Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




6. Dezember 2017
Thomas Vorwerk
für satt.org


  A Ghost Story (David Lowery)


A Ghost Story
(David Lowery)

USA 2017, Buch: David Lowery, Kamera: Andrew Droz Palermo, Schnitt: David Lowery, Shane Carruth, Musik: Daniel Hart, Production Design: Jade Healy, Tom Walker, Art Direction: David Pink, Visual Effects Supervisor: Richard Krause, Practical Effects: Jared Kopf, mit Casey Affleck (C), Rooney Mara (M), Will Oldham (Prognosticator), Liz Cardenas Franke (Linda), Sonia Acevedo (Maria), Carlos Fabian Bermudez (Carlos), Yasmina Gutierrez (Yasmina), Jared Kopf (Magician), Kenneisha Thompson (Doctor), David Lowery (Neighbor's Ghost), Richard Krause, Dagger Salazar (Movers), David Pink (Ghost Phase 2), 92 Min., Kinostart: 7. Dezember 2017

Bei einem Titel wie A Ghost Story erwartet man vermutlich eine Gruselgeschichte - und das ist nur eine der naheliegenden Erwartungen, von denen man sich lösen muss, wenn man mit diesem eigentümlichen Film etwas anfangen will.

Geisterfilme aus der Sicht des Geistes gibt es relativ wenige, mir fallen dazu Alejandro Amenábars The Others ein (der sich redlich Mühe gibt, diesen Umstand für den Großteil der Laufzeit des Films zu verheimlichen). Und natürlich Patrick Swayze als Ghost. Der Liebesfilm-Aspekt spielt auch bei Casey Afflecks Darstellung des zu früh verstorbenen C zunächst eine Rolle - doch nach der Nennung der auf einem Wortwitz beruhenden Produktionsfirma Scared Sheetless und einer langen Einstellung auf ein vermeintlich leeres Laken sieht man Rooney Mara als M, wie sie sich von dem unter besagten Laken liegenden Leichnam ihres Mannes verabschiedet - und die Visualisierung des Geistes als ein Laken mit zwei schwarzen Löchern als Augen, wie es zunächst durch Hospitalflure wandelt, dann aber nicht den naheliegenden Schritt in eine Tür aus Licht vollzieht, wirkt zunächst lächerlich bis hilflos.

A Ghost Story (David Lowery)

© 2017 Universal Pictures International All Rights Reserved.

Doch diese Hilflosigkeit ist eine wichtige Charaktereigenschaft des Geistes, der, zurück in seinem Haus, fortan die Trauer seiner Frau beobachtet, dann, wie sie versuchsweise einen neuen Mann mit nach Hause bringt - und im Grunde sieht man dann statt Patrick Swayze halt Casey Affleck unter seinem Laken. Und das seltsame narrative Kuleschow-Experiment von Regisseur David Lowery (zuletzt mit dem Disney-Remake Pete's Dragon betreut) funktioniert sogar, denn auch mit stark eingeschränkten darstellerischen Möglichkeiten (der Geist spricht nicht einmal kommuniziert nur mit einem weiblich konnotierten Geist über Untertitel) ist es eigentlich sehr einfach, den Emotionen dieses rastlosen, aber oft für lange Einstellungen (wie ein vergessenes Möbelstück) unbewegt herumstehenden Bettlakens zu folgen.

Wie potentiell irreführend die Kuleschow-Kiste aber auch sein kann, sieht man bei der recht zentralen »Kopfhörer-Szene«, bei der zumindest ich durch des narrative Umfeld Emotionen projiziert habe. Die Szene wird damit beendet, dass M den Kopfhörer abnimmt. Viel später im Film wirkt es so, als würde die Szene noch mal aufgegriffen (der Umstand, das es nur zwei mal solche Szenen - mit einer verdammt ähnlichen Geste - gibt, impliziert dies zumindest), und dann komplett anders weitererzählt, als es meinem ersten Eindruck entsprochen hätte. Das ist innerhalb des Films auch eine kleine Grundsatzdiskussion zum Thema Erinnern, die man leicht übersehen kann.

A Ghost Story (David Lowery)

© 2017 Universal Pictures International All Rights Reserved.

Atmosphärisch wirkt der Film, als hätten Terrence Malick und Andrej Tarkowski gemeinsam so etwas wie ein sehr trauriges Kinderbuch in Filmform geschrieben (»Casey, der einsame Geist«). Ehe der Film sich dann einer kontemplativen Betrachtung solcher Themenkomplexe wie Vergänglichkeit und die (auf lange Sicht gesehen) Nutzlosigkeit des Seins hingibt, dabei aber nur quasi einen unter dem Laken hervorlugenden Zeh in einen möglichen See der philosophischen Möglichkeiten eintaucht.

Während man sich zunehmend von herkömmlichen narrativen Mustern entfernt, wirkt A Ghost Story wie eine Mischung aus Richard McGuires epochalem sechsseitigen Comic Here von 1989 - und meinethalben Stephen Kings Kurzgeschichte That Feeling, you can only say what it is in French (wenn der geneigte Leser mir verspricht, nichts zurück ins genremäßige Schubladendenken zu verfallen, findet man diese Geschichte in Everything's Eventual).

Sich auf die Perspektive und die Erzählweise einzulassen, wird einige Zuschauer überfordern, ich für meinen Teil war auch nicht wirklich begeistert, fühlte mich aber gut genug unterhalten damit, auf immer wieder auftauchende Lichteffekte zu achten (teilweise wie in Personal Shopper zu Beginn des Jahres), über das what the fuck now? der jeweils nächsten zehn Minuten zu sinnieren oder halt Vergleiche zu ziehen, wie sie diese Rezension durchziehen.

A Ghost Story (David Lowery)

© 2017 Universal Pictures International All Rights Reserved.

Wenn das Geisterwesen zwischendurch mal Genrekonventionen entspricht und hübsches Porzellan zerschmettert, die nicht unbedingt subtile Filmmusik zu heftig aufspielt oder Will Oldham in einem monologischen Kurzauftritt kondensiert die Messitsch ins Hirn des Betrachters hämmert, sieht man, dass man noch vieles verfeinern hätte können am Film, aber für die schiere Chuzpe des Regisseurs sollte man schon ein paar Bienchen rausrücken.

Auch wenn einiges unnötig prätentiös wirkte. Das eigentümliche, fast quadratische Bildformat (laut Presseheft "1:33", das hat mich so erheitert, dass ich es teilen musste) mit den abgerundeten Ecken (!) soll wohl einen klaustrophobischen Effekt wie in Saul fia / Son of Saul erzielen. Und der deutliche Hang zum tageszeittechnischen »Dämmerlicht« (auffallend oft gekoppelt mit Fade-ins und -outs) repräsentiert wohl auf melancholisch-erhabenene Weise einen »Übergangszustand«, der schnell ins Limbo abrutschen kann.

Das Laken mit den Augen entspricht übrigens auffallend gut den (auf andere Medien wie etwa Computerspiele übertragbaren) Comictheorien von Scott McCloud (Understanding Comics), der davon ausgeht (und schlüssig belegt), dass man sich umso stärker mit einem Protagonisten identifizieren kann, wenn dieser nur mit wenigen (gerne ausdrucksstarken) Strichen wie ein Emoji hingeworfen wird (man denke an Kenji Nakazawas Barefoot Gen oder Hergés Tintin, die auch gleich noch den Beweis mitliefern, dass die Umwelt durchaus detailverliebt gestaltet sein darf). Wenn man sich A Ghost Story mit einem (womöglich SFX-transparentem) Casey Affleck vorstellt, der sich rodinmäßig am Kinn kratzt, während er bedeutungs-schwanger aus dem Fenster starrt, ahnt man, wie genial die Lakensache eigentlich ist. Es geht ja nicht um einen Geist, sondern um nicht weniger als die gesamte Menschheit. Deswegen hat er auch keinen Namen, sondern nur einen Buchstaben.

A Ghost Story (David Lowery)

© 2017 Universal Pictures International All Rights Reserved.

(Der Rest ergibt allenfalls nach dem Film Sinn!)

Für die zarten repercussions und Querverbindungen kann man nach dem Film auch gerne mal Virginia Woolfs Kurzgeschichte A Haunted House lesen (sehr kurz und leicht im Netz zu finden). Im Film wird hieraus der erste Satz zitiert und der Geist schubst das Buch aus dem Bücherregal, wenn man auch unterschiedlicher Meinung darüber sein kann, ob er es exakt auswählte oder das eher ein Fingerzeig des Regisseurs ist. Zumindest den vergrabenen Schatz und die grünen und gelben Äpfel, den »Geisterumhang« (»ghostly cloak«) und den Blick auf das liebende Paar findet man dort wieder. Bis zu einem gewissen Punkt mag ich solche intertextuellen Puzzlespielchen.

Einen Hinweis auf Richard McGuire habe ich im Abspann des Films übrigens schmerzlich vermisst. Zumindest die Indianerzelte und die Abrissbirne scheinen mir hier weit über eine bloße Zufälligkeit hinauszugehen.