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2. Oktober 2010
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Max Schmeling (R: Uwe Boll)
Max Schmeling (R: Uwe Boll)
Max Schmeling (R: Uwe Boll)
Bildmaterial: Central Film
Max Schmeling (R: Uwe Boll)
Max Schmeling (R: Uwe Boll)
Max Schmeling (R: Uwe Boll)


Max Schmeling
(R: Uwe Boll)

Deutschland 2010, Buch: Timo Berndt, Kamera: Mathias Neumann, Schnitt: Charles Ladmiral, Musik: Jessica de Rooij, mit Henry Maske (Max Schmeling), Susanne Wuest (Anny Ondra), Heino Ferch (Max Machon), Vladimir Weigl (Joe Jacobs), Detlef Bothe (Referee Arthur Donovan), Christian Kahrmann (Hitler’s Adjutant Lehmann), Arved Birnbaum (Hans v. Tschammer u. Osten), Yoan Pablo Hernández (Joe Louis), Rolf Peter Kahl (Dr. Joseph Goebbels), Arthur Abraham (Richard Vogt), Enad Licina (Jack Sharkey), Manfred Wolke (Sharkey’s Trainer), Uwe Boll (Referee #2), 120 Min., Kinostart: 7. Oktober 2010

Die Regiearbeiten von Dr. Uwe Boll wurden jahrelang geschmäht und belächelt, doch mit Max Schmeling, seinem ersten deutschsprachigen Film seit 15 Jahren und seinem ersten Film, der nicht nur auf Genre-Festivals gezeigt wird, sondern »auf ganz regulären« wie dem Moscow Film Festival, erhofft sich der Regisseur einen Neuanfang. Er bittet die Kritiker, »dass Max Schmeling fair bewertet wird und nicht einfach wegen der anderen Filme, die dem einem oder anderen vielleicht nicht gefallen haben, schlecht besprochen wird.«

Wie ernst dem Regisseur dieses Anliegen ist, zeigt sich schon dadurch, dass er nicht gemeinsam mit dem Hauptdarsteller (und früherem Box-Weltmeister) Henry Maske eine Pressekonferenz in einem Boxring anberaumt hat, wie es bei früheren Gelegenheiten ähnlich gehandhabt wurde. Dr. Uwe Boll hat solche Kinkerlitzchen nicht mehr nötig. Nachdem er mit Rampage und Darfur bereits sein Potential gezeigt hat, neben reinen Action-Metzeleien auch sozial relevante Themen anzusprechen, ist Max Schmeling für seine Karriere ein Wendepunkt, ähnlich wie es bei Steven Spielberg (der auch als Action-Spezialist begann) The Color Purple oder Schindler’s List war.

Doch der unerschrockene Humanismus der Filmfigur Max Schmeling, wie er sich während des dritten Reiches für seinen amerikanischen (und dazu noch jüdischen) Manager oder einige Nachbarn einsetzt (und diesen mehrfach Übernachtungsmöglichkeiten organisiert), wie er eine lebenslange Freundschaft mit seinem größten Rivalen Joe Lewis beginnt - all dies hat Dr. Boll nicht gereicht, sein Film ist noch weitaus mehr als nur ein Plädoyer für die Menschlichkeit. Max Schmeling ist vor allem eine der besten deutschen Komödien der letzten Jahrzehnte. Dani Levy hätte seinen kleinen Finger gegeben, wenn sein Hitler-Film nur halb so witzig gewesen wäre.

Die Inspirationen dieses kleinen Meisterwerks sind recht offensichtlich, doch nur im makellosen Zusammenspiel konnte Max Schmeling zu einem solch durchweg sehenswerten Film gedeihen.

Da Dr. Boll bisher eher weniger mit Biopics zu tun gehabt hat, sah er sich offensichtlich Walk Hard - The Dewey Cox Story an, die Mutter aller Biopics. Und mit ähnlicher Schlagkraft durchdringt er das marode Gerüst einer herkömmlichen Filmbiographie, persifliert und parodiert es auf subtile Weise. Unabkömmlich dabei: die überflüssige Rahmenhandlung, die Boll für einige Reminiszenzen an Spielberg (Saving Private Ryan) nutzt, aber ihr ansonsten sowenig Beachtung schenkt, wie überhaupt nur möglich ist. Innerhalb weniger Minuten kommt man so zum genialischen Dialog »Was hat sie hierher verschlagen?« - »Das ist eine lange Geschichte.« Und damit beginnt dann die eigentliche Geschichte, mit Schmelings erstem Meisterschaftskampf 1930 gegen Sharkey.

Die zweite und dritte große Inspiration betreffen die Hauptfigur des Films, denn dieser Max Schmeling ist ebenso optimistisch, geradlinig, gutherzig und ohne jede Argwohn wie die Hauptfigur eines großen anderen Biopics - und wie genial das ist, erkennt man schon daran, dass diese Figur wie Dewey Cox eigentlich erfunden ist. Doch Dr. Boll nimmt den Geist von Forrest Gump und transplantiert ihn in Max Schmeling hinein. Somit hätte der Film eigentlich schon zwei Taglines verdient (wenn es Dr. Boll daran gelegen gewesen wäre, den Subtext seines Films im Vorfeld zu proklamieren): »Box hart!« und »Box, Schmeling, box!«.

So wie Forrest Gump vor allem laufen kann, kann Max Schmeling vor allem boxen, und für die kongeniale Besetzung hat man somit Henry Maske gefunden, der noch aus den minimalistischsten Sätzen des kolossalen Drehbuchs von Timo Berndt alles herausholt. Um uns wieder kurz in den Film zurückzubewegen: Nach dem Kampf gegen Sharkey sagt Schmeling / Maske nur lapidar: »Ich geb’ den Titel zurück.«, »Ich will nichts geschenkt.«, »Ich geh’ duschen.« Damit reicht die Legende Schmeling sogar an den weisesten aller deutschen Sportler heran, an Sepp Herberger. Und nur Dr. Bolls zurückhaltender Natur ist es gedankt, dass dies nicht durch Dialogsätze wie »Der Kampf hat 15 Runden« allzu offensichtlich gemacht wurde. Denn auch wenn Dr. Boll eine großartige Komödie geschaffen hat, er hat es nicht darauf angelegt, dass jeder Zuschauer vor Lachen Tränen in die Augen bekommt (wie es mir geschah), gerade die Subtilität ist es, die den Film auszeichnet, und vielleicht bedarf es wie bei To Be or Not to Be oder One, Two, Three erst einiger Jahrzehnte, bis der Film universell als das Komödien-Meisterwerk anerkannt wird, das er ist.

Doch zurück zu Henry Maske. Dass der Film Max Schmeling zu einer Legende macht (oberflächlich betrachtet etwas langsam, aber voller philosophischer Einsichten und humanistischer Ideale), hatte ich bereits beschrieben, doch auch Hauptdarsteller Henry Maske wird durch sein nuanciertes Spiel zu einer Schauspiellegende, wie man sie nur selten erlebt. Der letzte Schauspieler, der auch nur vergleichbares produzierte, war der große Arnold Schwarzenegger. Ebenfalls (wie Dr. Boll) jemand, der vom Action-Film kam, und erst spät sein Talent für Komödien (Twins, Junior) entdeckte, kennt man den von manchen Fans »Sir Arnold« genannten gebürtigen Österreicher (nur wegen dieser Lapalie wurde ihm der Ritterschlag verwehrt) auch als Shakespeare-Interpreten, der sich trotz der textlastigen Vorlagen ganz auf sein Spiel konzentriert, und gerade aus kurzen, knackigen Dialogen seine größten Filmmomente schuf.

So ähnlich funktioniert das auch bei Henry Maske oder seiner Filmfigur Max Schmeling. An dieser Stelle eine kleine Exkursion zur Liebesgeschichte zwischen Schmeling und der Schauspielerin Anny Ondra (Dr. Boll sträubt sich hier gegen eine Starbesetzung mit beispielsweise Katja Riemann und verlässt sich auf die aufstrebende Susanne Wuest, die ihre Darstellung zu jedem Zeitpunkt ganz in den Schatten von Maske / Schmeling stellt). Wie zum Beweis seiner Fähigkeiten (den Shakespeare-Vergleich bitte nicht aus den Augen verlieren) demonstriert Drehbuchautor Timo Berndt schon im Vorfeld dieser Romanze Schmelings poetische Natur (»Ich habe eine zarte Linke und eine gefühlvolle Rechte.«), doch diese Liebesgeschichte drängt sich nicht durch Szenen voller erotischer Leidenschaft nach vorne (Max und Anny wirken eher wie zärtliche Geschwister), sondern stellt sich dramaturgisch ganz in den Dienst der Geschichte und der Charakterisierung Schmelings, der in seinen einsilbigen Entgegnungen die fein ausgearbeitete Psyche der Figur verbirgt (ein harmlos wirkendes Vorspiel: Anny: »Möchtest Du einen Kaffee?« - Max: »Den könnte ich jetzt wirklich gebrauchen.«).

Bei der großen, emotional überbordenden Liebesszene des Films zeigt Dr. Boll, dass er weiß, welche großen filmischen Vorbilder er ganz in den Dienst seines Werkes stellen kann. Erst nachdem die Filmerzählung die Rahmenhandlung wieder eingeholt hat, und Max Schmeling scheinbar den Weg von Kreta bis nach Pommern trotz verletztem Bein voller stoischer Sehnsucht durchschritten hat, seine Anny ihn längst für gefallen hält (eine kleine Reminiszenz an Spielbergs Saving Private Ryan) und er trotz der bei Kriegsende einwandernden Russen, vor denen ihn flüchtende Deutsche warnen, zurückkehrt zum Gut Ponickel, offenbart der Film die Tiefe dieser Liebe. Das Gut wirkt heruntergekommen, kein Mensch ist zu sehen, der nur mit übermenschlichen Kräften noch auf den Beinen stehende Schmeling blickt zunächst vergeblich nach seiner Frau. Schließlich ruft er nach ihr, »Annnny«, »Aaaannnnnnnyyy«, und sie umarmt den totgeglaubten. Der bekennende Rocky-Anhänger Boll (»die Teile 2 und 3 einmal ausgenommen«) baut hier eine Hommage ein, die mancher übersehen hätte, denn Max Schmeling endet nicht wie Rocky mit einem Freeze Frame der Liebenden (wenn der Vorname Anny nicht historisch vorgegeben gewesen wäre, würde man annehmen, dass Boll und Berndt sicher einen anderen gewählt hätten, der phonetisch »Adrienne« so nahe ist), denn Dr. Boll hat noch soviel mehr zu erzählen.

Walk Hard (und damit dem Abgesang an herkömmliche Biopics) erweist der Film ein weiteres Mal Referenz, wenn Max Schmeling seinen eigenen Abgang aus der Boxszene »inszeniert«, wie Dewey Cox es ähnlich mit seinem posthum veröffentlichten Song Have You Heard the News? (Dewey Cox died) tat. Auch hier verschmelzen historische Authentizität und filmische Aussage, dass es erstaunt.

Denn Dr. Boll hat trotz der vielen Vorgaben und erreichten Ziele immer auch noch Zeit für die Metaebene, für Momente, die einerseits übertrieben pathetisch wirken, aber insgeheim die Konventionen des Genres (sowohl Biopic als auch Boxerfilm) untergraben. Wenn man beispielsweise nur die Boxszenen des Films betrachtet, so findet man Einstellungen, wie sie direkt aus Raging Bull hätten geklaut sein können. Und durch die tatsächlichen Boxer, die hier Boxer spielen und den boxerfahrenen Regisseur hätte Dr. Boll sich allein mit den Boxszenen ein Denkmal setzen können. Dass er dies nicht tut, ist meines Erachtens weniger das Resultat des knapp bemessenen Budget (nur die Hälfte von Der Untergang!) oder der nur zeitlich begrenzt zur Verfügung stehenden Arena Zagreb, in der gleich zu Beginn sämtliche Kampfszenen fotografiert wurden. Nein, Dr. Boll hinterfragt auch hier subtil das Genre (des Boxerfilms), das ihn eben nicht annähernd so sehr interessiert wie seine erste große Komödie. Als würde er ein einem Musical die Gesangsnummern nicht beachten, oder sich bei einem Porno nicht um die Fickszenen kümmern, so werden die Boxszenen in Max Schmeling fast zur Ellipse, was die filmische Aufbereitung an geht. Zwar sieht man die Figuren boxen, doch die Narration wird vorangetrieben durch einen allgegenwärtigen Kommentator, der nicht nur alles erklärt, was der boxunerfahrene Zuschauer den reinen Bildern vielleicht nicht hätte entnehmen können (»der Neger Joe Lewis ist überrascht«), nein, darüber hinaus wird mit der Ausnahme von Schmelings letztem Kampf der Ausgang jeden Kampfes wie nebenbei eigentlich schon im Vorfeld vorweggenommen (mit unterschiedlichen Mitteln), es geht dem Film nicht um die Boxerei (vielleicht auch, weil man diese nicht wie die Songs in Walk Hard ohne weiteres zum Kern der Parodie verwandeln könnte, ohne einem oberflächlichen Mainstream-Publikum, das einen ganz anderen Film sehen wird, als ich ihn sah, jedwelche Glaubwürdigkeit zu entreissen), sondern um seine Geschichte, die nicht einfach nur in den Dienst der vielen großartigen Lacher gestellt wird (man kennt ja diese Filme, die sich nur von Pointe zu Pointe hangeln und die »Geschichte« darum drapieren), sondern wie bei den ganz großen Komödien (womit Dr. Boll noch mehr wird als nur der deutsche Judd Apatow) gehen die Geschichte und der Humor eine Synthese ein, sie sind im Nachhinein nur schwer voneinander zu trennen.

Bei Max Schmeling geht es nicht um Haken und Gerade, sondern um Pointen (der englische Begriff »punchline« verdeutlicht die Nähe des Boxsports zur Komödie, auch wenn Max Schmeling kein Slapstick ist, sondern vor allem über die Dialoge arbeitet). Und diese Pointen sitzen, ohne geschmacklose Tiefschläge, wie sie heute Standard sind. Und dieser Hinsicht ist Max Schmeling wirklich klassisch (obwohl der Film ganz auf der Höhe seiner Zeit ist).

Ich muss zugeben, dass ich die Ängste des Regisseurs teile, dass Kritiker und Publikum Max Schmeling nicht als das Meisterwerk erkennen könnten, das hier gelungen ist (trotz einiger Mängel, die den Unterhaltungswert des Films jedoch nie gefährden), denn der Film macht es einem zu leicht, als »misslungen« fehlinterpretiert zu werden. Doch wer erstmal kapiert hat, dass es kein »Zufall« sein kann, wie lachhaft diese Boxerlegende ist, dass holprige Schauspieler und unfähige Drehbuchautoren niemals »unfreiwillig« eine solche Folge von humoristischen Haken und subtil parodierenden Geraden hätten erschaffen können, der wird Max Schmeling als eines der Filmerlebnisse dieses Jahres begreifen und sich bereits wundern, womit Dr. Boll uns als nächstes verzücken wird.