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20. Juli 2010
Tina Manske
für satt.org

HEALTH: Disco 2

Destillierte Brachialität

Wir Kinder der Achtziger wissen: Manchen Lieblingssong bringt ein Remix noch weiter. HEALTH (die Großschreibung ist Absicht) aus Los Angeles schafften noch mehr: Sie verpassten dem Crystal Castles-Track »Crimewave« ein Gewand aus Geräusch, konnten damit selber ihre Nische verlassen und verdientermaßen in den großen Clubs landen. Konsequenterweise lassen sie andere Künstler auch an das eigene Werk. Jetzt gibt es mit Bearbeitungen ihrer großartigen Platte »Get Color« das zweite Remix-Album von HEALTH. Kaum einer der Beteiligten hat es sich nehmen lassen, die Songs völlig umzukrempeln. Keine Angst: Aus den Noise-Schlachtplätzen sind saubere, tanzbare Tracks geworden. Das ist positiv gemeint.

Doch widmen wir uns diesen Vorzeigebeispielen der Remix-Kunst der Reihe nach. Da wäre zunächst »Before Tigers«: Im HEALTH-Original ist das ein zitterndes, schillerndes Stück zwischen Jittergeräuschen und unbarmherzigen Gitarrenwänden. Die Stimme von Sänger Jake Duzsik ist kaum noch vernehmbar. CFCF machen daraus einen extrem sanften Discotrack für die blaue Stunde. Auch wenn die Stimme weiterhin eher als weiteres Instrument denn als Transporteur von Nachrichten fungiert, versteht man fast schon, was Duzsik da eigentlich singt. Ein ähnliches Bild bei »In Heat«: Vergegenwärtigt man sich das hypernervöse Herzklopfen des Originals, so wirkt der Remix von Javelin wie ein völlig neuer Song. Ist es ja eigentlich auch, denn viel mehr als die Voice-Samples und ein bisschen Flirren werden nicht übernommen und um dieses Skelett dann ein wunderbar fettes Eastcoast-Gerüst gebaut, mit dem man problemlos im Cabrio auf dicke Hose machen kann. Am nächsten an der Vorlage bleibt »Die Slow« von Tobacco. Liegt es daran, dass das der Referenzpunkt von »Get Color« war oder daran, dass schon das Original einer der zugänglichsten Songs von HEALTH ist, einer, bei dem man schon durch die Noise-Blume den Hit riecht? Tobacco muss jedenfalls nur ein paar Töne pitchen, ein paar Synthies draufschichten und einen billigen Hip-Hop-Beat darunter legen: Fertig ist der Tanzflächenabräumer. Das ist die ideale Anwendung des Minimalprinzips, mit dem kleinsten Aufwand das Gewünschte zu erreichen.

Woher Small Black die Töne von »Severin« nehmen, bleibt ihr Geheimnis, aber der Remix klingt von Anfang bis Ende durchdacht und zwingend. Was brachial klang, schwebt jetzt ätherisch. Gut drauf kommen geht dabei sogar ohne Drogen. Noch zweimal rangenommen wird »Before Tigers«: Gold Panda machen daraus mit Clicks, Cuts und flächigen Synthies einen reinen Instrumentaltrack, während Blindoldfreak es ganz ohne Rhythmusgerüst versucht und dafür mit künstlich erzeugtem Meeresrauschen einen mächtigen Sog erzeugt.

Klar, dass auch die bereits erwähnten Crystal Castles wieder mit von der Partie sind. »Eat Flesh« ist in ihrer Version ein echter Höhepunkt: Scheinbare Brachialität wird zu einem Destillat aus Verzweiflung und purer Hoffnung, aus Stimmenseligkeit und elektrifizierter Angst, das man gehört haben sollte. Salem nimmt bei »In Violet« noch einmal die Geschwindigkeit aus der Kiste, bevor Blondes und Little Loud sich für »Nice Girls« noch die Housemeisterschürze beziehungsweise. das Trance-Kostüm anziehen. Pictureplane kitzeln aus »Die Slow« das House- und Stomper-Potenzial heraus. Mit »USA Boys« ist auch noch ein neuer Track auf dem Album. Produzent von Alan Moulder schafft originell den Spagat zwischen dem, was man unter dem als Schrei verstandenen HEALTH-Originalsound versteht und dem, was sie zusammen mit anderen Künstlern an Dancefloor-Attitüde pflegen. Straight to the floor sozusagen. »Wenn Health bei Simian Mobile Disco oder Justice Remixe in Auftrag geben, könnten aus ihren die wichtigsten Clubtracks des Jahrzehnts werden«, schrieb kulturnews.de anlässlich der Veröffentlichung von »Get Color«. Diese Größen hat es noch nicht mal gebraucht, um »Disco 2« nach LCD Soundsystem zur Disco No. 2 des Jahres 2010 zu machen.




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