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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




13. August 2018
Thomas Vorwerk
für satt.org


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Posers



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  Thilda & die beste Band der Welt (Christian Lo)

Thilda & die beste Band der Welt
(Christian Lo)

Originaltitel: Los bando, Norwegen / Schweden 2018, Buch, Schnitt: Arild Tryggestad, Kamera: Bjørn Ståle Bratberg, Musik: Eirik Myhr, Kostüme: Live Linberg, Production Design: Karin Myrenberg Faber, mit Tage Johansen Hogness (Grim), Jakob Dyrud (Aksel), Tiril Marie Høistad Berger (Thilda), Jonas Hoff Oftebro (Martin), Nils Ole Oftebro (Aslak), Ingar Helme Gimle (Frank Brott, Polizist), Frank Kjosås (Roger), Stig Henrik Hoff (Simen), Emma Heimark (Maja), Amalie Nerum (Linda), Ine F. Jansen (Anne), Hans-Erik Dyvik Husby (The Hammer), Vera Vitali (Marielle), Nicoole Falciani (Forlover), Zahid Ali (Thildas Lehrer), 94 Min., Kinostart: 20. September 2018

Grim und Aksel, zwei frühpubertäre Knaben, träumen davon, mit ihrer justamente gegründeten Band »Los bando immortale« ganz groß rauszukommen. Oder zumindest den jährlichen Nachwuchs-Rockwettbewerb in Trømso zu gewinnen, wie im Vorjahr die Sleepwalkers (weil man Halle und Statisten ohnehin brauchte, stellte man dem Film einfach Ausschnitte des Vorjahreswettbewerb voran - so weiß man als Zuschauer, was einen erwartet).

Die treibende Kraft dieses Karriereplans ist Aksel, der irgendwo mitbekommen hat, dass sein großer Schwarm Linda (die ihn seit der ersten Klasse beständig ignoriert) auch in Trømso sein soll. Er geht reichlich naiv davon aus, dass sie, kaum dass man den Rockwettbewerb gewonnen hat, endlich ihre Liebe für ihn entdecken wird - und dann ist alles gut.

Die Realität ist leider, dass Aksels Gesang eher Hunde zum Jaulen animiert. Eine euphemistische Beschreibung seiner Sangeskunst lautet: »Aksels Stimme ist wie Fischkonserven. Oder wie Kaffee. Man muss sich erst dran gewöhnen.« Leider sieht sich Bandkollege Grim außerstande, dies seinem besten Freund schonend beizubringen, ein großer Konflikt des Films köchelt somit langfristig vor sich hin.

Beim großen Casting auf der Suche nach einem Bassisten enstcheidet man sich ausgerechnet für die neunjährige Thilda, deren Instrument zwar ein (im Vergleich zu ihr riesiges) Violincello ist, aber darauf rockt sie unbestritten.

Thilda, die man für den deutschen Verleihtitel kurzerhand zur Hauptfigur erkoren hat, um das Alter des Zielpublikums zu verjüngen, ist in der band vor allem die mysteriöseste Figur, denn man erlebt zwar mit, wie sie (als Standardklischee umgesetzt) in der Schule gemobbt wird, aber ihre Eltern lernt man während des Films gar nicht kennen. Über die weiß man nur, dass sie die Tochter in der zweiten Hälfte des Films polizeilich suchen. Die elterliche Erlaubnis, ins ferne Trømso zu fahren, hatte sie sich selbst ausgestellt.

Als viertes Bandmitglied, das zunächst eher die Funktion eines Roadies bekleidet, ist noch Martin dabei (Typ Mädchentraum à la junger Morten Harket), der nicht erpicht darauf ist, in der Autoreparaturwerkstatt seines Vaters zu versauern und sich somit einfach ein hinreichend etabliertes Wohnmobil einer sehr religiösen Nervensäge »ausleiht« und den Fahrer auf dem Weg zum Ruhm stellt.

Dabei haben die Filmemacher einiges an Abenteuern für unsere musikalischen Helden bereitgestellt: eine Braut mit Autopanne und zu vielen Beruhigungsmedikamenten intus muss zu ihrer Hochzeit gebracht werden, wo man gleich den ersten gemeinsamen Gig bekommt - und zumindest Braut Marielle fährt auf den minimalistischen Aushängeschild-Song »Kill, Death, Destroy« ab wie Schmidts Katze.

Aksel muss auf seine beiden großen Fehleinschätzungen aufmerksam gemacht werden, Thilda bringt zwar die Band durch ihre illegale Aktion in Gefahr, bewährt sich aber als Deeskalationsexpertin, Grim würde am liebsten seine scheidungswilligen Eltern beim Rockwettbewerb wieder etwas zueinanderbringen, Martin wird von seinem aufgebrachten Vater verfolgt und gewinnt zwischendurch wegen seiner großen stimmlichen Bandbreite einen Karaoke-Wettbewerb, und ein kurz vor der Pension stehender Polizist will zum Abschluss seiner Karriere den mittlerweile national bekannten Vermisstenfall aufklären, was leider etwas zu kindgerecht umgesetzt wird (wenn man schon auf wundersame Weise mit dem Tourbus eine teileingestürzte Brücke überwindet, sollte man die bei der CGI-Stunt-Szene eingesetzte - und klar notwendige - kleine Rampe wenigstens auch auf der Brücke wiederfinden, wenn der Polizist sich diesen Sprung nicht traut).

Und mindestens zwei weitere Handlungsentwicklungen habe ich hierbei noch unterschlagen. Für halbwegs kinoerfahrene Erwachsene sind die meisten Kapriolen des Drehbuchs mitsamt ihren möglichen Auflösungen von weiten erkennbar, aber Los bando behält sich nicht nur das Recht vor, hier und da noch etwas zu überraschen, der Film hat einfach einen bodenständigen Charme, der nicht nur Acht- bis Vierzehnjährige mitreißt. Solange man sein Publikum nicht für dumm verkauft, zeigt sich jedes Jahr bei der Berlinale-Generation aufs Neue: Kinderfilme sind im Großen und Ganzen einfach die besseren Filme. Auf dem Weg zum cineastischen Überflieger fehlt zwar manchmal noch ein Quentchen, aber zumindest skandinavische Kinderfilme liefern fast immer gelungene Unterhaltung, für die man sich auch im Frührentneralter nicht schämen muss.


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  Silvana (Mika Gustafson, Olivia Kastebring & Christina Tsiobanelis)

Silvana
(Mika Gustafson, Olivia Kastebring & Christina Tsiobanelis)

Originaltitel: Silvana - Väck mig när ni vaknat, Schweden 2017, Kamera: Mika Gustafson, Olivia Kastebring, Christina Tsiobanelis, Schnitt: Charlotte Landelius, Musik: Therese Helgesson, Animation: Line Hagsand, mit Silvana Imam, Beatrice Eli, 95 Min., Kinostart: 23. August 2018

Im »Statement der Regisseurinnen« findet man vieles, was den sexualpolitischen Anschauungen ihrer Titel-Protagonistin Silvana Imam, einer rappenden Feministin mit Wurzeln in Syrien und Litauen, recht deutlich entspricht und was teilweise überzeugend klingt und unterstützt werden sollte:

  • In Europa gibt es zu viel Fremdenhass und Faschismus.
  • Lesbische Liebe wird »kaum« in Bildern, Dokumentarfilmen oder anderen medialen Formaten »festgehalten«.
  • Ihr Regiekonzept basiert auf einem demokratischen System der Zusammenarbeit, frei von Hierarchien, die wie die »klassische regiebasierte Hierarchie« so typisch ist für die Filmindustrie.

Zu Punkt 1 gibt es keine Widerworte von mir. Punkt 2 zeigt mir, dass die drei Damen womöglich noch nicht so viele Panorama-Jahrgänge wie ich rezipiert haben. Die Wortwahl »kaum« ist aber eine clevere Wahl, um dem grassierenden Quotenwahn zu entgehen. Punkt 3 evoziert die #metoo-Debatte, spricht aber nicht direkt vom Druck des Patriarchats, das auch über der Rap-Szene thront. Ich muss allerdings einwenden, dass drei Regisseurinnen, die wechselseitig auch die Kameraarbeit übernehmen (steht auch im Statement, wollte nicht alles abtippen), für mich nicht automatisch danach klingen, dass man mit engelsgleicher Geduld auf jeden Vorschlag der Komponistin, Animateurin oder des Sounddesigners lauscht. Wenn ein Triumvirat herrscht, ist damit nicht automatisch jede Hierarchie aufgelöst.

Klingt aber gut.

Ich finde trotzdem, dass man, wenn man von »althergebrachten Arbeitsmethoden« spricht und »tief verwurzelte Machtstrukturen« aufbrechen will, auch einfach sagen kann, was zwischen den Zeilen für die aufgeweckte Leserin mitklingt: Bis auf jemanden im Tondesign und der Post Production scheint man auf Kerle bei Silvana größtenteils verzichtet zu haben (beim Vornamen »Parasto« will ich mich nicht festlegen, aber 10:2 bei den Hauptverantwortlichen (Protagonisten nicht mitgezählt) ist schon ein deutlicher Trend.

Silvana Imam ist die »1,76 pussy riot« und will »das Patriarchat zerschlagen« - immerhin deutliche Worte. »Zwischen den Zeilen verstehen sie nicht, deshalb schreie ich es heraus!« Silvana ist lesbische Muslima in Schweden, eckt nicht nur in der Rapperszene an, aber sie »macht, was sie will«. Und wenn sie sich nackt im Wald aufhalten will, weil ihr danach ist, dann ist das halt so. Die Kamera hält sich diskret im Hintergrund.

Was mir dabei auffällt: ob sie mit einem Megaphon im Anschlag lustwandelt oder man ihr deutlich von Nirvana geprägtes Logo sieht (für Kurt Cobain macht sie auch mal eine Ausnahme, was ihren Kampf gegen das Patriarchat angeht): Es ist alles eine Spur zu hübsch durchdesignt. Nun ist die FDP nicht die erste Gruppierung, die für politische Ziele eine professionelle Werbeagentur einsetzt, aber einen gewissen Widerspruch sehe ich schon zwischen der Protestattitüde und der markentauglichen Kampagne. Und die »strukturenaufbrechenden« Regisseurinnen zögern keine Sekunde, Werbeaufnahmen (sie haben früher selbst Musikvideos gedreht) ohne den geringsten Hinweis mit in ihr Dokumaterial aufzunehmen. Ich gehe nicht davon aus, dass mehr als jeder 50. Zuschauer das nicht durchschaut, aber abermals ist mir einiges in dem Film eine Spur zu hübsch und unreflektiert geraten.

Wirklich interessant an Silvana - Väck mig när ni vaknat (natürlich ein Songtitel) ist die Liebesgeschichte mit dem Popstar Beatrice Eli (ohne g, nicht die Schlagertante!). Der Film beginnt 2014, zu Beginn von Silvanas Karriere, und sie ist ein echtes Fangirl, als sie ihren Schwarm erstmals trifft (»You're a star!«). So irgendwie halbunabsichtlich beichtet sie mal vor laufender Kamera, dass sie unglücklich in Beatrice verliebt ist, und wenn sie die Mainstreamkünstlerin mal einmal zu oft herzt und umarmt, entschuldigt sie sich sofort (»Tut mir leid, wenn ich Dich stresse!«), diese reagiert aber sehr entspannt (»Nein, ist okay«). Und die Lovestory, die sich daraus entspinnt, wird hautnah mit eingefangen, und beide finden es total okay, wenn die Kamera selbst kuschligere Momente mit einfängt.

Dass dies auch wieder sehr gut zum Marketing passt (»Elimam« lautet die »Brangelina« nachempfundene Paarbezeichung), würde ich jetzt nicht kritisieren, weil man später, wenn das junge Glück nicht mehr ganz so glücklich ist, auch mitbekommt (wenn auch etwas weniger hautnah), dass der Liebeskummer und die Depression, die Silvana zu einer Karrierepause bringt, auch ziemlich authentisch wirken.

Rein dramaturgisch kriegt der Film am Ende dann noch die Kurve und man erfährt etwas über bisher wenig ins Licht gerückte Facetten von Silvanas durchaus wandlungsfähiger Agenda. Besonders nice ist dabei, dass man den arabischen Vater zunächst als Regelfanatiker geschildert bekommt und man bei einem Besuch in Litauen am besten bloß nicht das Thema Homosexualität erwähnt, weil das Land dafür noch nicht bereit zu sein scheint, aber nach dem »persönlichen« Album, bei dem die Eltern sogar mitgewirkt haben, signiert der Papa sogar eine Regenbogenfahne! Vielleicht muss man das Patriarchat doch nicht gleich zerschlagen, wenn solch eine Geste möglich ist.

Ich kann für mich nur sagen, dass mich die emotionalen Momente weitaus mehr angesprochen haben als die politischen. Und mit der meist nur in Bröckchen servierten Musik bin ich nicht wirklich warm geworden. Aber ich habe ein generelles Problem, wenn es im Rap vorrangig ums Dissen geht, ob die Kerle jetzt damit prahlen, was für Riesenschwengel sie haben oder Silvana ihre »superdünnen« Schniedel verlacht (außer von dem Typ mit dem Che-Guevara-Shirt, der ist okay!). Auch der offenbar urkomische Humor der Songzeile »Küss dein Hakenkreuz!« hat sich mir nicht erschlossen. Aber trotz meiner Vorbehalte ist der Film lohnenswert, weil man auch ohne Vorkenntnisse eine interessante vielschichtige Entwicklung miterlebt. Ungefähr auf dem selben Level wie Wildes Herz, nur mit einer komplett anderen Protagonistin.


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  Mackie Messer - Brechts Dreigroschenfilm (Joachim A. Lang)

Mackie Messer -
Brechts Dreigroschenfilm
(Joachim A. Lang)

Deutschland / Belgien 2018, Buch: Joachim A. Lang, Lit. Vorlage: Bertolt Brecht, Kamera: David Slama, Schnitt: Alexander Dittner, Musik: Walter Mair, Kurt Schwertzig, [letztlich auch Bertolt Brecht und Kurt Weill], Kostüme: Lucia Faust, mit Lars Eidinger (Bertolt Brecht), Tobias Moretti (Macheath), Hannah Herzsprung (Carola Neher / Polly), Joachim Król (Peachum), Claudia Michelsen (Frau Peachum), Britta Hammelstein (Lotte Lenya / Jenny), Robert Stadlober (Kurt Weill), Peri Baumeister (Elisabeth Hauptmann), Christian Redl (Tiger Brown), Meike Droste (Helene Weigel), Max Raabe (Moritatensänger), 130 Min., Kinostart: 13. September 2018

Ambitioniert war das Vorhaben des Brecht-Experten Joachim A. Lang durchaus. Nicht nur eine weitere filmische Fassung der Brechtschen Dreigroschenoper wollte er liefern, sondern gleichzeitig einen Diskurs über die einst von Brecht himself (im Film von Lars Eidinger gespielt) geplante Filmadaption, die aber scheiterte und stattdessen von G.W. Pabst 1931 umgesetzt wurde (habe ich mal 2000 im Arsenal gesehen und in guter Erinnerung).

Dafür greift man zurück auf umfassend vorhandene Notizen Brechts und klärt auch gleich zu Beginn des Films, dass alles, was Gevatter Eidinger im Verlauf des Films an seinem Zigarrenstummel vorbei in die Welt stößt, aus gesicherten Brechtzitaten zusammengesetzt wurde (bei einigen der anderen Akteure, nicht zuletzt Robert Stadlober als Kurt Weill, hat man wohl ähnlich verfahren, dies aber nicht so laut proklamiert.

Dadurch hat die Filmfigur Brecht (gemeinsam mit seinem Darsteller) nie eine wirkliche Chance, ein Eigenleben zu entwickeln. Und weil dieses Problem des Films allein nicht reichen würde, die schwunghafte Handlung des Theaterstücks auszubremsen, ereifert man sich zudem darin, diverse postmoderne Ebenen übereinanderzulegen. Man liefert nicht nur ein Making-of eines fiktiven Films, zusammenmontiert mit der eigentlichen Dreigroschenoper, sondern lässt die Kulissen sich gegenseitig ausstechen (mal theatralisch, dann wieder CGI-gestütztes London aus heutiger Sicht), während Brecht und Konsorten quasi ihren »Audiokommentar« zu diesem und jenem abgeben, während sie durch diese sich ständig verändernde Welt spazieren. Schließlich wird dann noch die historische Situation zum eigenen Filmthema (inklusive einer Gerichtsverhandlung zwischen Brecht und seinen Filmproduzenten) und gegen Ende des Film ging wohl kein Weg drumherum, die Aktualität des Stücks dadurch vorzuführen, dass man Teile der Handlung in die Jetztzeit verlegt. Dass dies dann aber irgendwie nicht mehr soo viel mit »Brechts Dreigroschenfilm« zu tun haben kann, interessiert offenbar niemanden.

Dass ein Teil des Filmtitels tatsächlich »-film« lautet, erinnert mich irgendwie an die einstigen Langweiler-Blockbuster, die man auf Sat.1 »Der Film-Film« nannte. Lang und seine Spießgesellen geben sich redlich Mühe, das Filmhafte ihres Films immer wieder zu betonen. Dies ist kein abgefilmtes Theaterstück, sondern man nutzt die zur Verfügung stehenden filmischen Mittel und behauptet dabei wie nebenbei und Selbstverständlich, dass dies dem Brechtschen Ansinnen entspricht.

Semidokumentarisches Kameragewackel, wenn man quasi »mittendrin« zwischen den Theater- oder realen Figuren wandelt, Reißschwenks, Stakkatoschnitte, in die Kamera sprechende und auf anderem Weg die "vierte Wand" durchbrechende Figuren. Wie in Citizen Kane werden verschlissene Fotos zu bewegten Bildern und um-gekehrt, Macheath-Darsteller Tobias Moretti diskutiert am Rande immer wieder sein Bedürfnis nach einem hellblauen Halstuch, das seines Erachtens so gut zur Rolle passt (ein wenig wie in Al Pacinos Looking for Richard III), man impliziert eine Parallelisierung des filmischen Casting-Prozess mit den handverlesenen Bettlern von Peachum (Joachim Król), stellt die Bürokratie dar wie Billy Wilder in The Apartment und One, Two, Three, bietet letztlich gutgemeintes Rüstzeug für lesefaule Deutsch-LK-Schüler (verquickt mit einer Filmlektion), vergisst aber irgendwann, dass zu den Zeiten, als Brecht diesen Film drehen wollte, der Tonfilm noch eine brandaktuelle Novität ist, deren Möglichkeiten man erst einmal ausloten musste (und damit meine ich talentierte Regisseure wie Fritz Lang oder Jean Renoir, nicht den interessierten Laien Bertolt B.).

Im Film hat man indes das Gefühl, dass jetzt jedes nur erdenkbare (und meist immens anachronistische) filmische Mittel nun auch eingebaut werden muss (freeze frame, split screen, match-cut), weil es halt der ultimative Dreigroschenfilm werden soll (auch, wenn das in sich genommen ironisch und billig klingt).

Wenn sich Brecht himself dann auch noch in einem Original-Tondokument an die »Nachgeborenen« wendet, wirkt das alles sehr clever, aber in einer bildungsbürgerlichen Didaktik gefangen, vor allem klugscheißerhaft und blutleer.

Eine bloße Adaption des Stücks, meinethalben mit einigen von Brecht angeregten Änderungen, hätte dem Drive des Theaterstücks, das im Deutschland des 20. Jahrhunderts kaum ernstzunehmende Konkurrenz hat, weitaus eher entsprochen. Man sieht zwar die guten Ansätze dafür, aber durch das ganze Drumherum schadet man dem Projekt nur. Und so verlockend es auch klingen mag, dass Lars Eidinger hier als Bert Brecht auftritt, die Brechtfigur mit ihren korrekten Zitaten ist einer der enttäuschendsten Aspekte des Films. Er erinnert mich irgendwie ein wenig an diese animierte Büroklammer, die bei manchen Windowsprogrammen einen auf Erklärbär macht. Wie gesagt, sicher unterhaltsame als eine normale Deutschstunde, aber wenn ich ins Kino gehe, habe ich andere Ansprüche.


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  Safari - Match me if you can (Rudi Gaul)

Safari -
Match me
if you can
(Rudi Gaul)

Deutschland 2018, Buch: Rudi Gaul, Friederike Klingholz, Kamera: Yoliswa von Dallwitz, Schnitt: Carmen Kirchweger, Musik: Nicola Rost, Animation, Design: Martin Zwanziger, mit Friederike Kempter (Fanny), Justus von Dohnányi (Harry), Juliane Köhler (Mona), Sunnyi Melles (Aurelie), Sebastian Bezzel (Life), Elisa Schlott (Lara), Max Mauff (David), Patrick Abozen (Asif), Janina Fautz (Pauline), Viktoria Sonntag (Hot Babe 2), 109 Min., Kinostart: 30. August 2018

Der größte Blödsinn, der im Zusammenhang mit diesem Film die Runde macht, ist, dass er frei nach Arthur Schnitzlers Der Reigen sei. Da ist Forbidden Planet näher an The Tempest und O Brother, where art thou? näher an der Odyssee. Zugegeben, es geht hier um Sex zwischen wechselnden Partnern, und wenn man sich die Mühe machen würde, die Sexualpartner auf einem Reißbrett o.ä. auseinanderzuklamüsern, könnte sich sogar eine Kreisstruktur ergeben, aber im sozialkritischen Tonfall, der minimalisierten Handlungsdramaturgie (A pimpert B pimpert C etc.) und der dadurch entstehenden Parallelisierung und Trivialisierung der Sexualakte (ich denk mir das alles gerade aus, das ist nicht bei wiki abgetippt) erkennt man nur mit größtem Wohlwollen Schnitzler wieder. Das man sich durch Schnitzler zum Film habe inspirieren lassen, ist eine gänzlich andere, unbestreitbare Wahrheit.

Massen-Kuppel-Komödien über die Paarungszeit von Großstädtern usw. gibt es ja eine Menge, Regisseur (und Dramaturgie-Dozent) Rudi Gaul war als Co-Autor auch nahezu parallel beim im November anlaufenden Frau Mutter Tier beteiligt. Bei so einem Episodenfilm kann man mit klangvollen Darstellern angeben und sucht sich meist irgendein Thema, dass die einzelnen, um ihren Beziehungsstatus kämpfenden Paare verbindet. Das kann der Valentine's Day oder Mother's Day sein, die Affinität zu Vierbeinern (Wuff) oder gar der Elternstatus oder hier eine neue App namens Safari, über die die Bäumchen-wechsel-dich-Staffette angeschmissen wird.

Safari - Match me if you can (der Titel ist verbesserungswürdig, aber nicht komplett Scheiße) nutzt die eigens für den Film erfundene Partner-App auf eine bewundernswerte Weise, die schon an eine professionelle Werbekampagne erinnert. Gerade auch im Marketing des Films kommen unterschiedliche tierische Avatare (Hengst, Krokodil usw.) als Andock-Station für mögliche Zuschauer ins Spiel, jede Menge Tier-Animation und eingängige Popsongs (von Laing, so heißt das Bandprojekt der Filmkomponistin Nicola Rost) vertiefen das Ganze noch, und selbst wenn sich einem beim etwas quietschigen Refrain schnell die Nackenhaare aufstellen, so bleibt das Ding doch wenigstens im Gedächtnis. Jetzt mal ganz unabhängig von der Qualität des Films ist das inhärente Marketing schon mal clever.

Ich muss zugeben, ich hatte mir nichts vom Film erwartet, aber ähnlich wie Frau Mutter Tier hat mir die Sichtung immerhin keine Zahnschmerzen bereitet. Erfolgsheischende deutsche Beziehungskomödien haben ja mit dem, was ich unter »Kino« verstehe, oft nicht viel gemeinsam. Gerade bei den »Filmemachern« Schweiger und Schweighöfer spielt sich der Humor oft im Vorabendprogramm eines Privatsenders ab, und die emotionale Sauce dazu wird pflichtschuldig abgeliefert wie eine Tüte Tomatenketchup, mit der die ranzigen Pommes besser rutschen.

Die Protagonisten von Safari gehen jetzt in ihrem Identifikationspotential auch nicht weit über die Abziehbilder in einem Comedy-Format hinaus, aber der Film stattet sie zumindest mit einer gewissen Würde aus. Wenn jemand mit dem in meinen Augen unglaublich idiotischen Namen Life (wenn's wenigstens mit »ei« geschrieben wäre), eine Sunnyi Melles mit überkandideltem Französisch-Akzent oder ein junger Mann, dessen größtes Problem mit den Worten »er kommt zu früh« umschrieben werden kann, es schaffen, dass man sich für die Dauer eines Kinoabends wenigstens halbwegs für diese Gestalten interessiert, dann ist das doch bei allen bescheidenen Ansprüchen des Films eine gewisse Leistung, die ich auch honorieren will.

Bei deutschen Mainstream-Komödien ist der Satz »Es hätte schlimmer sein können« schon ein großes Lob, und wer Justus von Dohn´nyi oder Friederike Kempter mag und gerne die deutschen Filmwirtschaft unterstützt, den könnte es weitaus härter treffen. Dass ein Großteil meiner Kritikerkollegen grob negativ auf den Film reagierten, zeigt für mich nur, dass sie zu schnell zu den gängigen Schubladen greifen. Als Lehrer verwechselt man ja (hoffentlich) auch nicht gleich die 4- mit der 6, und in den Augen mancher Betrachter könnte ich mir bei Safari durchaus ein »befriedigend« vorstellen (und vielen reicht es ja schon, wenn sie ein Dutzend Mal gelacht haben, um ein Meisterwerk zu proklamieren).

Ach ja, der Erbsenzähler-Teil meiner Persönlichkeit hat wieder was entdeckt! Ich glaube, die Max-Mauff-Figur wirft Sunnyi Melles im Film vor: »Ja, in dem Jahrhundert, aus dem Sie kommen...« Es mag nicht jedermann auffallen, aber wenn man einen 32jährigen spielt, ist das ein ziemlich idiotisches Statement. Soll aber kein Vorwurf ans Drehbuch sein, das so einem Jungspund unterzujubeln, finde ich okay. Leute, die wegen Entfolgungsgefahr nicht »relationshippen« (es handelt sich um eine andere Figur) sind auch einigermaßen weit weg von meinem Erfahrungshorizont.

Mein liebster Dialogsatz war »Das ist ja kein Fremdgehen im klassischen Sinn.« Da musste ich gleich an meinen Kollegen Andreas H. denken, der so gern die Vokabel »postklassisch« benutzt...


Zirka Anfang September in Cinemania 190 (»Gefesselt«):
Startaktuelle Rezensionen, vermutlich zu Book Club - Das Beste kommt noch (Bill Holderman), Offenes Geheimnis (Asghar Farhadi), Why are we creative? (Herrmann Vaske) und etwas noch nicht gesichtetem...