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23. April 2014
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Mietrebellen – Widerstand gegen den Ausverkauf der Stadt (Gertrud Schulte Westenberg, Matthias Coers)
Mietrebellen – Widerstand gegen den Ausverkauf der Stadt (Gertrud Schulte Westenberg, Matthias Coers)
Mietrebellen – Widerstand gegen den Ausverkauf der Stadt (Gertrud Schulte Westenberg, Matthias Coers)
Mietrebellen – Widerstand gegen den Ausverkauf der Stadt (Gertrud Schulte Westenberg, Matthias Coers)
Mietrebellen – Widerstand gegen den Ausverkauf der Stadt (Gertrud Schulte Westenberg, Matthias Coers)

Vorführungen in Anwesenheit von Filmemachern und Mieteraktivisten:
  • Do, 24. April 2014, 18 Uhr 30 im Moviemento
  • Mi, 30. April 2014, 18 Uhr im Lichtblick
  • Fr, 2. Mai 2014, 18 Uhr 30 im Moviemento
  • Sa, 3. Mai 2014, 18 Uhr 30 im Moviemento
  • So, 4. Mai 2014, 20 Uhr im Central
Über weitere Termine in Berlin sowie bundesweit www.mietrebellen.de checken.



Mietrebellen
Widerstand gegen den Ausverkauf der Stadt
(Gertrud Schulte Westenberg, Matthias Coers)

Deutschland 2014, Kamera: Matthias Coers, Schnitt: Gertrud Schulte Westenberg, Tonmischung, Musik: Martin Lutz, Animation, Farbkorrektur: Grischa Dallmer, Martin Lutz, Dramaturgieberatung: Mirja Gerle, Sprecher: Viola Neumann, Grischa Dallmer, mit Rosemarie Fliess, Nuriye Cengiz, Ali Gulbol und Aktivisten der Initiative Stille Straße, Kotti & Co, Palisaden-Panther, Bündnis Zwangsräumungen verhindern, 78 Min., Kinostart: 24. April 2014

Erst vor kurzem habe ich in meiner Rezension zu Die schöne Krista eine aktuell weitverbreitete Art von Dokumentarfilmen beschrieben, zu der im weitesten Sinne auch Mietrebellen zählt. Bei der »Presse- und Teampremiere«, der auch ich beiwohnte, saß in der ersten Reihe offenbar ein junger Kollege, der mir aber nicht weiter bekannt war und jener las vor dem Film aufmerksam das Presseheft. Und ich dachte so bei mir, vielleicht sollte ich ihn warnen, dass er sich so den Film verderben könne, falls er durch die Lektüre schon frühzeitig erfahren würde, wer »die Bösen« sind …

Doch in diesem Fall will ich mal über meinen Schatten springen und den Film nicht ausschließlich aufgrund seiner Inszenierung bewerten, denn da ich selbst in Neukölln wohne und ein Opfer der grassierenden Gentrifizierung bin, fällt mir die Solidarisierung mit der vor allem politischen Aussage des Films ungleich einfacher.

Und meine persönliche Erfahrung verdeutlicht ja nur, dass das Thema selbst viele Großstadtbewohner angeht.

Ende April letzten Jahres flatterte auch mir ein Bescheid einer »energetischen Modernisierung« ins Haus, die ich aus meiner ganz persönlichen Sicht mal beschreiben möchte: Neben der Modernisierung der nur mit einer altertümlichen Stange ansatzweise zu schließenden Fenster (im Winter oft kein Spaß) ging es vor allem um eine komplette Umschließung der Fassade sowie des Daches und der Kellerräume mit »Dämmungsmaterial«, was laut einem beauftragten Energieberater die Heizungskosten um 30-40% senken solle. Dass vergleichbare »Modernisierungsmaßnahmen« wie die Verkleidung der Fassade mit Dämmmaterial in anderen Fällen schon nach wenigen Jahren zu Komplikationen führten, wurde von der Hausverwaltung und dem Energieberater wohl nicht in Betracht gezogen, stattdessen informierte man die Mieter im Schreiben, dass sie gesetzlich verpflichtet seien, durch ihre Unterschrift eine Einverständniserklärung abzugeben. Als würde man einen Haken unter sein eigenes Todesurteil setzen ...

Mal ganz abgesehen davon, dass es mir komplett unverständlich ist, wie ein »Energieberater« die Einsparungen an den Heizkosten so genau einschätzen kann, wo doch die Witterungsverhältnisse von Jahr zu Jahr sehr schwanken und jeder Mieter seine ganz individuelle Heizsituation herstellt, war der größte (schlechte) Witz bei dieser »Heizkostenersparnis«, dass natürlich (gesetzesgemäß) die kompletten Baukosten auf die Mieter abgewälzt werden sollten, was in meinem konkreten Fall eine Mieterhöhung von 84,04 Euro ergeben hätte, was gemeinsam mit einer Nebenkostenangleichung einer Erhöhung von 48,83% entsprochen hätte. Oder, anders ausgedrückt: Selbst bei günstigster Berechnung hätte die Ersparnis von 30-40% bei meinen Heizkosten (betrugen 2013 22 Euro monatlich, 2014 gingen sie – ohne erfolgte Modernisierung – auf 20 Euro herunter) in keinem Verhältnis zu der Mieterhöhung gestanden. Damit sich das nur ansatzweise für mich rechnen würde, hätte das Szenario aus Roland Emmerichs The Day After Tomorrow eintreffen müssen. Trotz generellem Widerspruch der Mieter und einer vorerst verschobenen »Modernisierung« hat sich die Aktion für den Vermieter wahrscheinlich aber schon durch jene durch diese Aktion verschreckten und vertriebenen Mieter gelohnt (in meiner Etage 25%), deren Wohnungen man jetzt mit »korrigiertem« Mietpreis (ungehindert von irgendwelchen gesetzlichen Höchstangaben) neu auf dem katastrophalen Berliner Wohnungsmarkt anbieten kann. Und das Damoklesschwert der »Modernisierung« hängt weiterhin über unseren Köpfen, der Gesetzgeber versäumt es, die Gefahren solcher vermeintlich »ökologischen« Maßnahmen zu erkennen.

Mietrebellen mag dramaturgisch und inszenatorisch nicht das Nonplusultra an (Dokumentar-)Filmkunst darstellen, aber aus Sicht der Aktivisten (auf der Premiere natürlich reichhaltig vorhanden) stellt der Film ein »historisches Dokument« da.

Der Film beginnt mit der Beerdigung von Rosemarie Fleiss, einer betagten Aktivistin, die kurz nach ihrer Zwangsräumung verstarb. Man spult dann sozusagen etwas zurück und erlebt als Zuschauer dieses »Menschenopfer« noch lebendig, ehe eine sachlich wirkende, aber die Sachlage recht subjektiv einschätzende Sprecherin feststellt, dass sie (als Sprachrohr der Filmemacher) noch »viel zu weit vorgegriffen« habe, und im weiteren Verlauf werden diverse Protestaktionen geschildert und aktive wie zurückhaltende Protagonisten befragt.

Der begrüßenswerte Ansatz des Films besteht darin, dass man nicht nur Multi-Kulti-»Lärmdemos« in früheren »Problembezirken« schildert, sondern auch den Protest zunächst hilflos wirkender Gruppen in Spandau, Pankow oder Friedrichshain, die »Palisaden-Panther« oder die Initiative »Stille Straße«, im Altersdurchschnitt weit über 60. »Warum wir alte Leute noch mal demonstrieren müssen, das ist mir wirklich ein Rätsel. Aber wir müssen. Wir werden eines Tages unter der Brücke schlafen müssen, weil wir unsere Miete nicht mehr bezahlen können.«

Mietrebellen ist ein konkreter Bestandteil dieser Protestbewegung, die eigentlich jeden Mieter angeht, und ungeachtet einiger Tonschwankungen oder einer nicht eben objektiven Herangehensweise an das Thema ist der Film sehr erfolgreich darin, die notwendigen Möglichkeiten der Mieter aufzuzeigen. Nichts zu unterschrieben und sich mit den Nachbarn zu unterhalten, ist ja nur der Anfang, die verschiedenen kleinen Aktionen müssen koordiniert werden, Einwohner und Politiker müssen aufmerksam gemacht werden, der Film selbst ist die subtilere Variante mancher »Keine Rendite mit der Miete«-Videos, die Spekulanten, Politiker und Investoren zunächst in ihren Mercedes-Limousinen zeigen, dann in einem Fadenkreuz erscheinen lassen und quasi per Farbbeutel abgeschossen werden.

Der Film hat auch ein gewisses (grimmiges) Humorpotential, wenn etwa gezeigt wird, wie bei der Jahrestagung der deutschen Immobilienwirtschaft die Aktion »Fang den Bus« dokumentiert wird, wobei selbst die im Bus sitzenden Makler der durch Sitzstreiks verspäteten Fahrt zum gemeinsamen Abendessen in der Kulturbrauerei anfänglich »Erlebnischarakter« attestieren, man aber trotz friedlicher Protestanten und schwer beschäftigtem Polizeiangebot irgendwann doch die Verspätung leid war, aber von Polizeiseite »vom Verlassen des Busses den Anzugträgern dringend abgeraten« wurde.

Der »Spaßfaktor« einiger der Aktionen (aber nicht aller!) wird im Film auch betont. Musikalische Darbietungen, Jongleure und einfach mal die eigenen Nachbarn (die die selben Probleme haben) kennenlernen. Dafür bieten sich die Filmvorführungen natürlich ebenfalls an. Und als Bonus wird man die »Stars« des Films sicher auch hier und dort im Kino sehen. Nicht etwa, weil sie eitel sind und sich selbst immer wieder auf der Leinwand sehen wollen, sondern weil der Film ein wichtiger Teil der ganzen Bewegung ist, und bei der Team-Premiere der Auftrag »Den Film in den Kinos halten!« extra betont wurde.

Normalerweise halte ich wenig von dieser Art von Dokumentarfilm, und reine Filmkunst ist Mietrebellen sicher nicht. Aber der Zweck heiligt die Mittel, und da es das erklärte Ziel des Films ist, neue Mitstreiter zu motivieren, erträgt man auch ein gewisses Maß an Propaganda. Meine persönlichen Erfahrungen haben gezeigt, dass Widerstand hilft. Wer einfach unterschreibt und bezahlt oder sich einbildet, durch Umzug dem Druck zu entfliehen, unterstützt nur die Entwicklung.