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25. Oktober 2010
Christina Mohr
für satt.org

  Christiane Rösinger - Songs of L. And Hate
Christiane Rösinger:
Songs of L. And Hate

(Staatsakt)


»Eher so kaputte Chansons«

Blätter fallen, Regen rinnt, draußen ist es grau und kalt: Der Herbst ist heimgekommen. Für Christiane Rösingers lang erwartetes Soloalbum könnte das Erscheinungsdatum Ende Oktober nicht besser gewählt sein, mangelt es ihm doch nicht gerade an traurigen Songs. Doch wäre es zu kurz gegriffen, »Songs Of L. And Hate« auf eine einzige Jahreszeit zu beziehen: Die ehemalige Lassie Singers- und noch-Britta-Sängerin, -Gitarristin und -Texterin* hat einen zehnteiligen »Liederzyklus« (Zitat) geschaffen, der einem, man weiß es schon beim ersten Anhören, ein Begleiter for all seasons sein wird. Der an Leonard Cohens »Songs Of Love And Hate« angelehnte Albumtitel gibt Rätsel auf: Warum wird »Love« nicht ausgeschrieben? Ist das Bezeichnete zu schlimm, zu hässlich, darf es nicht genannt werden? Ist die Platte einer Person namens »L.« gewidmet? Oder gibt es einfach zu viele Songs über Love, die Liebe? Schon mit den Lassie Singers konstatierte Rösinger genervt und weise zugleich: »Liebe wird oft überbewertet.« Bei Christiane Rösinger wird das besetzte »L« zum Platzhalter. Es kann Love / Liebe bedeuten, aber genauso gut auch etwas anderes. Man weiß es nicht.


* und natürlich Buchautorin: vor zweieinhalb Jahren erschien ihr Roman »Das schöne Leben

Das Coverfoto, eine die Geschlechterrollen umdrehende Interpretation von Bob Dylans »Bringin' It All Back Home«, offenbart: Rösingers Soloalbum ist auch eine Duo-Platte. Ihr musikalischer Partner ist Andreas Spechtl, Sänger, Texter und Gitarrist der vor kurzem aus Wien nach Berlin übergesiedelten Band Ja, Panik. Die Kooperationsgemeinschaft Rösinger/Spechtl »geht sich gut aus«, um eine österreichische Wendung ins Spiel zu bringen, die auch in einen Song des Albums geflossen ist. Spechtl setzt mit Klavier und Dylanesker Mundharmonika passende Akzente zu Rösingers Singer-/Songwriter-Chansons. Die schöne Musik ist das eine, Christiane Rösingers Texte allerdings sind eine Klasse für sich. Nicht umsonst meinte Rocko Schamoni im Klappentext ihres Buches: »Bei Christiane Rösinger sind die Worte zuhause.« La Rösinger findet die treffenden Zeilen für das alltägliche Liebes- und Lebensleid. In ihren Worten fühlt man sich sofort zuhause. Erhoben schon die Lassie Singers und vor allem Britta die Melancholie zum Lebensprinzip, widmet sich Christiane Rösinger allen Facetten des Zweifelns, des Überdrusses und der Enttäuschung: »Du hast dir deinen Reim / und dein Bild gemacht / dann kommt die Wirklichkeit / und sagt falsch gedacht« (»Desillusion«). Doch darf man sich Rösinger nicht als Kummerkastentante für idiosynkratische Großstädter vorstellen. Lösungen hat sie nicht parat, sondern schubst die geneigte Hörerin wahrlich desillusionierend in die Wirklichkeit: »Bist du einmal traurig und allein / Gewöhn' dich dran, es wird bald immer so sein« (»Sinnlos«).

Und so werden Verzweiflung, Pessimismus und Nihilismus bei ihr nicht zur mater dolorosa-Pose, in »Es ist so arg« nimmt sie den weit verbreiteten Wettbewerb um immer noch exotischere Dispositionen ironisch auf die Schippe: »So verzweifelt war ich noch nie / das ist die melancholische Hypochondrie.« »Verloren« ist eine sich stetig steigernde Attribute-Litanei der Wut und Verzweiflung. Die Beziehung, die da unter anderem als »so verschleimt, so verkeimt und versport« charakteristiert wird, kann man sich lebhaft vorstellen. Jackson Brownes gefühlvoller Song »These Days«, der vor allem durch die Interpretation von Nico berühmt wurde, gerät in der Übersetzung zu einem genuinen Rösinger-Stück: »Ich war draußen im Regen / ich will gar nicht so viel reden / zurzeit [...] Mir ist gar nicht so nach Rumzieh'n / nicht mal mehr Umzieh'n will ich mich / zurzeit.« Was aber die echte Christiane und ihre Songs dann doch immer wieder ans Licht zieht, ist ihre unternehmungslustige, ausgehbereite (meine Oma hätte »vergnügungssüchtig« gesagt) Kopf-Hoch-/Trotzalledem-Philosophie. In »Hauptsache Raus« singt sie: »Ich war beim Wrestling und beim Knochenmann / ich war mit Benno Führmann in Afghanistan / ich war mit Mausi Lugner auf dem Opernball / ich geh überall hin, ich schau mir alles an / ich tu' was ich kann und ich lass' mich nicht geh'n / mich soll keiner am Boden seh'n.«


** Artist in Residence Edinburgh

Genug zitiert – wir prophezeien schon jetzt, dass »Songs Of L. And Hate« wie alle Rösinger-Werke im Nullkommanichts zu popkulturellem Allgemeingut wird, á la »Pärchen verpisst euch, keiner vermisst euch!« (Lassie Singers). Hoffen wir, dass der Urheberin endlich alle nur erdenklichen Lorbeeren zuteil werden! Im Folgenden ein Interview, das Christina Mohr mit La Rösinger führte, bevor diese als Beauftragte des Goethe-Instituts gen Edinburgh** aufbrach.

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Christiane Rösinger (Foto: Claudia Heynen)
Christiane Rösinger (Foto: Claudia Heynen)

satt.org: Ist denn wirklich alles so arg, so schlimm? Das Album klingt über weite Strecken melancholisch und desillusioniert. Ist das künstlerische Pose oder erlebte Realität?

Christiane Rösinger: Also, ich finde es gar nicht so sehr traurig, es steckt doch auch viel Ironie und Lustiges darin. In dem Lied »Es ist so arg« wird ja gerade die Pose des Depressiv-sein-wollens persifliert: Jeder will noch trauriger und verzweifelter als der andere sein, will ein noch neueres trendigeres Symptom, eine noch interessantere Störung aufweisen!

Stichwort Realität: Wie stehst du zum Thema Künstler und Authentizität? Ist man selbst schuld, wenn man die Songs auf »L. And Hate« mit der echten Christiane Rösinger identifiziert? Oder trennst du nicht zwischen dir und der Frau auf der Platte?

Christiane Rösinger: Nun, die sogenannte Rockerauthentizität, die man mit Bühnenschweiß und Lederhosen assoziiert, ist mir natürlich ein Graus. Authentizität ist ein Schimpfwort. Aber es gibt eine große Schnittmenge zwischen der Frau auf der Platte und mir. Die Frau auf der Platte lebt halt die schwermütige Seite stärker aus, im wahren Leben bin ich eher die Ulknudel. Aber im Ernst, statt mit Authentizität halte ich es lieber mit einer romantischen Kunstauffassung: Das Leben wird Poesie und die Poesie ist das Leben.

Wie und wo schreibst du deine Texte – im Café, zuhause?

Christiane Rösinger: Ich schreibe gar nicht so sehr lange an Texten. Das heißt, ich denke zwar ständig über Text nach, ohne ihn sofort aufzuschreiben. Ich habe ja ein gutes Gedächtnis. Meistens ist zuerst eine Zeile, der Refrain da, dann kommt die erste Strophe, nur an den zweiten oder dritten Strophen sitzt man länger. Auf dem Sofa, mit dem Stift in der Hand. Dann sucht man ein Wort, einen Ausdruck, gibt auf, macht was anderes, denkt dabei die ganze Zeit drüber nach und dann fällt es einem ein. Manche Lieder fliegen einem gerade so zu. »Ich muss immer an dich denken« hab ich einfach so in zehn Minuten aufgeschrieben. Andere Songs brauchen länger, an der Nico-Übersetzung*** musste ich schon länger feilen.


*** »These Days«, geschrieben von Jackson Browne, gesungen von Nico, wird in Christianes Übersetzung zu einem typischen Rösinger-Stück: »...ich will gar nicht so viel reden zurzeit«.

Würdest du zustimmen, dass es sich besser schreibt, wenn man Kummer hat? Oder ist das ein Klischee?

Christiane Rösinger: Es ist nun einmal so, dass einen das Leiden an einer Sache eher dazu bringt, die Dinge zu analysieren. Pures Glück hat in Songs nichts zu suchen, das eignet sich besser für euphorische Tanznummern.

Du verweist auf Leonard Cohen, Jackson Browne, Bob Dylan: alles männliche Helden. Zufall? Gibt es auch Musikerinnen, die dir ebensoviel bedeuten?

Christiane Rösinger: Dass Bob Dylan auf dem Cover zitiert wird, war die Idee von Andreas Spechtl und mir ganz recht, weil mir Covergestaltung und Artwork ein Graus sind. Ich habe zwar einige Platten von Bob Dylan, aber so ein großer Fan bin ich nicht, und der – meistens männliche – Dylanologe ist mir suspekt. Leonard Cohen liebe ich schon, seit ich zwölf bin. Es ist natürlich kein Zufall, wenn man in einem männlich dominierten Feld auf mehr Männer als Frauen trifft und sich an ihnen orientiert.
Aber ohne Figuren wie Nina Hagen oder Patti Smith hätte ich nicht gewagt zu denken, dass ich auch mal so etwas machen könnte: Songs schreiben, sich auf die Bühne stellen.

Die Hassliebeserklärung an »Berlin« klingt wie ein kloanes Weana Lied, ein anderes Stück heißt »Es geht sich nicht aus« – eine Formulierung, die man in Deutschland nicht oft hört. Was haben Wien und Berlin gemeinsam?

Christiane Rösinger: Ich bin in letzter Zeit oft in Wien gewesen. »Es geht sich nicht aus« ist schon typisch österreichisch, das habe ich in meinen Sprachschatz aufgenommen, weil es so ein präziser Ausdruck für die verschiedensten Probleme und Unzulänglichkeiten ist. Das Österreichische ist ja manchmal das schönere Deutsch. Was haben Wien und Berlin gemeinsam? Ich weiß nicht. Das Grantige, Morbide, die schlechte Laune vielleicht?

Stichwort Wien: Du hast das Album zusammen mit Andreas Spechtl von Ja, Panik aufgenommen. Wie seid Ihr vorgegangen?

Christiane Rösinger: Es sind meine Songs, die in ihrer Rohform zu Andreas gegangen sind, er hat sie dann arrangiert, hat sich das Klavier und das Schlagzeug dazu ausgedacht. Bevor wir anfingen, haben wir halt überlegt, wie es sich anhören soll: Klavier und Gitarre, ab und zu Schlagzeug, aber kein Rocksound. Eher so kaputte Chansons.

Ich mag ja dieses beinah Udo Lindenbergsche HonkyTonk-Klavier, wie es bei Ja, Panik auch auftaucht – hat dir das für deine Songs gleich gefallen oder musstest du dich überzeugen lassen?

Christiane Rösinger: Mir hat es gleich gefallen. Ich bin sehr froh, dass Andreas seine eigene Note und das Klavierspiel mit hineingebracht hat! Das ist ja das Gute, wenn man mit anderen Leuten zusammen arbeitet. Sie bringen ihren Stil mit ein und es entsteht etwas Neues.

Nach vielen Jahren in Bands wie den Lassie Singers und Britta: Wie ist es, allein oder als Duo im Mittelpunkt zu stehen?

Christiane Rösinger: Wir haben ja bis jetzt kaum Auftritte gehabt, deshalb kann ich es noch nicht so genau sagen. Außerdem fühlt man sich als Sängerin ohnehin im Mittelpunkt, und live sind wir ja zu viert. Tanja von der Band Jolly Goods spielt Gitarre, Schätzmeister, ein österreichischer Country-Elektroniker, spielt Schlagzeug.

Lassie Singers, Britta, Solo: Ist das für dich eine logische Linie?

Christiane Rösinger: Lustigerweise wurden wir ja schon bei den Lassie Singers mit unserem für Frauen im Musikgeschäft zu hohem Alter konfrontiert. Als »Die nicht mehr ganz taufrischen Damen aus Berlin« hat uns ein Journalist beschrieben. Da waren wir 28. Und damals hab ich schon so aus Spaß gesagt: Wenn ich alt bin, mache ich auch Chanson. Wenn man jünger ist, denkt man ja, 35 wäre alt. Tatsächlich haben mir aber immer schon die ruhigen Stücke am Besten gefallen, und als dann in den Neunzigern die Riot Grrl-Bewegung kam, habe ich gemerkt, dass ich über diese arge Wut der zornigen jungen Mädchen gar nicht verfüge. Bei mir wandelt sich die Unzufriedenheit an den Verhältnissen eher in Melancholie.

Existieren Britta eigentlich noch?

Christiane Rösinger: Britta liegt auf Eis. Wir haben uns nicht offiziell aufgelöst, aber es ist im Moment auch nichts für die Zukunft geplant.

Fühlst du dich als Soloact in punkto Texte schreiben, Komponieren und Arrangements ausdenken freier oder belasteter?

Christiane Rösinger: Die Texte hab ich ja immer ganz allein gemacht. Was Arrangements angeht, ist es immer gut, mit jemand Neuem zu arbeiten: Neue Besen kehren gut. Es ist eher entlastend, weil mir Andreas viel musikalische Arbeit abnimmt.

Viele deiner Texte sind zu (pop-)kulturellem Allgemeingut geworden, das überall zitiert wird. Zum Beispiel: »Ist das noch Bohème oder schon die Unterschicht?« aus »Wer wird Millionär«. Wie fühlt man sich da?

Christiane Rösinger: Gut und doch ewig verkannt!

Und ist es nicht seltsam, dass du im Gegensatz zu männlichen Mitbewerbern wie Jens Friebe oder Tocotronic immer noch eher als Geheimtipp giltst? Knüpfen Männer einfach bessere Seilschaften, die auch im Feuilleton funktionieren?

Christiane Rösinger: Ich glaube, das Feuilleton an sich ist gegen den Musikjournalismus ein Hort der Geschlechtergerechtigkeit. Aber wer im Feuilleton über Musik schreibt, kommt ja aus dem Musikjournalismus. Eine Band, in der Frauen spielen oder eine einzelne Frau werden niemals diesen Hype generieren, den eine Jungsband oder ein junger Sänger auslösen kann. Das ist systemimmanent. Musikjournalisten wollen sich mit dem jungen Mann identifizieren, der sie selber gerne gewesen wären. Popmusik, das sind die Jungs in der Band. Frauen können noch Interesse erzeugen, wenn sie sich (ironisch) als Einzelkämpferin selbst sexualisieren. Aber Männer wollen sich nicht von einer Frau in Songs die Welt erklären lassen. Dafür haben sie Jungs- und Männerbands.

Mit welcher Bezeichnung fühlst du dich am wohlsten: Poetin, Musikerin, Schriftstellerin? Oder ganz wer anderes?

Christiane Rösinger: Poetin oder Dichterin fände ich super. Das klingt so altertümlich und es steckt alles drin.

Du wirst auf dem Cover des neuen Missy Magazine (November 2010) sein! Freust du dich darauf, dein Konterfei am Kiosk zu sehen?

Christiane Rösinger: Ja, eine neue Erfahrung: Endlich bin ich Covergirl!!!