unterschwellig weiß man bereits, dass der titelgebende “andere” Mann hier für den Zuschauer unsichtbar bleibt.

Als nächstes sieht man Lisa auf einer Modenschau, das Klicken der Kameras begleitet sie weiterhin, und während man ihren Mann Peter (Liam Neeson) und die Tochter Abigail (Romola Garai) kennenlernt, rätselt man über die Identität des “Anderen” (ich hatte zu dem Zeitpunkt irgendwie verdrängt, dass Antonio Banderas eine der Hauptrollen spielt) und wundert sich beispielsweise über das innige Verhältnis zu einem Kollegen, dessen Namen (Ralph) wir erst später erfahren.

Dann folgt eine Grundsatzdiskussion zwischen dem seit 25 Jahren verheirateten Paar, die mich stark an den noch brandfrischen Chloe von Atom Egoyan erinnerte (ebenfalls mit Liam Neeson), und nachdem Lisa und Peter sich gegenseitig versichern, dass es “kein Problem gibt”, verlässt Lisa das Haus mit den Worten “Honestly, I ring”. Allein diese Szene zeugt davon, das Richard Eyre ein aufmerksamer Regisseur ist, der Filme für aufmerksame Zuschauer dreht. Lisa geht zur Tür, fast unmerklich gleitet die Bewegung in eine leichte Zeitlupe, und wenn die Tür zufällt, ist das Türknallen eine Spur zu auffällig laut. Wer in diesem Moment nicht kapiert hat, dass hier ein Schlussstrich gezogen wird, soll fortan nur noch Filme von Michael Bay schauen.

Kameras, Fotos und Geräusche spielen auch weiterhin eine große Rolle in diesem Film. Peter spioniert dem “Anderen”, dem Liebhaber seiner Frau hinterher. Er durchforstet das Laptop seiner Frau und klickt sich durch die Fotos einer kodierten Datei (die eine Spur zu artig eine Geschichte erzählen), er nutzt seine Angestellten, um über eine E-Mail-Adresse den berüchtigten Ralph zu finden, den er - ganz simpel - töten will. Doch dann lernt er ihn kennen, spielt mit ihm Schach (das Klicken der Schachuhr) und mehr will ich an dieser Stelle gar nicht ausplaudern ...

Einiges an The Other Man ist zu durchkomponiert, zu clever auf die für die Geschichte günstigste Informationsvergabe zugeschnitten. Doch dass sind eher Probleme des Drehbuchs, nicht der Inszenierung, die aus der Kurzgeschichte alles rausholt, was rauszuholen ist. Der stilvolle Umgang mit der Signalfarbe Rot, die geschickte Einarbeitung eines Subplots um die Tochter Abigail, die kleinen Details (das Vogel-Mobile), die ihre Bedeutung nicht immer freiwillig preisgeben.

Für einen (vor allem weibliche Zuschauer ansprechenden) “Tantenfilm”, bei dem die “Tante” größtenteils elliptisch ausgespart wird, ist The Other Man eine kleine Offenbahrung - unabhängig davon, ob man die eigentliche Story schlussendlich gelungen oder nicht so gelungen findet. Definitiv sehenswert, denn es gibt heutzutage viel zu wenige Filme, die ihre Zuschauer noch ernst nehmen.