Western
(Valeska Grisebach)
Deutschland / Bulgarien 2017, Buch: Valeska Grisebach, Kamera: Bernhard Keller, Schnitt: Bettina Böhler, mit Meinhard Neumann (Meinhard), Reinhardt Wetrek (Vincent), Syuleyman Alilov Letifov (Adrian), Veneta Frangova (Veneta), Vyara Borisova (Tania), Detlef Schaich (Helmuth), Waldemar Zang (der Grieche), 121 Min., Kinostart: 24. August 2017
Valeska Grisebach (Mein Stern, Sehnsucht) dreht ausschließlich mit Laiendarstellern, die sich größtenteils selbst spielen. Und wer jetzt denkt, das sei eine Schwäche oder Einschränkung, der hat offensichtlich ihre Filme nicht gesehen. So wahrhaftig wie in Sehnsucht wurde selten das Thema der körperlichen Anziehung (meinethalben nennt es auch Liebe) seziert, wobei die Beklommenheit und das Unverständnis der Protagonisten eben nicht gespielt war, sondern konkret der Überwältigung angesichts solcher Naturgewalten entspricht. Wer mal die romantisierten Film-Happy-Ends mit dem Privatleben von Schauspielweltstars (oder den eigenen Erfahrungen) vergleicht, dem wird es schwer fallen, dies zu leugnen.
In Western treibt Grisebach das Spiel mit dem Ausflug der freiwilligen Feuerwehr (quasi eine Heldenvereinigung mit besten Absichten - schlimmster Vorwurf: »Geselligkeit«) in gefährlichere Gefilde, hier ist es eine Gruppe von Berliner Bauarbeitern, die in der bulgarischen Provinz etwas aufbauen sollen. Bis auf die Himmelsrichtung ein exaktes Abbild der klassischen Pionier-Westerns, wobei gerade die Überheblichkeit der Eindringlinge (hier durch das Fehlen von Frauen und/oder Familien noch konzentriert) und das Kommunikationsproblem mit den indigenen Einwohnern ganz ähnliche Konflikte schürt.
© Komplizen Film
Als Hauptfigur, die manchmal fast an Gary Cooper erinnert, ist Meinhard (Meinhard Neumann), der »Neue«, auch der besonnenste und vernünftigste in der Gruppe. Auf ein herausforderndes »Was biste? Feinmotoriker oder Grobmotoriker?« lässt er sich nicht ein, sondern kontert mit »Was hättest'n gern?«, nur um danach professionell seine Expertise zu beweisen. Dem Ideal des Hawks'schen professional kommt Meinhard sehr nah, auf die Frage, warum er sich für die ungewöhnliche Montage-Tour entschieden hat, erwidert er knapp »Ich bin hier, um Geld zu verdienen.«
Bei den anderen Gestalten ist man sich da nicht so sicher. Ein eingespieltes Team, das sich in seinen Machospielchen zuhause fühlt und gleich zu Beginn erstmal eine Deutschlandflagge hisst, als würde man den Einheimischen bereits das Land abringen, wo man doch eigentlich in deren Dienst tätig ist.
© Komplizen Film
Weil die Vorarbeiten für ein Wasserkraftwerk nicht so recht in Schwung kommen, setzt man gerne im Klappstuhl am oder sogar im Flüsschen und labt sich am Dosenbier. Und wenn auf der anderen Flussseite Dorfschönheiten entlang schreiten, muss unbedingt das Alphamännchen herausgelassen werden, wobei ausgerechnet »Vorarbeiter« Vincent (Reinhardt Wetrek) so viel Feingefühl wie ein Presslufthammer demonstriert.
Den anderen erst mal begegnen, bevor man eine Meinung fasst: ausgeschlossen! »Da sind sie, die Dorfis!« Und als Zeichen des fehlenden Respekts schnippt man erst mal eine brennende Zigarette in die Richtung. Meinhard beobachtet viel, und versucht zu schlichten wie Old Shatterhand, gerät dabei aber auch immer stärker in die Schusslinie seiner Kollegen.
© Komplizen Film
Die Parallelen zum Western-Genre sind mannigfaltig. Aufgebrachte Häuptlings-Söhne, Pferdediebstahl, nächtliche Anschleichaktionen, und im günstigsten Fall auch mal eine Friedenspfeife. Meinhard, einstiger Legionär, der in Afghanistan gewesen sein soll, wirkt hier wie Shane, er will pazifistisch vermitteln, aber der Konflikt droht zu eskalieren. Allerdings auch gerade die Deutschen den Wunsch zu haben, es zu einem offenen Schlagabtausch kommen zu lassen, wie die Schurkenbande in einem Karl-May-Film, nur ohne Klaus Kinski und eine nachvollziehbare Motivation. Es geht fast immer darum, eine wie auch immer geartete Männlichkeit zu demonstrieren. Bevorzugt verbunden mit Ausschalten des gesunden Menschenverstands.
In der Version, in der die Berliner Presse den Film sah, war man als Zuschauer durchaus gefordert, denn aus irgendwelchen Gründen hatte man vergessen, die Untertitel einzuschalten (eine vage angekündigte Wiederholung der Vorführung fand nicht statt), und so sah man einen Zwei-Stunden-Film, bei dem man ca. 60% nicht oder nur schwer verstehen konnte. Aber für mich, einen bekennenden Trekkie, der sich jedes mal freut, wenn das Problem der Kommunikation (»Shakka, when the walls fell«) nicht einfach mit dem Universal-Translator umgangen wird, machte dies auch einen großen Reiz des Films aus. Denn wenn die Sprache versagt, muss man sich anders behelfen - und die so entstehende Kommunikation hat etwas sehr filmisches, mit Gesten, Blicken, Tonlagen werden Stimmungen transportiert. Wo genau jetzt die fehlenden Kiesel abgeblieben sind, ist ja jetzt auch eher eine Art MacGuffin, die einen als Kinogänger nicht wirklich interessiert.
© Komplizen Film
Bei Sehnsucht, Grisebachs zweitem Film, befürchtete ich hier und da noch die typischen Anfängerfehler, wo zum Schluss unbedingt etwas abbrennen muss oder jemand stirbt, weil die Filmemacher glauben, das müsse so sein (oder sie nur so den Spannungsbogen hinbekommen). Doch der überraschende Todesfall dort wurde auf geniale Weise mit in die Geschichte eingebaut, wenn am Schluss die Dorfjugend unsicher die Geschichte, die sie nur vom Hörensagen kennen, weiterspinnen. Auch hier, bei Western, zeigt sich Grisebach als Meisterin ihres Materials. Sie weiß, was sie für eine Geschichte erzählen will, und setzt das auch um.
Und wer sich für das Medium Film interessiert, wird darauf auch einsteigen. Vermutlich der beste deutsche Western aller Zeiten, einzig Der Schatz im Silbersee und Wir können auch anders spielen überhaupt in der selben Liga.