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14. März 2010
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Ein Prophet (R: Jacques Audiard)
Ein Prophet (R: Jacques Audiard)
Ein Prophet (R: Jacques Audiard)
Fotos © 2010 Sony Pictures Releasing GmbH
Ein Prophet (R: Jacques Audiard)
Ein Prophet (R: Jacques Audiard)
Ein Prophet (R: Jacques Audiard)




* Zusatzinfos: Coppola drehte in dem Alter nach Jack (da läuft einem jetzt noch ein Schauer über den Rücken) gerade die Grisham-Verfilmung The Rainmaker, Spielberg hatte zwischen The Terminal und Munich immerhin noch den halbwegs akzeptablen (aber teilweise auch weit neben der Spur befindlichen) War of the Worlds abgedreht.



Ein Prophet
(R: Jacques Audiard)

Originaltitel: Un prophète, Frankreich / Italien 2009, Buch: Jacques Audiard, Thomas Bidegain, Kamera: Stéphane Fontaine, Schnitt: Juliette Welfling, Musik: Alexandre Desplat, mit Tahar Rahim (Malik El Djebena), Niels Arestrup (César Luciani), Adel Bencherif (Ryad), Reda Kateb (Jordi), Hichem Yacoubi (Reyeb), Jean-Philippe Ricci (Vettori), Gilles Cohen (Prof), Antoine Basler (Pilicci), Leïla Bekhti (Djamila), Pierre Leccia (Sampierro), Foued Nassah (Antaro), Jean-Emmanuel Pagni (Santi), Frédéric Graziani (Chef de détention), Slimane Dazi (Lattrache), Rabah Loucif (Maliks Anwalt), 155 Min., Kinostart: 11. März 2010

Die ersten drei Filme von Jacques Audiard haben nie einen regulären deutschen Kinostart erhalten, doch dann gewann De battre mon coeur s'est arrêté einen Preis auf der Berlinale (wenn auch nur für die Musik) und Un prophète war immerhin für den Golden Globe und Oscar als bester nicht-englischsprachiger Film nominiert - und somit kann man nur hoffen, dass die nächsten Filme ohne großen Umweg auch ihr deutsches Publikum finden.

De battre mon coeur s'est arrêté war das Remake des Harvey-Keitel-Films Fingers, und Un prophète, den manche als "The Godfather behind bars" umschreiben, könnte den heute etwas ausgelutschten Regiestars des New Hollywoods (beispielsweise auch Martin Scorsese) zeigen, zu was sie in ihrer wütenden "Sturm und Drang"-Zeit mal fähig waren.

So wie auf der Berlinale mehrere Filme damit begangen, dass jemand aus dem Gefängnis freigelassen wurde, beginnt dieser Film mit dem neu in den Knast gesteckten Malik (beeindruckend: Tahar Rahim), der, obwohl er Analphabet, "Frischfleisch" und ein "Scheiß-Araber" ist, versucht, sich ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zu behaupten. Das geht solange halbwegs gut, bis die Korsen, eine starke Fraktion in diesem Bau, jemanden brauchen, der einen Kronzeugen liquidiert, der auch neu eingeliefert wurde. Und so wird Malik kurzerhand gesteckt, er habe diese Person zu töten, sonst müsse er selber dran glauben. Der Arbeitsmarkt funktioniert hinter Gittern halt anders. Als Malik sich an den legalen "Dienstweg" hält und an einen Wärter wendet, um mit dem Direktor zu sprechen, muss er erfahren, dass die bürokratische Informationsvergabe ganz in den Händen der Korsen ist, und so bleibt ihm nicht viel anderes übrig, als immer wieder zu trainieren, wie man eine Rasierklinge im Mund verschwinden lässt und damit dennoch beim Sprechen nicht auffällt, und schließlich arrangiert er in der Dusche ein Treffen mit seinem Opfer für einen kleinen Blow-Job ("Spiel das Mädchen und kraul ihm ein bisschen die Eier ...").

Danach steht er aber immerhin unter dem Schutz von César (Niels Arestrup), dem Chef der Korsen, erledigt kleine Dienste für ihn und lernt nicht nur Schreiben und Lesen, sondern sogar die Sprache seiner Dienstherren, wenn er ihnen dies auch nicht auf die Nase bindet.

Un prophète erzählt in zweieinhalb Stunden den Aufstieg Maliks, der schließlich einen Drogenring befehligt, der auch außerhalb der Gefängnismauern floriert. Dabei zeigt der Film keine Scheu vor Gewaltdarstellungen, bewahrt sich aber eine gewisse Poesie, wie man sie aus den Klassikern des New Hollywood kennt. Der kleine, keineswegs religiöse Handlungsschlenker, der etwa zum Titel des Films führt, zeugt von einer ausgereiften Virtuosität in der Verwendung der cineastischen Möglichkeiten, die den Zuschauer zunächst verwirrt und dann verzaubert. Das hat man in den Filmen der 1970er Jahre oft erlebt, heutzutage in amerikanischen Filmen nur noch ein halbes Dutzend mal im Jahr (wenn man die richtigen und genügend Filme schaut).

Regisseur Audiard lässt auch unauffällig politische Themen in den Film einfließen (wobei der Knast eine ganz eigene Politik und Demographie besitzt), hat eine ungebremste visuelle Energie, und trifft den Zuschauer mit einer Wucht, die man heutzutage gar nicht mehr kennt. Jacques Audiard wird dieses Jahr 58, er ist also nur zehn Jahre jünger als Scorsese*, doch jener war vor zehn Jahren (zwischen Bringing out the Dead und Gangs of New York) bereits auf dem absteigenden Ast, während Audiard (insofern man das anhand von zwei Filmen beurteilen kann) seinen Zenit noch vor sich hat.