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27. Oktober 2010
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Wir sind die Nacht (R: Dennis Gansel)
Wir sind die Nacht (R: Dennis Gansel)
Wir sind die Nacht (R: Dennis Gansel)
© 2010 Constantin Film Verleih GmbH
Wir sind die Nacht (R: Dennis Gansel)
Wir sind die Nacht (R: Dennis Gansel)
Wir sind die Nacht (R: Dennis Gansel)


Wir sind die Nacht
(R: Dennis Gansel)

Deutschland 2010, Buch: Jan Berger, Story: Dennis Gansel, Kamera: Torsten Breuer, Schnitt: Ueli Christen, Musik: Heiko Maile, Production Design: Matthias Müsse, Art Direction: Ralf Schreck, Kostüme: Anke Winckler, mit Karoline Herfurth (Lena), Nina Hoss (Louise), Jennifer Ulrich (Charlotte), Anna Fischer (Nora), Max Riemelt (Kommissar Tom Serner), Waléra Kanischtscheff (Wasja), 95 Min., Kinostart: 28. Oktober 2010

Pünktlich zu Halloween jetzt mal ein deutscher Vampirfilm, der sich mit ausschließlich weiblichen Vampiren befasst, die in der Clubszene Berlins ein hedonistisches Luxusleben frönen. Die Anführerin Louise (Nina Hoss) ist schon seit Jahrhunderten dabei, der ehemalige Stummfilmstar Charlotte seit den 1920ern, und das quirlige Partygirl Nora (Anna Fischer) stammt aus der Ära der Loveparades. Louise, die für Männer wenig übrig hat, ist schon länger auf der Suche nach einer neuen Auserwählten und macht die rotzig-aggressive Kleinkriminelle Lena (Karoline Herfurth) ausfindig, aus deren Perspektive der Zuschauer das Damen-Trio besser kennenlernt. Da Drogen, Sex und durchtanzte Nächte für die Vampirinnen keine Konsequenzen mit sich bringen, und man bestens auf Eventualitäten vorbereitet ist und sich jeden erdenklichen Luxus wie nächtliche Shopping-Ausflüge, Nobelschlitten und Gala-Hotelzimmer leisten kann, lernt Lena zunächst eine gänzlich andere Welt kennen, die aber, wie sich schnell zeigt, weitaus asozialer ist als ihr heruntergekommenes früheres Leben. Und nach zwei kurzen und eher zufälligen Begegnungen mit dem jungen Polizeikommissar Tom (Max Riemelt) ist die Sehnsucht in Lena geschürt (eine Spur interessanter als in Twilight, aber ungeachtet des höheren Blutfaktors schon mit einem ähnlichen Zielpublikum im Auge), und die Konfliktsituationen (inklusive einiger Polizeigroßeinsätze) entwickeln sich wie von selbst.

Für einen deutschen Film ist das Ganze erstaunlich souverän, doch die vermeintliche Kritik am Hedonismus der Blutsaugerinnen verpufft ein wenig, weil fast alles im Film über Oberflächenreize gesteuert ist. Die Romanze zwischen Lena und Tom ist mehr behauptet als nachvollziehbar (immerhin dürften beide schon etwas mehr Lebenserfahrung haben, um sich wie 13jährige auf den ersten Blick in das extreme Gegenteil zu verschauen), die Liebe Louises zu Lena leidet stark am zu kräftigen Make-Up der beiden Frauen (Karoline Herfurth ist im ersten Drittel des Films noch stärker auf heruntergekommen geschminkt als in Vincent will meer und Nina Hoss stehen die Rollen bei Christian Petzold meines Erachtens viel besser als die mondän bis vulgär aufgetakelten Frauen, die sie für Constantin spielen darf (Das Mädchen Rosemarie, Elementarteilchen und Anonyma fallen mir da auf Anhieb ein)).

Die Effekte und teilweise auch die Dialoge sind ganz gelungen (wenn auch manchmal ziemlich menschenverachtend), aber die Actionsequenzen insbesondere zwischen Polizei und Vampiren im letzten Drittel des Films wirken ziemlich aufgesetzt, weil die Allmacht und die Ohnmacht der Frauen ganz auf Passform des Plots zugeschnitten ist (insbesondere, wenn man im Nachhinein darüber nachdenkt, wie geradlinig das Drehbuch die Schicksale der Vampirinnen »sortiert«).

Filmisch interessante Aspekte wie das Jahrhunderte zurückgreifende Fotoalbum oder Charlottes Backstory werden manchmal etwas sträflich in die Ecke abgeschoben, dann aber wieder protzig in den Mittelpunkt gezerrt (wie das Thema Sonnenlicht oder die seltsame 360°-Projektion des umständlich bearbeiteten Dr. Mabuse-Schnipsels, den aber doch kaum jemand erkennen wird), dass man den Eindruck bekommt, der Regisseur konnte sich nicht recht zwischen Kunst und Kommerz, zwischen Message und Action entscheiden.

Ähnlich wie in einigen modernen Zombiefilmen nutzt man übrigens aus der Mythologie des Genres, was einem gefällt, aber das Wort »Vampir« fällt meines Erachtens im Film nicht ein einziges Mal (und auch aufs Pfählen und den Knoblauch verzichtet man).

Regelrecht schrecklich ist die Filmmusik, wenn es englischsprachige Texte gibt und man den Fehler macht, darauf zu achten (»I didn’t wanna hurt you, but you’re pretty when you cry [...] I didn’t wanna fuck you [usw.]« hört sich an wie eine Ode an die russischen Zuhälter, die man zuvor als geeignete Blutopfer durch den Kakao zog).

Der schaurig-schönste Moment des Films war aber der Anfang. Während sich zu Beginn des Vorspanns die verschiedenen Fördergremien auf der Leinwand abwechseln, singt eine Frauenstimme immer wieder »self-fulfilling prophecy« - als wenn der Erfolg des Films sich schon über die gelungene Acquisition von Fördergeldern vorankündigt - was leider bei Constantin recht häufig der Wahnsinn mit Methode ist. Und Wir sind die Nacht wird sein Geld ziemlich sicher einspielen, völlig unabhängig von jenem einen Detail, dass man laut Presseheft und Regisseur »nicht oft genug betonen kann« - weshalb ich darauf gänzlich verzichte.

Zu Halloween scheint es übrigens keine direkte Gruselfilm-Konkurrenz zu geben (Jackass 3D ist zwar auch gruselig, aber aus anderen Gründen). Momentan gibt es erstaunlicherweise trotz teilweise einem guten Dutzend neuer deutscher Kinostarts jede Woche nur exakt einen Horrorfilm (als wenn laut Marktforschung die entsprechende Klientel jede Woche exakt einmal ins Kino geht), zuletzt The Last Exorcism (30.09.), L. A. Zombie (7.10., wahrscheinlich nur sehr eingeschränkt außerhalb Berlins), Piranha 3D (14.10.) und Scar 3D (21.10.). Buried (dt. auch Lebendig begraben) folgt dann am 4. November, doch es wirkt schon ganz so, als wenn die Konkurrenz bereitwillig weiträumig Platz gemacht hat. Ob aus Respekt oder Furcht, sei dahingestellt.

Übrigens: Wer zu Halloween günstiger ins Kino will: Es gibt gerade eine Kinogutschein-Aktion von Cine-Star mit Duplo, Hanuta, Kinder-Country etc. (noch gültig bis Februar). Am geschicktesten kauft man sich für unter einem Euro eine Tafel Kinder-Schokolade (aber darauf achten, dass auch ein Gutschein dabei ist!) und kann dann zum Kino-Tag-Preis auch am teuren Wochenend einen Film schauen (3D ist aber ausgenommen, und wenn man erst kommt, wenn das Kino rappelvoll ist, hat man Pech gehabt). Und die Schokolade nicht selber futtern, sondern natürlich den verkleideten Kindern spendieren. Wenn die bei euch klingeln, wenn ihr gerade im Kino seid, werden halt die Wände verschmiert ;-)