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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen





27. April 2013
Thomas Vorwerk
für satt.org

  Topolino e il doppio segreto di Macchia Nera (1955)
Abbildungen © The Walt Disney Company

Mickey and Donald #6 Mickey and Donald #7 Mickey and Donald #8

Gelesene Version: The Blot's Double Mystery in Mickey and Donald #6-8, Gladstone 1988, je 95 US-Cent (ich habe die damals tatsächlich zu diesem Coverprice erstanden, auch wenn sie da wahrscheinlich schon zwei Jahre alt waren), Skript: Guido Martina, Zeichnungen: Romano Scarpa, Übersetzung ins Englische: Dwight Decker, 76 Seiten (bei Gladstone umkopiert auf 21, 22 und 16 Seiten – wenn man die zwei Seiten »Was zuvor geschah« weglässt und aus jeweils drei Seiten à vier Reihen vier Seiten à drei Reihen macht, werden aus 57 76 – Wunder der Mathematik!).




Topolino e il doppio segreto di Macchia Nera (1955)

satt.org-Kollege Felix Giesa ist auch als Dozent tätig und fragte per E-Mail bei mir und Mitdonaldist Marc Degens an, welche Micky- und Donald-Comics man denn für eine Doppelstunde empfehlen könne. Bei Donald waren wir uns einigermaßen einig, weil wir um die Qualität von Im Lande der viereckigen Eier (Lost in the Andes, Barks 1949, gerade der Eröffnungsband der gediegenen Fantagraphics-Barks-Edition) wissen und beide große Fans der Sumpfgnome (Mystery of the Swamp, Barks 1945) sind. Marc hatte sogar mal seine Apple-Festplatte, die ihn jahrelang begleitete, liebevoll »Sumpfgnom« genannt.

Bei der unsäglichen Maus hingegen gab es geringfügige Unstimmigkeit. Für mich zählt sowieso fast nur Floyd Gottfredson, wenn es um den Nager geht, und so schlug ich den Klassiker Mickey Mouse in Death Valley (1930) vor, aus Zeiten, wo die Figur noch nicht glattgebürstet war. Marc hingegen scheute sich nicht davor, seine Verehrung für Romano Scarpa einzubringen (in Gesprächen unter Donaldisten fällt bei Topolino und Konsorten gern der Begriff »Italo-Schrott«, auch wenn Scarpa in seinem Lande natürlich der Klarsichtige unter den Blinden ist). Und quasi sofort tigerte ich auf den Dachboden, kramte meine Longbox mit den Gladstone-Disneys hervor und las nach, was ich mit ca. 12 Jahren sicherlich auch im Lustigen Taschenbuch Micky auf Gespensterjagd mal gelesen haben werde.

Interessant ist die Geschichte von Beginn an, denn während das »Schwarze Phantom« sich an Mickys Hausantenne zu schaffen macht, sieht man die Hauptfigur des Comics auf Seite 1 gar nicht (nur sein Haus, der Name wird immerhin genannt), auf Seite 2 in exakt einem (von sieben) Bild-Panels als Silhouette, und erst auf Seite 3 steigt Micky in die Geschichte ein – um bereits im Verlauf dieser Seite hypnotisiert zu werden und sich im weiteren Verlauf der Geschichte fremdgesteuert in kriminelle Aktivitäten zu verstricken.

Eben habe ich noch indirekt darüber gemeckert, wie brav und langweilig Micky ist, da wundere ich mich über die ersten zwei Wortmeldungen der Figur. Zwar nur in Denkblasen, und auch in verminderter stubentauglicher Version, aber die »kleine Ratte« (Zitat Schwarzes Phantom, im ersten Panel) flucht! Das Fernsehprogramm wird nicht nur immer schlechter, wie man es als Fuchsist gewohnt ist – in Mickys Fall leidet durch die Sabotage auch noch die Bildqualität, und die gedachten Kommentare der couch potato lauten u.a. »Doggone it!« oder »What the heck is that??« Topolino e il doppio segreto di Macchia Nera

Dann taucht ein erstaunlich scharfsinniger Goofy auf und der erste Höhepunkt der Geschichte sind zwei Seiten ziemlichen Blödsinns, wenn der »Mad Hatter« auftaucht, die Lewis-Carroll-Figur aus der Disney-Zeichentrickversion von Alice in Wonderland (1951, also damals noch recht aktuell), der sich sozusagen in die falsche Schublade des Disney-Universum verirrt hat. Dieser Knabe namens Thomas Topper (Alliteration plus Hutreferenz) führt einen Hutladen ohne die geringste Produktpalette (»No one wears hand-made hats these days ... just caps and scarves! Why should I waste my time stocking the shelves?«), und das einzige, was beim vermeintlichen Einbruch verlustig ging, ist des Hutmachers eigene Kopfbedeckung – eigentlich auch kaum der Rede wert. Die übliche Kriminalgeschichte wird gleich auf zwei Arten auf den Kopf gestellt: zum einen verleitet der Verbrecher den Ermittler zu kriminellen Aktionen, und zum anderen führen die Ermittlungen schnell zu komplett wahnwitzigen Indizien – aber keinem ernstzunehmenden Verbrechen.

Doch schnell gibt es dann einige Autodiebstähle, um das Momentum beizubehalten – und dann den absoluten Klassiker aller Kriminalgeschichten: Ein Geheimnis in einem verschlossenen Raum! Topolino e il doppio segreto di Macchia Nera

Doch weitaus interessanter ist es, wie Autor Guido Martina lauter Puzzlestücke der Geschichte nimmt, und sie dermaßen falsch zusammenfügt, dass nicht nur Micky, Goofy und Kommissar Hunter im Dunkeln tappen – auch der Leser ist auf eine Art und Weise aufgefordert, mitzudenken, wie man es nicht unbedingt von Micky-Maus-Comics erwarten würde.

Nebenbei bleibt aber auch viel Zeit für »plain sillyness«, wenn Goofy etwa fragt, ob er sich die Zeit mit etwas Schnitzen vertreiben kann. Und auf dem nächsten Panel der gesamte Boden des Raumes mit einer etwa 20 cm hohen Schicht von Holzabfällen belegt ist. Das wirklich gelungene an der Geschichte ist die Kombination dieses Unfugs (wie er in den italienischen Disney-Comics durch Figuren wie Dussel Duck quasi als Fahne hochgehalten wird) mit einer durchaus spannenden Geschichte.

Topolino e il doppio segreto di Macchia Nera

Da versucht Micky im Hypnosezustand, nachts Kommissar Hunter zu erstechen, Goofy wird beinahe ertränkt, und zu der Atmosphäre eines typischen Spukhauses mit versteckten Gängen und allerlei Geheimnissen gesellt sich im Mittelteil der Geschichte auch noch Mickys alter Freund Gamma (hier ist der englische Name Eega Beeva natürlich um Klassen hübscher) mit einem kleinen Haustier, das im Grunde genommen einen Großteil des Falls aufklärt, weil es sich nicht gänzlich auf seine Augen verlässt.

Die perfiden Tricks des Schwarzen Phantom sind auch außergewöhnlich. Sein Umhang hat für die Tarnung im Schnee eine weiße Wendeseite, und seine Gimmicks findet man in ähnlicher Form später in den Phantomias-Comics wieder – nur dort mit Blödsinnswissenschaft à la Daniel Düsentrieb als Q-Ersatz, und hier mit dem mysteriösen Touch einer Gothic Novel, wo eben nicht alle eigentümlichen Vorgänge im Detail erklärt werden. Topolino e il doppio segreto di Macchia Nera

In Mickey and Donald #6 gibt es sogar ein kleines Interview mit Scarpa, wo er etwa über den Einfluss des Film Noir auf seine Geschichte befragt wird (sehr ausweichende Antwort) oder auch folgende Frage gestellt bekommt:

Q: What do you think about the Italian production of Disney comics?

Scarpa: Well, let me say I do not have a great opinion on what is being published in Europe and South America these days. To me, most of these stories have little in common with the American classics ... they lack what I call the »Disney spirit«. They may be good because they sell well, but that is all. They cannot be compared with the traditional American stories.
Mal abgesehen davon, dass es Scarpa offensichtlich bewusst war, dass er für eine US-Publikation interviewt wurde, ist es auffallend, dass er, auf Italien befragt, gleich ganz Europa und Südamerika in einen Sack schmeißt, dabei aber sein Statement auf die gegenwärtige Situation begrenzt. Nichtdestotrotz kann ich jetzt, wenn ich das nächste Mal eine klare Unterscheidung zwischen Barks und den Lustigen Taschenbüchern ziehe, Scarpa himself zitieren. Very convenient. Die Rezension ist aber noch nicht zuende, denn ich komme nicht umhin, zu kritisieren, dass die Geschichte im letzten Teil ziemlich abschlafft. Nach der Rettung Goofys darf man gefühlt sechs Seiten Erklärungen beiwohnen (einiges musste auch erklärt werden, aber das hätte man cleverer lösen können), ehe dann das Schwarze Phantom überwältigt werden kann, sich noch ein letztes Mal aufbäumt, und man dann erstaunlich lange damit zubringt, die Geschichte abzuschließen. Unter anderem mit einer halbseitigen Folter (kindgerecht, natürlich) des Übeltäters und einer vermeintlich witzigen »Demonstration« der Vorkommnisse für den fleißig seinen Dienst verrichtenden Kommissar Hunter, der einfach ebenfalls hypnotisiert wird. Aufgrund Mickys uncharakteristischer fiesen Mimik mag man vielleicht noch annehmen, dass er erneut vom Phantom manipuliert wird, doch der Bösewicht wird einfach irgendwo gefesselt hinterlassen und ist danach drei Seiten lang überhaupt nicht mehr zu sehen. Noch enttäuschender ist aber der »Schlussgag«, bei dem der fast das gesamte Finale nur im Hintergrund stehende Goofy, der höchstens mal kommentiert »Wish I knew whut wuz goin' on!« anhand der jeweils für unschuldig befundenen anderen Figuren (Kommissar Hunter war eigentlich jederzeit über jeden Verdacht erhaben, aber welcher Achtjährige hinterfragt solche Details schon?) nur den Schluss ziehen kann, dass er wohl selbst der Schuldige sein muss. Sagt's, haut mit der Faust auf den Tisch und schmeißt dabei ein Tintenfass um. Das Ende. Diese Art von »Schlussgags« war es auch, die mir die LTBs vermiest haben, wo jedesmal wieder Dagobert im letzten Panel wutentbrannt Donald verfolgt oder Klaas Klever zum zweiundvierzigtausendsten Mal seinen Hut verspeist.

In Mickey and Donald #9 meldet sich Romano Scarpa übrigens noch mal auf der Leserbrief-Seite wieder und teilt seine Begeisterung über eine US-Publikation einer seiner Geschichten. Auch wenn es ja ein nicht einmal von ihm verfasstes Frühwerk ist, wo er doch mit den Jahren viel besser wurde (»the improvement I think I have achieved«). Interessant, wie diese Selbsteinschätzung im Kontrast steht zum Statement im Interview drei Hefte zuvor. Denn Scarpa, der erst 2005 starb, war zu dieser Zeit noch für den Disney-Konzern tätig.

Ein kleines Detail, was bei Disney-Publikationen viel zu oft Gesprächsthema ist, und auch beim ambitionierten Gladstone-Verlag offensichtlich »ganz normal« war, ist natürlich die Umformatierung, in diesem Fall vom »Digest«-Format, wie man es hierzulande bei den Lustigen Taschenbüchern kennt, zum Heft-Format. Immerhin hat Gary Leach, der die »additional art« beisteuerte und häufig Panels verbreitete, indem er links, rechts oder in der Mitte einfach ein wenig »Niemandsland« dazuzeichnete, in diesem Fall sogar einen eigenen Credit bekommen. Was die unschöne Praxis, die die Zeichenkunst des eigentlichen Schöpfers verwässert, natürlich nicht erträglicher macht. Mein Schlussfazit zu diesem Comic: die ersten drei Viertel sind vorzüglich, aber leider vielleicht auch deshalb, weil man viele der Rätsel und Spannungsmomente zu Beginn am Schluss gar nicht auflöst. Oder anders gesagt: Der Anfang verspricht mehr, als der Schluss einhalten kann.