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23. Januar 2011
Wolfgang Buchholz
für satt.org

Lieblingsbands waren in der Stadt...

Im Schweiße der Edlen - Viel zu tun für Gitarrenroadies
Wilco, 21. September, Offenbach, Capitol

»Niedrige Erwartungshaltung sichert hohe Zufriedenheit«. Dieses ab und an bei Konzerten erlebte Phänomen hat heute keine Gültigkeit. Immerhin 250 km Anreise nimmt man in Kauf, um endlich einmal wieder Wilco auf Deutschlandtour zu sehen. Über ein Jahr nach der Veröffentlichung von Wilco (the album) spielen Jeff Tweedy und seine virtuosen Mitmusiker einige Konzerte in mittelgroßen Venues. Die Erwartungen sind also hoch und sie werden - soviel vorab - keinesfalls enttäuscht. Das Capitol in Offenbach ist eine ehemalige Synagoge, die als Musical-Theater, ursprünglich für »The Who’s Tommy«, umgebaut wurde und in das heute die Frankfurter Batschkapp Konzerte verlagert, die in etwas gediegenerem Ambiente stattfinden sollen. Im Publikum eher bemooste Häupter, Wilco ist nichts mehr für die Indie-Kids.

Vorneweg spielt, anstatt des angekündigten John Grant, eine junge Dame namens Hanna Hukkelberg aus Norwegen. Alleine mit Gitarre und Mac bestückt, bietet sie einige ganz hörbare Songs. Ihre Stimme würde man als durchaus voluminös bezeichnen. Der Funke springt aber nicht ganz über. Zuviel Musik vom Band ist einfach Mist, gerade an einem Abend, an dem filigrane, handgemachte Musik zu erwarten ist. Frau Hukkelberg gehört wahrscheinlich zu der Musikerinnenkategorie, deren Lieder auf Platte besser rüberkommen als im Live-Konzert. Eine knappe halbe Stunde ist aber vertretbar. In der Umbaupause sind dann vier Roadies mehr als beschäftigt, die Bühne für die sechs Wilco-Musiker herzurichten.

Punkt neun Uhr eröffnet Wilco (the song) das zweistündige Set. Die erste halbe Stunde hat es dann schon gewaltig in sich. »Ashes of American Flags«, »I am trying to break your heart«, »You are my face« und »Bull black nova« werden in großartigen Versionen dargeboten. Die Virtuosität der Musiker in dieser Band ist einfach herausragend, dies gilt insbesondere für die Gitarrenfraktion. Mit Jeff Tweety, Pat Sansone und insbesondere dem wahnsinnigen Nels Cline spielen drei begnadete Sologitarristen bei Wilco. Wie Cline das Feedback seiner abgenudelten Jazzmaster mit seinen schlaksigen Bewegungen steuert und kontrolliert sucht seines Gleichen. Eingesetzt wird eine Armada an Instrumenten, von der Double-Neck- bis hin zur Steel-Gitarre, die von den Roadies bei jedem Stück neu gereicht werden. Dreistimmige Soli, bei denen man die einzelnen Melodieführungen glasklar heraushören kann, sind bei Konzerten eher selten – hier kann man sie bestaunen. So wie »Impossible Germany« muss in den 70ern wohl »The Allman Brothers Band« geklungen haben. Lob also auch an den Mixer, der lediglich bei einigen im Feedback endenden Liedern den Lautstärkeregler etwas nach unten hätte fahren können.

Die Band ist perfekt eingespielt, kommt aber nicht steril und zu abgezockt rüber. Sogar der in der Regel eher missmutig scheinende Jeff Tweedy lächelt ab und an und richtet einige, wenn auch holprige Worte an das Publikum. Outstanding ist sowieso die Rhythmus-Sektion mit Glenn Kotche am Schlagzeug und John Stirratt am Bass, dem letzten verbliebenen Gründungsmitglied. Dieser trägt mittlerweile einen Bart - steht ihm gut – und sieht nach wie vor sehr jugendlich aus. Dem etwas zerknitterten Jeff Tweedy sieht man die Jahre hingegen an.

Das Wilco-Repertoire reicht von experimentellen Musikkollagen (»A shot in the arm«) über kleine Gitarrenperlen (»Handshake drugs«) bis hin zu am Mainstream kratzendem Gitarrenrock (»One wing«) aus der neueren Dekade. Bemerkenswert sind auch die diversen Seitenprojekte der Musiker, zu nennen sind hier insbesondere Autumn Defense (Stirratt, Sasone) – neues Album im November - oder Pronto (Jorgensen), die starke Bezüge zum West-Coast-Sound der 70er-Jahre aufweisen. Auch diese Einflüsse sind bei den entspannten, ruhigeren Wilco-Stücken unverkennbar. Vor der Zugabe haben die Roadies noch einmal kräftig zu tun, um die Bühne wieder herzurichten. »I hate it here« startet den dann doch etwas abflachenden Zugabenblock. Es folgen drei etwas plumpere Rock-Stücke. Ganz am Ende dann noch ein herausragendes Gitarrenduell, das Thin Lizzy in ihrer besten Zeit auch nicht besser hinbekommen hätten.

Wilco bieten heute eine außergewöhnlich gute Gitarrenmusik-Show, die in den USA die größeren Hallen füllt. Wer diese Musik auch in dieser Bandbreite mag, wird sowohl auf Platte als auch insbesondere live nicht viel Besseres als Wilco finden.

Exzellenter Gitarrensound - Auch ohne Roadies
The Posies, 14. Oktober, Münster, Gleis 22

Wenn die Posies in Deutschland touren, spielen sie in Münster. Die Band gehört zu den Lieblingsbands der Konzertveranstalter vom Gleis 22. Auf ihrer Europatour zum neuen Album »Blood/Candy« stehen ansonsten diesen Herbst noch Berlin und Hamburg auf dem Plan. Die Posies wurden noch vor dem Grunge-Hype in 1986 in Seattle gegründet und haben seit dieser Zeit sieben Alben veröffentlicht. Im Kern sind die Posies Jon Auer und Ken Stringfellow, die jeweils die Rollen Songwriter, Gitarrist und Sänger ausfüllen. Die beiden haben vielleicht nicht ganz die Klasse von kongenialen Partnerschaften wie Lennon/McCartney, Forster/McLennan (The Go-Betweens), Moulding/Partrigde (XTC) oder Hart/Mould (Hüsker Du), aber nicht allzu weit dahinter würde ich auch die beiden Genannten sehen. Neben den Posies haben auch Auer und Stingfellow noch viele weitere Eisen im Feuer. Sie spielten beide mit Alex Chilton bei den reformierten Big Star, Stringfellow war langjähriger Tourgitarrist bei REM und hat seit neustem eine weitere Band, The Disciples, zusammen mit norwegischen Musikern. Beide haben auch Solo-Platten gemacht, wobei Jon Auers »Songs from the year of our demise« ein äußerst gut gelungenes Pop-Album ist. Der Song »Six feet under« schaffte es sogar zum Titelsong der gleichnamigen amerikanischen Fernsehserie.

Nach so viel Globetrottertum heute also das Gleis 22 in Münster, das mittelprächtig gefüllt ist. Power-Pop von Ü-40-Jährigen trifft dieser Tage nicht mehr ganz den Nerv des sonst stark studentisch geprägten Publikums. Später soll Ken Stringfellow noch die Frage stellen, wie viele Studenten im Publikum sind – zwei, drei zaghafte Meldungen ergibt die Befragung. Als Support spielen »Pardon, Miss Arden«, ebenfalls mit gefälligen Power Pop. Der Sänger nervt zwar etwas, wenn er recht unabgeklärt die Leute zum Tanzen auffordert, zwei, drei gute Songs hat die Band aber im Rucksack.

Die Posies sind zu viert und lassen ihrem neuen Album einen breiten Raum an diesem Abend. 70er-Reminiszenzen sind unverkennbar, die Arrangements sind opulenter und Bands wie Boston, Cheap Trick oder die frühen Styx fallen einem ein. Zucker-süße von der hohen Stimme Jon Auers geprägte klassische, kurze Pop-Songs wie »The Glitter Price« oder »So Caroline« stehen hier neben den komplexeren, durch Tempowechsel, Chorarrangements und unterschiedliche Teile geprägte Lieder von Stringfellow. »Licenses to hide« und »For the ashes« erinnern in ihren Strukturen gar an die alten Queen – alles in einem zeitgemäßen Soundgewand. Aber auch der Querschnitt durch den Backkatalog fehlt beim Konzert natürlich nicht. »Solar Sister«, »Dream all day« oder »Flavour oft the month« erfreuen das fachkundige Publikum, das sehr gut im Repertoire der Posies zu Hause ist und fleißig Wünsche äußert. Stringfellow ist recht redselig, Auer streut ab und an einen trockenen Kommentar ein und die Band hat sichtlich Spaß beim Konzert. Bemerkenswert ist, dass diese Musiker im nicht mehr ganz jungen Alter mit einer langen Musikgeschichte auf dem Buckel sich immer noch motivieren können einen Club mit siebzig bis achtzig Zuschauern zu bespielen und glücklich zu machen. Und das Umstimmen der Gitarren übernehmen die Herren selbst, d.h. Gitarrenroadies waren hier nicht von Nöten.

Endlich in Münster – »...mit den schönsten Songs der Welt«
I am Kloot, 25. Oktober, Münster, Gleis 22

Was zeichnet schöne Pop-Musik aus? Wohlklingende Harmonien, nicht zu aufdringlich, gewissermaßen eingängig, aber auch etwas gegen den Strich gebürstet. Texte, die poetisch sind, etwas zu sagen haben und in Arrangements gebettet sind, die nicht zu opulent aber gleichzeitig auch nicht langweilig erscheinen. Es gibt einige wenige Bands, die genau solche Musik machen und man fiebert schon wochenlang hin auf ein anstehendes Konzert. Die Aussage »Lieblingsband spielt in der Stadt« gilt zweifelsfrei für I am Kloot aus Manchester. Endlich sind der grandiose Songwriter John Bramwell mit Schlagzeuger Andy Hargreaves und Bassist Peter Jobson einmal in Münster zu Gast.

Im Vorprogramm spielt Ron Diva, ein deutscher Liedermacher mit etwas einfallslosen Harmonien und mich heute nicht ansprechenden Texten. Mein Problem ist eher, wie komme ich im ausverkauften Gleis 22 einigermaßen nach vorne, um auch etwas sehen zu können. Der Laden ist picke-packe voll und die Sicht ist dann sehr schlecht. In der zweiten Reihe endet das Geschiebe und mit einem Ersatzbier bewaffnet warte ich neben ca. 300 weiteren I am Kloot-Anhängern auf die Band.

Sechs Musiker, neben der Dreier-Besetzung noch ein Gitarrist, ein Keyboarder und ein Saxofonist betreten gegen 22 Uhr die Bühne. Der Titelsong vom neuen Album »Northern Sky« eröffnet das Konzert. Wie wird es gelingen, die aufwändigeren Arrangements der neuen Platte auch live adäquat umzusetzen? Die Streicher-Passagen vom Walzer »To the brink« übernimmt zum Beispiel das Akkordeon, auch die Chöre von »Radiation« und »Lately« überzeugen. Das Saxofon allerdings bleibt etwas unscheinbar, lediglich bei der Zugabe »Same shoes« kommt es gut zur Geltung. »This song is about alcohol and desaster«, so John Bramwell nicht nur einmal in der Ankündigung eines Liedes. Irgendwie sind sie coole Hunde, die drei I am Kloot-Musiker. Der Bassist Peter Jobsen spielt im Sitzen und hat den Oberkörper permanent in der Waagerechten, parallel zum Hals seines Instrumentes. Vom Aussehen her könnte er auch mit den Bad Seeds rumziehen. Mit weitestgehend geschlossenen Augen streichelt er seinen Bass. Sehr unkonventionell ist auch die Spielweise von Schlagzeuger Hargreaves, der vorwiegend mit Besen hantiert. John Bramwell hat seine Akustikgitarre auf dem leicht angewinkelten, auf der Monitorbox stehenden rechten Bein liegen. Ausschließlich bei »One man brawl« spielt er eine E-Gitarre mit Gurt. Die Stimme von John Bramwell kommt live noch klarer rüber als auf Platte, sie trägt auch alleine mit dezenter Gitarrenbegleitung. Die Besetzungen wechseln häufiger während des Konzertes, mal Bramwell alleine, mal in der Dreierkonstellation, mal in voller Runde. Vom neuen großartigen Album fehlt heute Abend kein Song - zu recht - und auch das formidable Debutalbum wird mit einer Vielzahl an Liedern besonders gewürdigt. Über zwanzig Werke spielt die Band in dem Hundert-Minuten-Konzert und trotzdem fallen einem noch viele Songs ein, die die Setlist hätten bereichern können.

Auch heute ein rundherum zufriedenes Publikum und ein entspannter John Bramwell am Merchandising-Stand. Es ist einfach schön solche Bands noch in kleinen Clubs erleben zu können, gleichzeitig aber unverständlich, dass I am Kloot nicht eine breitere Aufmerksamkeit erzielen können – verdient hätte es diese Musik allenthalben.