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22. September 2011
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Hell - Die Sonne wird euch verbrennen (Tim Fehlbaum)
Hell - Die Sonne wird euch verbrennen (Tim Fehlbaum)
Hell - Die Sonne wird euch verbrennen (Tim Fehlbaum)
Bildmaterial © Paramount Pictures International
Hell - Die Sonne wird euch verbrennen (Tim Fehlbaum)
Hell - Die Sonne wird euch verbrennen (Tim Fehlbaum)
Hell - Die Sonne wird euch verbrennen (Tim Fehlbaum)


Hell
Die Sonne wird
euch verbrennen
(Tim Fehlbaum)

Deutschland 2011, Buch: Thomas Wöbke, Tim Fehlbaum, Oliver Kahl, Kamera: Markus Förderer, Schnitt: Andreas Menn, Musik: Lorenz Dangel, mit Hannah Herzsprung (Marie), Lars Eidinger (Phillip), Stipe Erceg (Tom), Lisa Vicari (Leonie), Angela Winkler (Elisabeth), Kinostart: 22. September 2011

Was Cormac McCarthy und John Hillcoat bei The Road aus gutem Grund im grautrüben Dunkel gelassen haben, das zerrt die deutsche Regiehoffnung Tim Fehlbaum bei Hell (übrigens weniger als ein Jahr nach dem deutschen Kinostart von The Road) ins grelle Tageslicht: Die Sonnenaktivität hat sich verstärkt, die Temperaturen haben rasant zugenommen, Deutschland ist verbrannt, die Wälder sind verdörrt, Wasser ist ein kostbares Gut, und so wie bei McCarthy die Straße der Hoffnung an die Küste führt, gibt es hier Gerüchte, dass in den Bergen vereinzelnd Wolken auftauchen sollen, vielleicht noch nicht alle Quellen versiegt sind und ein Überleben möglich sein könnte.

Die Produktionsumstände gehören zu den größten Stärken des Films. Wo Hillcoat gezwungen war, für ein Mainstream-Publikum zumindest hin und wieder apokalyptische CGI-Panoramen einzubauen, wird im deutschen Abkömmling zwar verbal zu viel verraten, aber dafür visuell »weniger ist mehr« gepredigt. Der Filmtitel wird wörtlich genommen, die Tagesbilder sind grell übersteuert, in dieser Welt taugt ein Auto (immerhin vereinzelt vorhanden) nur etwas, wenn die Fenster verdunkelt sind und nur kleine Seeschlitze den Blick auf die Umwelt freigeben. Wer hier ungeschützt dem Sonnenlicht ausgesetzt ist, überlebt höchstens ein paar Stunden.

Bei The Road trickste der Regisseur seine Produzenten etwas aus, indem er Frauenliebling Viggo Mortensen wie ein strubbelig-stachelbärtiger Penner durch den Film schlurfen ließ und Charlize Theron als seine Gattin nur in wenigen Flashbacks auftaucht. Hollywoodstars, aber so, wie sie keiner sehen will. Bei Hell war die Situation wohl eine andere: Zwar konnte man Schauspielstars des jungen deutschen Films gewinnen: Hannah Herzsprung, seit Vier Minuten eine große Hoffnung. Lars Eidinger, der Star berühmter Filme, die das große Publikum aber nicht zu Gesicht bekam (Berlinale-Gewinner Alle Anderen und demnächst Hendrik Handloegtens Fenster zum Sommer), ein Möchtegern-Kinderstar aus Hanni & Nanni, und als Kitt, der alles zusammenhält Stipe Erceg (Die fetten Jahre sind vorbei). Erceg und Herzsprung haben auch schon internationale Auftritte gehabt, nicht nur der hübsch zweisprachliche Titel Hell deutet auf ein Schielen auf den internationalen Markt. Immerhin hat Roland Emmerich mitproduziert.

Doch hier ging es wohl nicht darum, die Produzenten zu überzeugen, sondern die Darsteller - denn für einen auf Spannung inszenierten Genrefilm bietet Hell seinen Darstellern erstaunlich viel Fleisch, in das sie ihre schauspielerischen Zähne hineingraben können. Es reicht nicht, dass man Hannah Herzsprung als die über sich selbst hinauswachsende Marie im Presseheft gleich mit Sigourney Weaver oder Jodie Foster vergleicht - nein, die etwas zusammengewürfelte Gruppe muss auf ihrer Fahrt im Kombi gleich ein kleines Kammerspiel hinlegen. Eidinger gibt den an sich zweifelnden und in die Enge getriebenen Provider, der sich gegenüber Erceg behaupten muss, Lisa Vicari als Maries kleinere Schwester erobert sich auch eine eigene Erzählstimme und probiert sich als rebellische Frühreife. Doch bevor sich aus diesen Ansätzen etwas Definitives entwickeln kann, kippt einfach mal das Genre des Films und plötzlich finden wir uns in einem Backwood-Horrorfilm. Was in The Road bereits unmissverständlich angedeutet wurde (Kannibalismus als Überlebensstrategie, die übliche Verrohung der Menschheit, die wie bei Romero ihr eigener größter Feind wird), wird hier (mal wieder) zum deutschen Kettensägenmassaker. Nur halt in der etwas subtileren (aber nicht weniger grauenerregenden) Gangart eines Michael Haneke. Die degenerierten Rednecks Deutschlands haben keine Schrotflinte und Motorsäge, sondern Beile und Bolzenschussgeräte.

Soweit ist das alles auch sehr vielversprechend, doch irgendwie gelingt es dem Film weder, in seiner ersten Hälfte an die internationalen Standards anzuknüpfen, noch sich in der zweiten Hälfte in einer nationalen oder regionalen Spielart vom Backwood-Genre selbst neu zu erfinden. Hell ist wie gefangen in der Besucherritze. Am auffälligsten ist der Drang zum internationalen Erfolg, für den der Film seine Herkunft verrät (wie Emmerich es schon damals in Joey zelebrierte), wenn die deutsche Variante der Backwood-Rednecks so wie alles im Film (bloß kein offensichtliches Nummernschild zeigen!) nirgendwo verortet werden darf. Ob die hoffnungsverheißenden »Berge« im Schwabenland oder im ostdeutschen Harz liegen, wird nie verraten. Wenn Angela Winkler als barmherzige Bäuerin Elisabeth ihre Dienste anträgt, dann spricht sie in einem lupenreinen Hochdeutsch, das man eher auf einer Hannoveraner Theaterbühne vermutet als im dunklen deutschen Märchenwald, wo seit Jahrhunderten Menschenfresser, Missgeburten und schlichtweg Miststücke bevorzugt Frauen und Kinder in ihre Gewalt bringen. Wie viel erschreckender wäre beim Showdown des Films ein Sensenschwinger in Lederhose oder ein sächselndes Rumpelstilzchen im Aldi-Jogginganzug gewesen. Doch was weiß der internationale Markt, der die Chance bietet, das Geld wieder einzuspielen, von knarzigen Almöhis oder flexiblen Rezepten für Schweinskopfsülze? Und so bleibt Hell nur die deutschsprachige (abgesehen von den Beziehungsplänkeleien) immergleiche Ausgabe eines tausendfach erprobten Rezepts. Wenn ein Horrorfilm ein McDonald’s-»Restaurant« sein könnte, so wäre dies halt die Zweigstelle in Marienzell oder Finsterwalde. Für die internationale Klientel nicht weniger (»Der McRib schmeckt genauso gut wie in Texas«), aber leider für die Einheimischen auch keinen Deut mehr.