Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




31. August 2009
Christina Mohr
für satt.org

  Phantogram: Eyelid Movies
» myspace


Phantogram: Eyelid Movies

Klingt so Musik vom Land? Mit „Land“ ist im Falle des amerikanischen Duos Phantogram das immerhin knapp 30.000 Einwohner zählende Städtchen Saratoga Springs im Bundesstaat New York gemeint, wo Josh Carter und Sarah D. Barthel geboren wurden und wohin sie nach einer kurzen Stippvisite in New York City wieder zurückkehrten. Zum Musikmachen ist den beiden Saratoga aber noch zu unruhig: ihren smarten Shoegaze-Dreampop basteln Phantogram im Studio „Harmony Lodge“ zusammen, das eine Stunde entfernt von Saratoga mitten im Ackerland liegt. Harmonie heisst aber nicht Stillstand, auf Phantograms Debüt entwickeln sich faszinierende Dynamiken: Angefangen beim Bandnamen über den Albumtitel, das Cover und natürlich die Musik verweisen Phantogram auf den traumartigen Zustand zwischen Wachen und Schlafen, „die flirrenden Pünktchen, die du siehst, wenn deine Augen fest geschlossen sind“, wie Josh Carter erklärt - „Eyelid Movies“ eben. Dass das Ganze nicht zu unwirklich und körperlos gerät, ist dem abwechselnden, kontrastierenden Gesang von Sarah (engelsgleich) und Josh (Raubein) und den sehr handfest rumpelnden HipHop-und Elektrobeats und Samplings zu verdanken, die Phantogram neben diversen Saiten- und Percussioninstrumenten gern einsetzen: Im folkig-schwebenden Opener „Mouthful of Diamonds“ knarzt und quietscht es heftig, „When I´m Small“ beginnt mit einem verschleppten Bluesriff, das an The Kills erinnert. In „As Far As I Can See“ und „Futuristic Casket“ werden lässige Streetfunk- und Jazzelemente gemixt – auch wenn es pathetisch klingt: „Eyelid Movies“ ist die akustisch-organische Verbindung zwischen Stadt und Land, Feldweg und U-Bahn, und dass Phantogram als Einflüsse J. Dilla, My Bloody Valentine und Serge Gainsbourg nennen, kommt einem plötzlich völlig selbstverständlich vor.

Hier ein exklusives Interview mit Sarah D. Barthel:

Warum habt Ihr Euch entschieden, New York zu verlassen und zurück aufs Land zu gehen? Warum zieht Ihr das Arbeiten und Leben in Saratoga dem in NYC vor?

Phantogram/Sarah D. Barthel: Wir haben unser ganzes Leben auf dem Land verbracht. Wir sind hier aufgewachsen, sind für ein paar Jahre weggezogen und dann wieder in die gleiche Gegend zurückgekommen. In der Mitte von Nirgendwo herrscht eine ganz bestimmte Magie: Die Sterne leuchten strahlender und du hörst viel faszinierendere Geräusche als in der Stadt. Auf dem Land gibt es weniger Ablenkung und du kannst dich besser auf deine kreative Arbeit konzentrieren. Wir lieben es, in die Stadt zu fahren und ziehen auch jede Menge Inspiration daraus, aber für unsere Arbeit ist es einfacher, diese Eindrücke dann in der Stille sacken zu lassen.

Mich wundert, dass Saratoga als ländlich bezeichnet wird – immerhin hat es gut 30.000 Einwohner. Habt Ihr jemals in einem wirklich kleinen Dorf mit vielleicht 100 Einwohnern gelebt?

Sarah: Nicht ganz so klein, aber wir kommen beide aus einem 1800-Einwohnerstädtchen namens Greenwich, das anderhalb Autostunden von Saratoga Springs entfernt liegt. Ich konnte mir nie vorstellen, dass es noch kleinere Orte gibt :)

Wie ist es, als Paar zusammen zu arbeiten? Wird es Euch manchmal zu eng oder ist es die beste Art zu arbeiten, weil man sich nur mit einer Person abstimmen muss anstatt mit einer ganzen Band?

Sarah: Dass wir nur zu zweit in der Band sind, macht die Kommunikation um einiges einfacher. Wir können Themen besser diskutieren und schneller Ideen entwickeln, weil wir nur mit einer anderen Person Kompromisse eingehen müssen. Josh und ich sind schon unser ganzes Leben lang befreundet, das hilft ausserdem. Wir kannten uns schon sehr gut, bevor wir anfingen, zusammen zu arbeiten. Wir müssen nicht um den heissen Brei herumreden, wenn wir unsere Meinung sagen wollen – und einen ähnlichen Geschmack in fast allem zu haben, ist zusätzlich nützlich.

Müsst Ihr häufig Kompromisse machen oder seid Ihr Euch meistens einig?

Sarah: Wenn wir verschiedener Meinung sind, verhalten wir uns sehr diplomatisch – aber um ehrlich zu sein: wir haben meistens dieselbe Meinung. Wir mögen die gleiche Musik und haben die gleichen künstlerischen Vorstellungen.

In den meisten Artikeln, die man bisher über Euch lesen konnte, steht das Girl/Boy-Ding im Vordergrund, also dass Ihr ein Pärchen seid. Stört Euch das?

Sarah: Ich würde es besser finden, wenn sich die Journalisten auf unsere Musik konzentrieren würden anstatt uns als Pärchen-Duo zu kategorisieren. Die Musik ist das einzige, worauf es ankommt.

Was ist Euer stärkster Einfluss?

Sarah: Musikalisch? Alles, was neu und frisch klingt, finde ich aufregend: Flying Lotus, Madlib, Oh No, J. Dilla, Department of Eagles, Caribou, Beck und natürlich Radiohead. Ich liebe es, Sounds und Strukturen zu entdecken, die man nicht eindeutig benennen kann.
Andere Künstler, die uns sicherlich beeinflusst haben, sind David Bowie, John Lennon, Bon Iver, Deerhunter, Sparklehorse, Why?, Elvis Presley, Philip Glass, Debussy, Chopin, Herbie Hancock, Prince, James Brown, Al Green, Justin Timberlake, Beyoncé, Kanye West, A Tribe Called Quest und so weiter und so weiter... die Liste wird immer länger :)
Aber mich beeinflussen auch visuelle Dinge: Träume, Filme, Fotos, Illustrationen, Farben, Blitzlichter, Landschaften und Erinnerungen.

Erinnerst Du Dich an die eine Band oder den einen Song, der in Dir den Wunsch geweckt hat, selbst Musik zu machen?

Sarah: Ich habe eine Menge unterschiedlicher Musik gehört, als ich aufwuchs... Als ich aufs College ging, entwickelte ich eine große Liebe für Underground-Hip Hop. Ich hatte ein paar Freunde, die mir eine Tonne Musik von ihren Computern runterluden und ich wurde richtig besessen davon. Künstler wie People Under the Stairs, Talib Kweli, Mos Def, Madlib, MF Doom, DJ Shadow, Souls of Mischief, The Pharcyde and Aesop Rock füllten meinen ganzen MP3-Player (damals passten nur ungefähr siebzig Songs auf die Dinger). Kurz darauf entdeckte ich Bands wie Radiohead, Pavement, Built to Spill, Sigur Rós, Animal Collective and Four Tet. Vor allem interessierten mich Bands, die kreativ mit Musik umgingen und nicht standardmäßig klangen. Es gab nicht “die eine Band”, die mich selbst zum Musikmachen brachte – ich fühlte mich von allem Möglichen inspiriert und verspürte den dringenden Wunsch, selbst Musik zu machen.

Eure Musik ist schwierig zu beschreiben, weil sie so viele verschiedene Einflüsse beinhaltet. Manche bezeichnen Euch als „Dream Pop“, an anderer Stelle habe ich „Street beat, psyche pop“ gelesen. Was bevorzugt Ihr?

Sarah: Die Leute können unsere Musik nennen wie sie wollen. Uns gefällt „Street beat“ sehr gut, weil das am besten den größten Einfluss inn unserer Musik ausdrückt. Aber wie auch immer, wir finden es gut, wenn sich die Leute für Phantogram ein eigenes Genre ausdenken. Wir haben Phantogram nicht gegründet, um in Kategorien gesteckt zu werden, weil wir dazu wirklich zu viele Einflüsse haben. Wir lieben so viele verschiedene Musikrichtungen... Ich glaube, dass wir unseren eigenen Sound dadurch kreiert haben, weil wir die Elemente aus verschiedenen Genres kombinieren, die uns am besten gefallen.

Euer Bandname und der Albumtitel suggerieren eine traumartige, unwirkliche Atmosphäre – wollt Ihr auch selbst so 'rüberkommen, ein bisschen wie Geister?

Sarah: Ein Phantogramm ist ein auf Papier gedrucktes 2D-Objekt, das, wenn man es aus einem bestimmten Winkel betrachtet, in 3D erscheint*. Ich finde, unser Name eröffnet eine Menge verschiedener Bedeutungen, die mit unserem Sound korrespondieren. Zum Beispiel eine bestimmte Form von Psychedelik, die mit der Definition des Begriffs “Phantogram” einhergeht. Es ist irgendwie ein bisschen rätselhaft und bezaubernd. Wir wollen, dass die Leute mehr als nur ein Gefühl, eine Bedeutung oder eine Vorstellung bekommen, wenn sie unsere Platte hören oder uns live performen sehen.

Tretet Ihr gerne live auf oder ist Phantogram ein eher introvertiertes Projekt?

Sarah: Wir lieben es, live zu spielen! Wir genießen die visuellen Aspekte – Lightshow und Bilder, die zur Show gehören. Wir möchten gern mehr Visuals in unsere Liveshow einbauen, weil wir finden, dass sie ein wichtiger Bestandteil unseres Sounds sind.

Könnt Ihr Euch vorstellen, Musik für einen Film zu komponieren? Und was für ein Film wäre das?

Sarah: Oh ja, das würden wir sehr gern machen! Wenn wir uns neue Sachen überlegen, stellen wir uns immer kleine Kurzfilme vor – das ist unsere Art zu „brainstormen“ und ein wichtiges Element unseres Kompositionsprozesses. Wir würden sehr gern eines Tages einen Soundtrack schreiben: Vielleicht für Wes Anderson, Spike Jonze, die Coen-Brüder oder Michel Gondry. Es wäre aber auch cool, eine ganz abgefahrene, ausufernde Musik für eine Naturdokumentation zu komponieren!