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24. August 2010
Christina Mohr
für satt.org

Songs für den Spätsommer

Isobell Campbell und Mark Lanegan spielen unverklärte Western.
Best Coast setzen auf sonnendurchfluteten Songwriter-Punk.

  Isobel Campbell & Mark Lanegan - Hawk
Isobel Campbell & Mark Lanegan: Hawk
(V2/Cooperative/Universal)


Isobel Campbell & Mark Lanegan - Hawk

Isobel Campbell und Mark Lanegan gehen in die dritte Runde: Zwei Jahre nach »Sunday at Devil Dirt« legen die ungleichen Partner – er das grollende Screaming Trees-und Queens of The Stone Age-Rockmonster, sie die feinfühlige Britpopperin (Belle & Sebastian, The Gentle Waves) – eine neue Platte vor. Damit kein Missverständnis entsteht: Wie auf den beiden früheren Alben zeichnet Isobel Campbell für alle Kompositionen und Arrangements verantwortlich. Sie hält sich gesanglich im Hintergrund, so dass »Hawk« streckenweise wie ein Solowerk Mark Lanegans wirkt, dies aber mitnichten ist. »Hawk« habe ihr viel abverlangt, sagt Campbell und meint damit auch ihren Anspruch an sich selbst, der sie unaufhörlich nach dem perfekten Song suchen lässt. »Perfekt« hat für Campbell allerdings nichts mit Mainstream zu tun: »Hawk« - der Begriff hat im amerikanischen Englisch mehrere Bedeutungen, nicht nur der scharfäugige Greifvogel ist gemeint, »to hawk« heißt auch so viel wie »verkaufen« - weist bewusste Brüche auf. Campbell bedient sich zwar aus dem reichhaltigen Americana-Fundus, verarbeitet Country, Folk, Saloonmusik mit Fiddle und raumgreifenden Highway-Blues, aber »Hawk« ist kein verklärender Western-Soundtrack. Das Titelstück zum Beispiel ist eine synkopische Instrumentalraserei, die so gar nicht zum träge dahinschaukelnden, von Willy Mason gesungenen Townes Van Zandt-Cover »No Place To Fall« passen will. Akustische Folk-Balladen wie »We Die And See Beauty Reign«, »Snake Song« und »To Hell And Back Again«, die in ihrer ätherischen Schwerelosigkeit an Mazzy Star erinnern, treffen auf donnernden, übellaunigen Grinderman-Blues wie »You Won't Let Me Down Again« (Gitarre spielt hier übrigens James Iha/Smashing Pumpkins). Das lässige, selbstbewusste Songwriting des piano- und streicheruntermalten »Come Undone« kontrastiert mit dem sakralen Gospel »Lately«. Lanegan klingt knarziger und älter als Kenny Rogers, Lee Hazlewood und Don Williams (»Some Broken Hearts Never Mend«) zusammen; die Momente, in denen Campbell ihre zarte Stimme erhebt, sind rar – also kein lustiges Nancy Sinatra/Lee Hazlewood-Remake. Aber ein Hawk ist schließlich kein süßer Piepmatz, sondern ein stolzer Vogel, der eine mutige Falknerin braucht wie Isobel Campbell.

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  Best Coast: Crazy For You
Best Coast: Crazy For You (Cooperative/Universal) ASIN:


Best Coast - Crazy For You

Dies vorab: »Crazy For You« vom kalifornischen Duo Best Coast ist eine tolle Platte. So erfrischend, herzerwärmend und beglückend, dass sie als Antidepressivum verschrieben werden sollte. Die sonnendurchfluteten Songs nerven auch nach dem zehnten Anhören nicht, die Referenzen sind stilsicher gewählt und der Sound pendelt ideal zwischen süß und kratzig. Dennoch: Warum wollen so viele junge MusikerInnen – in diesem Fall die 23-jährige Songwriterin Bethany Cosentino und ihr kongenialer Partner Bobb Bruno – anno 2010 so klingen, als würden sie vor mindestens 35 Jahren leben? Vivian Girls, Dum Dum Girls, She & Him, von Kitty, Daisy & Lewis ganz zu schweigen: All diese Bands schwelgen im Sound der Sechziger und Siebziger, unterlegen den Gesang mit viel Hall und lassen die Gitarren janglen. Haben die alle zu oft in den Fotoalben und Plattensammlungen ihrer Eltern oder gar Großeltern gekramt und dann beschlossen, solche Klamotten tragen zu wollen, solche Musik machen zu wollen? Andererseits sind die Beach Boys, Beatles, Fleetwood Mac, Blondie und The Ramones ja nicht die schlechtesten Vorbilder, weshalb man sich nicht den Kopf zerbrechen, sondern die zwölf Songs auf »Crazy For You« vorbehaltlos genießen sollte. Bethany und Bobb sparen schon beim Opener »Boyfriend« nicht an »aaahs« und »ooohs«, Girlgroup-Sound á la Ronettes lässt grüßen. Surfgitarre, Garagenbeat und Bethanys glockenklare Stimme machen durchgehend gute Laune. Bei »The End« oder »I Want To« klingen Best Coast wie Blondie auf ihrem ersten Album (auf dem, dies nur nebenbei, Debbie Harry und Band Mitte der Siebziger die Sechziger im Punkgewand wieder aufleben ließen. Best Coast machen hier also Retro-Retro), auch »Happy« trägt unüberhörbare Punkrockspuren. Und Songs wie »Each and Every Day« und »Summer Mood« sind so schmissig und fröhlich, dass man aufspringen und alle Fenster aufreißen muss. Schließlich soll die Nachbarschaft auch was mitbekommen. Also, man verzeihe mir bitte mein »war doch alles schon mal da«-Genörgel. »Crazy For You« is good for you.

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