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8. Februar 2017
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Was hat uns bloß so ruiniert (Marie Kreutzer)


Was hat uns bloß so ruiniert
(Marie Kreutzer)

Österreich 2016, Buch: Marie Kreutzer, Kamera: Leena Koppe, Schnitt: Ulrike Kofler, mit Vicky Krieps (Stella), Pia Hierzegger (Ines), Pheline Roggan (Mignon), Marcel Mohab (Markus), Manuel Rubey (Chris), Andreas Kiendl (Luis), Livia Teppan (Lola), Marie Strommayer (Elvis), Amanda Seyfried (Aimeé), 96 Min., Kinostart: 9. Februar 2017

Österreich, ein Szeneviertel in Wien, drei vermeintlich unangepasste Paare Mitte 30. Es beginnt mit einer Weihnachtsfeier, wo man sich angesagte / oberflächliche Geschenke gibt wie teure Kaffeemaschinen und Apple-Zeugs. Dann die Bekanntmachung, dass eine der Frauen schwanger ist. Und es dauert nicht lange, dann kommt es zu einem so realitätsfernen wie die Sache auf den Punkt bringenden Triptychon von angeblichen Mikroskopaufnahmen: Rechts eine Eizelle, die sich bereits eifrig teilt und ungefähr bei der Nummer Acht angekommen ist; in der Mitte eine, bei der man die erste Teilung beobachten kann; und ganz links eine Eizelle, in der man in der Mitte eine winzige Spermie entdecken kann.

Gehen wir die drei soon-to-be Kleinfamilien durch. Stella (Vicky Krieps aus Das Zimmermädchen Lynn) will nebenbei die dreifache Familiengründung zu einem kleinen Dokumentarfilm ausarbeiten, was dem eigentlichen Film eine Chance gibt, aus der Narration auszubrechen und den Figuren ein Sprachrohr eröffnet, denn vor der Old-School-Schwarzweiß-Kamera kann man auch mal eigene Gedanken offenbaren (dass diese sich nicht nur an die Zuschauer richten, sondern implizit natürlich zuerst von Stella inspiziert werden, wird ein wenig in den Hintergrund gedrängt). Stellas Beziehung mit Markus (Marcel Mohab) wird im Film am genauesten beleuchtet, auch wenn die Probleme nicht so offensichtlich sind. Es kränkelt hier und da, aber man geht fast nie direkt darauf ein. Ein gutes Beispiel ist ein Gespräch in einem Taxi, bei dem die etwas bange Stella (eine Krankenschwester ging auf ihre Frage, ob eine Geburt tatsächlich so sei, »als würde man einen Ziegelstein kacken«, nicht ein) die eigene Pragmatik zur Entscheidungsfindung ausweitet, bei der sie unbewusst sehr verletzend agiert: »Kaiserschnitt, das machen jetzt alle! Das ist ein kleiner Schnitt, kleiner als dein Penis.«

Was hat uns bloß so ruiniert (Marie Kreutzer)

© Movienet Film GmbH

Ines (Pia Hierzegger) geht noch einen Schritt weiter. Sie, die als einzige der drei Frauen keinen expliziten Kinderwunsch hatte, aber ihren Freund mal einmal ohne Kondom ranließ, benutzt ausgerechnet den Moment der Geburt, um ihrem Chris (Manuel Rubey) zu sagen, dass sie ihn nicht liebt, weshalb Chris fortan größtenteils in seinem Auto lebt.

Die radikalste der drei Mütter hat auch den radikalsten (und irgendwie anstrengenden) Akzent: Bei Mignon (Pheline Roggan) erhält man im Verlauf des Films mehrere, sich nicht immer deckende Hinweise darauf, warum sie mit einem fetten französischen Akzent spricht. Selbst, wenn sie mal als Au-Pair-Mädchen in Frankreich war und sich in die französische Lebensart verliebt hat, wirkt das Ganze genauso aufgesetzt wie ihre strikten Einstellungen, die gegen Ende des Films sogar dazu führen, dass sie einen Laden eröffnet, in dem sie Fair-Trade-Kinderkleidung anbietet - zu Preisen, die in keinerlei Verhältnis zu der Zeit stehen, die es braucht, bis die beständig wachsenden Zöglinge aus den Luxusartikeln herauswachsen. Aber immerhin wirkt es so, als unterstütze ihr Luis (Andreas Kiendl) sie vorbehaltlos - auch, wenn er selbst nicht viel zu melden hat.

Was hat uns bloß so ruiniert (Marie Kreutzer)

© Movienet Film GmbH

Aus Gründen der Kontinuität setzt die Geschichte nach den Geburten dann an einem Punkt wieder an, wo man die drei Kinder - alle Mädchen, auch wenn eines Elvis heißt - schon ganz gut auseinanderhalten kann, man läuft und spricht bereits. Die Kinderdarsteller sind hier fast ebenbürtige Filmstars mit ihren eigenen Eigenschaften, die aber auch ihre Eltern und die Erziehungsmaßnahmen etwas spiegeln.

Wie der Filmtitel, frei nach einem Lied von »Die Sterne«, das im Verlauf des Films auch mehrfach angespielt wird, deutlich impliziert, geht es auch über eine Veränderung, die zwangsläufig mit Kindern kommt. Stelle erklärt im mehrfach die Story begleitenden Voice-Over-Kommentar, sie wolle die Welt in Staunen versetzen durch ihre Coolness und ihre Liebe und die Makellosigkeit ihres Bindegewebes. Das klingt auch schon wie ein Songtext, doch die Spießigkeit lauert natürlich irgendwo, da helfen auch die aufgeklärten Gespräche unter politisch superkorrekten Eltern in der »Kindergrupp Kartoffelsupp« nichts. Vielleicht sogar im Gegenteil...

Was hat uns bloß so ruiniert (Marie Kreutzer)

© Movienet Film GmbH

Der »Glaubenskrieg Kindererziehung« wird im Film pointiert durchdekliniert, was höchst unterhaltsam ist und mal wieder den oft riesigen Unterschied zwischen österreichischen und deutschen Komödien betont. Die »Biofaschistin« Mignon lehnt beispielsweise Windeln rigoros ab, was zwangsläufig zu Problemen führt. Und die Frage, ob Rosinen ins Müsli gehören (bzw. »dürfen«) lässt eine heftige Grundsatzdiskussion entstehen. »Pures Gift, Zucker, da kannste gleich Nutella nehmen!« Meine eigene Kindheit ist schon etwas her, aber auch, wenn ich da hin und wieder eine »Yachtreise« bekommen habe, wirkt es hier manchmal, dass einige Eltern über die ganze Aufgeklärtheit, wie man die Welt vielleicht noch retten könnte, ganz vergessen haben, dass eine Kindheit ja kein Proseminar in ökologisch perfekter Ernährungskunde ist.

Dass sich zwischen Stella und Chris eine Affäre anbahnt (der vielleicht leidenschaftsloseste Seitensprung der Filmgeschichte), ist nicht annähernd so dramatisch wie der dadurch indirekt entstehende Super-GAU: Ein Kind übernachtet mal bei einem anderen Paar, darf nachts wegen Heimweh ins Bett der Ersatzeltern - und das kriegt das wirkliche Kind mit, beißt aus Eifersucht zu und soll deshalb sogar aus der Kita fliegen - von den Therapiesitzungen nicht zu reden.

Was hat uns bloß so ruiniert (Marie Kreutzer)

© Movienet Film GmbH

Bei einem Paar hängt sogar schon an der Wohnungstür der Hinweis »This is not fucking Disneyworld!« Was Was hat uns bloß so ruiniert auszeichnet, ist das Talent, immer mal wieder dorthin zu gehen im Beziehungsdschungel, wo es wirklich wehtut (»Ich zeig' wenigstens meine Gefühle...« - »Zeig' sie wem anders!«), aber dabei dennoch charmant zu bleiben. Selbst, wenn man auf dem Kinderspielplatz ein fremdes Kind anblafft »Schleich di, Barbapapa!«, und das weinend wegläuft.

Irgendwann heißt es im Film mal: »Leben - das ist auf einer Welle surfen, die niemals ruht.« Meinetwegen hätte der Film durchaus noch eine Stunde länger sein dürfen, denn dieser Ritt war eine unerwartet gelungene Bereicherung meines Lebens.