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4. Februar 2014
Thomas Vorwerk
für satt.org

  Captain Berlin #1 von Jörg Buttgereit
Captain Berlin #1
von Jörg Buttgereit, Martin Trafford,
Rainer F. Engel, Levin Kurio

Weissblech Comics 2013
36 Seiten, farbig, € 4,90
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Captain Berlin #1

Der jüngst 50 gewordene Jörg Buttgereit hat sich jetzt einen Kindheitstraum erfüllen können: ein eigenes Comicheft. Mit einem eigenen Superhelden! Captain Berlin erlebte seine ersten Abenteuer noch auf Super 8, wurde dann Hörspiel- und Theaterstar, wobei das Theaterstück Captain Berlin vs. Hitler auch abgefilmt und etwas aufbereitet wurde, und zum DVD-Release gab es dann ein kleines Heftchen dazu. Operation Untergang hieß diese erste CB-Story in Comicform, und auf acht Seiten bietet sie jede Menge Äktschn, mit einem Bombenattentat im Führerhauptquartier, das die vermeintlich letzte Konfrontation CBs mit Hitler (»Wir werden dich [...] den Alliierten übergeben«) in typischer Weise eines Periodikums zunichte macht, im gleichen Atemzug aber klarstellt, dass die Geschichte in den letzten Jahren des Krieges etwa so verlief, wie man es den Geschichtsbüchern entnehmen kann. Wobei dort ja die Rolle Captain Berlins aus unerfindlichen Gründen marginalisiert, wenn nicht gar ignoriert wird. Wer hier genau was gemacht hat, wird aus den »Credits« nicht ganz klar. Zum einen stehen direkt im Comic gewisse Angaben, zum anderen liefert das Sekundärmaterial Infos, und man könnte natürlich auf die Idee kommen, dass hier etwaige vorher gemachte Fehler korrigiert wurden. Doch wenn man sich nicht ganz sicher ist, was die Definitionsgrenzen zwischen »Text«, »Story« und »Skript« sein sollen, so belässt man es am besten bei der Feststellung, dass Rainer F. Engel das Ganze zeichnete, Levin Kurio es schrieb und kolorierte – und Gevatter Buttgereit hat natürlich MINDESTENS die Figur und ihre Backstory beigetragen. Und natürlich seinen guten Namen. Womöglich ist mit Skript“ auch das computerunterstützte Lettering gemeint, das teilweise ein Augenschmaus ist. Ich meine damit weniger die Frakturschrift, mit der die lächerlichen Aspekte von Hitlers Befehlston noch absurder wirken, sondern vor allem die Soundwords, die je nach Mauerdurchstoß, Strahlenpistole oder Großexplosion immer sehr schön die Atmosphäre der Geräusche einfangen. Soundwords sind ja so etwas wie der Toneffektschnitt in einem Hollywood-Blockbuster: wer da nicht alle Register zieht und die komplette Klaviatur bedient, verschenkt die Möglichkeiten des Mediums. Ansonsten bleibt festzustellen, dass die Kolorierung sehr auf Primärfarben fixiert ist (vermutlich war das DVD-Heftchen etwas kleiner, da kann man dann nur soundso stark in die Details gehen) und man teilweise vorhandenes Bildmaterial einarbeitet (siehe im Bildbeispiel den Helikopter, an anderer Stelle die Ruinenstadt Berlin). Ich kann es nicht genau festmachen, aber der ironische Umgang mit den Schwächen des Genres »Superheld« funktionierte für mich beim Theaterstück besser bzw. war einfach unterhaltsamer. Die Rückkehr zu den medialen Wurzeln ist aus nostalgischer Hinsicht natürlich interessant, doch die Ebenen von Hommage, Pastiche, Parodie und Ironie verschwimmen hier. Während man sich beim Theaterstück tierisch beömmeln konnte, wie bescheuert es aussieht, wenn man idiotische Comicschlenker mit eingeschränktem Budget auf der Bühne nachempfindet (Hitlers Gehirn etc.), verläuft der Comic halt so, wie man es erwarten würde, die Überraschungen wie der pathosgeschwängerte pädagogische Tonfall im Kontrast zur Hitlerkarikatur befremden teilweise sogar.

Captain Berlin #1 von Jörg Buttgereit

Während sich der Zeichenstil ganz in den Dienst der Geschichte stellt und unaufdringlich bis generisch wirkt, ist in der zweiten Geschichte, die hier erstmals abgedruckt wurde (es gab mal eine Webveröffentlichung, die aber in englischer Sprache war), der Strich von Martin Trafford ungleich persönlicher. Mich erinnern die Zeichnungen an amerikanische Künstler, die es zu meiner großen Comiczeit (den 1990ern) nie ganz »geschafft« hatten, sich aber stattdessen ihren Stil bewahrten, etwa Matt Howarth (schon ziemlich Indie) oder John K. Snyder III (der durfte immerhin bei den Classics Illustrated von First / Berkley Dr. Jekyll & Mr. Hyde illustrieren und hatte bei DC gar mal einen Vertigo-Gaiman-Spinoff als Miniserie, Mister E).

Die kantige Underground-Atmosphäre passt ganz gut zur Vermählung des Superhelden-Comics mit Buttgereits besonderem Spezialgebiet, den trashigen Gummiechsen aus diversen Godzilla-Nachahmern der japanischen Filmbranche. Welche in nicht wenigen von Buttgereits Buchveröffentlichungen und Hörspielen auftauchen, sich aber für Theaterstücke aus nachvollziehbaren Gründen nicht unbedingt anbieten (obwohl dies vermutlich eine Herausforderung ist, der sich der Tausendsassa ohne weiteres stellen würde).

In diesem Fall versäumt Buttgereit nicht, die noch in Erinnerung befindliche Verstrahlung von Fukushima als Anlass zu nehmen, eine neue Riesenmutation zu kreieren, wobei der Name »Fukuda« nicht nur auf die Herkunft verweist, sondern auch noch eine Verneigung an einen speziellen Kaiju-Eiga-Regisseur ist. Natürlich gibt es aber auch die eine oder andere Anspielung an Comics, mitunter für meinen Geschmack sogar zu offensichtlich.

Captain Berlin #1 von Jörg Buttgereit

Ebenfalls ganz im Gegensatz zur ersten Geschichte lässt man hier auch den status quo ziemlich außer acht, und beendet die Story stattdessen mit einer seltsamen Art »Cliffhanger«, die quasi die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands in einer Fortsetzung fordert. Oder Captain Berlin einfach gründlich ummuddelt. CBs erstes Comicheft ist jetzt kein großartiges Kunstwerk, aber nichts lang den Initiatoren vermutlich ferner. Insbesondere in der Bundeshauptstadt verkauft sich das Werk so schnell, dass die erste Auflage vermutlich sehr bald vergriffen sein wird, wie bald dann Nachschub folgt, bleibt abzuwarten.

Aber auch, wenn sich Jörg Buttgereit vermutlich vor allem als »Künstler« sieht, ist es eigentlich relativ offensichtlich, dass Lokalkolorit wie Kultstatus von Captain Berlin eigentlich danach schreien, durch Merchandise (T-Shirts mit Comic-Zeichnungen bieten sich an, weil man auf den Berliner Bär halt nicht ohne weiteres Copyright bekommt) nicht nur Finanzierungsgrundlagen für weitere Projekte zu schaffen, sondern auch die Öffentlichkeit auf weitere mögliche Comics aufmerksam zu machen. Ein Heft im Jahr sollte doch möglich sein, und ich bin mir sicher, dass einige Berliner Comic-Legenden wie Fil, Nettmann oder Oliver Naatz sicherlich gern ihren eigenen Stil in einem Heft austoben lassen würden. Da wären interessante Möglichkeiten zu erkunden. Bei einem Heft sollte man jedenfalls nicht aufhören, ich könnte mir vorstellen, dass es für viele Berliner schnell zur Pflichtausstattung gehören würde, alle 3, 7 oder 21 Hefte im Regal stehen zu haben. Sozusagen unentbärlich!

Zusammenfassung: Der Comic ist okay, das Produkt an sich hingegen ist Kult.