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14. März 2011
Dominik Irtenkauf
für satt.org

  Blackfield
Foto: Chiko


Interview mit Aviv Geffen von BLACKFIELD
(Köln, 15.2.2011)

In deiner Heimat Israel bist du ja ziemlich bekannt.

Aviv Geffen: Das stimmt. Im letzten Jahr konnte ich jedoch einen großen Erfolg verbuchen. Mit meiner ersten internationalen Scheibe ging ich mit Nena in Deutschland auf Tour, danach mit Placebo und U2. Danach war dann Zeit für Blackfield. Mit der neuen Blackfield-Scheibe scheint es auch deutlich aufwärts zu gehen. Wir spielten in einigen sehr guten Klubs.

Blackfield könnte auch als Projekt zweier Starmusiker verstanden werden. Wie geht ihr mit solchen Vorurteilen um?

Aviv Geffen: Als Solokünstler hatte ich in Kreuzberg eine tolle Erfahrung, denn ich habe den Club dort mit 800 Leuten ausverkauft. Als sogenannter Superstar gibt es also immer noch Erfahrungen, die einen überraschen. In Israel bin ich wirklich ein sehr bekannter Star, doch für mich ist die Betätigung in Blackfield eine super Sache, denn ich muss erneut einen Weg hinter mich bringen. Für Steven und mich ist Blackfield eine wichtige Sache, in die wir unser Herzblut einbringen können.

Wie bekommt ihr es denn mit euren stark reglementierten Zeitplänen hin, euch für Blackfield eine Auszeit zu nehmen?

Aviv Geffen: Blackfield begann als eine Art Seitenprojekt, als eine Freundschaft zwischen zwei Musikern, doch sind wir über die Zeit gewachsen und haben viele Platten verkauft. Auf YouTube findest du einige Coverbands aus Brasilien, Tokio, England, die unsere Songs nachspielen. Wir kamen also zu dem Entschluss, Blackfield als einer Hauptbeschäftigung nachzugehen. Blackfield ist eine tolle Sache, denn Steven Wilson kommt aus der Prog-/Metal-Richtung, ich kam aus der Independent Rock-Ecke. Wir sind sehr davon überzeugt, dass unser neues »DNA«-Album den Stellenwert des Pink Floyd-Albums »Dark Side Of The Moon« für die Blackfield-Diskographie einnehmen kann. Ich denke, das neue Album ist die ideale Mischung aus meinem melodischen Background aus 42 Musikern, Bläsern und Piano und Stevens Gitarrenarbeit.

Auf dem »Welcome To My DNA«-Album findet man in der Tat einen guten Mix aus progressivem Anspruch und recht eingängigen Melodien.

Aviv Geffen: Ich denke, dass alle Porcupine Tree-Fans, die »Signify« lieben, auch das neue Blackfield-Album lieben werden. Die Stücke von Wilson haben über die Jahre mehr Songqualitäten angenommen und zeigen weniger technische Spielerei. Einige Porcupine Tree-Kompositionen wirken zu proggig auf mich. Das ist nichts für mich. Bei Blackfield werde ich Steven nie und nimmer erlauben, ein dreißigminütiges Solo zu spielen. ‚The Musical Box‘ ist einer meiner Lieblingssongs aller Zeiten, auch höre ich King Crimson oder Pink Floyd.

Man kann einiges an frühen Pop auf dem neuen Blackfield-Album hören.

Aviv Geffen: Ja stimmt. Beach Boys, Yello. Wir wollen einfach gute Songs schreiben. Steven ist wirklich ein Genie, was Backingvocals angeht. Er kann unzählige Arten von Hintergrundgesang aufnehmen.

Auf der anderen Seite schlagt ihr im Song ‚Go To Hell‘ ganz schön harte Töne, zumindest textlich, an.

Aviv Geffen: Dieser Song behandelt meine Kindheit, er richtet sich gegen meine Eltern und an verlorene Freunde. Ich denke, dass diese direkten Worte am besten zur Absicht des Stückes passen.

Dann kam dein Umzug nach London.

Aviv Geffen: Ich musste meinen Geist öffnen und neue Eindrücke gewinnen. Nach der Veröffentlichung des ersten Blackfield-Albums bemerkte ich, dass sich langsam neue Möglichkeiten für mich öffneten, natürlich wäre dies ohne Stevens Hilfe nicht möglich gewesen. Mit Blackfield schloss ich über die ganze Welt verstreut neue Freundschaften, so dass ich meine Chancen verschwenden würde, hielte ich mich die ganze Zeit bloß in Israel auf.

Eigentlich singst du ja auf Hebräisch. Angesichts der internationalen Rockmusik bietet sich Englisch an, aber in manchen Musikstilen wird dennoch viel Wert auf die Muttersprache gelegt. Wie siehst du das mittlerweile?

Aviv Geffen: Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich mich für Englisch als Singsprache entschieden habe. Ich denke, es kommt einem Verbrechen gleich, wenn ich meine Kunst nur auf Israel beschränkte. Ich denke, meine Kunst sollte überall auf der Welt gehört werden. Es gibt so viele Menschen, die gerne gute Musik hören. Auch die sollen meine Songs verstehen können. Die Idee hinter Blackfield war für mich, aus Israel rauszukommen.

Es gibt ja immer auch Bands, die durch ihre Wahl der Muttersprache auch internationale Aufmerksamkeit erregen, wie zum Beispiel Rammstein.

Aviv Geffen: Für Rammstein gilt das vielleicht, aber viele Bands, die sonst in Deutsch singen, werden im UK einfach nicht wahrgenommen. Es ist schwer, jeden im Ausland zu erreichen, wenn du nicht in Englisch singst.

Wie trennst du eigentlich zwischen Aviv Geffen und Blackfield? Welche Ideen gehören zu welchen Bands?

Aviv Geffen: Ich treffe mich immer mit Steven im Studio und wir spielen unzählige Ideen erstmal durch. Wir legen unsere einzelnen Ideen auf den Tisch und schauen, welche Themen wir dann weiterverfolgen wollen. Wir sondern sehr viel aus und überlegen sehr viel hin und her, welche Ideen es auf ein Blackfield-Album schaffen. Steven scheint wirklich der König des zeitgenössischen Prog Rocks zu sein. Ich bin heute aus den Niederlanden angekommen und habe mir dort einige Musikzeitschriften gekauft. Er war auf einigen Titeln abgebildet und ich schrieb ihm gleich `ne Nachricht. Für uns muss bei Blackfield wirklich alles passen.

Das Interessante bei Steven Wilson ist ja auch, dass er durch seine Zusammenarbeit mit einigen Metalbands wie Opeth und Orphaned Land (die wie du aus Israel stammen) auch stark gewachsen ist.

Aviv Geffen: Steven zog für eine Zeit nach Tel Aviv, um mit mir zusammen an Blackfield arbeiten zu können. Auf diese Weise hat er diese ganzen Bands dort entdeckt.

Du hast ja zu deinem Heimatland ein gespaltenes Verhältnis, da dort sicher eine eher trockene politische Atmosphäre vorherrscht, die sich stark verhärtet hat.

Aviv Geffen: Zunächst muss ich einräumen, dass Tel Aviv die modernste Stadt der Welt ist. Sie sticht selbst Berlin oder London aus. In Tel Aviv findet man an Kultur alles Wünschenswerte: Mode, Parties, verschiedene Musikszenen. In Israel trifft man auf zwei verschiedene Länder: auf der einen Seite ist Jerusalem, das meistens in euren Nachrichten auftaucht und dann auf der anderen Seite liegt Tel Aviv, das eigentlich reinster Punk ist.

Gab es denn Probleme, als du den Militärdienst abgelehnt hast?

Aviv Geffen: Nein, ich hatte starke Rückenbeschwerden und ließ mich befreien. Als ich sah, dass viele meiner Freunde zur Armee gingen, machte ich mir Gedanken und stellte kritische Fragen. Ich habe meinen Freunden gesagt: Wollt ihr wirklich diese Besetzung Palästinas durchführen und ihnen vorschreiben, wie sie zu leben haben? Ich war damals noch ziemlich jung. In Israel kamen die wilden Sechziger erst in den 1990er Jahren an. Es gab also eine immense zeitliche Verzögerung. Ich fing an, Kostüme wie David Bowie zu tragen und lief mit Schminke wie Kurt Cobain herum.

Denkst du denn, dass Blackfield eher Pathos oder ein cooles Understandment transportiert? Die Musik pendelt ja zwischen Pop und Prog.

Aviv Geffen: Das läßt sich schwer beantworten. Dasselbe könnte man ja auch über Radiohead sagen: Ist es Rock? Ist es Pop? Deren Musik ist sehr catchy, auf der anderen Seite benutzen sie auch Streicher. Steven kommt eher aus dem Prog Metal, ich eher aus der Eurotrash-Ecke (lacht). Ich weiß wirklich nicht. Wir machen letzten Endes etwas Eigenes: wegen meines Akzents beim Englischsingen, wegen der verschiedenen Stimmen auf den Platten, so dass man letztlich Blackfield als Blackfield bezeichnen sollte.

Interessanterweise habt ihr euch mit Blackfield eines Porcupine Tree-Songs (‚Christenings‘) angenommen, der eigentlich auf eine doch recht harte Porcupine Tree-Platte hätte kommen sollen.

Aviv Geffen: Ich würde sagen, dass man das meiste Blackfield-Material als Powerballaden bezeichnen könnte. Immer mit starker Orchestrierung, wir lieben es, eine Klangwand aufzubauen und richtig episch zu werden.

Der Bandname hört sich alles Andere als poppig an.

Aviv Geffen: Wir laden die Fans ein, durch das schwarze Feld zu gehen. Ich denke, unsere Hörer stehen vor einer Entscheidung: entweder in den Garten mit dem grünen Gras und den Blumen oder ins schwarze Feld zu gehen, dort, wo das Leid anzutreffen ist, wobei wir als Band letzteres bevorzugen. Es ist alles Andere als schön, denn im Blackfield trifft man auf die Einsamkeit.

Vielleicht könnte man dieses Konzept hinter eurem Namen auch mit dem Titel der aktuellen Scheibe in Verbindung bringen? Die DNS gibt ja gewisse Determinanten in der genetischen Entwicklung eines Menschen vor. Warum sollte man aber zur DNS eines anderen Menschen vorstoßen wollen? »Welcome To My DNA«?

Aviv Geffen: Wir verfolgen die Vorstellung, die Seele mit medizinisch sterilen Handschuhen anzufassen. Wir glauben daran, dass der Hass in uns, die Wut, der Zorn und die Traurigkeit in der DNS schon seit der Geburt festgeschrieben ist. Es mag vielleicht in unserer Kindheit etwas Besonderes passieren oder wir machen Fehler in der Vergangenheit, doch denken wir, dass es in unserer DNS bereits feststeht, dass wir traurige Menschen sind. Sei also in meiner DNS willkommen und sehe meine Wahrheit, meine geröntgte Seele. Vom ersten Tag an ist das persönliche Schicksal festgeschrieben. Es gibt Menschen, die große Freude an Rihanna und Adèle finden, doch auf der anderen Seite findet man eben Menschen wie uns oder wie Blackfield, die Musik wie Floyd und Yello hören.

Blackfield ist kein gewöhnlicher Pop. Man bekommt auch den Eindruck, dass es bei euch gar nicht so sehr um eine ironische Brechung geht.

Aviv Geffen: Wir haben gar keine Zeit dazu, uns noch viel theoretische Gedanken zur Musik zu machen. Am Ende des Tages hören wir einfach Floyd an. Wir lieben diese Band nicht wegen der Produktion oder eines Konzepts, sondern wegen ihrer Songs. ‚Hey You‘ und ‚Wish You Were Here‘ sind großartige Lieder und werden es auch immer bleiben.

Auf dem neuen Album, wer schrieb da die Songs?

Aviv Geffen: Ich schrieb alle Songs, auf allen Alben. Steven Wilson produziert die Alben, singt, spielt selbstverständlich auch alle möglichen Instrumente. Ich habe schon so viele perfekte Studios auf der Welt gesehen, aber keine Mischtechnik und kein noch so ausgefallener Effekt können es mit Stevens Genius aufnehmen.

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Blackfield: Welcome to My Dna
Blackfield:
Welcome to My Dna

Kscope 2011

2011 werden sich Steven Wilson und Aviv Geffen ausschließlich Blackfield widmen. Das neue Album auf Kscope Music gibt ihnen dazu allen Grund. Erneut kombinieren die zwei Musiker ihre Talente, um eine durchaus poppige Interpretation des Progressive Rocks zu bieten. Dabei machen sie wie in ‚Go To Hell‘ auch nicht vor härterer Instrumentierung Halt. In diesen Passagen nähert sich die Musik durchaus Steven Wilsons eigentlichem Schoßkind Porcupine Tree. Doch der orchestrale Anstrich bringt Blackfield eher in Popbereiche, ohne jedoch die Hysterie von Muse oder die intellektuelle Verschrobenheit von Radiohead anzunehmen. Blackfield orientieren sich vor allem an ihren Stärken: aus der Ruhe etwas Episches zu kreieren. Geffens Songwriterqualitäten verbinden sich mit Wilsons Gespür für das Flächenarrangement. »Welcome To My DNA« wird nie so bedächtig wie Anathema-Scheiben, sondern bleibt poppig-beschwingt. ‚On The Plane‘ wirkt zum Beispiel wie ein Schlaflied für die Kinder eines vielbeschäftigten Globetrotters. ‚Oxygen‘ spricht das Bedürfnis nach etwas Ruhe an. Jedes der zehn Stücke erzählt eine kleine Geschichte. Die Musik braucht jedoch Zeit, um sich entwickeln zu können. Dann erhält man jedoch ein ruhiges Album, das nicht minder spannend ist.


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