Nach sieben Jahren Pause und 15 Jahren Bestehen hat die Hamburger Band Zehn Meter Feldweg ihr viertes Album veröffentlicht: Das Weiße Schloss heißt es, die aufwendig ausgekoppelte Single heißt Der Schwarze Fluss. Wir treffen uns in einem Café auf St. Pauli zum Interview. Wir haben kaum den ersten Kaffee, da erzählt Uli von der Bandprobe vergangenen Abend und von der »Liebe zu Hamburger Schule Bands«, die Zehn Meter Feldweg vereint. Mist.
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Ich wollte eigentlich gar nicht so einsteigen und das Thema überhaupt vermeiden. Ehrlich. Aber jetzt habt Ihr das direkt selber gleich am Anfang angesprochen: Hamburger Schule. Fühlt Ihr Euch mit dem Label wohl?
Till: Es ist zumindest nicht hilfreich. Man bekommt sofort einen Stempel aufgedrückt. Und das ist auch unabhängig davon, was man dann letztendlich aufnimmt.
Also wir lieben die Hamburger Schule. Wegen der Bands machen wir Musik. Sven (Lewerentz, der Sänger) und ich haben uns kennen gelernt, mochten die Musik und haben so angefangen, selbst zu spielen.
Am Anfang war es ja durchaus praktisch, ein gewisses Umfeld zu haben. Wir haben auch relativ früh auf dem Hamburger Uni Campus gespielt, zusammen mit bekannteren Hamburger Bands wie Tomte, Parole Trixi, Tigerbeat... Unser erstes Album war dann auch in dem Stil.
Zehn Meter Feldweg:
Das Weiße Schloss Snowhite / Rough Trade 2014 Pressefotos: Snowhite »Bandseite »amazon
Würde Euch dieser Stempel auch aufgedrückt, wenn ihr nicht aus Hamburg kommen würdet?
Uli: Ich weiß nicht, wie es anderen Bands geht, die nicht aus Hamburg kommen. Es ist natürlich so, wenn man in der klassischen Bandbesetzung spielt und deutschsprachige Texte hat. Dann schmeißt man das gerne mal mit auf den Haufen.
Aber ich weiß nicht, ob man da von einer Schule sprechen kann? Manche Bands kennen sich eben, aber viele auch nicht. Schule impliziert doch, dass man sich trifft und austauscht. Aber viele Bands machen auch ohne direkten Kontakt zu anderen unabhängig voneinander ähnliche Musik.
Welche Bands kennt ihr denn, mit denen Ihr Euch austauscht?
Uli: Weniger solche, die ähnliche Musik machen wie wir.
Unser Trompeter Sebastian spielt bei anderen.... (Überlegt bei wem)
... Also Bläser werden ja eher bei Soul eingesetzt und ich bin mit Elektro groß geworden...
Aber Audiolith kennt Ihr bestimmt. Ist Sven schon mal auf Lars Lewerenz wegen des fast gleichen Nachnamens angesprochen worden?
Till: Ich glaub nicht. Tatsächlich. Aber eigentlich kennen wir auch Audiolith nur flüchtig. Obwohl... (Überlegt und lacht dann) Lars hat mir vor Kurzem eine Email geschrieben: »Hey, ich glaub, ich hab von Euch geträumt, echt. Herzlichen Glückwunsch zur Veröffentlichung«.
Da hab ich den Absender gesehen und auch erst einmal gedacht, dass Sven mir schreibt.
Oh, das ist ja fast niedlich. Also, wenn es ein guter Traum war. Was ja anzunehmen ist....
Till: ...Also wir sind nicht so die klassische Hamburger Band, die viel mit Anderen zusammengearbeitet hat oder andere Bands kennt. Wir haben viel unter uns gemacht und uns auch ewig nicht für Label oder so etwas interessiert.
Wir wollten nur Musik machen und wussten gar nicht, dass man so etwas wie Label oder Booking braucht...
Von Labeln und Produzenten
Braucht man?
Till: Oder man macht es selbst. Aber das kann man eigentlich nur, wenn man zur Schule geht und viel Zeit hat oder studiert und viel Zeit hat. (Überlegt)
Wir machen echt seit 15 Jahren in Hamburg Musik und kennen kaum jemanden...
Aber Ihr habt jetzt trotzdem mit Chris von Rautenkranz und Tobias Levin aufgenommen...
Till: Das sind ja die Gestalten der Hamburger Schule überhaupt. Wegen Tobias Band ist ja der Begriff überhaupt erst eingeführt worden. Er hat ja nicht nur Cpt. Kirk gehabt sondern auch bei Blumfeld gespielt und beide haben damals fast zur selben Zeit ein Album herausgebracht. Aufgrund dessen hat dann ein Reporter der taz den Begriff Hamburger Schule aufgebracht.
War es dann eine bewusste Entscheidung von Euch, mit ihm aufzunehmen?
Till: Mit Produzenten haben wir uns die 13 Jahre davor überhaupt nicht beschäftigt. Ich habe aber ein Interview mit Pete Doherty gelesen, in dem er auf Produzenten angesprochen wurde und er meinte: »Was soll ich dazu sagen. Ohne Produzenten kein vernünftiges Album“. Und da habe ich gedacht: Wenn der das sagt – in seinem Zustand – dann kann man ja mal drüber nachdenken. Wir haben daraufhin geschaut, wer uns reizen könnte und das waren eben Tonias und der Chris von Rautenkranz. Der produziert aber nicht mehr so viel und mit Tobias hat sich das durch einen Zufall tatsächlich ergeben.
Uli: Naja, produziert hat er ja dann nicht... und Chris hat gemastert.
Wir haben uns gar nicht so primär die Gedanken darüber gemacht, was die Produzentenrolle ist. Aber wenn man das bei anderen so hört, dann ist der Produzent schon in einem viel früheren Stadium der Platte dabei. Wie ein externes Bandmitglied, das mit einem Blick von oben sagt wie man es vielleicht noch machen könnte.
Bei uns waren die meisten Songs ja schon fast fertig. Tobias hat dann erst im Studio an Details gearbeitet und an Soundfeinheiten.
Ist das die Produzentenrolle, die Ihr Euch nach dem Interview mit Pete Doherty vorgestellt habt?
Till: Ach, ich habe mir da eigentlich gar nichts vorgestellt. Ich habe vor allem gedacht, dass so ein Produzent einen weiterbringen kann, als außenstehende Person, die nicht direkt im Geschehen drin ist.
Es scheint auch wie eine logische Entwicklung, dass Ihr schrittweise Aufgaben wie Label, Vertrieb mit jedem Album mehr abgegeben habt. Wieviele Kompromisse muss man da eingehen?
Till: Gewisse Kompromisse muss man eingehen. Das Label hat das Album ja auch so vermarktet wie es deren Art ist. Das war ein Stück weit auch ungewohnt für uns. Aber wir haben da schon Fremdbestimmung in die Band einfließen lassen, die wir so nicht kannten, z.B. mit der Presseseite, die das Label aufgesetzt hat.
Uli: Was ich aber ganz wichtig finde: Wir sind erst zu einem Label gegangen, als der kreative Prozess abgeschlossen war. Es war also nicht so, dass es ein Mitspracherecht gegeben hätte, wie die Platte zu klingen hat oder wie das Artwork auszusehen hat.
Till: Prinzipiell sind wir ja an jedes Album so rangegangen, dass wir es anders machen wollen, als das Album vorher...
Uli: ...der Prozess der letzten sieben Jahre ist ja jetzt nach der Veröffentlichung erst einmal vorbei. Es fühlt sich im Moment ein bisschen so an wie bei einer Serie, die zu Ende geht und man ist mit den Charakteren schon so verhaftet. Da denkt man: Und jetzt? Was soll ich jetzt machen?
Till: ...gibt’s da keine Bonus-CD...
Nur ein Spin-off...
Uli: ...Jaha. Es fühlt sich ein bisschen wie ein Punkt Null an, von dem man startet.
Neue Vermarktung
Es hat sich in sieben Jahren ja auch im Musikgeschäft einiges geändert.
Till: Wir sind ja die ganze Zeit nur in unserem Keller gewesen... Also ich muss sagen, ich habe nicht richtig verstanden, was zwischen 2007 und 2014 passiert ist. Kannst Du das sagen?
Hmmm... es war natürlich eine kontinuierliche Entwicklung. Wichtig ist für Bands sicher auch die Vermarktung im Internet...
Till: ...Stimmt. Bei Phantom Power zum Beispiel hat die Vermarktung ja weniger im Netz stattgefunden.
Aber Ihr habt doch mit Sven und Uli zwei Mediendesigner in der Band und Ihr seid ziemlich aktiv im Netz.
Till: Sven macht das gut, wir sind aber nicht so aktiv.
Uli: Im Gegensatz zu 2007 war jetzt ja eher die Frage: macht man noch einmal ein Album oder macht man etwas anderes.
Da kam von Sven eine Idee: man nimmt sich erst einmal nur ein Stück und macht daraus ein Gesamtkunstwerk, gleich mit Video und allem... So dass man eher mehrere einzelne Singles hat und nicht ein gesamtes Album. Weil diese ganze Tonträgergeschichte nicht mehr ganz zeitgemäß ist. Da ist es eher eine Idee, einen Song als kleinen abgeschlossenen Mikrokosmos zu machen.
Und die Kassette, auf der Ihr Schwarzer Fluss herausgebracht habt, war da kein Marketing-Ding?
Till: Naja, unser Label hat halt gesagt, dass zu einer Albumveröffentlichung auch eine Single gehört. Wir haben das erste Mal mit einem Label zusammengearbeitet. Da haben wir uns also überlegt, wie man so eine Single präsentieren kann. 7inch machen irgendwie alle...
Muss man da heute kreativer sein und etwas interessanteres, wie eben eine Kassette, finden?
Till: Ja muss man. Das Hamburger Abendblatt hat zum Beispiel zwei Artikel über uns geschrieben und das hätten sie definitiv nicht gemacht, wenn sie keinen Aufhänger gehabt hätten. Einfach nur Indieband aus Hamburg bringt ein Album raus, reicht eben nicht.
Es war aber auch nicht nur ein genialer Marketingplan. Wir haben das eher aus.... aus Höflichkeit gemacht.
Diese Höflichkeit lasst ihr euch aber etwas kosten. Billiger wäre es ja auf jeden Fall, die Single einfach digital zu veröffentlichen.
Till: Ja natürlich...
Uli: ...das ist aber auch ein Frage der eigenen Wertschätzung.Wir sind selbst liebevoll mit den Stücken umgegangen und da kann man das dann auch entsprechend verpacken. So ist es nicht nur ein Rauschen im Netz.
Es reicht also nicht, nur im Netz präsent zu sein?
Uli: Es ist die Frage, ob einem das selber reicht. Es geht bestimmt.
Für mich war es aber auch die erste Albumveröffentlichung, also die erste offizielle. Deswegen fand ich das auch sehr aufregend.
Man gibt es damit an die Öffentlichkeit und kann nicht mehr daran weiter arbeiten.
Es geht bei Kunst also offensichtlich auch um das Besitzen, was bei Streaming nicht mehr der Fall ist. Und was ich einen sehr schönen, sozialen Gedanken finde.
Uli: Es hat, glaube ich, nicht nur etwas mit Besitzen zu tun, es hat auch etwas mit einem Abschluss zu tun...
Till: ... Es ist ein Geschenk, das man besonders schön verpackt und das deshalb noch einmal besonders schön ist. Finanziell macht das überhaupt keinen Sinn. So wie es auch keinen Sinn macht, teures Geschenkpapier zu kaufen.
Wieviel darf man sich das Geschenkpapier denn kosten lassen?
Uli: Oh, müssen wir...?
Till: So viel wie es einem wert ist.
Das macht doch das Label, oder? Beziehungsweise das Label muss das absegnen, oder?
Till: Naja, das kommt auf den Vertrag an. In dem Fall haben tatsächlich wir das beauftragt. Weil wir wollten das eben wie ein Geschenk überreichen. Aber ich weiß auch, dass das nicht immer geht.
Um auf Marketing zurückzukommen: kann man es sich als Künstler heute überhaupt noch leisten, nicht im Netz zu sein?
Uli: Darüber habe ich vor Kurzem mit unserem Sänger Sven gesprochen: Die Frage ist, wie groß man sein möchte.
Da ist natürlich zu hinterfragen, ob Aufmerksamkeit ein Ziel ist.
Ist es nicht?
Uli: Ich würde es nicht so pauschalisieren. Nicht um jeden Preis. Je mehr Aufmerksamkeit man hat, desto mehr Kompromisse muss man ja machen.
Till: Wir machen auch ganz viele Dinge nicht. Für uns steht nicht im Vordergrund, dass wir möglichst bekannt werden. Wir wollen gut damit leben können.
Sind denn heute die Anforderungen an so eine Produktion höher, weil jeder zuhause produzieren kann?
Uli: Es ist auf jeden Fall ein Grund dafür, mit jemanden zusammen zu arbeiten, der noch einen Blick von außen hat. Ich finde es generell gut, auch andere Leute zu fragen. Und auch wenn wir nicht so viele andere Bands kennen, die ähnliche Musik machen wie wir, arbeite ich ja auch mit anderen Projekten zusammen. Und da hören wir das in diesen Kontexten an und sprechen darüber.