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Juli 2007
Robert Mießner
für satt.org

Das große Rauschen
Sphärenklänge aus Adlershof: Das Subharchord

Der nachstehende Artikel basiert auf einer umfangreichen Veröffentlichung Gerhard Steinkes im VDT-Magazin (Verbandsmagazin des Verbandes Deutscher Tonmeister, Heft 4/2005) und einem ebenso detaillierten Vortrag, den der Initiator und Leiter der Entwicklung des Subharchords Anfang Juni in Berlin hielt. Ende diesen Jahres wird er die Geschichte des Subharchords in Buchform vorlegen.

Subharchord

Zuerst ist da ein sperriger, altmodisch anmutender Kasten. Eine Mischung aus Piano und Versuchsstation, mit Klaviatur und unzähligen Schaltern, steht auf der Bühne. Dann aber, unter den richtigen Händen, beginnt er zu klingen. Der Kasten, der auf den seltsamen und treffenden Namen Subharchord hört. Er brummt und summt, schnarrt und pfeift. Als wären der tropische Regenwald, der arktische Sturm gleichzeitig Musik geworden. Schier endlose Klangflächen überlagern sich, machen Stunde und Ort vergessen. Motive werden entworfen, tauchen unter in dem Soundozean, tauchen wieder auf und haken sich in den sensorischen Feldern fest. Die richtigen Hände, sie gehören zu Richardas Norvila und Oleg Kornev, den russischen Elektronikern von Benzo, und Frank Bretschneider, Ende der Achtziger bei AG Geige, jetzt Klangforscher bei Raster-Noton. Anfang Juni haben sie in der von TESLA Berlin veranstalteten Reihe “Werkstatt Klangapparate” das Instrument vorgestellt.

Krautopiasampler

Der Krautopia Sampler.
Mit Klangbeispielen des
Subharchords, erhältlich bei
krautopia.de.

Ebenso:
Subharmonische Mixturen
mit dem Subharchord (Vinyl-EP).


Norvila sagt, man könne sich mit dem Subharchord auf Russisch verständigen. Statt Russisch ist mit ihm Amtsdeutsch gesprochen worden. Seine Geschichte handelt von Experimentierfreude unter den Augen der Kulturbürokratie: 1956 nahm am Rundfunk- und Fernsehtechnischen Zentralamt (RFZ) der Deutschen Post in Berlin-Adlershof ein Labor für Akustisch-Musikalische Grenzgebiete seine Arbeit auf. Die Tonlaboranten verfolgten ein ehrgeiziges Ziel: Ein elektroakustischer Klangerzeuger sollte entwickelt werden, aufbauend auf den Erfahrungen Friedrich Trautweins und Oskar Salas, die 1930 mit dem Trautonium die elektronische Musik aus den Startlöchern beförderten. Eine Pioniertat, wenn auch undenkbar ohne die Vorarbeit des russischen Physikers Lew Termen, der 1926 in Berlin, im Beisein Albert Einsteins und Manfred von Ardennes, sein Theremin präsentiert hatte. Den berühmten Tonmacher, der durch zwei steuernde Hände über zwei Antennen schier unglaubliche Klänge von sich geben kann und übrigens heute noch bei Pere Ubu bestaunt werden darf. 1961 dann schlug die Stunde in Adlershof: Ernst Schreiber, einem von der Oper geprägten Fachmann, gelang es, ein erstes Modell seines neuartigen Instruments vorzustellen. 1962 wurde das Gerät getauft: Subharchord heißt es in Anlehnung an ein Konzept Trautweins und Salas. Für die damalige Zeit höchst ungewöhnlich, wurden die Klänge, ihre Struktur, Lautstärke und Farbe, durch entsprechende Schalter, Filter und Modulatoren verformt. Anders als seine Vorgänger, Theremin und Trautonium, wurde das Subharchord mit Tasten bedient.

Was heute als selbstverständlich angesehen wird, der Synthesizer auf der Bühne, im Tonstudio, muss in den sechziger Jahren sensationell gewesen sein. Bedürfnisse und Neugier, stets die Geburtshelfer des Neuen, waren vorhanden: Komponisten, unter ihnen Siegfried Matthus, Addy Kurth und Hans-Hendrik Wehding, bedienten sich des Subharchords für Film- und Fernsehproduktionen wie für eigenständige Werke. Gerhard Schwalbe, Musikredakteur am Deutschlandsender, ließ seinen Einfluss spielen, damit das Instrument in Serie gefertigt werden konnte. Erster Kunde war das DEFA-Studio für Trickfilme in Dresden. Kurz darauf bestellten der Norwegische Rundfunk, die Studios für elektronische Musik im Funkhaus Pilsen sowie im VURT Prag. Und das Tschechoslowakische Fernsehen in Bratislava, das 1968 plötzlich prominenten Besuch begrüßen konnte: Karlheinz Stockhausen ließ sich extra das Subharchord vorführen. Genauso schaffte es der amerikanische Neutöner und Pianist Frederic Rzewski nach Adlershof, um für den Deutschlandsender seine Komposition “Zoologischer Garten” einzuspielen. Die Erfindung hätte eine Erfolgsgeschichte werden können.

Subharchord

Das Subharchord und sein
Detektiv: Manfred Miersch

Foto: Bettina Güldner


Subharchord

Manfred Miersch mit Benzo
(Richardas Norvila und Oleg Kornev)
Foto: Bettina Güldner

Sie hätte. Stattdessen scheiterte sie vorläufig am Konservatismus der Kulturwächter. Schon um den Begriff “elektronische Musik” musste gerungen werden. Ein zeitgenössischer Kritiker ließ sich zu der Feststellung hinreißen, es handele sich dabei um “Musik für den elektrischen Stuhl”. In weiser Voraussicht hatten die Adlershofer Forscher lieber von “elektronischer” oder “Neuer Klangkunst” gesprochen. Genützt hat es wenig. Genauso wenig wie das Interesse Luigi Nonos, der sich 1969 gemeinsam mit Paul Dessau für die neuen Klänge stark machte. Was verheißungsvoll begann, endete buchstäblich auf dem kulturpolitischen Abstellgleis. 1970 musste das Experimentalstudio Adlershof seine Arbeiten beenden. Serienfertigung und Weiterentwicklung des Subharchords wurden nicht fortgeführt. Das Instrument sollte einen kurzen zweiten Frühling erleben, als Georg Katzer, international renommierter Ostberliner Komponist, in der Akademie der Künste ein “Studio für elektroakustische Musik” einrichten wollte. Und vor dem Problem stand, dass ein geeigneter elektronischer Klangerzeuger fehlte. Zur Erinnerung: Ein aus Westberlin importierter Synthesizer schlug schnell mit 30.000 Mark der DDR zu Buche. Von den abenteuerlichen Wegen, die er bis zu seinem Bestimmungsort in der Luisenstraße zu absolvieren hatte, ganz zu schweigen. Nur soviel, es gab einen Paragrafen, der sich dem Straftatsbestand “Devisenvergehen” widmete. Katzer holte das Subharchord aus dem Magazin des Berliner Postmuseums, wo sein Prototyp 15 Jahre ungenutzt stand. Bald jedoch wurden technische Probleme offenkundig, der Klangerzeuger drohte endgültig in Vergessenheit zu geraten.

Glück und Beharrlichkeit ist es zu verdanken, dass das Subharchord in diesem Jahr aus dem Staub der Abstellkammern auferstanden ist und wieder gehört werden kann. Manfred Miersch, Bildender Künstler und Musiker aus Berlin, hat in den letzten Jahren eine wahrhaft gigantische Materialsammlung zur Geschichte des Tonerzeugers erstellt. Zusätzlich betreibt er ein Label mit dem schönen Namen Krautopia, auf dem seit kurzem Klangbeispiele auf CD und ehrwürdigem Vinyl erworben werden können. Miersch ist Musikdetektiv: Er hat im Funkhaus Oberschöneweide ein lange verloren geglaubtes Exemplar des Subharchords entdeckt. Es ist genau das, welches dieser Tage auf der Bühne stand. Die überfällige Renaissance verdankt sich nicht zuletzt Carsten Nicolai. Der Chemnitzer Musiker und Mitstreiter Frank Bretschneiders hat das Subharchord verwendet, um eine Audio-Video-Installation aus Archivmaterial der Akademie der Künste akustisch zu bebildern. Was fast schon ein Ding der Unmöglichkeit war: Das Instrument musste aufwendig rekonstruiert werden. Helen Adkins, Kuratorin der AdK, hatte extra die in der Vergangenheit mit dem Subharchord befassten Techniker einbezogen, ohne deren Fachwissen das Subharchord nicht wieder zum Klingen gebracht worden wäre.

Lang und breit ließe sich diskutieren, ob das Subharchord ein bloßer Klangerzeuger oder ein Spielinstrument ist. Nach den atemberaubenden und bewusstseinserweiternden Auftritten Benzos und Bretschneiders drängt sich letzteres auf. Die Stühle im TESLA – am zweiten Abend mussten zusätzliche Sitzgelegenheiten besorgt werden – wurden in der Tat elektrische. Ohne Gefahr für Leib und Seele, aber dennoch mit Folgeerscheinungen. Vom Subharchord, kühn entworfen, schmählich entsorgt und liebevoll ins Leben zurück geholt, will man, muss man mehr hören. Ulrike Haage, heißt es, soll Interesse bekundet haben. Und die Auftritte wurden gefilmt. Es gibt sie, die späte Gerechtigkeit.



» www.subharchord.com
(Manfred Miersch steht gerne für Vorträge
und Veranstaltungen zur Verfügung.)
» www.benzo.in
» myspace.com/wwwbenzoin
» www.raster-noton.de