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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




5. November 2020
Thomas Vorwerk
für satt.org


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Mai 2020 plus


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Woche um Woche konnte ich meine guten Vorsätze nicht umsetzen, am schlimmsten war dabei, wenn ich gefühlt an mindestens sechs Wochenenden in Folge voran kommen wollte mit dem geplanten Special über Graphic Novels für Kids und Young Adults bei DC. Aber irgendwann musste ich einsehen, dass schon der Umstand, dass ich es nicht schaffte, einige davon nur zuende zu lesen, ausreichend über ihre zu hoch eingeschätzte geringe Relevanz aussagte.

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  Stepping Stones

Stepping Stones

Writer, Artist, Colorist, Letterer & Cover: Lucy Knisley; Random House; VÖ: 05.05.2020 (Woche 19); $ 12,99

Die eine andere Graphic Novel für Young Adults, die nicht von DC Comics stammt und die ich auch in diesem Zeitrahmen las (Laura Dean Keeps Breaking Up with Me von Mariko Tamaki und Rosemary Valero-O'Connell, etwas aus dem Rahmen gefallen, weil schon über ein Jahr alt), schaffte den Qualitätssprung über das DC-Gros hinweg ebenfalls spielend. Was schon auch ein Urteil ist, denn auch, wenn man sich in diesem zweiten [Nachtrag: geplanten] batch von DC-Publikationen schon deutlich von der Superhelden-Vorgabe und den bereits etablierten Figuren entfernt, so prägen bestimmte Erzählmuster (brauchen junge Leser unbedingt Kapiteleinteilungen?) die DC-Werke schon allgemein recht deutlich. Und wenn man seine Lektüre nicht immer in festgelegten Vorgaben zu sich nehmen will, wirkt sich das nicht zum Vorteil aus. Das für drei Eisner-Awards nominierte Laura Dean Keeps Breaking Up with Me ist etwa deutlich länger als jedes der anderen Werke hier, bedarf keiner Kapiteleinteilungen, weil etwa ich für meinen Teil es viel schneller durch hatte als jedes der DC-Werke, bei denen ich mich zum Teil erst im dritten Anlauf durchbeißen konnte ... und wie schon in Harley Quinn: Breaking Glass (immerhin von DC, ist ja nicht automatisch alles schlecht ;-) ) schafft es Autorin Tamaki, sich fest im LGTBQ-Genre zu verorten (im ganzen Buch kommen kaum männliche Figuren vor), aber sich nicht an den üblichen erzählerischen Konventionen (gay-bashing, coming-out, erste Liebe) abzuarbeiten, sondern einfach eine Geschichte zu erzählen, die nur eben nicht hetero-normativ eingefriedet ist. An dieser Stelle trotz ausgefallener Rezi sehr ans Herz gelegt!

Aber zu Stepping Stones, einem Werk, auf das ich nur durch den vorerst verschobenen Free Comic Book Day aufmerksam wurde, weil das »Schnupper-Heft« zum Anködern semi-legal in einer Comic-Kiste beim Dealer meines Vertrauens herumstand, ich es für lau mitnehmen durfte - und ich mir den Softcover nur wenige Tage später bestellte, weil Tonfall und Zeichenstil mich überzeugt haben, auch wenn das Sujet nicht unbedingt zu meinen bevorzugt verschlungenen Lektüren gehört. (Hinweis: Offiziell erschien das FCBD-Heft jetzt am 29. Juli noch mal.)

Denn wenn man ganz besonders fies sein will, könnte man behaupten, dass diese Patchwork-Familienzusammenführung zwischen zweieinhalb jungen Mädchen nicht meilenweit von Bibi & Tina, Hanni & Nanni und vergleichbaren best friends-Geschichten entfernt ist, die ich beispielsweise auf der Kinoleinwand (nicht vergessen, als Filmkritiker kann ich die allermeisten Filme für lau sehen) ganz gezielt vermeide.

Aber Stepping Stones erzählt eben nicht so eine weichgespülte Konfektionsware, sondern gerät nur in diese Schublade, weil Kinder (ob männlich oder weiblich) in einem bestimmten Alter halt auf der Suche nach Gleichaltrigen und Gleichgesinnten sind, und sich daraus selbst bei den widrigsten Umständen Freundschaften fürs Leben entwickeln können (an dieser Stelle Grüße an meinen besten Freund aus Klasse 1-8, Ralf Honsbrok, den ich allerdings nach einem Umzug doch irgendwann aus den Augen verloren habe - obwohl mein Bruder seit Jahrzehnten in der selben Firma wie er arbeitet).

Ein kurzer Schlenker zur Autorin Lucy Knisley, die aus Stepping Stones vielleicht eine ganze Reihe machen will - aber eben nicht primär, weil sie so weitere Werke zu ihrer Bestseller-Karriere addieren kann, sondern ...

[Kunstpause]

... weil ihre Bücher sich durch einen deutlichen autobiographischen Hintergrund hervorheben. Es ist schon ein paar Wochen her, als ich neugierigerweise mal checkte, wie sie zu einer Bestseller-Autorin wurde (bei den DC-Young Adults-Werken übrigens fast schon eine Vorgabe). Es ging glaube ich mal mit einem illustrierten Rezeptbuch los, dann ging es (ich weiß nicht mehr, in welcher Reihenfolge) um eine Hochzeit und eine Schwangerschaft, jeweils halt auf ihre eigenen Erfahrungen gestützt und durch ihr graphisches Talent ebenfalls geprägt. Diese Frau schreibt über Dinge, die sie betreffen, und bei denen sie sich auskennt. Und sie nutzt dabei Fähigkeiten, die sie besonders auszeichnen. Aus meiner Sicht hat sie es verdient, massenhaft Bücher abzusetzen (auch, wenn ich mir ihren back catalog noch nicht zusammengekauft habe).

Am Ende von Stepping Stones liefert sie somit auch die notwendigen Daten, damit man sich als LeserIn den autobiographischen Hintergrund des Buches ausklamüsern kann.

Aber für mich fast noch spannender ist es, wie das Wesen der Lucy Knisley (im Buch heißt die entsprechende Figur Jen) sich im Verlauf der Erzählung offenbart. Denn auch Jen zeichnet gern und mag Comics. Und diese Merkmale prägen die Geschichte. Jedes Kapitel (Kapitel sind ja nichts an sich Schlechtes, ich mag es nur nicht, wenn bestimmte Editoren ihre Autoren auf bestimmte Erzählmethoden festtackern) beginnt hier mit einer der Natur nachempfundenen etwas kindgerechten Zeichnung von größtenteils Tieren, die das jeweilige Kapitel prägen. Und damit hat man gleich eine Verbindung von der Figur im Comic und der Zeichnerin dahinter. Das mag für junge LeserInnen kein entscheidender Punkt sein, wird aber auch hier einen unbewussten Zusammenhang zwischen Hauptfigur und Erzählerin herstellen.

Stepping Stones

© 2020 Lucy Knisley. All rights reserved.

Jen ist ein Stadtkind, dass durch den neuen Partner ihrer Mutter in ein Landleben gedrängt wird. Zunächst stellt sie Listen auf, was sie alles vermisst aus ihrem Stadtleben und verabscheut am Landleben, doch schnell entdeckt sie über kleine Katzen, Küken, um die sie sich kümmern soll und generell das omnipräsente Wunder der Natur ihre Wertschätzung für die Natur, die natürlich im Stadtleben eine deutlich geringere Rolle spielen würde.

Ihr Stiefvater Walter kommt zu Beginn nicht besonders gut weg, und als der auch noch seine Kinder aus eine früheren Beziehung anzuschleppen trachtet, wird Jens Erzählung plötzlich zu einem Comic im Comic, der deutliche Züge eines Archie-Comics hat (Jen selbst spielt aber auch eine Rolle darin), ehe Walters Stimme sich quasi in den Comic hineindrängt und plötzlich aus dem Archie-Comic ein Aschenputtel-Märchen wird (inkl. hässlicher bösartiger Stiefschwestern). Die langsam entstehende Freundschaft zwischen den zusammengewürfelten Kindern ist zunächst geprägt von unterschiedlichen Stärken und Schwächen, unterstellten Vorlieben der jeweiligen Elternteilen und einer daraus entstehenden Konkurrenzsituation.

Doch das legt sich langsam, und Jen reflektiert bereits als Kind in kleinen Comic-Passagen die ihr zunächst ungerecht erscheinenden Situationen. Für die reiferen LeserInnen spiegelt sich damit quasi die Kindheits-Jen und ihre Situation mit der späteren Autorin Knisley, die somit aus ihrer Kindheit gelernt hat.

Da das alles aber nicht nur kunstfertig daher kommt, sondern immens unterhaltsam ist, gehört Stepping Stones für mich schon jetzt zu den großen Comicentdeckungen des Jahres. Dass Lucy Knisley auch noch einen tollen Zeichenstil hat, schadet auch nicht.

Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich auch mal einige ihrer früheren Werke antesten werde, auch, wenn das vielleicht nicht alles Comics sind, sondern anders gewichtete Kombinationen von Wort und Bild.


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  Daredevil #20

Daredevil #20

Writer: Chip Zdarsky; Artist: Paco Medina; Colorist: Jesus Aburtov; Cover: Nick Bradshaw; Letterer: VC's Joe Caramagna; Marvel Comics; VÖ: 10.06.2020 (Woche 24); $ 3,99

Miller, Waid, Brubaker. Wenn man eine bekannte Comicserie übernimmt, muss man sich an den Vorgängern messen. Man erhält eine reiche Auswahl an Nebenfiguren und Antagonisten, aber wenn man sich durchsetzen will, ist es oft notwendig, sich auf das erzählerische Fundament zu besinnen, um die Serie »neu zu erfinden« bzw. zumindest einen neuen spin zu entwickeln, der den potentiellen Lesern das Gefühl gibt, warum es notwendig ist, nach Hunderten von Heften den doch oft repetetiven Abenteuern dieser Figur eine weitere Chance zu geben, einen zu begeistern. Oder wenigstens adäquat zu unterhalten, irgendwie zu packen.

Chip Zdarsky, der seine Karriere als Zeichner begann (er beendete gerade seinen Run von Sex Criminals, dessen Beendung durch seine zweite Karriere als Autor einige Jahre auf sich warten ließ), wird gewusst haben, dass Daredevil als Serie eine gewisse Fallhöhe mit sich bringt, für die man sich schon etwas überlegen muss. Und so beginnt er mit einer neuen Figur, dem knallharten Polizisten Cole North, der extra aus Chicago kam, um sich - ganz wie Zdarsky - in die Geschichte einzuschreiben - nur weniger in die Comicgeschichte als in die Polizeigeschichte New Yorks.

Daredevil, der zuletzt psychisch gebrochen wurde, hat sich neu gestählt, steigt quasi »neu« in seine Berufung als Verbrechensbekämpfer ein, wobei der Umstand, dass »Kingpin« Wilson Fisk aktuell der New Yorker Bürgermeister ist, diesen Job nicht einfacher macht.

Und in Heft #1 erlebt man nicht nur, wie Daredevil - ähnlich wie in Miller / Mazzuchellis Batman: Year One - einige Anfängerfehler macht, aus einem Kampf mit drei Einbrechern, der nicht ganz so routiniert abläuft, wie man es von Daredevil erwarten wird, erwächst auch der narrative Kniff, der die ersten gut zwanzig Hefte des Neustarts antreibt: einer der Täter verstirbt im Krankenhaus.

»It was Fisk. It has to be.«

Natürlich geht Daredevil, zusammen mit den Lesern, erst mal davon aus, dass er durch eine Intrige ausgetrickst werden soll - doch wie wäre es mal damit, wenn der als roter Teufel gekleidete Vigilant tatsächlich jemanden - wenn auch ohne Absicht - getötet hätte? Und der in einem anderen Leben als blinder Rechtsanwalt tätige Matt Murdock mal tatsächlich jene Schuld-Szenarien durchleben muss, die auch zum Kern des katholischen backgrounds der Serie gehören.

An Zdarskys Seite steht für einen Großteil seines Runs das junge Zeichentalent Marco Checchetto, der mich an Rafael Albuquerque (Prodigy, Hidden Society, Batgirl) erinnert. Nur nicht so verspielt, sondern, passend zum Sujet, so bierernst wie die vernarbte Schlaghand eines Boxers.

Mit dem zusammen spielt Zdarsky schon im ersten Heft (für das er auch einen selbstgezeichneten Vierseiter liefert) narrativ-visuell mit der speziellen Wahrnehmung des »Radarsinns« und anderer Superkräfte, die ermöglichen, dass ein blinder Held sich mit anderen Figuren des Marvel-Universums messen kann (übrigens sind auch die Cover von Julian Totino Tedesco ein echter Augenschmaus). In Heft #1 ist besonders unerwartet, dass Zdarsky sich die Zeit nimmt, die Geschichte mit einem one-night-stand zu beginnen, mit einer weiblichen Figur, die vermutlich nie wieder eine Rolle in der Daredevil-Geschichte spielen wird, für deren back story sich Zdarsky aber viel Zeit nimmt. Was die Erwartungen der Leserschaft auf dem falschen Fuß erwischt. Ähnlich wie der verzögerte Twist des Einstiegsheftes.

Und schon am Ende des zweiten Heftes sieht es ganz so aus, als ob Cole North tatsächlich eine größere Rolle einnehmen wird, als man annahm. Zdarsky kennt sich mit dem Einsatz von cliffhangern beim narrativen time management aus, und er spielt auf sehr unterhaltsame Art damit, etwa, wenn der Kingpin schon von einem Problem für Matt erfahren hat, wenn zwar ein Monat zwischen zwei Heften vergangen ist, in der eigentlichen Geschichte aber nur wenige Sekunden. Das gibt der Serie teilweise eine unglaubliche Geschichte.

Daredevil #3

Daredevil #3 © 2019 Marvel

Eine Marvel-Figur, deren Auftritte beim Daredevil immer interessanten storylines führte, ist der Punisher, der auch recht früh in der neuen Serie bemüht wird, weil die Einbeziehung in die neue Richtung unseres Helden sich einfach aufdrängt. Oder, wie es in den Gedanken von Daredevil heißt:

»O God. The Punisher ... a man who murders criminals without remorse ... he thinks I'm -- he thinks I'm turning into him

Daredevil #4

Daredevil #4 © 2019 Marvel

Von den Netflix-Serien habe ich genügend mitbekommen, um zu verstehen, dass Zdarsky deren Zuschauer gern übernehmen würde. Aber was in Heft #5 eine wirkliche hübsche Verneigung an die Marvel-Comicgeschichte ist, ist ein Gastauftritt von Spider-Man, der einen wichtigen Punkt in seiner eigenen Geschichte nun an der Seite von Matt Murdock »begleitet«. Da funktioniert der emotionale Punch an dieser Stelle gleich viel besser.

Bei der zweiten Storyline ab Heft 6 (»No Devils, only God«) pausiert Checchetto, und Lalit Kumar Sharma springt ein, der hier etwas unter den Fähigkeiten bleibt, die er später in Firefly (auch fest eingeplant in meiner 20er-Serie) zeigen wird. Oder vielleicht ist dies einfach nicht sein Sujet.

Die Skripte der folgenden vier Hefte sind durchweg gelungen, Zdarsky beschäftigt sich über lange Dialoge mit interessanten Themen, arbeitet auf unterhaltsame Weise mit Parallelmontagen, aber ohne Checchetto ist es einfach nicht dasselbe, sorry! Wenn dann für Heft 10 Jorge Fornés einspringt, der auf mehreren Seiten ein Flair von David Mazzucchelli mit sich bringt, ist die Serie gleich wieder ein deutlich größeres Vergnügen. (Und Nebenfigur Mindy ist - im positiven Sinn - kaum wiederzuerkennen.)

Daredevil #10

Daredevil #10 © 2019 Marvel

Für den Acht-Teiler »Through Hell« ist Checchetto dann wieder da, und alles ist shiny. Auch wenn Zdarsky mittlerweile einen Trend zum Gaststar des Monats entwickelt hat (u.a. mit Reed Richards, Elektra oder Spider-Man), hat er die langfristige Storyline gut im Griff, sein Daredevil gehört nicht zu den Serien, bei denen man vier Wochen nach dem letzten Heft unzählige Nebenplots fast schon wieder vergessen hat. Obwohl er beispielsweise den Trend, dass mehrere New Yorker sich jetzt in Daredevil-Verkleidung für die Erhaltung des Rechts einsetzen, erfreulich sparsam einsetzt.

Besonders schön ausgearbeitet wird, wie der aktuelle und ein früherer Bürgermeister von New York (also Wilson Fisk und Matt Murdock) beide versuchen, neue Wege zu bestreiten, als Zivilperson ihre gewalttätige Vergangenheit in unterschiedlichem Maße zurückzulassen, dabei jeweils an zentraler Stelle den Satz »I'm in control« (wobei man hier und da bezweifeln kann, ob das wirklich stimmt), und sie dabei eigentlich gegen die selben Feinde kämpfen. Auch bei Neuzugang Cole North gibt es Parallelen in dem wogegen er ankämpft, und diese sehr unterschiedlichen Protagonisten werden mit fast gleichem Fokus zu »Helden« der Serie, die eigentlich zusammen am selben Strang ziehen sollten. Aber gerade dadurch, dass dies nicht so ohne weiteres geschieht, entsteht zusätzliche Spannung.

Für die Gegenspieler hat Zdarsky längst nicht so viel Zeit übrig (was in Ordnung ist), am Rande geht es dann eher um unterschiedliche »innocent bystanders«, die gerade für Cole und Matt wichtig sind und deren Entscheidungen prägen. Dabei gibt es auch viele Actionsequenzen, aber sie sind subtiler eingebaut als bei den meisten anderen Marvel-Autoren, die die selben generellen Vorgaben befolgen.

»Through Hell« ist aufgeteilt zwischen Checchetto und Jorge Fornés, der fast die zweite Hälfte, nämlich drei Hefte am Stück erhielt. Was übersetzt bedeutet, dass die ersten zwanzig Hefte dieser Serie mit vier Heften von Lalit Kumar Sharma, vieren von Jorge Fornés und 12 von Marco Checchetto zu achtzig Prozent großartige Zeichner hat (das Annual ignoriere ich mal, weil es nach der #20 erschien und auch nur zu krummen Prozentzahlen führt ;-) ). Was kaum eine ongoing series jemals hinbekommt. Gemeinsam mit einem mehr als fähigen Autoren kann der aktuelle Daredevil-Run somit tatsächlich mit den anfänglichen Meistern Brubaker und Miller mithalten (den Waid-Run habe ich noch nicht gelesen, aber den schätze ich generell nicht so hoch ein).

Zum Höhepunkt des etwas ausgeweiteten Handlungsstrang der ersten zwanzig Hefte liefert Zdarsky mit Checchetto zwar etwas mehr straighte Action, noch dazu mit Antagonisten wie Rhino oder Stilt-Man, die wieder den Konventionen des Marvel style Superhelden-Comics entsprechen (und zwar aus einer vergangenen Dekade), aber entsprechend der Gewichtung über zwanzig Hefte ist das komplett in Ordnung, als Daredevil-Fan seit gut drei Jahrzehnten kann ich auch kaum behaupten, dass ich generell gegen Kampfszenen bin (auch, wenn ich die früher höher eingestuft habe als heutzutage).

Daredevil #19

Daredevil #19 © 2020 Marvel

Und Ausgabe #20 hat einen Cliffhanger, wie man ihn selten erlebt hat. Die Story wird weitergeführt, aber auf einem gänzlich anderen Level.

Normalerweise fokussiere ich in meinen 20er-Specials mehr auf das eigentliche Jubiläums-Heft, aber in diesem Fall ist es weder, strictly speaking, repräsentativ für den gesamten Run, noch will ich von diesem ganz auf Action konzentrierten Spektakel die zahlreich eingestreuten Handlungsstränge kaputtspoilern. Und deshalb belasse ich es mal mit einem stellvertretenden Panel, der es fast in der selben Form auch schon aufs Cover geschafft hat. Und der einem alten Marvel-Mantra entspricht...

Daredevil #20

© 2020 Marvel

'Nuff said.


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  The Low, Low Woods #5

The Low, Low Woods
#5 (of 6)

Writer: Carmen Maria Machado; artist: Dani; cover: Sam Wolfe Connelly; colorist: Tamra Bonvillain, letterer: Steve Wands; curator: Joe Hill; DC Comics; release date: 26.05.2020 (week 22); $ 3,99

Sometimes it's completely sensible to do some binge reading. Because the monthly publication of comics tends to make you forget tiny details (even if writers do their best to help you remember on a monthly basis). I've read most first issues of Hill House Comics immediately when they came out, but here I felt the need to read up only with issue #5. No idea why.

Issue #1 was a bit confusing but interesting. I wasn't a immediate fanboy for the art of Dani (Coffin Bound), but with every issue I grew more fond of it. In the first few issues a lot of mysterious secrets are introduced, the series had (narratively as well as visually) a very similar feeling to King of Nowhere, it is just even creepier. But in a decidedly good way.

In issue #3 writer Carmen Maria Machado (respectively her narrator) makes some fun of herself:

»I know what you're thinking. Deus ex machina. Witches and potions to fix our problems? Seriously?«

But with this issue I learned to love that series (and i don't use that verb as inflationary as some). Not only because of that very intriguing witch miles away from most of the clichés connected to this horror subgenre, but mostly because everything started to click. Like a line of domino tiles falling down faster and faster, harder and louder. And in issue #5, »The Witch's Tale« is told. The dark secret brooding under the surface of the mining town »Shudder-to-think« is now pronounced. What you had suspected is affirmed. And what you didn't understood now has some sense that was only hidden well. The bad aftertaste and that lingering burning smell overwhelm you.

The Low, Low Woods #5

© Carmen Machado 2020. All rights reserved.

Dramaturgy-wise Machado now delivers everything only hinted at before (which turns out very satisfying) and builds up for the last cliffhanger followed by an intriguing showdown (at least everything looks that way at this point).

Well, I've read issue #6, too. And it was not only pretty dramatic as a conclusion, it also rang very true to everything I had read before.

»It isn't that no one belived us. It's worse. They knew.«

There's a deep trait in the horror genre that is - unfortunately - not explored as often as I would like, and from the top of my head I can't think of a more satisfying example for feministic horror. Kimberley Pierce's movie Boys don't cry wasn't as clearly grounded in the categories »horror« and »feminism«, but filled me with a deep disgust in my own sex. The Low, Low Woods succeeded in putting me into the female frame-of-mind instead. Which is a distinctively different experience. Not as intense, but more positive in all its repercussions.

»We'll take the victories when we get them.«

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  The Dreaming #20

The Dreaming
#20 (of 20)

Writer: Simon Spurrier; Artist: Bilquis Evely; Colorist: Mat Lopes; The Dreaming created by Neil Gaiman; Letterer: Simon Bowland; Cover: Yanick Paquette; DC Comics; VÖ: 05.05.2020 (Woche 19); $ 3,99

The Dreaming war eine Comicserie, die 2018 ganz zentral zu meiner Rückkehr zu den Comics geführt hat. Immerhin war The Sandman #14 einst die Einstiegsdroge für meine spätere Vertigo-Vorliebe, zu Neil Gaimans magnum opus habe ich eine Seminararbeit und später meine Magisterarbeit geschrieben. Und selbst in kargen Zeiten berichtete ich immer mal wieder gern für satt.org über Sandman-Comics.

Zwar war mir von Anfang an klar, dass das »Sandman Universe« für Gaiman nur eine willkommene Einladung war, für seinen bloßen Namen von DC bezahlt zu werden, doch hoffte ich, dass zumindest diese Serie im ungünstigsten Fall an die alte Dreaming-Serie heranreichen würde, die wie eine Anthologie aufgebaut war und unterschiedlichen Zeichnern und Autoren immer mal wieder die Chance gab, sich auf Gaimans narrativem Abenteuerspielplatz auszutoben.

Und vielleicht würden Simon Spurrier und Bilquis Evely mich ja als neue Stimmen eines für mich fast verstummten Mediums verzaubern können...

Der erste Sechsteiler stach dadurch hervor, dass der (nicht mehr sooo) neue Sandman Daniel sich erstmal größtenteils aus dem Heft verabschiedete (»Emptiness has replaced certainty«), während Bibliothekar Lucien etwas in den Mittelpunkt rückte und die neuen Figuren Dora (eine geheimnisvolle und längst nicht so verhuschte Variation von Nuala, wenn man mich fragt) und Judge Gallows neue Impulse liefern sollten. Das Kernproblem war dabei, dass The Dreaming, der Ort, in dem Träume entstehen zu vergehen drohte (ein Handlungsfaden, den Neil Gaiman deutlich subtiler und interessanter umzusetzen wusste).

Gerade Judge Gallows (eine Art mörderischer Diktator) fand ich enttäuschend, weil alles um ihn herum so konservativ (um nicht zu sagen ausgelutscht) wirkte (auch, wenn man auf dem Cover von Heft #5 irgendein Fachmagazin namens AiPT! wie folgt zitiert: »Judge Gallows may be the scariest villain introduced this year!«). Bis Heft 6 hielt ich aber durch (nicht zuletzt, weil Bilquis Evely eine verdammt interessante Neuentdeckung ist), und dann kam eine wirklich positive Überraschung.

In drei Heften von der Gastzeichnerin Abigail Larson (die mich an Teddy Kristianson erinnerte) knüpft Simon Spurrier an die erste stimmig wirkende längere Sandman-storyline von Neil Gaiman an, The Doll's House. Und mit einer unerwarteten Love-Story (man erinnere sich an die Geschichte von Morpheus und Nada) gelingt es Spurrier hier, tatsächlich alte Zeiten wiederaufleben zu lassen. Und das mit einer erstaunlichen Gutmütigkeit, einer laissez faire-Mentalität (»You can't be expected to remember every little thing.«).

The Dreaming #7

The Dreaming #7: © 2019 DC Comics. All rights reserved.

Ein mittelgroßes Problem mit der Zeichenkunst von Abigail Larson ist nur, dass die hier dargestellte Person (ich werde mal darauf verzichten, ihren Namen zu erwähnen) für mich keineswegs wie eine 22jährige aussieht, wie es nebenbei erklärt wird. Aber vielleicht wurde ich seinerzeit zu sehr von Mike Dringenberg verwöhnt (neben Debbie Drechsler der andere großartig vielversprechende Comickünstler, der sich leider für eine andere Karriere entschied).

Autor Simon Spurrier hat manchmal wirklich große Momente, wie hier:

»Oh sure, he smiled.
He smiled like a kid who'd read every textbook there was,
finally sitting down to dissect a frog.
Nervous.
Scared.
Fascinated.
Slo-o-o-o-owly realizing it wasn't gonna be as tidy as the diagrams.
And excited as all hell about it.«

(Man muss wissen, worum es in diesen Sätzen geht, um die genialische alltägliche, gruselig-emotionale Poesie darin zu erkennen.)

Ein Eindruck, der sich über die volle Länge der Serie hält, ist folgender: Spurrier hat ein Talent dafür, die Erinnerung an Neil Gaiman aufrecht zu erhalten. Dabei greift er weniger als in der früheren Dreaming-Serie auf die Figuren aus The Sandman zurück, sondern durchaus mal auf Story-Themen (Natur und Macht von Geschichten, Suche nach einem der Endless) oder sogar technische Erzählkniffe (»stories within stories«, Leserichtung und Orientierung des Comics schlagen ins Querformat um, wobei die Komplexität einer Reise demonstriert wird). Bilquis Evelys graphisches Talent und das von Todd Klein inspirierte Lettering können dabei Spurriers Bemühungen hervorragend unterstützen.

Die zahlreichen Figuren-Neuschöpfungen, die Spurrier dabei bemüht, können aber mit Ausnahme von Dora (an die man sich als Protagonistin schnell gewöhnt), Long Lugs (eine tolle »Wegwerf-Figur«, an die man sich noch lange vage erinnern wird) und einer gewissen »Motte« (die wie Gaimans Kreationen an bestehende Mythologien anknüpft) nicht an selbst geringere Schöpfungen und DC-Neuinterpretationen Gaimans heranreichen. Womit Spurrier seine Serie jedoch wirklich bereichern kann, ist ein bestimmter Humor, der einen klaren Mehrwert darstellt.

The Dreaming #10

The Dreaming #10: © 2019 DC Comics. All rights reserved.

Zwischenzeitig gelingt es Spurrier dabei aber immerhin, zum großen Schöpfungsmysterium hinter Gaimans opus magnum beizutragen. Wie sein alter ego Dora reißt Spurrier mit sanfter Gewalt für Passagen die Geschichte an sich und drückt ihr seinen Stempel auf. Die drumherum entstehenden Risse im Gefüge des »Sandman-Universums« sind dabei nicht nur gestattet, sondern gewollt. Sie knüpfen an die Anfänge des Sandman an (Heft #1 bis #8), so wie Spurrier an anderen Stellen auf andere Bestandteile von Gaimans Werk rekurriert. Aber in einer Art und Weise, die nicht wie in der Dreaming-Anthologie bloß versucht, die Geschichte weiterzuerzählen. Spurrier versucht deutlich mehr, und auch, wenn ihm dies nur in Ansätzen gelingt (den Abschluss nach zwanzig Heften laste ich eher ökonomischen Entscheidungen an), ist diese Serie eine Art Meilenstein bei den Versuchen, auf Gaimans Erfolg aufzubauen.

Das wiederkehrende Thema der zweiten Hälfte der Serie ist »The Wane«, quasi die Kulmination of all things Gaiman. Kleine Gottheiten, Meerjungfrauen usw., an die immer weniger Menschen glauben, drohen sich in Luft aufzulösen (hübsch umgesetzt mit Wikipedia-Einträgen, die immer kürzer werden). Das war nicht nur bereits beim Sandman ein beliebtes Thema von Neil Gaiman, es zieht sich auch durch seine Romane, vor allem bei American Gods und Anansi Boys. Daraus in Heft #13 (art by Dani, an anderer Stelle in dieser Ausgabe vertreten) eine wöchentliche Selbsthilfegruppe zu machen, erinnert mich schon stark an die »Cereal Convention« bei Gaiman, dies ein gutes Beispiel dafür, wie Spurrier auf Gaiman aufbaut.

Heft #14 (Zeichnungen von Matías Bergera) ist vielleicht mein Lieblingsheft und zeigt mit einer fast in sich abgeschlossenen Geschichte um einen Wettstreit mit einem Dämon (remember A Hope in Hell, Sandman #4?), wie Spurrier durch Einzelhefte den allumfassenden plot vorantreibt. Dora sah übrigens nie zauberhafter aus als in dieser Ausgabe.

Dann folgt ein Vierteiler um Wan, die bereits erwähnte »Motte« und den »new Lord of the Dreaming«, wobei Spurrier auch fortfährt, die Beziehung zwischen Cain und Abel genauer zu untersuchen. Noch eine Sache, die Spurrier als wieder kehrndes Motiv einfließen lässt (gab's auch bei Gaiman, aber nicht so auffällig): zeitgenössische Technologien im starken Kontrast zu den uralten Mythologien, die diese Geschichten prägen.

The Dreaming #15

The Dreaming #15: © 2019 DC Comics. All rights reserved.

Im Nachhinein begreife ich, dass die Beendung der Serie wohl doch geplant war, wenn Spurrier in Heft #17 eine Art narratives Mantra überdeutlich wiederholt: »It's a quirk of narrative that things often accelerate before they stop« Als Leser erkennt man zunehmend, wie die Handlungsfäden sich verdichten, zwischen scheinbar völlig voneinander unabhängigen Geschehnissen gut geplante Zusammenhänge auftauchen, und er zum Schluss das Tempo gehörig anzieht, wie bei einem filmischen Showdown mit lauter Parallelmontagen (und es ist sehr hilfreich, dass ich die letzten zehn Hefte ziemlich schnell hintereinander las)

Zwischendurch noch ein hübsches Beispiel für Spurriers oft befreienden Humor: Er sitzt dazwischen, während ihm lieb gewordene Figuren um ihr Leben kämpfen, schwingt sich dann aber unvermittelt auf seine Flügel und kommentiert emotionslos »Fuckin' weirdos.« während er wegfliegt.

Spätestens in Heft #19 zeigt sich dann der Masterplan hinter Spurriers zwanzig Heften. Der zwar auch nur wieder auf Gaimans Fundament aufbaut, aber dies mit einer Genialität, die gerade in den ersten sechs Heften so gut versteckt ist, dass auch ich zu den Leuten gehörte, die sich zunächst abwanden, weil alles nur wie ein schwacher Abklatsch wirkte. Zur Abwechslung mal eine Serie, die nicht im ersten Heft fasziniert und dann mit jedem folgenden mehr von ihrem Zauber verliert - sondern das umgekehrte und viel seltenere Phänomen.

The Dreaming #20

© 2020 DC Comics. All rights reserved.

Und die letzten sechs Seiten von Heft #20 sind dann so elegant und gelungen, dass selbst Gaiman neidisch sein wird.


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  You Brought Me the Ocean GN

You Brought Me
the Ocean GN

Writer: Alex Sanchez; Artist, Cover: Julie Maroh; Colorist: Jesus Aburtov; Cover: Nick Bradshaw; Letterer: VC's Joe Caramagna; DC Comics; VÖ: 10.06.2020 (Woche 25); $ 16,99

Quasi zum zehnten Jahrestag von Julie Marohs erfolgreich verfilmten Comic Blue is the Warmest Color erschien von ihr ein neues Werk, das nicht nur thematisch sehr verwandt scheint, sondern in dem ebenfalls das Objekt der Begierde der Hauptfigur (angesichts des Covers erachte ich dies nicht als Spoiler) auffällig gefärbte Haare hat.

Das erschien mir ungeachtet eines gewissen Marketing-Potentials zunächst einmal sehr seltsam. Doch die Farbe Blau spielt hier eine ähnliche Rolle, die eher noch stärker herausgearbeitet wirkt. Nicht rein visuell, sondern auf einer anderen symbolischen Ebene.

Jake Hyde (sein Name bringt das »monsterhafte« von Mr. Hyde mit sich, aber auch die Tendenz sich im übertragenen Wandschrank zu verstecken) will am liebsten in Miami Ozeanographie studieren, seine beste Freundin Maria (die sich natürlich mehr als eine Sandkastenfreundschaft erhofft) ist fasziniert von der Wüste. Er hat zuhause ein Aquarium, sie ein Terrarium. Und Jakes love interest Kenny ist ein Schwimmer. Man könnte jetzt ganz schnell die sexuellen Präferenzen mit den alten Elementen Erde und Wasser gleichsetzen, aber Autor Alex Sanchez geht darüber weit hinaus.

Das Wasser ist hier auch das Fremde, die Erde das »bodenständige«, bekannte, konventionelle. Entsprechend sind auch die Mitglieder von Minoritäten (Jake ist schwarz, Maria hispanisch, Kenny hat asiatische Wurzeln) die aufgeschlossenen Figuren, während die weiße »Mehrheit« eher repräsentativ für Dummheit und Aggressivität scheint. Zeke, die einzige wichtige Figur aus diesem Kreis, ist superweiß (mal abgesehen von seinen roten Haaren, die aber für die Aggressivität stehen könnten), extra-maskulin und voller Hass gegen alles, was nicht zu seiner Welt zu passen scheint. Also die Leute, die er »Freaks« oder «Queers« nennt, während sein Konzept von Liebe wirklich freaky ausfällt.

You Brought Me the Ocean GN

© 2020 DC Comics. All rights reserved.

Anderswo (im Text zu Gotham High) habe ich mich darüber ausgelassen, dass die Tendenz, heutzutage alles in Diversität zu ertränken, mich mitunter etwas nervt (vor allem, wenn es nur eine oberflächliche Alibi-Funktion erfüllt), aber You Brought Me The Ocean ist auch in anderer Hinsicht ein totales Gegenstück zu Gotham High. Denn die Tendenz, all diese von Bestsellerautoren verfassten Werke für junge Leser im von Buch zu Buch geänderten DC-Universum zu verankern, wird hier mal weitaus genialer eingesetzt.

Bis etwa Seite 120 zeigt sich die Verortung im DC-Universum nur sehr am äußersten Rand der Geschichte. Mal fliegt Superman über die Wüste, dann werden Aquaman und ein gekidnapptes U-Boot erwähnt, und auch, wenn Jake offenbar irgendwelche aquatischen Superkräfte hat, hatte ich a) keinen Schimmer, wie da die connection ausfllen wird und b) spielt die Superhelden-Kiste zwar eine Rolle im Buch, aber sie wird immer nur dazu benutzt, die eigentlichen Themen zu unterstützen (und ein bisschen zusätzliche Dramatik einfließen zu lassen).

Etwa das erste Drittel des Buches habe ich doppelt gelesen, weil ich's im ersten Anlauf nicht gepackt habe (so many comics, so little time), aber ichg fand es wirklich bemerkenswert, dass sich die durchdachte Intensität des Symbolismus erst beim zweiten Mal wirklich erschloss (dann aber auch für den Rest des Werkes erhalten blieb).

You Brought Me the Ocean zeigt andere Facetten von Julie Maroh (mehr Humor, zum Teil auch in der Expressiven Mimik), bereichert aber vor allem diese Young Adult-Sparte des DC Universums. Ja weiter man sich davon nämlich entfernt, um so deutlicher bekommen die Künstler die Möglichkeit, sich wirklich zu entfalten. Und nicht nur einige Batman-Figuren wie bei einem Tarot-Blatt neu zu verteilen.

Empfohlen nicht nur für junge Leser generell und Freunde der (ethnischen wie sexuellen) Diversität im besonderen, sondern auch für DC-Junkies auf jeden Fall ergiebiger als viele vergleichbare Publikationen der letzten Monate. Und das nahezu ganz ohne Action-Sequenzen mit Superkräften und Konflikten.


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  Gotham High GN

Gotham High GN

Writer: Melissa de la Cruz; Artist & Cover: Thomas Pitilli; Colorist: Miquel Muerto; Letterer: Troy Peteri; Production Design: Amie Brockway-Metcalf; DC Comics; VÖ: 05.05.2020 (Woche 19); $ 16,99

Ich bin durchaus ein Freund von Diversität, aber bei den unzähligen Reboots beispielsweise der Batman-Mythologie (vgl. auch Batman: Creature of the Night oder Batman: Overdrive) nervt es mich ein bisschen, dass man nicht nur aus der nicht mehr zeitgenössischen Figur des Butlers Alfred immer häufiger einen Onkel macht, ich kann es auch nur schwer nachvollziehen, inwiefern es wirklich ein Gewinn sein soll, wenn man aus der ohnehin nur in ein paar recaps präsenten Mutter von Bruce Wayne, Martha Wayne, hier beispielsweise die aus Hong Kong stammende Ma-sha Dean macht, die erst nach der Heirat mit Thomas Wayne auf den Namen Martha hört. Als Bonus wird auch noch klargestellt, dass sie den größeren Batzen Geld in die Familie brachte, wodurch auch das einst allgegenwärtige Patriarchat auf eine Art »vermindert« wird, die ohnehin fast nur jenen Lesern wirklich auffallen wird, die sich ohnehin mit feministischen Belangen auseinandersetzen.

Durch diesen kleinen Kunstgriff wird Bruce Wayne, der als Jugendlicher mal wieder an einem Institut tätig ist, das den alten Familiennamen Arkham trägt (vgl. The Oracle Code) zu einer Figur mit Migrationshintergrund, und seine Nachbarin Selina »Gracia« Kyle, hier als Erzählerin tätig, wird zu einer jungen Latina. Die auch noch, so der frühe Eindruck, der stark an Twilight erinnert, zwischen zwei sehr unterschiedlichen jungen Männern steht. Der andere heißt Jack Napier und ist ein bad boy und Scherzkeks. Eine Großteil dieser Prämisse offenbart bereits das Cover.

Noch im Verlauf des ersten Kapitels landet man dann auch an der Gotham High School, wo man nicht nur im Biologieunterricht Fledermäuse seziert, sondern auch das Sportteam auf den Namen Gotham Bats hört. Ich habe bei meinem Überblick über die DC Graphic Novels für junge Leser schon über diese obligatorischen Anbindungen an die bestehende DC-Historie berichtet, aber besonders subtil geht Autorin Melissa de la Cruz hier sicher nicht vor. Das Schlimmste am YA-Genre ist glaube ich, wenn man immer wieder die selben Klischees abspult. Ein tolles Gegenbeispiel, wo man wirklich persönliche Standpunkte einbringt und nicht nur die Erwartungen des Publikums erfüllt, ist und bleibt Harley Quinn: Breaking Glass, nach wie vor die beste Geschichte rund um Harley Quinn, die ich bisher entdecken durfte.

In Gotham High geht das Spiel mit den bekannten Namen weiter (Dick Grayson, Harvey Dent), und man legt besonders viel Wert auf den Grad an Diversität. Eine Kräutermedizinerin hat rote Haare, trägt eine auffällige grüne Brille und ging auf eine koreanische Schule -> Name: »Ivy«; die Schuldirektorin ist Afroamerikanerin und heißt mit Nachnamen Gordon. Und für die Schul-Security ist Mr. Bullock zuständig. Wenn man den ganzen Rattenschwanz an Batman-Nebenfiguren nicht kennt, ist es aber immerhin möglich, diese ganzen Anspielungen zu übersehen.

Gotham High GN

© 2020 DC Comics. All rights reserved.

Interessant wird es, wenn die Geschichte sich emanzipiert von den narrativen Vorbildern, wenn der Twilight-Einschlag sich als red herring offenbart, weil es eben nicht so sehr um das love triangle, sondern darum, unter anderem auch dem Leser dies vorzumachen. Und dann kann man auch die nicht sehr subtilen Gastauftritte aus dem Batman-Universum verzeihen, weil die Geschichte an sich durchaus das Potential hat, mit zwei oder drei Fortsetzungen einen eigenen Weg zu finden. Nur ist es bei DC aktuell leider oft so, dass nur jene Geschichten weitererzählt werden, die eine ausreichend große Leser- und Käuferschaft erzielen. Und dabei geht es meistens nicht um die Qualität eines Werkes als solches, sondern darum, inwiefern es Käufer motivieren kann.

Und an der Stelle bevorzuge ich den Ansatz einer Heftserie, die direkt ein Publikum finden oder verlieren kann, während die Herangehensweise über »Comic-Bücher«, die möglicherweise tatsächlich etwas Romanhaftes an sich haben können, auf eine ganz andere Weise den Status als Franchise erreicht. Und da funktioniert das Young-Adult-Genre (und ich bin mir dessen bewusst, dass der Begriff »Genre« hier einfach nicht greift, auch wenn man uns das weis machen will) halt nach ganz anderen Regeln, die aus meiner Sicht im Medium Comic irgend etwas kaputt machen.

Das mag alles ungemein vage klingen, aber so erscheint es mir. Und selbst, wenn diese Geschichte weitererzählt werden sollte (im Normalfall muss man so einn Sequel ja recht früh beginnen, wenn man 180 Comicseiten füllen will), erwarte ich davon weitaus weniger als von diesem Einstiegs-Band, der immerhin meine Vorurteile zerstreuen konnte, weil er weitaus cleverer endet als er beginnt.


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  The Joker 80th Anniversary 100-Page Super Spectacular #1

The Joker
80th Anniversary
100-Page
Super Spectacular
#1 (one-shot)

Writers: Scott Snyder, Paul Dini, Tom Taylor, Tony S. Daniel, Denny O'Neill, James Tynion IV, Brian Azzarello, Rafael Albuquerque, Peter J. Tomasi, Gary Whitta & Greg Miller; Artists: Mikel Janín, Eduardo Risso, Rafael Albuquerque, Simone Bianchi, Jock, Lee Bermejo, Tony S. Daniel, Riley Rossmo, José García-López & Dan Mora; Colorists: Marcelo Maiolo, Ivan Plascencia, Eduardo Risso, Lee Bermejo, Jordie Bellaire, David Baron, Tomeu Morey, Peter Steigerwald, Brennan Wagner & Michelle Madsen; Regular Cover: Greg Capullo; Variant Cover (80s): Bill Sienkiewicz; Pin-Ups: Kelley Jones, Fiona Staples, Tim Sale, Stjepan Sejic, Ivan Reis, John Romita jr. & Danny Miki; Letterers: Clem Robins, Deron Bennett, Clayton Cowles, Jared K. Fletcher, Rob Leigh, Carlos N. Mangual, Tom Napolitano, Tom Peteri & Steve Wands; Publication Design: Ken Lopez & Darren Robinson; DC Comics; VÖ: 09.06.2020 (Woche 24); $ 9,99

Aktuell - pardon! - scheißt einen DC geradezu zu mit Jubiläums-Anthologien. Joker, Catwoman, Robin, Flash, Green Lantern, Wonder Woman, am abgedrehtesten finde ich Detective Comics #1027, weil es eben nicht das 1000ste Heft seit Detective #27 (der »Geburt« von Batman), sondern das 1001. ist. Aber man schätzt das Zielpublikum so ein, dass es in der 1026 nicht das Jubiläumsheft erkennen kann (zu viel Mathe oder gesunder Menschenverstand sind von Nöten...).

100 Seiten neues Material für 9,99 klingt deutlich preiswerter als 24 Seiten für 3,99 (das Standard-Heftformat), es gibt eine stilistische Vielfalt, selbst die Leser, die sich nur mal alle zwei Monate in den Comicshop verlaufen, werden einige der Starzeichner und -Autoren wiedererkennen, und meistens nutzt man die in großer Stückzahl in den Läden stehenden Bände auch dafür, Leser auf aktuelle Storylines aufmerksam zu machen (hier etwa über die neue Figur »Punchline« in einer Story von James Tynion IV und Mikel Janín, die den Einstieg in den »Joker War« gewährt)

Ich will diesmal nicht jede einzelne Story vorstellen, sondern nur, was mich irgendwie beeindruckt hat. Beispielsweise die Einstiegsstory »Scars« von Scott Snyder und Jock. Die beiden sind unter anderem die Erfinder vom Batman who Laughs. Man könnte mal eine Chronologie erstellen, wie über die Jahrzehnte sadistische Soziopathen zu gesellschaftlich akzeptierten »Anti-Helden« wurden. Dabei würden neben dem Joker ganz sicher fiktive Figuren wie Rorschach, Henry (Portrait of a Serial Killer), Hannibal Lecter oder Dexter eine Rolle spielen, und man könnte darüber diskutieren, inwiefern Killer aus dem Horrorgenre à la Freddy Krueger, Leatherface oder der Typ aus Saw (habe ich keinen Teil von gesehen, aber man kriegt ja was mit) hier eine Rolle spielen. Bei DC merkt man aktuell ganz gut, wie diese Figuren von Jahr zu Jahr extremer werden, und »Scars« spielt mit der Joker-Figur auf ähnliche Art wie Jeff Lemire in Killer Smile.

Die Psychoanalyse, an der der Analytiker letztlich scheitert, weil er zu tief in den Abgrund schaut, den er eigentlich heilend zuschaufeln soll, spielt in solchen Geschichten seit Alan Moores Watchmen oder The Killing Joke eine immer größere Rolle, doch Moores Bestreben, die Realität in Superhelden-Comics darzustellen, wurde von seinen Nachfolgern anders behandelt, wie man zum Beispiel an den Comics rund um Harley Quinn erkennen kann.

Auch in »Scars« geht es um einen Psychiater, der die Opfer des Jokers therapieren will. Wie Snyder erklärt, dass der Joker - wie die gleichnamige Spielkarte - ein Stellvertreter ist, und zwar einer ganz persönlichen Traumata, das hat mich erstmals sowas wie ein Herz in den Worten von Snyder erkennen lassen, doch natürlich nutzt er das involvement des Lesers für eine pechschwarze Pointe, die in diesem Fall irgendwie auch für mich funktioniert, weil ich die Geschichte als eine clever gebastelte Fingerübung erkenne und nicht den Fehler machen, die Comicfiguren als reale Personen wahrzunehmen.

The Joker 80th Anniversary 100-Page Super Spectacular #1

© 2020 DC Comics. All rights reserved

Ein kleines bisschen menschlicher wird der Joker in »Birthday Bugs« von Tom Taylor (DCeased) und Eduardo Risso (100 Bullets). Der Joker als das ultimative Böse empfindet ausnahmsweise so etwas wie Sympathie für einen kleinen Jungen mit sadistischen Tendenzen, und ausnahmsweise wird der Junge dabei nicht zum direkten Opfer. Mit dieser Art von schwarzem Humor und dunkler Ironie, kann ich mich anfreunden, aber echte Menschen erkenne ich dennoch nicht in dieser Geschichte, die Figuren sind nur Kakerlaken, die Tom Taylor nach seinen Wünschen durch ein Papplabyrinth jagt.

Auch die dritte Geschichte, die mich berühren konnte, spielt mit Figuren, die nicht einmal die Illusion bemühen, sie könnten mehr als hübsche Pappfiguren sind. Brian Azzarello (auch keiner meiner Lieblingsautoren) und Lee Bermejo (von dem habe ich noch zu wenig gelesen, um mir ein Urteil erlauben zu wollen) nahmen einfach Milos Formans bzw. Ken Keseys One flew over the Cuckoo's Nest und machen daraus eine Art Kostümball mit Batman-Figuren in einer Arkham-Asylum-Variation (Two fell into the Hornet's Nest), in der statt Monopoly Karten gespielt werden (ohne Pornobilder), mehrere Szenen des Filmklassiker neu interpretiert werden, fast so liebevoll wie in der Simpsonsfolge Stark Raving Homer, aber vor allem mit einem Zeichenstil, der mich an Craig Thompson erinnert.

The Joker 80th Anniversary 100-Page Super Spectacular #1

© 2020 DC Comics. All rights reserved

Das hat zwar keinerlei Nährwert, ist aber sehr schön anzuschauen.

Ansonsten ist in dieser Anthologie mal wieder Riley Rossmo dabei, dem jüngst verstorbenen Denny O'Neil hat man einen etwas zähen Sparwitz abgefordert, und es gibt mehrere wirklich hübsche Seiten von talentierten Zeichnern. Aber mit einer gewissen sittlichen Reife wird es mir immer schwieriger, dem Joker über so viele Seiten wirklich etwas abzugewinnen.

Es hätte aber deutlich schlimmer ausfallen können. Oder bedeutungsloser.


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  Disney Comics and Stories #12

Disney Comics
and Stories #12

Writers: Pietro B. Zemelo & Vito Stabile; Artists: Stefano Zanchi, Emmanuele Baccinelli & Luigi Piras; Cover: Marco Mazzarello; Colorists: Disney Italia; Letterer: Amauri Osorio; Translation & Dialogue: Erin Brady; IDW Publishing; VÖ: 10.06.2020; $ 5,99

Nicht alle Donaldisten setzen italienische Disneycomics (meist am Digest-Format wie die »Lustigen Taschenbücher«) automatisch mit »Vulgärdonaldismus« gleich, aber der Trend ist vorhanden und ich kann selbst mit dem vielgerühmten Romano Scarpa eher wenig anfangen. Als Berichterstatter über Comics gebe ich aber fast allem eine Chance.

Ein donaldisches Prinzip, das einen der liebenswertesten Charakterzuge des kleinen Herrn Duck abfeiert, prägt mich aber auch als Kritiker: »Scheitern ist donaldisch« Und ich finde ambitioniertes Scheitern oft interessanter als rountierte Qualitätsarbeit auf einem eher mediokren Niveau. Deshalb schreibe ich auch gern über glorreiche Einstiegshefte, selbst wenn sie ihren Level nicht lange halten können.

In diesem Fall geht es um die einst epochale WDC-Serie, in der für Jahrzehnte Carl Barks seine Zehnseiter präsentierte, und die mittlerweile bei IDW, neben Dark Horse einem der amerikanischen Lizenzhalter für Disney-Comics, einen Neustart erhielt. In Heft #12 wird Coverheld Goofy tatsächlich in einem Einseiter und beiden längeren Geschichten gefeaturet, was nicht automatisch ein Grund zur Freunde ist. Doch eine der beiden längeren Storys ist vom Erzählprinzip und der Grundidee her so interessant, dass ich davon erzählen möchte.

Und das so umfassend, dass ich an dieser Stelle einen umfassenden Spoiler-Alarm aussprechen muss, denn ich gehe davon aus, dass nicht allzu viele Comic-Fans dieses Bandes habhaft werden, und so seit gewarnt, dass ich die meisten Story-Twists (ob hochkreativ oder unter Gebühr verschenkt) hier ausplaudern werde, und falls ihr das Heft ohnehin schon besitzt, lest es am besten vor meiner Kritik. Es ist aber auch die Möglichkeit gegeben, dass jemand sich erst nach der Lektüre meiner Gedanken dafür interessieren wird und sich dann das Heftchen doch noch irgendwo besorgen wird.

In »Goofy and the Creepy Crawler« geht es um eine seltene Vogelart und das Verschwinden von Goofys Onkel »Gooford«, eines Ornithologen (ein Fachbegriff, der in einem kleinen Kästchen unter dem Comic-Panel erklärt wird - so viel zum Vertrauen der Macher in die intellektuellen Fähigkeiten ihrer Leser). Eine willkommene Situation, um eines der schönsten Barks-Zitate zu seiner generellen Arbeitseinstellung rauszuhauen - leider konnte ich es nur nicht im original Wortlaut wiederfinden und muss es hier paraphrasieren. Irgend ein Interviewer (ich glaube, es war Michael Barrier) fragte Barks mal, warum seine Disney-Comics von so deutlich höherer Qualität bzw. sogar von einem gewissen Anspruch gekennzeichnet. Ich glaube, der Interviewer brachte an dieser Stelle auch noch ein, dass der Disney-Konzern zu dieser Zeit als Zielpublikum Kinder eines bestimmten Alters (ich glaube, acht Jahre) anvisierte, und dies auch an seine Autoren kommunizierte. Barks meinte dazu, dass er das Niveau eines Achtjährigen halt höher einschätze als viele seiner Kollegen. Eine sehr charmante Art, die eigenen Stärken zu betonen ohne seine Kollegen unnötigerweise abzuwerten.

Doch zurück zu Goofy: Die Kernstruktur der Geschichte besteht darin, dass Goofy ein Ei findet, aus dem ein »Crawler« schlüpft, und er gleichzeitig zusammen mit Micky auf der Suche nach seinem verschwundenen Onkel ist. Zu den wichtigsten Hinweisen gehört ein Stapel von Briefen, die Goofard an seinen Neffen schicken wollte, aber vergaß abzuschicken. Und weil es Goofy zu verwirrend ist, zuerst den jüngsten Brief zu lesen, beginnt er beim ältesten, so dass die Ereignisse, über die Goofard berichtet (in Flashbacks), sich quasi in der Gegenwart spiegeln. Auch Goofard kümmerte sich um einen frsich geschlüpften Creeper und entdeckt dabei, dass sich in bestimten Situationen dessen Federkleid verdunkelt. Und er mitunter spricht, aber nur in kleinen Brocken, deren Sinn sich nicht auf Anhieb erschließt.

Die zeitlich komplexe Erzählstruktur mit Goofords Flashbacks spiegelt hierbei eine der Eigenarten des Vogels. Wenn er spricht, sind dies Warnungen auf bevorstehende Vorkommnisse, er wiederholt quasi Äußerungen, die Goofy erst später von sich gibt, wie ein Papagei, der in die Zukunft schauen kann. Leider hat der Autor sich entschieden, daraus nur eine Gruselgeschichte auf Goofy-Level zu machen (soll heißen, Goofy übertreibt es damit, sich vor dem seltsamen Verhalten des Vogels zu fürchten), bei der später die Aufklärung der Vorkommnisse kaum antiklimaktischer und enttäuschender vorgetragen werden könnte.

Ein aufgeweckter und aufmerksamer Leser kann sich zumindest das »backwards-parrotting« durchaus selbst erschließen und an der Stelle war ich auch richtig hooked, was man aus dieser Geschichte wohl machen würde. Doch leider gibt es nicht nur Unachtsamkeiten bei der Übertragung ins Englische (Warum steht auf dem Brief für Goofy nicht sein englischer Name? Wo hat der eine Creeper gleich zu Beginn das Wort »Bravo« aufgeschnappt? Es fällt nirgends später in der Geschichte!), teilweise wirkt es auch so, als hätte der Autor sich viel vorgenommen, dann aber festgestellt, dass er nur noch vier Seiten oder so zur Verfügung stehen hat, um die Geschichte abzuschließen. Wie gesagt, tolles Potential, aber wirklich wenig draus gemacht.

Disney Comics and Stories #12

© 2020 Disney Enterprises, Inc. All rights reserved

Entsprechend habe ich als Anschauungsmaterial auch eine Szene ausgesucht, die zwar für Leute, die keine ausgeprägte Sympathie für Micky Maus hegen, durchaus unterhaltsam (wenn auch frauenfeindlich) ist, die aber die eigentliche Geschichte kein Stück voranbringt (außer dass Micky kurz aus dem plot herausgerissen wird. Also ist diese Szene auch mitschuldig dafür, dass an anderer Stelle nicht die interessanten Aspekte der Mär vertieft werden konnten.

Die andere Geschichte erzählt von einem Schloss, das Goofy für den Spottpreis von $ 6,99 (also einen buck mehr als die ziemlich teure WDC-Ausgabe) abgeschossen hat. Die zweieinhalb Gags und Missverständnisse sind so lau und konsequenzlos runtergeleiert, dass es sich nicht lohnt, dies nachzuerzählen. Und beim One-Pager am Schluss hat man dann das Gefühl, dass die zweiter Geschichte sich grad der Ambition klar an diesem Sparwitz orientiert hat.

Trotz der generellen Enttäuschung reichte aber schon das zwischenzeitig verspürte Potential, um für einen positiven Eindruck bei mir zu sorgen. So fantasievoll eingefädelt sind leider die allerwenigsten aktuellen Disney-Comics um die klassichen Figuren herum. Da hat man eigentlich bei Comic-Spinoffs nach Frozen oder Tangled deutlich bessere Chancen, weil bei diesen Franchises noch nicht alles auserzählt ist und sich die Autoren nicht nur in Variationen früherer Comics üben.


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(Noch ein kleiner Bonustext für's lange Warten...
- nur ist der inzwischen auch schon hoffnungslos veraltet)

  To Rebuild an Empyre

To Rebuild
An Empyre...

Samstag, 1. August 2020. Ich wache früh auf und sehe neben dem Bett etwas liegen, was mir plötzlich interessant erscheint...

In der Zeit vor und nach dem Lockdown hat der Marvel-Verlag immer zum Monatswechsel seinen Vorankündigungskatalog Marvel Previews herausgebracht, aus dem man dann bestellen kann, was man so in zwei bis drei Monaten zu lesen begehrt. Durch die Corona-Pause beim Comicversand hat sich bei Marvel so einiges verschoben und verzögert, aber seit dem letzten Mittwoch (29. Juli) hat man nach kargen Zeiten wieder ein wenig zur viel beschrienen »Normalität« gefunden.

Beim diesjährigen Sommer-Crossover und -Hype »Empyre« habe ich bisher aus unerfindlichen Gründen noch den Anschluss gehalten (13 oder 14 Hefte erschienen, alle gelesen), aber nur, wenn man mal in dem alten Katalog blättert, realisiert man, wie sehr man hinter den Kulissen bei Marvel nicht nur gekämpft hat, den Erscheinungsrhythmus diverser Serien halbwegs wieder zu synchronisieren (auch bei bestimmten Kinostarts führte das zu nicht geringen Problemen), sondern wie man auch manches auf die Wartebank schob (im neuen Marvel Previews wird jetzt noch mal Champions #1 angeboten, wobei man den expliziten Hinweis auf das kleine »Outlawed«-Crossover inzwischen entfernt hat) bzw. einige ausufernde Wucherungen auch rigoros zurückschnitt.

So findet man im März-Katalog noch folgende Empyre-Begleitserien, die offenbar allesamt eingestampft wurden, weil sie in der aktuellen Chronologie des Events nicht mehr auftauchen:

  • den Fünfteiler The Union von Paul Grist und Andrea Di Vito (wegen meiner Vorliebe für Paul Grist ursprünglich der einzige Teil der Sommer-Mega-Schlacht, der mich interessierte)
  • den Dreiteiler Empyre: Spider-Man von Taran Killam und Diego Olortegui
  • den Dreiteiler Empyre: Thor von Ram V und Pasqual Ferry
  • den Dreiteiler Empyre: The Invasion of Wakanda von Jim Zub und Lan Medina
  • den Dreiteiler Empyre: Stormranger von Saladin Ahmed und Steven Cummings
  • den Zweiteiler Empyre: Squadron Supreme von Mark Waid und Dio Neves
  • den one-shot Empyre: Ghost Rider von Ed Brisson und Jefte Palo
    • Das sind also 20 Hefte, um die man Empyre kurzfristig kürzte (eine frühe Checklist in Empyre #1 umfasst 52 Hefte, bei denen aber The Union #4 & 5 offenbar über das eigentliche Crossover hinausgingen), während 35 andere verblieben.

(Das auch in der Versenkung verschwundene Empyre Handbook und einige Titeländerungen in der Endphase ignoriere ich an dieser Stelle einfach mal.)

Empyre: Savage Avengers #1

Aus: Empyre: Savage Avengers #1 © 2020 Marvel

Wie man hier mit einer flinken Kettensäge eine teilweise vergilbte Hecke gestutzt hat, das scheint für mich deutlich interessanter als der eigentliche Kampf zwischen außerirdischen Armeen (darunter eine aus Pflanzen), Superhelden und Zombies, bei dem für mich bisher die spannendsten Ideen eine etwas verklemmte und an den Rand gedrängte schwule Romanze (in Lords of Empyre: Emperor Hulkling #1), einige hübsche Michael-Cho-Variant-Cover für die Hauptserie, Conans Meinung zu einer Wrestling-Darbietung (»This is not combat.«) und eine blau-grüne »Romeo & Julia«-Variation sind (letztere Figurenkonstellation scheint auch etwas langfristiger bei den Fantastic Four eingearbeitet zu sein).


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Gesammelte gelesene Neuerscheinungen aus Woche 19 (5.5.):
Gotham High GN, Hawkman #23, Superman: Man of Tomorrow #3, Star Wars: Doctor Aphra #1*, Stepping Stones und Teen Titans! Go to Camp! #11.
*Zitat der Woche: »Ronen Tagge is so unsavory that I won't do business with him. And that's saying something.«
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Gesammelte gelesene Neuerscheinungen aus Woche 20 (12.5.):
Anti/Hero GN, Swamp Thing: New Roots #4, Teen Titans! Go to Camp! #12, Youth #1* (of 4).
*Zitat der Woche: »All those years of Grand Theft Auto finally payed off.«
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Gesammelte gelesene Neuerscheinungen aus Woche 21 (19./20.5.):
Batman: Gotham Nights #5, Buffy the Vampire Slayer #14, DCeased: Hope at World's End #1, DCeased: Unkillables #3 (of 3), Disaster, Inc. #1 (of 5), Hawkeye: Freefall #5, Kill Whitey Donovan #5** (of 5), Lost on Planet Earth #2 (of 5), Marvel's Spider-Man: The Black Cat Strikes #4, Star #4*, Swamp Thing: New Roots #5, Teen Titans Go! To Camp! #13, Year Zero #1 und Youth #2 (of 4).
*Zitat der Woche: »Man, I've had enough reality stone crap to last me ten lifetimes.«
**Bonus-Zitat der Woche: »You were always my favorite, Hattie. The sound my whip makes comin' off your flesh.«
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Gesammelte gelesene Neuerscheinungen aus Woche 22 (26./27.5.):
Alienated 3 (of 6), Basketful of Heads #7 (of 7), Batman: Gotham Nights #6, The Butcher of Paris #5 (of 5), Dead Day #1, Frankenstein Undone #2 (of 5), The Green Lantern Season 2 #3 (of 12), Hawkman #23, John Carpenter's Storm Kids: Monica Bleue Werewolf Story #5 (of 5), King of Nowhere #2 (of 5), The Low, Low Woods #5 (of 6), Marauders #10, Mirka Andolfo's Mercy #2, Teen Titans #41, Teen Titans! Go to Camp! #14 und Youth #3 (of 4).
*Zitat der Woche: »But this is legit, man. Honest money. All we need is a couple axes.«

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Best of Mai 2020:

  1. Stepping Stones (Lucy Knisley)
  2. Youth #1 (of 4) (Curt Pires, Alex Diotto)
  3. Basketful of Heads #7 (of 7) (Joe Hill, Leomacs)
  4. The Low, Low Woods #5 (of 6) (Carmen Maria Machado, Dani)
  5. The Dreaming #20 (Simon Spurrier, Bilquis Evely)
  6. Kill Whitey Donovan #5 (of 5) (Sydney Duncan, Natalie Barahona)
  7. Swamp Thing: New Roots #4-5 (Mark Russell, Marco Santucci)
  8. Gotham High GN (Melissa de la Cruz, Thomas Pitilli)
  9. Dead Day #1 (Ryan Parrott, Evgeniy Bornyakov)
  10. Hawkeye: Freefall #5 (Matthew Rosenberg, Otto Schmidt)
  11. Year Zero #1 (Benjamin Percy, Ramon Rosanas)

Für die nächste Ausgabe (Anfang November) sind fest geplant:

Rezensionen zu Adventureman #1, Catwoman #20, The Cimmerian: Red Nails #1, Doom Patrol: Weight of the Worlds #7 (of 7), Fire Power - Chapter One: Prelude, Swamp Thing: New Roots #6, That Texas Blood #2 und Wynd #1