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14. Mai 2013
Jörg Auberg
für satt.org
  »Zeit des Zorns« von Jutta Ditfurth
Jutta Ditfurth. Zeit des Zorns:
Warum wir uns vom Kapitalismus befreien müssen.
Frankfurt/Main: Westend Verlag, 2012. 294 Seiten, 16,99 Euro.
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Das verriegelte Paradies

In ihrem Buch »Zeit des Zorns« versucht Jutta Ditfurth, eine radikale Kritik des Kapitalismus zu formulieren und die Utopie einer besseren Gesellschaft zu projizieren, doch verheddert sie sich in überkommenen Avantgarde-Vorstellungen der 1970er Jahre.

»No-one knows nothing anymore
Nobody really knows the score
Since nobody knows anything
Lets break it down and start again.«

Billy Bragg, Tooth & Nail

Die Skyline Frankfurts wird von den Phallussymbolen des Kapitalismus dominiert. »Von meinem Schreibtisch blicke ich rechts auf die beiden Türme der Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt«, schreibt Jutta Ditfurth in ihrem Buch Zeit des Zorns, » – und links wächst der Doppelturm der Europäischen Zentralbank (EZB).« So wird sie bei jedem Blick nach draußen auf die nach ihrer Meinung falsche Einrichtung der Gesellschaft erinnert, die täglich ihre Opfer fordert. Symptomatisch für die »Kollateralschäden« des globalisierten Kapitalismus ist der Einsturz eines achtstöckigen Fabrikgebäudes in Dhaka (Bangladesch), in dem Billigtextilien für den Weltmarkt produziert wurden. Bei diesem in der Geschichte des Kapitalismus nicht untypischen »Unfall« kamen mehr als dreihundert Menschen ums Leben. Für den prominenten Autor Vijay Prashad ist dieses Ereignis, wie er in Counterpunch schrieb, beispielhaft für den »Terror des Kapitalismus«.

Ihr Buch charakterisiert Ditfurth in hyperbolischem Ton als eine »Reportage von den Schlachtfeldern des Kapitalismus in aller Welt«, wobei die Beschreibung der Fatalitäten der kapitalistischen Produktions- und Distributionsweise Bausteine einer grundlegenden Kapitalismuskritik bilden und in einer kompromisslosen Anklage der herrschenden Verhältnisse münden. So stellt sie die Spekulationsgeschäfte der Deutschen Bank auf dem US-amerikanischen Immobilienmarkt dar, die für die Bewohner der verhökerten Wohnungen und Häuser Zwangsräumung, Obdachlosigkeit und Verelendung bedeuteten. Das System ist einzig auf Gewinnausschüttung und Profitmaximierung ausgerichtet, und auch die »Kritischen Aktionäre« börsennotierter Unternehmen möchten – ungeachtet aller Kritik – den größtmöglichen Anteil an der Beute einstreichen. Für Ditfurth ist die vielfach beschworene Grenze zwischen einem »bösen« Finanzkapitalismus (der auch mit Begriffen wie »Turbokapitalismus« oder »Cowboy-Kapitalismus« beschrieben wird) und einem »guten« Kapitalismus (als deren Sinnbild der »rheinische Kapitalismus« der alten Bundesrepublik gilt) illusionär: In ihren Augen ist der Kapitalismus Wurzel allen Übels, die aus der Realität getilgt werden müsse. Reformistische Ansätze änderten nicht nur nichts am räuberischen Wesen des Kapitalismus, sondern führten in eine politische Sackgasse, denn sie verdeckten den wirklichen imperialistischen Charakter des gegenwärtigen Herrschaftssystems. So steht für Ditfurth nichts weniger als eine »soziale Revolution« auf der politischen Agenda, als deren Avantgarde oder Speerspitze sie sich fühlt.

Zorn vermag zweifelsohne kreative Kräfte freizusetzen, doch kann er auch – wenn selbstkritische Regulationsmechanismen ausgeschaltet sind – in eine selbstgerechte Blindwütigkeit umschlagen, die alles niederwalzt, was nicht dem eigenen bornierten Schema entspricht. Diese autoritäre Charaktereigenschaft stellte Theodor W. Adorno an den Prominenzen der 1968er fest. »Die am heftigsten protestieren, gleichen den autoritätsgebundenen Charakteren in der Abwehr von Introspektion«, schrieb er 1969 in den »Marginalien zu Theorie und Praxis«; »wo sie sich mit sich beschäftigen, geschieht es kritiklos, richtet sich ungebrochen, aggressiv nach außen. Die eigene Relevanz überschätzen sie narzißtisch, ohne zureichenden Sinn für Proportionen.« Damit ist auch der Charakter Jutta Ditfurths beschrieben: Die besten Momente des Buches bestehen in der zurückgenommenen, faktischen Beschreibung der Auswirkungen kapitalistischer Herrschaftsinteressen auf die Natur (wie etwa bei der Zerstörung des Aral-Sees) oder der eindringlichen Darstellung von Widerstand und Repression bei WTO-Konferenzen oder G-8-Gipfeln in Seattle, Göteborg und Genua in den Jahren zwischen 1999 und 2001. Zumeist aber dominiert der dröhnende »Ditfurth-Sound«, der sich wuchtig durch die düsteren Schluchten der gegenwärtigen Politik-Landschaften frisst und nahezu jeden differenzierenden Zwischenraum in der mechanischen Reproduktion des Immergleichen auslöscht.

Stets aufs Neue inszeniert sich die gescheiterte Machtpolitikerin Ditfurth, die sich nach der Niederlage ihre eigene kleine Racket-Welt mit Partei, Gefolgschaft und zeitweiligem Zentralorgan (das freilich die Zeit nicht überdauerte) schuf, als »Heilige Jutta« in den Höhlen der Löwen (die mal Gestalt des Chefökonomen der Deutschen Bank, mal des führenden konservativen Häuptlings der politischen Korruption in der alten Bundesrepublik, mal der vielköpfigen Hydra der Reformsozialisten annehmen). Wie eine glorreiche Spartakistin behauptet sie sich gegen kleinmütige, erbärmliche Kreaturen, die arachnoid und fluchtartig die politische Arena verlassen, während die »Heilige Jutta« retrospektiv in extenso in eigenen Texten des Heroismus schwelgt. »Ich bin immer wieder fasziniert«, gibt sie freimütig zu Protokoll, »wie Menschen, die jahrzehntelang in Machtpositionen von Staat und Kapital agieren, vollkommen unvorbereitet darauf sind, es in einem Raum mit linksoppositionellen Kritikern aushalten und auch noch deren Meinung anhören zu müssen.« Die selbstentlarvende Ironie entgeht der »Heiligen Jutta« in ihrer wohlfeilen Selbstgerechtigkeit freilich. Meinungen, die ihr selbst nicht willfahren, deklariert sie als »Gerede« oder »Geschwätz«. Auch Konkurrenten aus dem linken Spektrum können vor ihrem kritischen Auge nicht bestehen: Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine, Gregor Gysi, Hans-Christian Ströbele und Jürgen Trittin (von Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer ganz zu schweigen) betreiben das Geschäft des Reformismus und sind im Gegensatz zur »Heiligen Jutta« politisch, intellektuell und moralisch verkommen. Gleichfalls ist die Piratenpartei ausschließlich der »Systemadministrator« der »herrschenden Verhältnisse«, und die Occupy-Bewegung ist unfähig, den wahren Charakter des Kapitalismus zu begreifen.

Dagegen verklärt sie die Anti-AKW-Bewegung der 1970er Jahre, der sie ihren »celebrity status« verdankt. Im tristen Schwarz-Weiß-Raster erscheint diese außerparlamentarische Fraktion als heroisches Kollektiv, das letztlich ein Opfer der staatlichen Repression wurde. »Die alte, einflussreiche Anti-AKW-Bewegung, die sich zu einer staatskritischen Bewegung entwickelt hatte«, resümiert Ditfurth, »war im Deutschen Herbst von 1977 vom Staat niedergeschlagen worden.« Die strukturellen und politischen Schwächen dieser außerparlamentarischen Bewegung thematisiert sie jedoch ebenso wenig wie die eigene Verantwortung für die Entwicklung der Linken seit den späten 1970er Jahren, in denen das »Monster« der Grünen gezeugt wurde. Die Hölle sind stets die anderen.

Ohnehin scheint Ditfurth intellektuell in den 1970er Jahren stecken geblieben zu sein. Ihre Weisheiten entstammen einem offenbar nie endenden Lektürekurs jener »bleiernen Zeit«. Marx, Engels und Lenin werden ausgiebig zitiert, angereichert mit einigen literarischen und theoretischen Bonmots Bertolt Brechts, Ernest Mandels und Dietmar Daths (der als Jungspund die autoritäre Linie eines eingefrorenen Marxismus-Leninismus fortführt). Vorgeblich hat sie alle Argumente gegen den Kapitalismus zur Hand, doch vermag der Untergrundling (wie Issac Rosenfeld – selbst zeitweilig im amerikanischen trotzkistischen Milieu der 1940er Jahre aktiv – diesen Typus einmal bezeichnete) nicht über die Kellerlöcher hinaus zu blicken. Vielmehr richtet sich die Racket-Chefin in ihrer abgekapselten Welt im Frankfurter Souterrain ein. Sie ist keine Nachfolgerin Simone Weils, die in den frühen 1930er Jahren den aufkommenden Faschismus in Deutschland kritisch analysierte und die Tortur des Industriesystems am eigenen Leib ertrug (»... man behandelt mich wie eine zum Tode Verurteilte ...«, schrieb sie 1934 in ihrem Fabriktagebuch), sondern zehrt von ihrem »celebrity value«, der ihr Auftritte im medienindustriellen Zirkus (in den einschlägigen Talkshows und Late Night Shows wie »Stuckrad-Barre«) und einträgliche Buchverträge mit Verlagen aus den Holtzbrinck- oder Bonnier-Konzernen beschert. Nichtsdestotrotz schwadroniert sie in ihrem Traktat über die Verschleierungstechniken der Medienindustrie. »Ich untersuche, wie wir mit einer Flut von Informationsschrott davon abgehalten werden, die Welt zu begreifen, damit wir die Gesellschaft verändern können, in der wir leben«, schreibt sie in ihrer Einleitung. »Aber wir erfahren eher die Körbchengröße einer Schauspielerin als die Verbrechen deutscher Konzerne in aller Welt.« Die Analyse beschränkt sich auf verschwörungstheoretische Mutmaßungen und moralisierende Anklagen, während der Warencharakter der Nachrichten (von der Produktion bis zur Distribution) gänzlich außer Acht gelassen wird. Zwar wird Marx ständig beschworen, doch die Produktionsprozesse des herrschenden Systems – in dem alles ineinandergreift – werden keiner tieferen Analyse unterzogen.

Aus der Kritik des Kapitalismus folgt nichts Konkretes. Immer wieder wird von Ditfurth ein »radikaldemokratischer und linker Widerstand« beschworen, den sie mit ihrer autoritären Racket-Politik konterkariert. »Unaufrichtigkeit« und »Verschleierung« ortet sie stets nur bei »den anderen«, während sie sich dem Klub der Bescheid- und Besserwisser zuordnet, der zwar keine stimmige Idee oder kein durchdachtes Konzept zur Diskussion beisteuern kann, für sich aber die Unfehlbarkeit in Anspruch nimmt. Zeit des Zorns ist ein weiteres Buch, dem die intellektuelle Nachhaltigkeit fehlt. In einem plakativen, plumpen Stil wird eine Regenbogenkoalition beschworen, in der sich »Migranten, Subproletarierinnen, Straßenkinder, Facharbeiter, Schüler, Studentinnen, Leiharbeiterinnen, Künstler, Hartz-IV-Empfänger, Intellektuelle« zusammenfinden sollen, die – von der Generalin Ditfurth angeführt – das letzte Gefecht bestreiten sollen. »Unser Ziel ist eine Gesellschaft, die auf Solidarität aufbaut und sozialer Gleichheit, in der es keine Ausbeutung und keine Herrschaft von Menschen über Menschen mehr gibt«, erklärt sie am Ende ihres Buches, »eine Gesellschaft, in der wir basisdemokratisch entscheiden, wie wir leben und arbeiten wollen.« Freilich verliert sich diese Utopie einer besseren Gesellschaft in einer nebulösen Phraseologie, die aus dem Sumpf der kleinen Rackets aufsteigt. An keiner Stelle erklärt Ditfurth, im Namen welchen Kollektivs sie spricht oder was die Grundlagen ihrer »Basisdemokratie« sind. Da sie sich im Besitz der universalen Wahrheit und Moral wähnt, verbieten sich lästige Nachfragen oder Einwände. »Reformistische Linke tragen durch verschleiernde Redewendungen und eine unaufrichtige Sprache zur allgemeinen Regression bei«, deklamiert sie und schneidet damit de facto die Rede – ganz »basisdemokratisch« – ab. So ist ihr Buch letztlich die groteske Parodie einer linksoppositionellen Kritik, die letzlich nur der Affirmation des Status einer linksradikalen »celebrity queen« im medienindustriellen Betrieb dient.