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Christina Plaka: Kimi he – Worte an Dich Carlsen 2013, 168 S., € 12,90 » Verlag
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»Kimi he –
Worte an Dich«
von Christina Plaka
Im Jahr 2001 erschien mit Dragic Master von Robert Labs auf einem frühen Höhepunkt der Popularität japanischer Comics hierzulande der erste Manga deutscher Herkunft, mittlerweile auch als „Germanga“ bezeichnet. Während diese Frühwerke deutscher MangazeichnerInnen allerdings zuweilen eher als Simulakrum denn als innovatives Eigenwerk zu kategorisieren waren, überzeugen viele neuere Serien wie etwa Gothic Sports von Anike Hage, das mit dem Sondermann ausgezeichnete Personal Paradise der österreichischen Zeichnerin Melanie Schober oder auch die Werke von Natalie Wormsbecher durch hohe zeichnerische und narrative Qualität.
Christina Plaka, erste kommerziell publizierte Mangaka Deutschlands, stach im Vergleich zu den anderen Frühwerken im Bereich der Germanga allerdings von Beginn an durch ihren zwar eindeutig an den (Mädchen-)Manga angelehnten, aber dennoch sehr individuellen und unkonventionellen, kantigeren Zeichenstil hervor. Ihre von 2005 bis 2012 publizierte sechsbändige Reihe Yonen Buzz ist einer der wichtigsten deutschen Manga und zeigt zugleich die enorme Reifung der Zeichnerin in ihrer bisher knapp 10jährigen Karriere. Beeinflusst wurde diese Entwicklung maßgeblich von ihrem Studium an der Seika Kyoto University, welche seit einigen Jahren Studiengänge zu Manga anbietet; möglich ist hier sowohl das theoretische Studium, das den Schwerpunkt auf die Forschung legt als auch das praktische Programm für ZeichnerInnen. Kimi he – Worte an Dich ist nicht nur ein autobiographischer Manga, sondern zugleich die Abschlussarbeit Christina Plakas.
Die Geschichte selbst spielt während des Aufenthalts der jungen Zeichnerin in Japan und umfasst einen Zeitraum von knapp einem Jahr, vom Februar 2010 bis zum März 2011, und endet somit wenige Tage nach der Atomkatastrophe in Fukushima. Plaka, selbst mit griechisch-orthodoxem Hintergrund, besucht in Japan regelmäßig eine russisch-orthodoxe Kirche und lernt dort einen jungen japanischen Ministranten kennen, zu dem sie sich alsbald hingezogen fühlt. Von ihr selbst als „wahrscheinlich bis jetzt emotionalste Phase in meinem Leben“ bezeichnet, erzählt der Manga nun die langsame Annäherung der beiden, inklusive der wohl den meisten bekannten Unsicherheit und Verwirrung ob der neuen Gefühle, die durch die Sprach- und Kulturbarrieren noch erschwert werden. Es sei an dieser Stelle bereits verraten, dass es kein glückliches Ende für die Liebe gibt, bleiben die Gefühle doch unerwidert; die Geschichte mündet in Plakas Rückkehr nach Deutschland auf den Wunsch ihrer besorgten Eltern und der Entscheidung, ihre Gefühle und das Erlebte mit Hilfe des Zeichnens zu verarbeiten.
Was zunächst wie die klassische Story eines shôjo manga klingt, ist weitaus mehr als das. Wenig erinnert in diesem Werk noch an den klassischen, kommerziellen Manga – es existieren keine Panel(begrenzungen), die Dialoge und Monologe werden nicht in Ballons, sondern frei im Raum wiedergegeben, keine comicspezifischen Elemente wie Lautmalereien oder Speedlines sind aufzufinden, die Geschichte ist im westlichen Lesestil gezeichnet. Erzählt wird einzig durch die Narration der Protagonistin/ Zeichnerin selbst, in Form eines langen, zuweilen an einen stream of conciousness erinnernden Monolog. Gezeichnet wurde einzig mit Bleistift, sodass die Bilder sehr skizzenartig und an manchen Stellen beinahe unfertig wirken – dies unterstreicht die Form der zu Papier gebrachten, spontanen, mal flüchtigen und mal intensiven Gedankengängen. Wenige Hintergründe sind zu finden, die Szenen spielen ausschließlich in und vor der Kirche; einige Seiten beinhalten ausschließlich kurze Textpassagen oder wenige Bestandteile von Gesichtern, zumeist sind es die Augen. Dieser überaus zurückgenommene, offene und mit Leere spielende Stil ist gänzlich anders als das, was man von Plaka bisher gewohnt ist. Doch ist es der ideale Rahmen für diesen intimen Einblick, den sie den LeserInnen in diese Periode ihres Lebens gewährt. Man hätte sich aus Neugier zuweilen vielleicht einen Blick auf andere relevante Begebenheiten während des Auslandsaufenthaltes der Autorin respektive Protagonistin gewünscht; doch der Fokus der einzelnen Zeichnungen auf das Gesicht des im Übrigen namenlosen bleibenden kimi (kimi he bedeutet zu Deutsch „an dich“), die an Charakterstudien erinnernden, in allen Perspektiven, in Ganzkörper-, Nah- und Detailaufnahmen inszenierten Illustrationen machen deutlich, dass neben diesen Gefühlen nur wenig Platz hatte in diesem Jahr. Es ist beeindruckend, dass Plaka ausschließlich mit der Darstellung von Augenpaaren Kommunikation zwischen zwei Menschen darstellen kann, ohne dass es tatsächlich Worte benötigt. Viel bleibt der Phantasie der LeserInnen überlassen – und dies ist keineswegs als Mangel zu begreifen.
Es sind diese Darstellungskonventionen, die wieder an die Stärke des klassischen shôjo manga erinnern, für den gerade Empathie und Identifikation eine große Rolle spielt. Der kanadische Germanist Paul M. Malone hat die jungen deutschen Mangazeichnerinnen bereits im Jahr 2009 als „German 'Forty-Niners'“ bezeichnet und somit unmittelbar mit den wichtigsten Ikonen in der Geschichte des Mädchen-Manga in Japan verglichen. Christina Plakas Abschlussarbeit ist ein Indiz dafür, dass diese junge Generation deutscher Zeichnerinnen möglicherweise tatsächlich einen vergleichbaren Einfluss auf die Comic-Geschichte Deutschlands haben könnte. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten: Plaka selbst wird – so deutet zumindest der Manga an einer Stelle an – zunächst in Kyoto promovieren.