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20. Oktober 2010
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Ondine - Das Mädchen aus dem Meer (R: Neil Jordan)
Ondine - Das Mädchen aus dem Meer (R: Neil Jordan)
Ondine - Das Mädchen aus dem Meer (R: Neil Jordan)
Bildmaterial © 2010 Concorde Filmverleih GmbH
Ondine - Das Mädchen aus dem Meer (R: Neil Jordan)
Ondine - Das Mädchen aus dem Meer (R: Neil Jordan)
Ondine - Das Mädchen aus dem Meer (R: Neil Jordan)


* In The Town ein vernachlässigtes Thema, aber in der Romanvorlage zum Film umso stärker ins Zentrum gerückt.



Ondine
Das Mädchen aus dem Meer
(R: Neil Jordan)

Originaltitel: Ondine, Irland / USA 2010, Buch: Neil Jordan, Kamera: Christopher Doyle, Schnitt: Tony Lawson, Musik: Kjartan Sveinsson, mit Colin Farrell (Syracuse), Alicja Bachleda (Ondine), Alison Barry (Annie), Dervla Kirwan (Maura), Stephen Rea (Priest), Tony Curran (Alex), Marion O'Dwyer (Nurse - Dialysis), Mary O'Shea (Fish Co Op Worker), Gemma Reeves (Draper's Shop Tracy), Norma Sheahan (Librarian), Emil Hostina (Vladic), Conor Power (Eion), Olwyn Hanley (Katie), Mark Doherty (Fishery Board Man II), Peter Gowen (Dr. Hannon), 111 Min., Kinostart: 21. Oktober 2010

In seinen knapp drei Jahrzehnten als Regisseur war Neil Jordan immer wieder für Überraschungen gut, und für den wiederholten Wechsel von großen US-Produktionen zu kleinen, persönlicheren Werken in seiner irischen Heimat. Anhand seines neuen Films Ondine fühlt man sich an The Company of Wolves erinnert, eine sehr sexuelle Variante des Rotkäppchen-Mythos. Auch Ondine lehnt sich an Märchen an, ein Fischer namens Syracuse (Colin Farrell) fängt in seinem Netz ein leichtbekleidetes Mädchen, das aber nicht den weitverbreiteten Meerjungfrauen zuzurechnen ist, sondern der etwas exotischeren schottischen Variante der selkies. Daraus entspinnt sich eine Romanze, wobei aber am interessantesten ist, dass Syracuse, den fast jeder »Circus« nennt (»because I’m a clown«), aus erster Ehe eine kleine Tochter hat, die im Rollstuhl zwischen ihm und ihrer neu verbandelten Mutter hin- und herpendelt. Zu Beginn des Films schien mir dies ein wenig zu offensichtlich, vor allem die Parallele, das sollwohl Rollstuhlfahrerinnen als auch Meerjungfrauen (Arielle!) gerne tanzen würden, ihnen aber die Basisausrüstung verwehrt bleibt. Doch Neil Jordan ist gar nicht so vorhersehbar, denn selkies zeichnen sich im Gegensatz zu Meerjungfrauen nicht durch einen beschuppten Unterkörper aus, und auch die Tochter Annie hat keinerlei Probleme mit ihren Beinen, sondern nutzt den Rollstuhl, weil ihre Nieren versagen und sie sich deshalb schonen muss - wovon man aber trotz Rollstuhl wenig merkt.

Auch erweist sich die selkie-Geschichte, die durch die Verbindung zur wissbegierigen Tochter die Romanze über die üblichen Schemata vorantreibt, im Nachhinein als tiefgründiger, als man zunächst vielleicht dachte, und die Querverbindung zu einigen anderen Romanzen und Frauenfiguren aus dem Œuvre Jordans (Einzelfilme werden hier aus Rücksicht auf Spoiler nicht genannt) ist nicht von der Hand zu weisen.

Aber gerade die Märchenelemente, wie die Unterstützung von Syracuses erbärmlichen Fischfang durch exotischen Gesang oder die Geschichte mit dem Seehund-Mantel, gehören zu den interessantesten Aspekten des Films.

Ein weiteres Thema des Films (und dieses wurde für mich noch dadurch verstärkt, dass ich am selben Tag auch die Pressevorführungen zu A Good Heart, The Town* und Die Entbehrlichen sah) ist der Alkoholismus, mit dem sowohl Syracuse so seine Erfahrungen gemacht hat, als auch seine Exfrau und deren neuer Lover.

Und, wie es sich für einen Neil-Jordan-Film so gehört, es spielt auch wieder Stephen Rea mit, diesmal als Priester, der von Syracuse größtenteils als Telefonseelsorge (aber ohne Telefon) missbraucht wird.

Alles in allem ist Ondine ein netter kleiner Film, bei dem sich aber einiges eine Spur zu gefällig entwickelt. Mehrfach gibt es ziemlich gefährliche Situationen, doch wirklich zu Schaden kommen nur Personen, die es nicht anders verdient haben und die durch ein (ungewolltes) Opfer die Geschichte positiv beeinflussen können.

Mich persönlich hat erfreut, dass in der Titelrolle Alicja Bachleda-Curus auftauchte, eine in Mexiko geborene, aber in Krakau aufgewachsene Schauspielerin, die es im deutschen Film schon zu einigem Ruhm brachte. Mir persönlich fiel sie als Au-Pair-Mädchen in Herz über Kopf (2001) von Michael Gutmann und Hans-Christian Schmid auf, aber sie hatte auch eine wichtige Rolle in Sommersturm, und hat wohl gemeinsam mit dem Sommersturm-Regisseur Marco Kreuzpaitner bei dessen internationalem Debüt Trade - Willkommen in Amerika das Sundance-Festival in ausreichendem Maße aufgemischt, um Neil Jordan auf sich aufmerksam zu machen. Als Meerjungfrau (Verzeihung, selkie!) wirkt sie jedenfalls wie die klar sinnlichere (und bessere) Alternative zu Keira Knightley.