Heretic
(Bryan Woods & Scott Beck)
Originaltitel: Heretic, USA 2024, Buch: Scott Beck, Bryan Woods, Kamera: Chung-Hoon Chung, Schnitt: Justin Li, Musik: Chris Bacon, Kostüme: Betsy Heimann, Production Design: Philip Messina, Art Direction: Justin Ludwig, Set Decoration: Hamish Purdy, mit Hugh Grant (Mr. Reed), Sophie Thatcher (Sister Barnes), Chloe East (Sister Paxton), Topher Grace (Elder Kennedy), Elle Young (Prophet), Julie Lynn Mortenseon (Pedestrian), Elle McKinnon, Hailey Hansen, Hanna Huffman (Teenagers), Anesha Bailey, Miguel Castillo (Neighbors), Stephanie Lavigne (Believer), Wendy Gorling (Disciple), 110 Min., Kinostart: 26. Dezember 2024
Schon beim Planen der von mir zu besuchenden Pressevorführungen (Was interessiert mich? Was beißt sich nicht mit dem Brotjob und seinen teilweise starr vorgegebenen Bürostunden?) freute ich mich zirka Mitte / Ende Oktober geradezu diebisch über einen vermeintlichen Geniestreich, der ohne meine folgende Erklärung nicht mal meinen treuesten LeserInnen (Grüße an Frank, Lisbeth und Marc!) aufgefallen wäre. Meine beiden Dezember-Kritiken sind zu Filmen, die Here bzw. Heretic heißen. Ohne eine Wiederaufführung von Spike Jonze' Her ist das kaum zu toppen. Aber wie gesagt, außer mich selbst interessiert das keine Sau!
Ich muss zugeben, dieses Detail hat bei meiner Filmauswahl eine nicht zu vernachlässigende Rolle gespielt. Bei Heretic gab es noch stärker als bei Here schon früh eine gewisse Aufgeregtheit in den Medien, zum Beispiel kam der filmaffine Redakteur im Sat.1-Frühstücksfernsehen nicht umhin, schon im Oktober Ausschnitte aus dem Film zu zeigen, weil es ihm einfach so spannend erschein, dass RomCom-Gesicht Hugh Grant (Four Weddings and a Funeral, Notting Hill, mehrfach im Zusammenhang mit Bridget Jones) hier einen veritablen Bösewicht spielt. Mittlerweile gibt es dafür sogar eine Golden-Globe-Nominierung, aber das Absurde im Frühstücksfernsehen war für mich, dass ein Film vorgestellt wurde, der erst zwei Monate später in Deutschland startet. Und der Verantwortliche sah auch keinerlei Problem darin, freimütig zuzugeben, dass er den Film noch gar nicht sichten konnte.
Naja, vielleicht musste einfach Sendezeit gefüllt werden. Spannender als die neuesten überteuerten Accessoires von Gwyneth Paltrow ist das Ganze allemal.
© Plaion Pictures / Kimberley French
Ich bin dafür bekannt, dass Mädchenfilme mit Pferden, die Formel Eins und Religion in all ihren Ausprägungen so ziemlich zum uninteressantesten gehören, was ich mir vorstellen kann.
Als ehemaliger Literaturstudent habe ich mich mal durch dreieinhalb Evangelien gelesen (und wenn's nur war, um die Comics von Chester Brown stärker würdigen zu können), aber dass sich Leute darüber streiten und erzürnen, ja sogar deshalb bekriegen, weil sie eine andere (oder keine) »Gottheit« verehren, ist für mich die vielleicht absurdeste Eigenheit der Menschheit.
Ich bin eigentlich ein großer Freund des Horrorgenres in all seinen Ausprägungen, aber Filme rund um Geistererscheinungen und insbesondere Teufels- und Dämonenaustreibungen interessieren mich deutlich weniger als stumpfe Slasher oder Zombie-Variationen, ja selbst abstrusen Tierhorror.
Glücklicherweise fällt Heretic nicht in diesen Bereich!
Dafür geht es um zwei junge Mormoninnen (ist das das richtige Wort? Sieht irgendwie seltsam aus...), die von Haustür zu Haustür gehen, um Mitbürger zu bekehren / missionieren, was weiß ich...
Ich arbeite im Fundraising und finde Menschenrechte, Tierschutz und Krebshilfe deutlich wichtiger als den Wachturm zu verjucken oder durch Textstudium (und reichlich Voreingenommenheit) zu ergründen, welche Meinung Jesus zu schwulen Schafen hat oder hatte.
Über Mormonen weiß ich vergleichsweise wenig, beim Gespräch mit einem (nichtmormonischen!) Kollegen über den Film wurde mir klar, dass bestimmte Aspekte im Film (Coca-Cola und magische Unterwäsche!) offensichtlich hinreichend recherchiert wurden fürs Drehbuch. Aber auch in Nichtkenntnis aller Hintergründe konnte ich mit den entsprechenden Filmpassagen was anfangen.
Schnell runtergebrochen dreht sich Heretic um die schon erwähnten ... ich nenne sie mal Novizinnen, weil das so ein hübsches Wort ist, passt aber vermutlich gar nicht. Und dem älteren Herren (Hugh Grant), dessen Haus sie betreten, um ihn vom Nutzen der von ihnen gewählten Religionsausprägung zu überzeugen.
© Plaion Pictures / Kimberley French
Und dieser alte Knabe, der es reichlich hinter den Ohren hat, kennt sich auf dem vermeintlichen Fachgebiet der Mädels, wie man noch und nach erkennt, deutlich besser aus als die beiden.
Mit einer Erinnerung an meine umfassende Religionsmüdigkeit muss ich sagen, dass ich eine anderthalbstündige Grundsatzdiskussion über Feinheiten der mormonischen Kirche mit zwei jungen Frauen, die sich zunehmend überfordert und gefährdet fühlen, als durchaus gelungene Prämisse für diesen Film abfeiere. Meinetwegen hätte man den ganzen Horror-Hokuspokus auch einfach fallen lassen, und die beiden hätten dann zum Schluss das Haus des älteren Herren verlassen und wären arg in ihrem Glauben zerrüttet gewesen.
Nur hätte es da vermutlich nicht so viele Kinogehende gegeben, die das wie ich aufgefasst hätten, und stattdessen hätten die dann überall rumerzählt »Das ist ja gar kein Horrorfilm!«, woraufhin der Film dann arg gefloppt wäre. Und so bedient man halt die Wünsche des Horrorpublikums und hofft, dass die Hugh-Grant-Interessierten, die Horrorfilme eigentlich eher meiden, trotzdem zu einem gewissen Teil ins Kino strömen.
In der Gesellschaft wird Filmkunst leider viel zu sehr über den Kassenerfolg definiert. Einige meiner Lieblingsfilme kennt kaum wer, was aber nicht an meiner Achtung für diese Filme rüttelt. Während ca. 8-12 der erfolgreichsten 20 Filme eines beliebigen Filmjahres sich dadurch auszeichnen, dass sie mich nicht wirklich interessieren.
Wieder verquatscht...
© Plaion Pictures / Kimberley French
Das Interessanteste an Heretic waren für mich die teilweise gar nicht so bekloppt wirkenden »Verschwörungstheorien« des seinen gruseligen Sermon herunterbetenden Alt-Schmonzes, der offensichtlich nicht zum ersten Mal jungen Dingern seltsame Glaubensfragen stellt. Besonders interessant fand ich die Ähnlichkeiten zwischen The Air that I breathe, Creep und Get Free. Von den wechselseitigen Gerichtsstreiten hatte ich komplett nichts mitbekommen. Und ich habe Radiohead ja schon live gesehen, als sie noch Vorgruppe von James waren und Anyone can play guitar ihr zweitgrößter Hit war...
Wie die Atmosphäre im ungewöhnlichen Gruselhaus immer stärker umkippt, ist auch interessant, die drei Figuren sind faszinierend, und Grants Fingerspielereien wirken manchmal wie Freddy Krüger als in Vergessenheit geratener dritter Ehrlich Brother. Das ist auch sehr unterhaltsam.
Aber das letzte Fünftel oder so vom Film ist für mich so überflüssig wie der aufgeblasene Showdown in einem Marvel-Superheldenspektakel.
© Plaion Pictures / Kimberley French
Ich weiß, dass die anderen Horrorfans am Ende Action, Spannung und Gewalt brauchen, und Filmemacher, die ihre Produktionsgesellschaft »Beck/Woods« nennen, wissen das natürlich noch dreizehn mal mehr als ich, aber ist das wirklich die beste Art und Weise, diesen Film zu einem Ende zu führen? Das kann natürlich jedeR für sich selbst entscheiden.
Ich finde, da wäre Potential für mehr gewesen. Nicht zuletzt auch, weil Sister Barnes und Sister Paxton sich nicht nur über ihren religiösen Glauben definieren. Letztlich sind sie ja auch einfach heranwachsene Frauen, die ihren Platz in der Gesellschaft suchen. Sie unterhalten sich auch mal über Magnum-Kondome, dieses South-Park-Musical, das sich über sie lustig macht, oder die nicht zu unterschätzende Frage »How hot will our husband be?«
Stattdessen werden sie zu besseren Spitzmäusen in einem Labyrinth im Versuchslabor, und sollen sich zwischen zwei Türen entscheiden, wobei der gesamte Versuchsaufbau den Probandinnen einfach keine fairen Chancen bietet. Da kann man sich noch so sehr daran laben, wie Hugh Grant seine Rolle genüsslich auskostet, das ist für mich einfach nicht das selbe Katz- und Maus-Spiel wie in vergleichbaren Horrorfilmen wie Wrong Turn, Wolf Creek oder House of Wax. Bei Heretic befindet man sich in einem anderen (Sub-)Genre und auch die Gewichtung zwischen den Figuren (und der Dramaturgie) entspricht nicht solch einem zynischen Splatter-Fun.
Wer mag, kann dieses Beschreiten neuer Wege sogar positiv bewerten, für mich funktionieren die drei Vergleichsfilme (wenn auch auf einem deutlich anderen Niveau), und die Schlussphase bringt Heretic zum Taumeln.