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17. April 2012 |
Jörg Auberg
für satt.org |
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RADIKALER WIDERSPRUCHJutta Ditfurth kritisiert sowohl den Kapitalismus als auch seine reformistischen Kritiker und ist auf der Suche nach einem Weg aus der falschen Einrichtung der Gesellschaft. Der Flugschrift haftet der Nimbus des Aufrührerischen und Subversiven an. Historisch ist sie ein frühes »Druckmittel« zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung und ein Medium für gesellschaftliche Veränderung, das sich an ein weit gefächertes Publikum wendet, um Positionen in politisch bestimmten Meinungskämpfen zu besetzen und zu verteidigen. In Zeiten technifizierter Medien, in denen alles mit allem verwoben ist und die vom »Schwarzseher« Theodor W. Adorno gebrandmarkte »Einheitsfront von Trust und Technik« obwaltet, ist die Flugschrift ein Einspruch gegen die Massenproduktion des immer gleichen weißen Rauschens im postdemokratischen System des bloßen Meinens, das letztlich nur die hohnlachende Parodie einer kritischen Öffentlichkeit ist. Jutta Ditfurths Flugschrift Worum es geht ist der Versuch, in der aktuellen Krise des Kapitalismus eine »Orientierungshilfe« für all jene zu geben, »die zum Kern der Debatte vordringen wollen« (wie es in der Verlagswerbung heißt). Genauer wäre das Ditfurth'sche Projekt jedoch mit einem berühmten Marx'schen Diktum umschrieben: »Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst.« Für Ditfurth ist das totale System des Kapitalismus der Ausnahmezustand, in dem die individuelle Existenz menschenfeindlichen Kräften unterworfen ist und eine vernünftige Einrichtung der Gesellschaft verhindert wird. »Gesellschaftliche Verhältnisse herzustellen, in denen der Mensch frei und sozial gleich ist«, unterstreicht Ditfurth, »ist Zweck und Ziel emanzipatorischer linker Politik.« In vier kurzen Kapiteln analysiert sie zunächst die aktuellen Zustände und Verhältnisse aus ihrer Perspektive und gibt – ganz in der Tradition traditioneller Flugschrift-Autoren – einen Ausblick auf eine mögliche politische Praxis jenseits des institutionellen Rackets, das – nach einem Wort Max Horkheimers – »allen gesellschaftlichen Erscheinungen seinen Stempel aufgeprägt« hat. In diesem Sinne übt Ditfurth eine »wahre Kritik« an den herrschenden Zuständen, indem sie »die Waffe der Kritik für den Weg aus der Unmündigkeit« zu nutzen und den Kulissenwelten der Warengesellschaft den Schleier der Falschheit zu entreißen versucht. Zentrales Motiv der Flugschrift ist das antikapitalistische Moment: Im Gegensatz zu den »Kapitalismuskritikern« der Occupy-Bewegung lehnt Ditfurth den Kapitalismus als System ab und hält ihn für nicht reformierbar. In ihren Augen beruht er auf der Ausbeutung der menschlichen und natürlichen Ressourcen und ist daher mit einer nachhaltigen Einrichtung der Gesellschaft unvereinbar. Für sie denotiert Kapitalismus Begriffe wie »Krieg« und »terroristischer Normalzustand«. Die Radikalität ihrer Kritik lässt Sympathisanten der Occupy-Bewegung aufschrecken, die in Ditfurth eine sektiererische Ideologin sehen. »Ob sie Mitstreiter für eine Revolution findet, indem sie Freund und Feind beschimpft?«, fragt sich etwa ein Rezensent von Deutschlandradio Kultur, als wäre der öffentlich-rechtliche Rundfunk neuerdings das Fachprogramm für die revolutionäre Praxis im 21. Jahrhundert. Im Gegensatz zur »neuen« Protestbewegung, die für ihre Aktionen unkritisch die Technologien der »sozialen Medien« einsetzen, schließt Ditfurth die globalen Produktionsbedingungen in die Reflexion ein. Selbst die neue Generation der New Yorker Intellektuellen, die sich um Zeitschriften wie n+1 scharen, hat zwar jedes gute Argument zur Hand, wie Apple mittels iPhone und iPad die Konsumentenkultur umwälzt, doch fällt kaum ein Augenmerk auf die ökonomischen Bedingungen, unter deren Diktat die stets neue Generation der technischen Geräte auf den Markt geworfen wird. Während sich Apple, Google, Facebook und andere Konzerne als Agenten einer neuen Sozialität – auch mittels willfähriger oder schlicht ignoranter Erfüllungsgehilfen in den Medienagenturen – verkaufen, wird der Preis des je aktuellen »Hipseins« mittels »trendiger« Waren unterschlagen. Jedes iPhone wird mit unmenschlichen, geradezu barbarischen Bedingungen in brutalen Produktionsstätten wie Foxconn erkauft. Zuweilen erweckt Ditfurth den Anschein, als wäre die Technik per se schuld an den momentanen Verhältnissen. »Nicht die Technik ist das Verhängnis«, erinnerte Adorno in einem Vortrag im geschichtsträchtigen Jahr 1968, »sondern ihre Verfilzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, von denen sie umklammert wird.« Gerade die Abhängigkeit moderner Protestbewegungen von den Technologien kapitalistischer, mit der Herrschaft verfilzter Unternehmen unterminiert eine radikale Kritik der herrschenden Zustände. Schließlich möchte Ditfurth mit der Trinität von Theorie, Aktion und Organisation die herrschenden Zustände bekämpfen, wobei jedoch die Frage bleibt, wie über das Programm, »Sand ins Getriebe der großen Maschinerie« zu werfen, »ausbeuterische Pläne« zu bremsen, Rohstoffkriege zu verhindern, die herrschende Ordnung zu stören und Konsense zu zerbrechen, »die das System stabilisieren«, eine politische Praxis jenseits postdemokratischer Verfahren zu etablieren wäre. Das Ende bleibt offen oder mit Samuel Beckett gesprochen: Il faut continuer.
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