Grant Morrison (Text) und Frank Quietly (Zeichnungen): All Star Superman Panini 2011, 296 Seiten, € 24,95 »Verlag »amazon
Grant Morrison & Frank Quitely:
All Star Superman
Während des 2005 gestarteten Crossovers Infinite Crisis wirft Batman seinem ‚Freund’ Superman einen Satz an den Kopf, der im Grunde schon seit den 1980er Jahren, also seit den vor Selbstdiagnose, Zynismus, Fatalismus und Gesellschaftskritik triefenden Superheldenarbeiten von Alan Moore und Frank Miller programmatisch für die Lektüre von Superman-Comics ist: „Jedermann sieht zu dir auf. Jeder hört dir zu. Wenn du sagst, sie sollen kämpfen, werden sie kämpfen. Aber dazu muss man sie inspirieren. Und ehrlich gesagt, ‚Superman’ … du hast die Menschen zum letzten Mal inspiriert als du tot warst.“ (Infinite Crisis, Nr. 1, Juli 2006). Tatsächlich könnte diese Diagnose zutreffender kaum sein, weil sich die berühmtesten und einflussreichsten Comics um den ’Stählernen’ mit dessen Demontage beschäftigen: Was Alan Moore 1986 mit Whatever Happened to the Man of Tomorrow beginnt, wird von Frank Miller in The Dark Knight Returns in einer wunderbaren Prügelei zwischen Batman und Superman aufgegriffen und führt unmittelbar zu Supermans frühzeitigem Tod durch das Monster Doomsday (The Death of Superman, 1992). Tatsächlich sind es diese Comics, die bis zuletzt Aufsehen erregt haben und die im kulturellen Gedächtnis geblieben sind, während andere, vielleicht optimistischere und naivere Superman-Comics wohl oftmals vergessen werden. Die Frage ist doch, welche Daseinsberechtigung ein Superman, also ein ewig guter, geistig noch im Golden Age feststeckender, nie zweifelnder, nie aufgebender Superheldenprototyp noch hat, wenn sich die Welt um ihn herum weitergedreht hat und die Gesellschaft vor Problemen steht, die Superkraft und Hitzeblick nicht lösen können. Nach der Lektüre von All Star Superman fällt die Beantwortung dieser Frage allerdings leicht: Ein Superman hat auch heute noch jede Daseinsberechtigung.
Grant Morrison und Frank Quitely haben zwischen 2005 und 2008 das zwölfteilige Glanzstück der von DC herausgegebenen und schnell vor die Wand gefahrenen All-Star-Reihe verfasst. Ursprünglich war die Reihe so konzipiert, dass berühmte Autoren und Zeichner die Geschichten über Superhelden erzählen, die sie schon immer einmal außerhalb der Kontinuität erzählen wollten. Herausgekommen sind dabei die niemals beendete Reihe All Star Batman des kurios zusammen gewürfelten Duos Frank Miller und Jim Lee sowie eben All Star Superman, die mal wieder eine Geschichte über Supermans Tod erzählt: Als Superman eine bemannte Forschungsmission zur Sonne rettet, werden seine Zellen mit Sonnenenergie überladen. Die Diagnose lautet massives Zellsterben, das unmittelbar zu einem langsamen Tod führen wird. Als wäre dies noch nicht genug, erfährt Superman aus der Zukunft, dass er vor seinem Tod zwölf herkuleske Aufgaben bewältigen muss, wobei Morrison diese Ausgangssituation nutzt, um einige ikonische Superman-Stories noch einmal zu erzählen: So wirbt Superman um seine Angebetete Lois Lane, er kämpft an der Seite von Jimmy Olson gegen Doomsday, gegen Lex Luthor, gegen Bizarro sowie auch gegen ein arrogantes Kryptonierpaar, das die Weltherrschaft an sich reißen will. Es ist ja nicht so, als hätten die geneigten LeserInnen diese Geschichten nicht schon ein um’s hunderttausendste Mal gelesen und dennoch gelingt es Morrison und Quitely, all das irgendwie vertraut und neu, traditionell und innovativ zu gestalten.
Das liegt zum einen daran, dass Morrison der Versuchung des Melodrams widersteht und dem ganzen Comic eine erzählerische Ernüchterungskur verschreibt: Anders als seine Pendants aus den 80er und 90er Jahren darf Morrisons Superman nicht über seinen eigenen Tod, seine Rolle in der Welt und auch seine Menschlichkeit nachdenken. Es gibt keine inneren Monologe, kein Bedauern und auch keine Trauer. Dieser Superman nimmt die Nachricht von seinem Tod recht gelassen auf und macht sich dann ans Werk. Das mag nun aus der Perspektive der vorangegangenen Comics, insbesondere nach der Lektüre von Moores Whatever Happened to the Man of Tomorrow, irritierend wirken. Es ist aber zugleich ungemein befreiend, weil die LeserInnen nicht dazu gezwungen werden, permanent die Selbstbeweihräucherung eines Superhelden miterleben müssen. Im Zentrum des Comics steht vielmehr die Bewältigung der letzten großen Aufgaben: Wird Superman mit Lois Lane zusammenkommen? Kann er die Flaschenstadt Kandor (ein knapp fünfzig Jahre alter Plot der Comics) retten? Kann Superman Lex Luthor besiegen? Die Beantwortung dieser Fragen ist der eigentliche Clou des Comics, weil Morrison einige verblüffend einfache wie einfallsreiche und stilvolle Antworten darauf gibt.
Als sei dies noch nicht genug, ist All Star Superman eine durchgehend humorvolle Lektüre. Morrison bedient sich tief im Fundus der Superman-Klamottenkiste und gräbt dabei einige inzwischen vergessene oder randständige Figuren aus, wie den Redaktions-Rowdy Steve Trevor und natürlich die Tratsch-Kolumnistin Cat Grant. Diese Figuren dienen genauso wie der Einsatz eines als schwabbelig, tollpatschig und wunderbar schüchtern inszenierten Clark Kents dazu, das Tempo aus der Geschichte zu nehmen und teils skurrile, teils über die Maßen komische Situationen einzubauen. Wenn Clark Kent beispielsweise in einem einzigen Panel des ersten Kapitels seine Krawatte bindet, dabei über seinen heruntergefallenen Aktenordner stolpert, einen Kaffee mit sich reißt, diesen in der Luft fängt und abstellt, um dann nochmals auf einer am Boden liegenden Papierseite auszurutschen und im Büro des Chefs zu landen, dann ähnelt Kent sogar eher Dupond et Dupont aus Tintin als dem aus den übrigen Comics bekannten Alter Ego von Superman.
Ein Stück weit geht es in All Star Superman also einfach darum, Spaß an der Sache zu haben. Insbesondere Frank Quitely trägt dazu mit seinen oft ikonischen Zeichnungen und vor allem mit seiner klaren Linienführung bei. Die Figuren, ihre oftmals im Fokus stehenden Bewegungsabläufe sowie Landschaften formieren sich zu farbenfroh colorierten Panoramen, von denen jedes einzelne durch die pointierte Darstellung von Gestik und Mimik schon wieder eigene Geschichten erzählt. Es lohnt sich also, genau hinzusehen, eben auch, weil einige der für den Plot relevanten Details nicht im Text verhandelt werden, sondern nur durch das genaue Studium der Panels und Bilder zu erkennen sind. Den Höhepunkt dieser fast schon wimmelbildhaften Suche nach Hinweisen erreicht der Comic im fünften Kapitel: Clark Kent besucht Luthor im Gefängnis und muss diesen permanent und ungesehen vor den Übergriffen anderer Insassen schützen. Dabei sind Kents Hilfestellungen und Rettungsversuche oft in einzelnen Details, manchmal gar unmerklich festgehalten, was die LeserInnen nur dazu einlädt, innezuhalten, um noch einmal zurückzublättern und zu erfahren, wann bestimmte Details hinzugekommen oder weggeblieben sind. Das gleichermaßen Verblüffende und Irritierende ist dabei, dass diese Suche nach Hinweisen immer auch vom Comic belohnt wird, ohne dass sich die LeserInnen zu Suche gezwungen sehen, um den Comic auch zu verstehen. Wer aber sucht, der oder die wird auch etwas finden, manchmal gar zehn oder mehr Seiten zuvor, wodurch die Geschichte eine unaufdringliche, als Subtext vorhandene Tiefe erhält, die im genauen Gegensatz zu Moores und Millers Comics steht: Wo die beiden Superhelden-Autoren der 1980er Jahre dazu neigen, die Avantgarde ihrer Erzähltechniken, die Kritik am System ‚Superheldencomic’, aber auch an den Gesellschaftssystemen zum Selbstzweck zu erheben, ist dies bei Morrison und Quitely zwar auch irgendwie alles vorhanden und zumindest angedacht; es springt den LeserInnen aber bei der Lektüre nicht unmittelbar ins Gesicht, obwohl doch einige durchaus auch problematische Topoi im Comic durchgespielt werden. So beschäftigt sich All Star Superman wie seine Vorgänger mit der Frage nach dem Übermenschentum von Superhelden, spielt an einigen Stellen sogar auf Parallelen zum Nationalsozialismus an und sucht die Auseinandersetzung mit kulturellen und mythologischen Wurzeln. In diesem Zusammenhang fällt aber schlicht unangenehm auf, dass die Gesamtausgabe an einer zentralen Stelle zensiert ist, in der Friedrich Nietzsches Zarathustra, also der Inbegriff des Übermenschenkonzepts, direkt mit der Entstehung Supermans in Verbindung gebracht wird. Zitiert Nietzsche sich zumindest in der ersten deutschen Übersetzung des Comics von 2005 selbst („Sehet, ich lehre euch den Übermenschen …“), ist dieser Satz wohl auch aus Gründen der political correctness in der Gesamtausgabe unkenntlich gemacht, was den direkten Aufwurf der Übermenschenthematik schlicht zerstört.
Beeindruckend ist aber, dass Morrison und Quitely diese eigentlich schwergewichtigen Themen recht leichtfüßig in die Geschichten einbetten, indem sie jeder Ausgabe ein jeweils neues literarisches Motiv beimessen: So startet der Comic mit einer Prometheus-Mission zum Feuer der Sonne, um sich anschließend in das Märchen von Blaubart zu verwandeln und alsbald eine Screwball-Comedy zum Werbungsverhalten der mythologischen Figuren Samson und Apollo um Lois Lane zu inszenieren. Insofern bietet All Star Superman nicht weniger Möglichkeiten zur intellektuellen Auseinandersetzung als andere bedeutende Superman-Auftritte, nur das dies diesmal weit weniger aufdringlich gelöst ist als in den geistigen Vorgängern.
Allerdings hängen all diese im Grunde vorteilhaften Ebenen des Comics auch mit einer durchaus weniger erfreulichen Programmatik zusammen, die typisch für Morrisons Superheldencomics ist. Bei Morrison sind Superhelden überhöhte Götter, die es zu akzeptieren und zu lieben gilt. Dieser Ansatz mag zwar in einem durchweg amüsanten und intelligenten Comic, wie es All Star Superman nun einmal ist, verschmerzbar sein. Allerdings stößt dies eben doch manchmal sauer auf, weil die Unaufdringlichkeit des Comics und seiner vielfältigen Themen zuweilen mit Pathos und Götterliebe erkauft ist. Trotzdem will aber auch bemerkt sein, dass dies ein Vorwurf ist, den man böswillig jedem DC-Comic, aber wohl auch den meisten anderen Superheldencomics machen könnte.
All Star Superman ist glücklicherweise kein reines Denkmal und auch kein Monument für einen sterbenden Superhelden geworden. Es ähnelt vielmehr einem Familienalbum, das man nach vielen Jahren des Vergessens überrascht aus einer Kiste auf dem Dachboden herausholt, um sich unmittelbar an Momentaufnahmen und Eindrücke zu erinnern. Und genauso wie ein Fotoalbum bietet All Star Superman die Möglichkeit, die Motive aus den unzähligen Comics zugleich mit der Distanz der Zukunft, wie auch mit der eigenen Involvierung des Erlebten zu betrachten. Herausgekommen ist dabei kein reiner Retro-Comic, kein vollkommen innovativer Comic, sondern irgendetwas dazwischen. Vielleicht ist All Star Superman der Comic einer LeserInnen-Generation, die zwar erkannt hat, dass die Welt komplexer geworden ist und die sich immer wieder auf’s Neue mit der Unlösbarkeit zahlreicher akuter Probleme konfrontiert sieht, die aber zugleich eben nicht daran scheitert, so, wie die Helden aus den 80ern immer scheitern mussten. Im Gegenteil könnte der vorliegende Comic tatsächlich ein Beweis dafür sein, dass jedes Problem, trotz der Verkettung mit zahlreichen anderen Problemen, Motiven und Subtexten, lösbar ist. Und das ist ja eigentlich mal wohltuend und beruhigend.