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18. Februar 2013 |
Jörg Auberg
für satt.org |
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Aporien der NetzkritikIn seinem Buch »Das halbwegs Soziale« versucht der Medientheoretiker Geert Lovink eine Kritik der »sozialen Medien« zu formulieren, doch fehlt dem Unterfangen der Mut zur Radikalität, sodass die Kritik letztlich im Konformismus endet. Einige Monate, bevor die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht übernahmen, kritisierte Bertolt Brecht die Einbahnstraßenkommunikation des Radios und forderte, den Rundfunk aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre, sagte Brecht in seinem Vortrag »Der Rundfunk als Kommunikationsapparat«, »der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen.« Tatsächlich war die Entwicklung des Radios an kommerziellen, autoritären Linien nicht vorgezeichnet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte der Technologiekonzern AT & T den Rundfunk als dezentralisiertes, kommunitäres Netzwerk autonomer Sendestationen konzipiert, ehe in den 1920er Jahren die kommerziellen Interessen der Konzerne die Oberhand gewannen und dem Medium die utopischen Visionen austrieben. Nicht nur im Faschismus wurde das Radio zum »universalen Maul des Führers» (wie es in der Dialektik der Aufklärung hieß), sondern auch in demokratischen Gesellschaften wurde der Rundfunk als autoritäres Medium der Massenbeeinflussung genutzt. Ungeachtet der herrschenden Medienpraxis gehörte Brechts Radiotheorie neben Walter Benjamins Reflexionen zur technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks zum Standardrepertoire linker Medientheorien, die Hans Magnus Enzensberger in den 1970er Jahren aufgriff und mit seinem »Baukasten zu einer Theorie der Medien« (1970) nachhaltig prägte. Danach konnte sich kaum eine Diskussion über den vorgeblich potenziell utopischen und emanzipatorischen Charakter der Medienkultur hinweg setzen, und allenthalben sahen sich Medienkollektive wie die Newsreel-Gruppen in den USA oder Agenturen einer zersplitterten Gegenöffentlichkeit in Westdeutschland als Erfüllungsgehilfen der Massen, die – im Enzensberger-Sound – als »Autoren der Geschichte« zu agieren begannen. Zwar scheiterten alle Versuche der Gegenöffentlichkeit – ob in Form von Tageszeitungen, Stadtjournalen oder Rundfunkexperimenten wie Radio 100 in Westberlin in den späten 1980er Jahren –, doch hält sich trotz alledem der utopische Gedanke einer libertären Gegenöffentlichkeit hartnäckig im morschen Gebälk der Geschichte. In den Augen vieler Netzaktivisten hat das Internet die in der Brechtianischen Radiotheorie formulierten Utopie eines universalen Kommunikationsapparats – trotz der kommerziellen Kraken wie Apple, Facebook oder Google – realisiert, da der einseitige Kommunikationsfluss, der frühere Medien bestimmt habe, aufgehoben und das Netz zu einem internationalen kommunikativen Geflecht interaktiver Beziehungen geworden sei. Weitaus weniger euphorisch fällt das Resümee des niederländischen Medientheoretikers Geert Lovink in seinem Buch Networks Without a Social Cause (das jetzt unter dem Titel Das halbwegs Soziale auf Deutsch erschienen ist und an sein Vorgängerbuch Zero Comments aus dem Jahre 2008 anknüpft). In einer Mischung aus Essay, Reportage und theoretischer Reflexion spannt Lovink den Bogen von den Radioexperimenten der 1980er Jahren zur Praxis der »sozialen Medien« der Gegenwart, wobei er nicht allein einen fundierten Überblick zur gängigen Fachliteratur bietet, sondern auch informelle Diskussionen einbezieht, die er aus E-Mails von Fachkollegen aus Europa und den USA befüttert. Ein Strang der Kritik ist die psychopathologische Informationsüberflutung, wobei Lovink nicht unbedingt mit originellen Antworten aufzuwarten weiß. Ähnlich wie die australische Medientheoretikerin Tara Brabazon, die in einem Beitrag für die jüngste Ausgabe der wissenschaftlichen Online-Zeitschrift Fast Capitalism als Gegenstrategie zur »Informationsobesität« (einer Form der digitalen Fettleibigkeit) eine selbstbestimmte Entgiftung oder Diät empfiehlt, verweist Lovink auf die Praxis der »Slow Communication«, um der schnellen Konsumierbarkeit der Ware Information einen bewussten Umgang mit Daten und Wissen entgegenzusetzen. Eine klare politische Strategie kann Lovink jedoch über die individuelle Positionierung des Einzelnen, der sich im globalen Geflecht des digitalen Kapitalismus mit dem altmodischen Problem der Selbstauflösung herumzuschlagen hat, nicht vorweisen. Auf dem Mittelweg zwischen reaktionärer Kulturkritik, die das Ende der Menschheit angesichts des Niedergangs des herrschaftlichen Kanons vor Augen hat, und einem technolibertären Utopismus, der jede kritische Fähigkeit an die technischen Möglichkeiten eines frei wuchernden Kapitalismus verhökert, versucht Lovink das »grundsätzliche Prinzip dezentralisierter, verteilter Netzwerke« zu verteidigen, wobei seine Agenturen des gesellschaftlichen Wandels in Form von »Orgnets« (organisierten Netzwerken) als Gegenkraft zu den zentralisierten Diensten von Facebook, Google, Twitter und anderen »Service Providern« des digitalen Kapitalismus im Vagen verharren, ohne realiter eine politische Alternative zu den oder gegen die herrschenden Produktions- und Verkehrsformen in den intermedialen Prozessen zu entwickeln. Im Zeitalter der ubiquitären und mobilen Kommunikation ist das Internet mit seiner Funktion eines »Kommunikationsapparats« weniger die Realisierung einer funktionierenden Gegenöffentlichkeit denn die hohnlachende Erfüllung des »Talking Assholes« aus William S. Burroughs' Roman Naked Lunch: Der Intellekt verendet in einer analen Regression, und die Augen reflektieren »die hilflose stumme Qual des sterbenden Gehirns«, während sich der »ass talk« verselbstständigt und den Körper in einer feindlichen Übernahme zerstört. Lovink sieht die »Kommentarkulturen« des Internets durchaus kritisch und befürwortet – in Anklang an die Gegenöffentlichkeitsdebatten der 1980er Jahre um Offenheit des Medienzugangs und Professionalität der Medienproduzenten – die Steuerung von Online-Diskussionen durch professionelle Moderatoren, wobei die Macht- oder Herrschaftsverhältnisse zwischen Produzenten, Autoren und Konsumenten im Dunkel bleiben. »Heute bestimmen Online-Kommentare zu einem wesentlichen Teil die Wirkung des Netzes«, erklärt Lovink, »und sie zu ignorieren oder dieses Element zu übersehen heißt, dass man nur die Hälfte verstanden hat.« Damit unterwirft sich der Netzkritiker dem Diktat des Bestehenden und geriert sich als Konformist: Statt das Kontinuum einer falsch verlaufenen Geschichte aufzusprengen, propagiert er, »mit den Zeichen der Zeit« in Verbindung zu bleiben – auch um den Preis, dass ein dumpfer Mob mit einem »ass talk« aus Gerüchten, Ignoranz, Denunziation und Verbohrtheit die digitalen Diskurse beherrscht. Das Problem der Netzkritik, wie sie Lovink praktiziert, besteht in ihrem verunglückten Spagat zwischen dem technologischen Einverständnis mit den herrschenden Verhältnissen und einer pragmatischen Kritik der Dinge, wie sie sind. »Man kann kritisch sein, ohne kritisch zu sein – und das ist vielleicht der Hauptgrund, warum eine (öffentliche) Verbindung zur Frankfurter Schule möglichst vermieden werden sollte«, postuliert Lovink in seinem Katechismus der Netzkritik. »Was bleibt, ist heimliche Lektüre, stille Bewunderung und eine informelle Interpretation ihrer Arbeit.« So erschaudert die postmoderne Netzkritik, die einig mit den bestehend Verhältnissen ist, vor einer radikalen Bestandsaufnahme. Statt die Zusammenhänge zwischen der Massenkultur und der schlechten Herrschaft aufzudecken (wie es Max Horkheimer 1942 gefordert hatte), trägt sie zur Versöhnung der Menschen mit den miserablen Verhältnissen bei. Daher sollte diese »Netzkritik« in der Tat nicht mit den besseren Traditionen der Frankfurter Schule in Verbindung gebracht werden.
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