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29. Februar 2024
Thomas Vorwerk
für satt.org


  The Zone of Interest (Jonathan Glazer)


The Zone of Interest
(Jonathan Glazer)

Originaltitel: The Zone of Interest, UK / USA / Polen 2023, Buch: Jonathan Glazer, Lit. Vorlage: Martin Amis, Kamera: Lukasz Zal, Schnitt: Paul Watts, Musik: Mica Levi, Music Supervision: Bridget Samuels, Kostüme: Malgorzata Karpiuk, Szenenbild: Chris Oddy, mit Christian Friedel (Rudolf Höß), Sandra Hüller (Hedwig Höß), Johann Karthaus (Claus Höß), Luis Noah Witte (Hans Höß), Nele Ahrensmeier (Inge-Brigit Höß), Lilli Falk (Heideraud Höß), Anastazja Drobnick, Cecylia Pekala, Kalman Wilson (Annagret Höß), Julia Polaczek (Aleksandra), Imogen Kogge (Linna Hensel), Medusa Knop (Elfryda), Zuzanna Kobiela (Aniela), Martyna Poznanska (Marta), Stephanie Petrowitz (Sophie), Max Beck (Schwarzer), Andrey Isaev (Bronek), 106 Min., Kinostart: 29. Februar 2024

Karriere und Job, sowie die Koordination entsprechender Ambitionen mit den Feldern Familie und Gesellschaft, das sind universelle und zeitlose Themen. Da kann man sich ebenso eine alte Folge von den Flintstones schnappen oder darüber sinnieren, wie ein gewisser Jean-Luc Picard sich über gemeinsame Musikstunden mit einer Sternen-Kartographin anfreundet, um dann festzustellen, dass unversehens ganz persönliche Interessen ihn in seiner (im Normalfall objektiv gewichteten) Führungsrolle als Raumschiffs-Kapitän einschränken.

Man muss für Beispiele der Äonen überspannenden Aktualität dieser Themen nicht so weit weg springen, Martin Ames 2014 erschienener Roman The Zone of Interest spielt im 20. Jahrhundert, an welches sich ein Großteil der satt.org-User noch erinnern dürften. Sandra Hüller, aktuell durch ihre Oscarnominierung für Anatomie eines Falls noch präsenter als zu Zeiten von Toni Erdmann, spielt hier die Hauptrolle, zwar ein starke Frauenfigur, aber eine, die alten Tugenden und Geschlechterrollen entsprechend, vor allem mit der Kindererziehung und der Führung eines Haushaltes beschäftigt ist.

Zu der Zeit, in der der Film spielt, sind noch die Männer federführend. Ihr Gatte Rudolf (Christian Friedel) ist derjenige, der durch seine Arbeit die nicht gerade kleine Familie und das prächtige Anwesen finanziert. Er führt einen großen Betrieb, und das voller Enthusiasmus und mit fortschrittlichen effizienten Ideen. Das große Drama der Filmhandlung könnte sein, dass Rudolf nun, als er die Träume der Eheleute kongenial umgesetzt hat, versetzt werden soll. Ist nun all die Arbeit für den Familiensitz verloren? Denn man kann ja nicht einfach an einem anderen Ort den Status Quo aufrechterhalten...

The Zone of Interest (Jonathan Glazer)

© Leonine Distribution

Okay, ich gebe es zu: meine bisherige Inhaltsangabe ist perfide bis zynisch, denn wie die meisten Kinointeressierten zum Start des Films wissen werden: Der Betrieb, den Rudolf führt, ist das KZ in Auschwitz. Und zwar nicht als heutige Gedenkstätte, sondern zu einer Zeit, als dort die Schornsteine noch rauchten...

Das war jetzt die härteste Formulierung, die ich den Lesenden leider vor den Bug knallen musste. Als ich den Film sah, musste ich an Uwe Boll denken, an seine Überlegungen dazu, wie man den Horror des Holocaust inszenieren müsse. Jonathan Glazer geht glücklicherweise einen anderen Weg. Es ist denkbar (definitiv nicht zu hoffen, aber denkbar), dass besonders unbedarfte Zuschauer (die aus irgendwelchen Gründen weiterschauen, obwohl sie die Botschaft des Films nicht auf Anhieb ergründen) lange Zeit gar nicht begreifen, was sich hier lange Zeit im Hintergrund oder auf der Tonspur abspielt. Während Sandra Hüller als Hedwig ihren Kindern und Gästen den wohlgepflegten Garten vorführt (und einiges an botanischem Wissen zeigt), sieht mancher vielleicht nur eine Mauer neben dem Garten, macht sich keine Gedanken über das Dienstpersonal im Haus oder manche hagere Gestalt, die eine Schubkarre bewegt.

The Zone of Interest (Jonathan Glazer)

© Leonine Distribution

Ich bin ein großer Fan des ungezeigten Grauens. In Michael Hanekes Benny's Video passieren zum Beispiel schreckliche Dinge, die durch die besten Make-Up-Effekte der Welt nicht grausiger werden könnten. Oder nehmen wir Cat People von Jacques Tourneur. Da geht es um eine junge Frau, die sich in eine reißende Bestie verwandelt. Aber abgesehen von einem zerfetzten Bademantel und Schatten sieht man so gut wie nichts. Als Paul Schrader etwa 40 Jahre später ein Remake mit Nastassja Kinski drehte, durfte diese für die erotischen Aspekte des Films reichlich Haut zeigen, und die Spezialeffekte waren auch auf der Höhe der Zeit. Doch der Effekt des Films? Ein halblautes Puff!

So hält es auch Jonathan Glazer, der neben seinen Arbeiten im Werbe- und Musikvideo-Bereich nicht so viele Spielfilme fabriziert hat (2000: Sexy Beast; 2004: Birth; 2013: Under the Skin ... und schon sind wieder zehn Jahre vergangen), der aber erkennbar lange an seinen Filmen tüftelt und frickelt, sie großartig besetzt und seinem Publikum einiges bietet... es aber auch gern fordert!

The Zone of Interest (Jonathan Glazer)

© Leonine Distribution

In diesem Fall konnte ich es nicht während der ersten Sichtung des Films (der mal wieder gezielt uninformiert vonstatten ging) klar festmachen, was ich später im Presseheft nachlas. Sicher, die Inszenierung war irgendwie auffällig anders. Die Dialoge fast irgendwie im Hintergrund (weil der Regisseur in einer für ihn fremden Sprache gedreht hat?), die Handlung mit einem (subtil kaum existenten) Timing, das irgendwie alltäglich erschien. Vielleicht hätte man mehr erkennen können, wenn man sich konkret damit beschäftigt hätte, aber ich glaube, die im Nachhinein radikalen Inszenierungsmittel dürften die wenigsten Zuschauer direkt benennen können.

Was der Regisseur süffisant als »Big Brother im Nazihaus« beschreibt, verdankt sich langen Überlegungen und Planungen...

Weil es mich nach dem Film sehr interessiert hat, habe ich mir die Romanvorlage besorgt. Es erschien mir kaum denkbar, dass das, was ich da als Film gesehen hatte, zuvor in Romanform existiert haben könne. Und wenn, dann wäre das ein sehr seltsamer Roman, den ich als studierter Anglist natürlich lesen will. Weit bin ich mit meiner Lektüre nicht gekommen, denn schon im Verlauf des ersten Kapitels, war klar, dass es sich hier um keine textgetreue Adaption handelte. Im Buch kamen Hauptfiguren vor, die im Film gar nicht auftauchen, und selbst jene, die auch im Film eine Rolle spielen, haben ganz andere Namen und sind nicht 1:1 wiedererkennbar.

The Zone of Interest (Jonathan Glazer)

© Leonine Distribution

Denn was Amis als Romanhandlung erdachte, hat zwar Wurzeln im historischen Vorbild, doch er macht sein eigenes Ding daraus. Regisseur Jonathan Glazer findet Elemente der Romans sehr interessant ... und beginnt dann zu recherchieren, wie viel davon verbürgt ist. Einen Großteil der Fiktionalisierungen dreht er wieder zurück und daraus wird dann etwas, bei dem man mit Recht diskutieren könnte, ob es noch eine Romanadaption ist. Denn Glazer hat versucht, möglichst viel über die realen Personen (die nun auch ihren Namen zurückbekamen) zu erfahren, hat in der Nähe der polnischen Gedenkstätte (also quasi fast on location - insofern das möglich war) gedreht und minutiös nach alten Dokumenten das Haus und etwas Gegend drumherum (wie den geliebten Garten) wieder aufgebaut.

Und dann, so steht's zumindest im Presseheft, die Darsteller mit versteckten Kameras agieren lassen. Während er mit Kamera und Schnitt größtenteils räumlich getrennt davon agierte. Eine Szene, in der etwa drei ziemlich komplexe Handlungen gleichzeitig ablaufen, wurde etwa - und das ist aus Filmerhinsicht fast absurd - parallel abgedreht und dann im Schnitt zusammengefügt. Das nimmt dem Regisseur einiges an konkreten Stellschrauben, führt aber zu einem gänzlich anderen Ergebnis, von einer gewollten Neutralität oder Objektivität.

Denn mit diesem Thema, und dieser Ansicht waren auch die Hauptdarsteller, muss man auf besondere Art umgehen. Wozu auch unterkühltes Spiel und eine Art antrainierter »leerer Blick« gehören. Das Erstaunliche dabei: das merkt man dann auch im Film. Selbst, wenn man nicht davon wusste.

Natürlich: einige Ideen des Films sind dennoch geprägt von klaren Inszenierungsideen (die Glazer dann halt auf andere Weise umsetzte), und es gibt auch einiges zu diskutieren. Aber bei diesem Filmthema ist Diskussionsthema natürlich unvermeidbar, und selbst jemand, der wie ich seinen Text gewollt salopp und unangemessen beginnt, ist sich dessen voll bewusst.

Ich bin mir nicht sicher, ob Jonathan Glazer folgendes als Kompliment verstehen würde, aber seine langen Vorbereitungen in Verbindung mit seinen klaren und radikalen Ideen haben mich (trotz gänzlich anderer Umsetzung) an Stanley Kubrick erinnert: Bis ins letzte Detail geplant... aber dann: lass' die Darsteller mal machen, ich vertraue ihnen und habe alles Notwendige schon im Vorfeld mit ihnen besprochen.