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11. September 2008
Ronald Klein
für satt.org
Jürgen Landt: der sonnenküsser

Der Sonnenküsser

Ronald Klein im Gespräch
mit Jürgen Landt.

Anfang des Jahres erschien mit „Der Sonnenküsser“ das Roman-Debüt Jürgen Landts, der in den letzten zwanzig Jahren vor allem in der Kurz-Prosa brillierte. Das erste längere Werk des norddeutschen Autors fokussiert eine Kindheit im Mecklenburg-Vorpommern in den 1960ern.

Viele Jahre nach Mauerfall herrschte das literarische Schweigen über die Vergangenheit in Deutschland Ost vor. Darauf folgten in Buchform die Verkettung humoriger Anekdoten oder Geschichten über das heroische - humanistisch geprägte - Widerstehen zwischen Kirche und illegaler Druckwerkstatt. Jürgen Landt erzählt gekonnt aus einer anderen Perspektive, die bisher kaum wahrgenommen wurde: Die Sicht eines Außenseiters, der keinen politisch motivierten Oppositionellen darstellt, sondern auf das Recht der Individualität pocht. Die Gesellschaft, in die er hineinwächst, aber verlangt Uniformität.

Nur en passant schildert Landt Kinderprostitution, häusliche Gewalt, Korruption. Diese Beiläufigkeit, dieses Brodeln unter der Oberfläche, erzeugt beim Lesen eine Intensität, die nur wenigen Erzählern gelingt. „Die Dinge sind nicht wie sie scheinen“, formulierte Shakespeare. Oder moderner ausgedrückt: Demmin ist Twin Peaks ...

◊ ◊ ◊

Der Protagonist Peter Sorgenich wurde 1957 in Demmin in Mecklenburg-Vorpommern geboren. Da fällt die Parallele zum Autor auf...

Jürgen Landt: So ist es.

Das heißt, nicht alles entspringt der reinen Phantasie...?

Jürgen Landt: Ja. Einfach keine Phantasie.

Die Mauer fiel vor neunzehn Jahren. Ein Jahr später war auch die DDR Geschichte. Laut einer aktuellen Studie können sich viele Schulkinder die Realität im Arbeiter- und Bauernstaat nicht mehr vorstellen. Wie würdest Du die DDR aus Deiner Perspektive beschreiben?

Jürgen Landt: So unendlich verkrampft, wie es im "Sonnenküsser" beschrieben ist!

Für all jene, die das Buch bisher nicht lesen konnten ...

Jürgen Landt: Kleingeistig. Weltfremd. Drangsalierend und bevormundend bis in die privaten Lebensbereiche hinein, immer nach dem parteiparanoiden Bullshitmotto: „Wer nicht mit und für uns ist, der ist gegen uns!“ Und immer unterstützt durch die Doppelmoral und Heuchelei auch von „kleinen“ Funktionären, anderen „Würdenträgern“ und „ihre Ruhe haben wollenden“ Mitläufern. Bei nicht „funktionierenden“ Jugendlichen war man bemüht und versucht, sie auch bei kleinsten Vergehen in Straflagern unter militärischem Drill umzuerziehen. Dumme und perfide Propagandascheiße lief immer und überall ab. Bei denen, wo selbst eine „Umerziehung“ fehlschlug, blieb in der Regel nur das Irrenhaus oder weiterer Knast übrig. Dem Staat fiel es nicht schwer, einen Menschen zu kriminalisieren. Bewegte man sich auf Dauer nicht konform, „schlug immer mal wieder aus“, waren die staatlichen Kontrollmaßnahmen (Paragraph 48) vorprogrammiert und die nächste „Tournee“ durch Strafanstalten stand an. War ein nicht konformer Mensch wacher und kreativer als der Durchschnitt, hatte er in Umsetzungsmöglichkeiten so gut wie keine Chance. „Alles im Griff, so gar die Haltegriffe!“ Lesungen und Ausstellungen waren unmöglich. War doch mal eine, (ich las 1981 und 1982 zweimal privat in einer Berliner Wohnung) war garantiert ein kleiner Stasiaffe unter den Leuten und heuchelte literarisches und künstlerisches Interesse. Kann sein, dass sie bei Leuten die etwas bekannter waren anders verfuhren, sie nicht einsperrten, sondern abschoben. Aber ich möchte nicht wissen, wie viele „namenlose“ Leute in den Knast wanderten, von denen die breitere Öffentlichkeit nichts wusste.

Du hast Anfang der achtziger Jahre das Land verlassen und bist nach Hamburg gezogen. Mit welchen Erwartungen?

Jürgen Landt: Ich hatte überhaupt keine großen Erwartungen, bildete mir nur ein, psychisch durchatmen und überleben zu können, wenn ich die bis in den Geist hinein drangsalierende und bevormundende DDR hinter mir lassen könnte, was mir auch nach zehn Monaten, mit dem Erhalt einer kleinen, eigenen Wohnung spürbar gelang.

Spielen ost- resp. westdeutsche Identitätsunterschiede heute noch eine Rolle oder handelt es sich dabei um ein Konstrukt?

Jürgen Landt: Mittlerweile nur noch Konstrukt.

Was bedeutet für Dich Heimat?

Jürgen Landt: Da wo man die Kindheit verbracht hat.

“Der Sonnenküsser" ist sowohl in punkto Sprache wie auch Punktuation ungewöhnlich. Am Anfang illustrieren das Leben Sorgenichs heitere und bizarre Situationen. Er erträgt die prügelnde Mutter irgendwie, wohl wissend irgendwann das Elternhaus hinter sich lassen zu können. Doch das Beschwingte verschwindet peu à peu. Ist das die Dramaturgie Sorgenichs - zu erkennen, keinen Platz zu haben?

Jürgen Landt: Je älter der Typ wurde, desto eigenständiger er dachte, desto kleiner wurden die freiheitlichen Räume, sofern er überhaupt jemals welche hatte außer im Kopf, aber eigene freie Gedanken schreien auch nach Umsetzung, kann diese niemals erfolgen, bleiben nur noch Aggressionen, Irrenhäuser oder andere Hilfsmittel übrig, in der DDR der Knast. Und als ich später ein paar Gedichte geschrieben hatte, haben sie mir die Bude auch noch durchsucht, mit der Begründung, irgendwo sei eingebrochen worden, und sie suchten bei mir "Spuren"! Es gab einfach keinen Raum mehr. Eine andere räudige, unbewohnbare Bude, in die ich später einziehen sollte, bei der mir nichts weiter übrig blieb, als dem anwesenden Bürgermeister zu sagen: "In die Schweinehütte kannste selber einziehen!", hatten sie mir, wie aus später einsehbaren Stasiunterlagen ersichtlich, verwanzt, weil sie tatsächlich annahmen ich greife bei der katastrophalen Wohnraumsituation in der DDR beglückt zu. Keinen Nerv mehr übrig, für letzte ranzigabgesiebte Luft aus einem zugewiesenen Loch.

Dein aktueller Kurzgeschichtenband scheint eher die Schnittstelle zwischen Kurzprosa und Poesie darzustellen. Ist diese Form ein Bruch zu Deinem bisherigen Schreiben?

Jürgen Landt: Das ist mir überhaupt nicht aufgefallen. Die Texte hat der Verleger aus zugeschicktem Material unter meinem vorgeschlagenen Titel "Realität ist Zauberwald" rausgesucht. Es sind ja gar nicht mal alles jüngst entstandene Arbeiten. Wenn da wirklich ein Bruch zur bisherigen Schreibe sein sollte, dann nenne ich es unbewusste Entwicklung.

Viele Erfolgsbücher werden verfilmt. Brussig, Hermann, Schulz ... Könntest Du Dir das auch für den "Sonnenküsser" vorstellen? Wenn ja, welcher Regisseur käme in Frage? Andreas Dresen zum Beispiel?

Jürgen Landt: Oh ja, das könnte ich mir gut vorstellen! Beim Casting für die Mutter möchte ich aber dabei sein.

Was gefällt Dir an Dresens Filmen besonders?

Jürgen Landt: Ich kenne nur „Sommer vorm Balkon“, den ich vor einigen Monaten im Fernsehen sah. Mir gefiel das Nischenausleuchten zwischenmenschlicher Geschehnisse mit hin und wieder auftretender Situationskomik, die nicht überzogen wirkte. Endlich mal ein Film, von dem ich mich nicht vor seinem Ende irgendwohin zurückziehen musste.

Welche Bücher liegen bei Dir auf dem Nachttisch?

Jürgen Landt: Sibylle Berg "Die Fahrt". Sie startet mit ihren Protagonisten global durch deren innere Vereinsamung, zeigt bestens die Ohnmacht gegenüber dem Dasein auf.
Hubertus Knabe "Tag der Befreiung?" Mit einer Befreiung vom Nationalsozialismus durch die Rote Armee in Ostdeutschland wurde eine Diktatur von der nächsten überrannt, hunderttausende Menschen mussten unsägliche neue Leiden ertragen, wurden einfach verschleppt, eingesperrt, gefoltert und tausende von ihnen gar ermordet oder gingen elendig zugrunde. Der Rest der Bevölkerung bekam die Schlinge einer Unfreiheit um die Hälse und um ihre Seelen gelegt.
Ein weiteres Buch behandelt authentische Mordfälle. - Tja, um in die inneren Höhlen und Schluchten, auf die Steilhänge des Menschseins inklusive ihrer Abgründe und mitunter Aus- und Hilflosigkeiten eines menschlichen Individuums gelangen zu können, um Beweggründe und Situationen nachvollziehen zu wollen. Denn, letztendlich bin auch ich ein Mensch, der sich in seinen eigenen, immer mal wieder alles ummantelnden Höhlen und Schluchten, auf seinen tiefabfallenden Steilhängen zurechtfinden muss, der eigentlich nur sein eigenes Versuchsschwein ist. Ein Leben lang.

Herzlichen Dank für das Gespräch!



Jürgen Landt: der sonnenküsser
edition m., Rostock 2007, 336 S., 18,80 €
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