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13. Oktober 2016 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||||||||
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Boule & Bill
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Der Trick bei einer gelungenen Comicverfilmung liegt nicht darin (wie Robert Rodriguez und Zack Snyder annehmen würden), die Panel möglichst originalgetreu 1:1 auf die Kinoleinwand zu bringen. Das kann man zwar hin und wieder machen und das ist auch ganz nett und interessant, aber viel wichtiger ist es: wenn man schon unbedingt der Meinung ist, das Medium wechseln zu müssen (und oft geschieht das ja aus rein kommerziellen Beweggründen), dann sollte man sich Mühe geben, den Geist der Vorlage dem Medium Film anzupassen.
Wenn mich jemand nach gelungenen Comicverfilmungen fragt, nenne ich bevorzugt Joe Johnstons The Rocketeer, Terry Zwigoffs Art School Confidential und die an dieser Stelle nur kurz erwähnten American Splendor und Scott Pilgrim vs. the World. Der erstgenannte Rocketeer ist ein Abenteuerfilm im historischen Gewand, der zwar zum Superheldengenre gezählt werden kann (die Ähnlichkeit zu Iron Man ist deutlich), aber sich mehr um die Figuren, den Stil und die Atmosphäre kümmert als um die (durchaus vorhandenen) Spezialeffekte. Man muss hierbei im Hinterkopf behalten, dass es 1991 noch nicht die CGI-Möglichkeiten von heute gab und kaum jemand Superheldencomics verfilmte. Finanziert wurde der Film auch sicher nicht, weil die Comicvorlage besonders bekannt war, sondern weil das Sujet an Kinoerfolge wie Indiana Jones oder Romancing the Stone anknüpft - und an eine damals gern bediente Sehnsucht zu einfacheren Zeiten. Nicht zuletzt wird im Film auch all jenes betont, was Zeichner Dave Stevens besonders begeisterte. Darunter die Pin-Up-Art der 1940er/50er, mit einer kaum veränderten Bettie Page, im Film kongenial von Jennifer Connelly verkörpert (die dann in Ang Lees The Hulk eine weitere Betty spielen durfte).
Bildmaterial: © Studiocanal
Bei Art School Confidential hat sich das durch Ghost World eingespielte Team von Comickünstler / Drehbuchautor Daniel Clowes und Regisseur Terry Zwigoff erneut zusammen getan. Den Film sah man in Deutschland auch nur beim Filmfest München auf der Leinwand. Das Großartige am Film: Von der vierseitigen Comicvorlage findet man außer ein paar Gags und dem Titel nichts im Film wieder. Aber der Tonfall wird exakt getroffen (selber Autor), und die dazuerfundene Story mag eine Konzession an filmische Konventionen sein, aber sie macht Spaß. Und nicht zuletzt geht es im Film auch um einen Filmemacher, der an der Kunsthochschule sein Glück versucht - Anpassung an das Medium!
Bildmaterial: © Studiocanal
Aber zu Boule & Bill: Der Comic erzählt Gags um einen Jungen und seinen Hund, fast ausschließlich als one-pager. Nebenbei erfährt man zwar auch eine Menge über die Eltern von Boule, aber eine einem Spielfilm entsprechende Story ist hier nirgends zu entdecken. Die Filmemacher sind aber zum einen clever genug, sich im Film nicht sklavisch an das visuelle Vorbild insbesondere des Hundes Bill zu binden (vgl. Garfield, aber auch Dick Tracy und The Flintstones - wobei ich betonen möchte, dass letztgenannter keine Comicverfilmung ist, sondern etwas gänzlich anderes - aber das Prinzip kann man so gut verstehen). Und zum anderen erzählen sie den Film als die (natürlich nicht 100%ig historisch verbürgte) origin story des Comics: Wie kam Jean Roba dazu, einen kleinen Gag-Comic zu einem bescheidenen Langzeit-Bestseller zu machen, über den man sich noch zehn Jahre nach Robas Tod begeistern kann? Wie hier bewiesen.
Der Film schildert, wie der phantasiebegabte Junge Boule (Charles Crombez) gegen die Bestrebungen seines lange Zeit namenlosen Vaters (Franck Dubosc) ein Haustier bekommt: einen Cockerspaniel, der das Geschehen um ihn herum ständig als Voice-Over-Stimme (Manu Payet) kommentiert (angefangen aus dem Käfig eines Tierheims) und der Bill genannt wird. Gemeinsam erleben Kind und Hund Abenteuer, die zumeist zu Verdruss für die Eltern führen. Nach und nach helfen diese Eskapaden aber auch dabei, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Familie zu stärken. Und ganz nebenbei werden auch noch ein paar Nebenfiguren des Comics eingeführt. Am großartigsten davon die komplett in Bill verschossene Schildkröte Caroline, die mit flötender Frauenstimme (Sara Giraudeau) eine große Liebesgeschichte imaginiert, während Bill selbst neben ihr liegend bevorzugt von Knochen träumt.
Bildmaterial: © Studio Boule & Bill |
Die erste Viertelstunde des Films nahm mich besonders gefangen. Beim Vorspann wird Boules Phantasie mit Kinderzeichnungen, Playmobilfiguren und Lego visualisiert und bevor man das Kind je gesehen hat, formuliert schon seine Stimme den Wunsch nach einem Hund als Haustier. Dann manövriert Boules Mutter bei einem Sonntagsausflug die Familie zu einem Tierheim und die Perspektive wechselt in einer Parallelmontage zum auf seine "Adoption" wartenden Bill, der eine Abfolge abstruser Tierfreunde vor seinem Gitter paradieren sieht. Mit welcher Leichtigkeit der Film diese Figuren etwas später wieder aufgreift und ihnen quasi am äußersten Bildrand jeweils einen genau auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen vierbeinigen Freund dazugesellt, das hat etwas zutiefst comichaftes. Sie sind die Entsprechung der kleinen Nebenfiguren im Hintergrund eines Comicpanels, die manchmal eine ganz eigene Geschichte erzählen, die nicht jeder Comicleser unbedingt wahrnehmen muss. Wenn er es aber tut, dann veredeln sie die Lektüre und brennen sich oft stärker ins Hirn als die eigentliche Hauptgeschichte.
Bildmaterial: © Studio Boule & Bill
Gerade auch in der École Marcinelle, zu der man auch Jean Roba zählt, ist das ein beliebtes Zusatzgeschenk für den aufmerksamen Leser. Die Möwen bei André Franquins Gaston tragen etwa kein Stück zur Geschichte bei, aber irgendwann hat man sich so verliebt in sie, dass es sogar passieren kann, dass man erstmal schaut, was die wieder so treiben, ehe man sich dem eigentlichen plot widmet. In ähnlicher Form hat auch Carl Barks dies zur Meisterschaft gebracht, nicht nur beim Helferlein, dass im Schatten Daniel Düsentriebs oft eigene Abenteuer erlebt, sondern auch in den unzähligen Hintergrunddetails. Und Boule & Bill greift als Film diese Tradition auf, nicht zuletzt auch bei den zahlreichen kleinen Details der Ausstattung, die sich ganz der Nostalgie der 1970er (da hatte Roba seinen schwungvollen Strich voll entwickelt und die Popularität der Serie fand ihren Höhepunkt) verschreibt.
Bildmaterial: © Studio Boule & Bill |
Ein sehr filmisches Element ist die visualisierte Fantasie Boules, der im Film beispielsweise Westernszenarien durchspielt, bei denen man sogar das Filmformat wechselt. So konkret findet man das im Comic nicht unbedingt, aber das spielerische Element wurde einfach dem neune Medium angeglichen. Im Comic gibt es mehrere Geschichten, in denen Boule mit seinem besten Freund Pouf (taucht im Film auch kurz auf) in prächtigen Musketier-Kostümen ausgelassen herumtollt. Offenbar malte Jean Roba diese Kostüme gern und im Comic nimmt man diese Extravaganz auch einfach hin. Im Film, wo es hier und da auch um finanzielle Probleme geht, hätte das komplett unangemessen erschienen - und so entscheidet man sich stattdessen für die auch heutzutage noch kindgerechte Western-Alternative, wobei man eben nicht auf teure Kostüme setzt, sondern auf Genre-Details wie das Breitwandformat, bestimmte Perspektiven oder das grelle Sonnenlicht - die aber allesamt als von Boule vorgestellt eingesetzt werden.
Bildmaterial: © Studiocanal
Sicher gibt es in dem Film auch ein paar Momente, die mich nicht völlig überzeugt haben, etwa die Szene, in der Bill dem Schuldirektor gegenüber so tun soll, als sei er ein Plüschhund - das ist vermutlich für Kinder weitaus witziger, wie die gesamte Fantasie, einen Hund mit in die Schule zu bringen. Aber Boule & Bill trifft relativ häufig ganz genau den Tonfall, der sowohl zum Comic passt als auch für einen nicht allzu angestaubt wirkenden Kinderfilm. Angeblich arbeitet man bereits an einem Sequel, bei dem aber (Kinder wachsen zu schnell) vorrangig der Vater abermals auftauchen wird.
Bildmaterial: © Studiocanal
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