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18. November 2010
Ronald Galenza
für satt.org

  Aljoscha Rompe. Foto: Archiv Carlo Jordan
Aljoscha Rompe (*1947 †2000)
Foto: Archiv Carlo Jordan







Aljoscha Rompe. Foto: Jeannina Lilienthal
Foto: Jeannina Lilienthal


Lied einer unruhevollen Jugend


Der Weise betrachtet Leben und Tod wie Morgen und Abend.
Sie-Hoei

 

Aljoscha Rompe ist tot. Das war, als wären Rio Reiser und Tamara Danz noch einmal gestorben. Für ihre jeweiligen Szenen. Jeder möge mit seinen Erinnerungen an Aljoscha leben, den positiven wie negativen. Feeling B hatten sich nach dem Comeback von 1993 mit neuen Leuten 1999 endgültig aufgelöst, unter anderem wegen intensiven Drogenkonsums einiger Bandmitglieder. Aber vielleicht pulst ja für viele, die Aljoscha kannten, so ein Feeling A weiter.

Mix mir einen Drink, der mich woanders hinbringt.
Feeling B, 1990

 

Ich geisterte damals Anfang der Achtziger mit meiner verwirrt-verzweifelten Jungmänner-Lyrik durch die Szene. Einsamkeit und Verlust waren mein Lied. Durch krude Typen und windige Schattenmänner geriet ich an einen gerüchteumtosten und legendenbildenden Kerl namens Aljoscha. Der fiel mir als fröhlicher Hektiker auf, wollte seine Lebensentwürfe und Spaßrevolte doch lieber alleine dichten. Mich verschlug es in andere Kathedralen der Kumpanei. Aber wir blieben in wohlwollender Verbindung. Rompe war ein schillernder Scharlatan, ein größenwahnsinniger Realist und Netzwerker. Ein kundiger Kulissenschieber, ein charismatischer Chaot, ein machiavellischer Macher. Er gab vielen Leuten in der familiär-totalitären DDR neuen Sinn und Mut. Ganz Gegenpädagoge, war er immer er selbst.

In den Siebzigern hatte er sein Physikstudium abgebrochen und in den Wäldern um Berlin Vogelstimmen aufgenommen und gesammelt. Er kam in Kontakt mit der oppositionellen Kunstszene und ging wegen der Beteiligung an einem pseudo-subversiven Kalender für drei Monate in den Knast. Die Stasi nannte seinen Beitrag staatsfeindliche Hetze. Danach haben sie versucht, ihn in die sozialistische Produktion einzugliedern, ironischer Weise in einem Staatsbetrieb, der Überwachungskameras herstellte. Aljoscha ließ sich nach einer Woche krankschreiben und anschließend von seinem Vater als persönlicher Sekretär einstellen. Das sind Rock-Laufbahnen unter Knechtschaftsverhältnissen.

Ohne Bewusstsein, das muss kein Verlust sein.
Feeling B, 1990

 

Er traf Paul und Flake. Alexander Kriening, heute Fakir, ertrommelte Feeling B bei der obligatorischen Einstufung auf Anhieb die Sonderstufe. Feeling B waren nie Underground! Aljoscha besorgte sofort einen Bandbus, eine PA samt Techniker. Davor schlugen sie sich als trinkfreudige Kneipenband durch, die auf Konzerten ihre selbstgebastelten Ohrringe verhökerte.
Feeling B trafen beizeiten Vorbereitungen, sich bei ernsthaften Problemen klammheimlich nach Polen zu evakuieren, wurden aber nie verboten. Aljoscha war da schon ein Nischenbesetzer und Türenöffner. Er inspirierte und motivierte junge Bands, erklärte Feeling B bei der DEFA-Produktion »flüstern & SCHREIEN« als unverzichtbar und hat die staatlichen Filmemacher auch gleich mit hochwertiger Tontechnik ausgestattet. Er hat lautstark beim VEB Amiga angeklopft, um sich dann gleich für drei Monate im teuersten Studio der DDR in der Brunnenstraße einzunisten. Während Paul den überrumpelten Toningenieuren West-Punkplatten vorspielte, veranstaltete Rompe ausufernde Grillparties und nächtigte besoffen in der sozialistischen Talentschmiede.

Aber: Aljoscha konnte all das relativ problemlos machen, denn er war doppelt abgesichert. Zum einen durch seinen Schweizer Pass, den er Anfang der Achtziger bekam. Zum anderen saß sein Stiefvater in hochrangiger Position im Zentralkomitee der Genossen und war ein wichtiger Apparatschik der Stasi. Er war Mitglied im Nationalen Forschungsrat und leitete da die komplette Ost-Wirtschaftsspionage. Und mit Prof. Friedrich K. Kaul stand Aljoscha einer der renommiertesten Anwälte der DDR zur Verfügung. Da kann man dann schon ganz anders an den sozialistischen Mühlsteinen drehen, als so viele andere.
Dann machte sich der Punkpate Ostberlins auf gen Westen. Einerseits, um teure Westtechnik in den Osten zu transferieren, Kontakte zu Medien und Plattenfirmen aufzubauen oder einfach nur stundenlang zu telefonieren, agitieren, organisieren und zu quatschen. Er wohnte zeitweise in der Dresdener Straße in Kreuzberg, war aber von den Alternativen und selbstgewissen Rhetorikern schwer enttäuscht und angeödet.
Diese Zerrissenheit war sowieso ein großes Problem des Aljoscha R. Die sieche DDR konnte er nicht mehr ernst nehmen. Viele der neuen dandyesken Bands im Osten verachtete er, das verbiesterte Dissidentengehabe vieler Wichtigtuer nervte ihn, die offizielle Kirchenpolitik und das angepasste Kunstverständnis war ihm einfach nur langweilig. In Westberlin kam er nie an, er hasste das aufgeblasene Gehabe und gönnerische Besserwissen der dortigen Angeberaktivisten.

Alles was sie taten, drehte sich im Kreise, immer auf die gleiche Weise.
Feeling B, 1992

 

Feeling B waren liebenswerte Dilettanten voller energischem Elan und köstlicher Frische, sie verstanden sich als Guerillakommando. Welche brachial-heroischen Nächte verbrachten wir bei ihren orgiastischen Slammerkonzerten. Wieviel frivolen Spaß schenkte uns die Magdalene-Keibel-Combo mit Paul und Flake, wieviel aktionistischen Irrwitz versprühte Aljoschas Santa Clan-Projekt. Aber, das Leben ging ja immer weiter, als die Mauer brach, spielten Feeling B schon im Westberliner Pike. Paul und Flake stiegen 1993 aus und starteten Rammstein. Szenequirl Rompe machte mit anderen weiter. 1994 überreichte er mir mit seinem scheppernden Lachen im nebligen Proberaum in der Schönhauser 5 eine neue Demo-CD, die schwere Metal-Gitarren mit Acid-Beats kreuzte.

Für Aljoscha waren bei allem unsteten Piratentum immer Orte wichtig. Hiddensee. Die Fehrbelliner Straße 7: Headquarter und Schaltzentrale der Ostberliner Punkszene. Die Schönhauser Alle 5: In diesem kurz vor der Wende besetzten Haus residierte Aljoscha wie ein diabolischer Dialektiker. Die Schönhauser wurde schnell zu einem Gemeinwesen und Schnittstelle der Ostberliner Szene mit eigenem Piratensender, Radio P, Kino, Probekeller, Studio und Bar. Doch der Kapitalismus zeigte alsbald seine geldgeile Fresse, die Schönhauser 5 wurde vom neuen Eigentümer rasch kalt entmietet. Aljoscha wehrte sich bis zum Schluss gegen dessen Methoden, bis man ihn zum Auszug zwang. Nun war er gänzlich heimatlos.

Die Freiheit, die eigene Identität zu definieren, wird zur Unsicherheit, deren Symptom ist die Depression.
Sandra Janssen

 

Aljoscha ist in den Neunzigern viel durch die Welt gereist, für ihn wurden Mexico oder Frankreich wichtiger als dieses unselige Deutschland. Immer wieder zog es ihn nach Goa, Indien, auf der Suche nach spirituellem Labsal, um die dortige Goa-Szene und ihre Rauschmittel und Fluchtwege kennenzulernen. Er wurde nicht nur immer dünner, seit seiner Kindheit litt er an Asthma, sondern auch ein Ego-Esoteriker. An einem langen Abend im Kaffee Burger hielt er mir einen beeindruckenden Vortrag über seine Konspirationstheorien und Welterlösungspläne. Da war immer noch diese nervöse Flinkheit in ihm, aber nicht mehr diese überschäumende, faszinierende Energie. Aus seinem atemlosen, sich überschlagenden Tatendrang wurde ein manischer Monolog. Das Selbstzerstörerische überlagerte das Schöpferische zusehends, sein schillernder Aktionismus lief zunehmend ins Leere. In den letzten Jahren wurde Aljoscha ein suchender Mensch, irgendwo zwischen Indianer und Visionär voller Unrast, Unstetigkeit, Unruhe und Unzuverlässigkeit. Viele der alten Weggefährten reagierten verwirrt und fühlten sich abgestoßen, aber er fand neue Begleiter.

Jedenfalls blieb die große Übersicht und ein Denken, das von der sphärischen Gestalt der Erde und der Orientierung an den Himmelskörper geprägt war, ausschließlich den großen Piraten vorbehalten. Es stand im Widerspruch zu einer flachen, viereckigen Erde und einem Wissen, das sich an Königreichen und Empires ausrichtete und sich auf das beschränkte, was man unter den Bedingungen lokaler Voreingenommenheit lernen konnte. Nur diese großen Piraten erfreuten sich ihres exklusiven Wissens von der Welt und ihren Vorräten.

Alexander Aljoscha Rompe starb am 23. November 2000, erstickt während eines Asthmaanfalls. Bauarbeiter fanden ihn in seinem Campingbus. Er wurde nur 53 Jahre alt. Du fehlst uns, Aljoscha.


Feeling B - Mix mir einen Drink: Punk im Osten.
Gekürzte Fassung des Vorworts von: Ronald Galenza & Heinz Havemeister - Feeling B - Mix mir einen Drink: Punk im Osten. 700 Seiten, Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2002 und 2009 (Taschenbuch)