Captain Berlin vs. Hitler
(R: Thilo Gosejohann)
Deutschland 2008, Theaterregie, Buch: Jörg Buttgereit, Kamera, Schnitt: Thilo Gosejohann, Musik: Mark Reeder, Peter Synthetik, mit Jürg Plüss (Fritz Neumann / Captain Berlin), Claudia Steiger (Dr. Ilse von Blitzen), Adolfo Assor (Dracula), Sandra Steffl (Maria), Jörg Buttgereit (Germanicus), Michael Wächter, 75 Min.
Im November 2007 wurde Jörg Buttgereits Theaterstück viermal aufgeführt, und mindestens zweimal ließen Thilo Gosejohann und ein Kollege die Kamera mitlaufen. Doch das Ergebnis geht über “abgefilmtes” Theater hinaus, denn mithilfe comicspezifischer (Soundwords, Sprechblasen) als auch filmspezifischer (Zeitlupe, Überblendungen, Montage) Mittel bildet der Film nicht nur das Theaterereignis ab für
jene, die damals nicht dabei waren (oder es immer wieder sehen wollen), der Film kann als eigenes Werk bestehen, das die Ansätze des Theaterstücks noch weiterführt.
Diese Ansätze hängen natürlich vor allem mit Trivialmotiven zusammen. Die Superhelden-Thematik findet hier nicht nur Entsprechungen, die an die herrlich trashige Batman-Fernsehserie erinnern, auch die vor allem über Toneinspielungen umgesetzten Auftritte von Captain Berlin, der immer (oder fast immer) blitzschnell auftaucht und verschwindet, werden hier durch geringfügige filmische Kniffe verstärkt, ohne den dilletantischen Charme der Bühnendarstellung zu verdrängen. Wenn Captain Berlin in sein Äquivalent der Batcave verschwindet, steigt er immer noch im Duckwalk eine imaginäre Wendeltreppe herab, und Hitlers Gehirn auf einem riesigen Elektronengehirn wirkt durch manche Kameraeinstellung sogar noch pathetischer als auf der Bühne, weil man den für die Spezialeffekte zuständigen Mann hinter den Kulissen nun teilweise sieht - und man kann davon ausgehen, dass dies den Filmemachern durchaus bewusst war.
Über die Geschichte braucht man nicht zu viele Worte verlieren. Hitlers Selbstmord ließ sein Gehirn unangetastet, und 28 Jahre später versucht “Dr. Ilse von Blitzen” (leidenschaftlich von Claudia Steiger dargeboten), dem Hirn einen neuen Körper zu verschaffen. Unter Zuhilfenahme des im Ostteil der Republik zum Untotsein wiedererweckten Dracula (Adolfo Assor verbindet Marcel Reich-Ranicki, Bata Illic und Yoda zu einer nicht nur stimmlichen Höchstleistung), einiger Entdeckungen des Leichenfledderers Victor Frankenstein (Leichenteile natürlich allesamt von SA, SS und heldenhaft verschiedenen Landsern) und schließlich sogar eines Kruppstahl-Roboters mit Adolfs Hirn unter einer Glaskuppel, wie man es aus Comics wie Doom Patrol kennt. Das Hirn für sich ist nicht nur ein bemerkenswerter Spezialeffekt mit ausdruckstarken Glubschaugen, der braune Klumpen mit einem angedeuteten Schnauzbart kann es in seiner Mimik durchaus mit Ben Affleck aufnehmen.
Die Meinungen darüber, inwiefern die Geschichte die ihr gegebenen Möglichkeiten ausnutzt, gehen etwas auseinander, aber ich persönlich habe mich köstlich amüsiert, Dialogfetzen wie "Wo bin ich? Das ist doch nicht die Wolfsschanze!" haben sich in meinem Hirn bereits wirksamer verankert als die kompletten Elaborate zu dem Thema von Hirschbiegel, Levy und Singer zusammen. Mag vielleicht auch damit zusammenhängen, dass ich vor einiger Zeit selbst mal ein Theaterstück auf die Beine gestellt habe, in dem es auch um Comics, deutsche Vergangenheit und die Gefahren des Nationalsozialismus ging (Zurück in die Vergangenheit).
Buttgereits spezielle Vorlieben sind zu jedem Zeitpunkt offensichtlich, der Film versucht die Kopie-Verschlissenheit von Grindhouse nachzuahmen (gelungen, ohne aufdringlich zu wirken), im nächsten Atemzug arbeitet man dann aber wieder mit Irisblenden und einer fast expressionistisch wirkenden Ausleuchtung und Kulissen. Die sexy Aspekte der weiblichen Darsteller werden typisch deutsch-verklemmt eingebracht (was Spaß macht), und nebenbei gibt es auch filmische Lösungen, die nicht offensichtlich irgendwo abgekupfert sind. In der Dracula-Sequenz wird beispielsweise von Schwarzweiß langsam die Farbe ins Bild gebracht, wie eine Entsprechung der Wiederbelebung (natürlich spielt die Farbe rot hier auch eine Rolle).
Für mich persönlich wirkte der Film wie ein (absichtlich) dilletantisches Missing Link zwischen den Mel-Brooks-Filmen The Producers (1968) und Young Frankenstein (1974), und passenderweise spielt das Werk auch dazwischen, nämlich 1973. Es gibt viele kleine Schmankerl zu bestaunen wie die Helfer, die dafür sorgen, dass in der Herbstnacht die Blätter im Wind rascheln, einen "Ultrarevolver", der erstaunlich an einen Haartrockner erinnert, oder auch Knoblauch, der in Ermangelung eines Batbelt aus einem kleinen Fahrrad-Werkzeug-Mäppchen gepfriemelt wird. Auch die typischen Mängel vieler Comics werden übernommen. Wenn Captain Berlin plötzlich in Draculas Behausung auftaucht, wird das kurzerhand damit erklärt, dass man beim Handgemenge einen Peilsender am Cape des Vampirs angebracht hatte. Und [möglicher Spoiler!!!] am Ende läuft es so wie in jedem Comic, zu dem im nächsten Monat die nächste Nummer erscheint: "Das Hirn! Es ist weg! Und von Blitzens Leiche auch!" Ein mögliches Sequel mit Werwolf, Golem und Oskar Lafontaine (der passende Schauspieler war schon diesmal dabei) würde ich mir gefallen lassen ...