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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




23. September 2010
Thomas Vorwerk
für satt.org


  The Town (R: Ben Affleck)
The Town (R: Ben Affleck)
The Town (R: Ben Affleck)
Bildmaterial © 2010 Warner Bros. Ent.
The Town (R: Ben Affleck)
The Town (R: Ben Affleck)
The Town (R: Ben Affleck)


The Town
(R: Ben Affleck)

USA 2010, Buch: Peter Craig, Ben Affleck, Aaron Stockard, Lit. Vorlage: Chuck Hogan, Kamera: Robert Elswit, Schnitt: Dylan Tichenor, Musik: David Buckley, Harry Gregson-Williams, mit Ben Affleck (Doug MacRay), Rebecca Hall (Claire Keesey), Jon Hamm (Special Agent Adam Frawley), Jeremy Renner (James »Jem« Coughlin), Blake Lively (Krista Coughlin), Slaine (Albert »Gloansy« Magloan), Owen Burke (Desmond »Dez« Elden), Titus Welliver (Dean »Dino« Ciampa), Pete Postlethwaite (Fergus »Fergie« Colm), Dennis McLaughlin (Rusty), Chris Cooper (Stephen MacRay), Corena Chase (Agent Quinlan), Brian Scannell (Henry), Kerri Dunbar (Henry's Girl), Danny DeMiller (Eskimo Story Speaker), James McKittrick (Cop Who Looks Away), 125 Min., Kinostart: 23. September 2010

Ben Afflecks Regiedebüt Gone Baby Gone war eine Romanverfilmung eines in Boston spielenden Krimis, bei seiner zweiten Regiearbeit verhält es sich ebenso. Größter Unterschied: Die männliche Hauptrolle spielt nicht der kleine Bruder Casey Affleck, sondern Ben selbst.

Chuck Hogans Prince of Thieves (dt. Titel: Endspiel) erschien 2004 und spielt 1996, zu einem Zeitpunkt, als man mit Banküberfällen noch ausreichend Bargeld erbeuten konnte und das von Yuppies unterlaufene Charlestown nicht immer mehr von Plastikgeld regiert wurde. Auf ein period piece hatte Ben Affleck wohl aber keine Lust, und so spielt der Film irgendwann nach 2004, aber wahrscheinlich spätestens 2007 (denn am Fenway Park sieht man zwei stolze Banner, dass die Red Sox 2004 die World Series gewonnen haben - was ihnen 2007 erneut gelang ... vielleicht hatten die Sox aber auch kein Geld für ein neues Banner und der Film spielt erst später).

Während der Roman sich Zeit lässt, eine Romanze zwischen einem Bankräuber (im Film Ben Affleck) und einer bei einem Bankraub als Geisel entführten Managerin (Rebecca Hall) aufzubauen (nach einem guten halben Dutzend Stalkerauftritten fasst sich Doug MacRay schließlich ein Herz - und sie rennt geradezu davon), läuft das im Film ruckzuck: Auf den Führerschein geschaut, ihr im Waschsalon aufgelauert - und sie spricht ihn an.

Und so ähnlich läuft die komplette Verfilmung. Figureninteraktion, filigraner Plotaufbau und Charakterentwicklung - braucht man alles im Film nicht. Einige wirklich schöne und sehr visuelle Szenen (fliederfarbener Schlüpfer, Verfolgung per Tram) werden gestrichen, dafür gibt es ein paar blöde und brutale neue Szenen (»Wir wollen euch hier nicht wiedersehen, und um unsere Drohung zu verstärken, schießen wir euch mal unmotiviert ins Bein«) dazu, und den zweiten von drei Überfällen kann man in der Verfilmung komplett nicht wiedererkennen (im Roman wird ein Kino überfallen!). Die komplette Vendetta des FBI-Agenten (Jon Hamm aus Mad Men), der im Buch auch hinter der Frau her ist und sehr eifersüchtig reagiert, wird rausgeschnitten, um Platz zu schaffen für hirnloses Geballer à la Heat (nur nicht so nett choreographiert), und selbst einige gute (neue!) Ideen des Films (Jems Tattoo, der Softdrink, das Telefonat) wirken nur wie deplaziertes Beiwerk, wo das Buch eine komplette dynamische Entwicklung hat.

Die Hauptfigur des Bankräubers MacRay bekommt im Film zwar gleich zwei Sexszenen und ein Training im Türrahmen, das die Oberkörpermuskulatur Ben Afflecks vorführt, die Figur hat aber nicht die selben Probleme, die ihr im Roman schließlich über den Kopf wachsen, und wirkt im Film einfach unsympathischer.

Mitunter lese ich Buchvorlagen zu anstehenden Verfilmungen momentan so, dass ich bei Beginn der Filmvorführung etwa die Hälfte des Buches gelesen habe (sehr zu empfehlen), und ich muss zugeben, dass einige plot points, die mir in der zweiten Filmhälfte sehr missfielen, dann ähnlich auch im Buch auftauchten. Doch selbst beim waffenstarrenden Showdown wurden einige gute Ideen des Romans einfach verdrängt, Bankräuber Nr. 3 und 4 sind im Film nicht viel mehr als die Redshirts bei Star Trek, wo einer von ihnen im Roman die positivste Figur überhaupt ist.

Im Gegensatz zu meiner Herangehensweise ohne Vorwissen kann ich jedermann nur empfehlen: Wenn überhaupt, das Buch lesen. Der Film ist überflüssig und wird auch niemanden dazu verleiten, nach der Romanvorlage zu fragen - was ich glücklicherweise vorher gemacht habe.

Lieber Ben Affleck: Bitte in der nächsten Regiearbeit nicht wieder mitspielen und vielleicht mal zur Abwechslung ein anderes Thema probieren. Auch wenn Du schon mal einen Oscar für ein Drehbuch gewonnen hast: Andere Leute können das besser! Und ganz wichtig: Nicht aus einem in vielerlei Hinsicht scheiternden Verbrecher einen romantischen Helden machen.