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29. August 2013
Jörg Auberg
für satt.org
  Alan M. Wald. American Night
Alan M. Wald. American Night: The Literary Left in the Era of the Cold War. Chapel Hill: The University of North Carolina Press, 2012. 432 Seiten, 45 US-Dollar
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Alan M. Wald's American Literary Left Trilogy (Exiles From a Future Time, Trinity of Passion and American Night). Omnibus E-Book. Chapel Hill: The University of North Carolina Press, 2012. Kindle-Ausgabe, 60 US-Dollar
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Archäologie der literarischen Linken

In seinem Buch »American Night« begibt sich Alan M. Wald auf die Spuren vieler vergessener Autoren aus dem Milieu des »literarischen Kommunismus« und begleitet sie in den Jahren zwischen 1946 und 1956 auf ihren Wegen, als sich in einer »Aura der Finsternis und Resignation« die Hoffnung auf Veränderung auf die literarische Imagination beschränkte.

Der amerikanische Schriftsteller werde, schrieb Jean-Paul Sartre im Jahre 1947, »eine Zeit gefeiert, dann verliert man ihn aus den Augen, man vergißt ihn; er taucht mit einem neuen Buch auf und verschwindet aufs neue in der Versenkung [...].« Auch wenn diese Beschreibung heute etwas klischeehaft klingt, trifft sie doch auf jene amerikanische Autoren zu, die sich in der Zeit der Großen Depression der »proletarischen Literatur« verschrieben, kurzzeitig zu »ephemerem Ruhm« (wie Sartre es nannte) kamen und danach im schwarzen Loch des Vergessens verschwanden. Lange Zeit galten sie als Verlierer, die sich einer falschen Sache hingegeben und einen Irrweg beschritten hatten. In der dominierenden antikommunistischen Perspektive des Kalten Krieges erschien die »proletarische Literatur« nicht als Ausdruck einer Klasse, sondern als das manipulative Vehikel eines sinistren Rackets (der Kommunistischen Partei), in dem die Unterdrückung von Diversität, die Stereotypie, der Konformismus und die Talentlosigkeit stromlinienförmiger Autoren vorherrschten.

Erst in den späten 1950er und frühen 1960er Jahre wurde dieses karikaturenhafte Bild des »sozialen Realismus« der Großen Depression kritisch überprüft. In seinem Standardwerk Writers on the Left (1961) schrieb der liberale Literaturhistoriker Daniel Aaron (der im letzten Jahr seinen hundertsten Geburtstag feiern konnte) eine stilbildende Gegengeschichte zur gängigen Interpretation des »literarischen Kommunismus«. In den 1980er Jahren schließlich etablierte sich unter jüngeren Akademikern, die in der Revolte der späten 1960er Jahre sozialisiert wurde, eine »revisionistische« Schule, welche die Geschichte der »proletarischen Literatur« einer grundlegenden Neubewertung unterzog. Zu dieser Richtung gehört auch der in diesem Jahr emeritierte Literaturhistoriker Alan M. Wald, der mit dem Band American Night seine Trilogie zur Geschichte der »literarischen Linken« abschloss.

Bereits im Vorwort zur 1992 erschienenen Neuausgabe von Writers on the Left kündigte Wald eine neue Art der Geschichte des Engagements von US-Autoren für den Kommunismus ankündigte, wobei er sich auf »nichtkanonische« Figuren und Dekaden, Massenkultur, weibliche und schwul-lesbische Autoren und Aspekte jenseits des weißen Mainstreams konzentrieren wolle. Zuvor war er bereits mit einer Biografie des Schriftstellers James T. Farrell und einer kritischen Geschichte der New Yorker Intellektuellen von ihren Anfängen in den 1930er Jahren bis zu ihrem Niedergang in den 1980er Jahren in Erscheinung getreten. Die in Fünfjahresabständen erscheinende Trilogie brachte ihm – mit den Worten der International Socialist Review – schließlich den Titel des »führenden antistalinistischen Historikers der amerikanischen Literatur« ein. Der erste Band Exiles from a Future Time (2002) beschreibt den Beginn der Faszination von amerikanischen Autoren mit dem Kommunismus in den 1920er und frühen 1930er Jahren, während Trinity of Passion (2007) die Zeit der Volksfront und des Antifaschismus bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs zum Thema hat. American Night schließlich fokussiert sich auf die Zeit zwischen 1946 und 1956, einer Periode zwischen bürokratischer Verkrustung und Repression im kommunistischen Gefüge und der Desintegration des Stalinismus, die Wald als »späten Antifaschismus« und »Peripetie« bezeichnet, wobei sich das Konstrukt eines selbstgewissen und autoritären Marxismus-Leninismus auch in der Kultur in einem Prozess der Auflösung und Transformation befand. In einer Zeit, als die Beat-Autoren an die literarische Moderne anknüpften und gegen die »Konsumentenrepublik« und die bürgerliche Gesellschaft rebellierten, praktizierten die von Wald porträtierten Autoren wie Kenneth Fearing, William Rollins, Abraham Polonsky, Richard Wright, Ann Petry und Thomas McGrath ein »Nachleben« des »literarischen Kommunismus«, in dem sie in einer »Aura der Finsternis und Resignation« die soziale Vision der 1930er Jahre mit dem Schreiben als Ersatz für unerreichbare politische Aktivitäten verbanden. Wald sieht sie in einer Traditionslinie mit Theodor W. Adornos Konzept einer »negativen Dialektik«: Mittels Prosa und Lyrik versuchten sie, argumentiert Wald, ein Element kritischer Rationalität in die literarische Vorstellungskraft der Nachkriegsgesellschaft einzuschleusen. Die Hoffnung dabei sei gewesen, dadurch eine Veränderung des Bewusstseins zu bewirken.

Wie schon in den vorangegangenen Büchern erzählt Wald nicht lineare Geschichten, sondern verwebt biografische, kollektive, kulturelle und gesellschaftliche Erzählstränge zu einem multiperspektivischen Opus, in dessen zeitlicher Struktur er immer wieder vor- und zurückspringt. Der originellste Beitrag dieses Band stellt sicher die Darstellung der »Homintern«, der homosexuellen Internationale, im kommunistischen Milieu dar, wobei er die Vorurteile der Partei thematisiert, welche die Intoleranz der bürgerlichen Gesellschaft reproduzierte, der sie vorgeblich diametral gegenüberstand. Ähnlich wie in seinem Buch The New York Intellectuals (1987) hat Wald ein besonderes und außerordentliches Talent im Umgang mit dem Archiv- und Interviewmaterial: Gleich einem unerschütterlichen wie gewissenhaften Archäologen zerrt er längst vergessene Personen aus der Vergessenheit, erzählt von Debatten und Ereignissen, an die sich kaum noch jemand erinnert, und vermag eine facettenreiche Geschichte in luzider Prosa auszubreiten. Auch wenn er manchmal zu begierig ist, Vorbilder für fiktionale Charaktere in der historischen Realität aufzuspüren, wobei manches doch etwas zu weither geholt scheint, ist ihm ein innovatives Werk gelungen, das viele Spuren aus dem Verborgenen freilegt, wenngleich viele der von ihm aufgespürten »nichtkanonischen« Autoren eher von historischer denn von literarischer Bedeutung sind. Zudem ist das Buch weitaus weniger – als beispielsweise The New York Intellectuals – von einer ideologischen Perspektive und politischen Verbissenheit gekennzeichnet, und Wald ist – vielleicht mit zunehmendem Alter – weniger auf Krawall gebürstet denn auf eine empathische Rekonstruktion des Vergangenen ausgerichtet, die auch Bedeutung für eine zukünftige Zeit haben könnte. Seine Trilogie behandelt ihre Protagonisten nicht nach schwarzweißen Kategorien, sondern versucht in ihrer kritischen Kartografierung der zerklüfteten Landschaften der »literarischen Linken« (wobei anarchistische Strömung gänzlich ausgespart sind) ein realitätsgetreues Bild zu zeichnen. Zuweilen jedoch scheint er zu nachsichtig mit Figuren des repressiven Apparats, die sich selbst Freiräume erstritten, jedoch einig mit den repressiven Zuständen waren und die kommunistische Politik der Nachkriegszeit in Ermangelung an Alternativen unterstützten. »Die Aufgabe ist es, das Gegenteil von dem zu tun, was diese miserable Welt vorschreibt«, definierte Max Horkheimer als Wesen des Antikonformismus. Viele der »literarischen Linken« wollten aber trotz allem an der schlechten Herrschaft partizipieren, auch wenn die Vision eins anderen, gerechteren Amerikas aus den 1930er Jahren autoritär kontaminiert war.